Heilsbringer oder Notlösung? SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz. (Bild: Imago/IPON)
Martin Schulz

Wo SPD drauf steht, ist leider SPD drin

Vom Ruck, vom Aufstieg aus dem Jammertal, vom Schulz-Wetter ist in der SPD schon die Rede. Aber was steckt hinter dem Kandidaten Martin Schulz? Eine Analyse.

Der Bundestagswahlkampf wird durch die Kanzlerkandidatur des SPD-Politikers Martin Schulz nach Einschätzung von CSU-Chef Horst Seehofer für die Union schwieriger. „Es ist gut, wenn man im politischen Wettbewerb die Konkurrenz ernst nimmt“, sagte der Bayerische Ministerpräsident. „Jetzt nehmen wir die neue Sachlage an.“

Wie nun ist die Sachlage? Wofür steht der Europaparlamentarier Martin Schulz? Ein Blick auf Worte und Taten der letzten Jahre.

Schneller Aufstieg

Gerne verweist Schulz auf seinen Lebenslauf, für den er angeblich ständig belächelt wird: Das private katholische Gymnasium verließ der Polizistensohn mit mittlerer Reife nach der vergeblichen Wiederholung der elften Klasse. Eine angestrebte Fußballerkarriere scheiterte. Schulz begann zu trinken, stürzte ab. Doch er fing sich wieder, hörte mit dem Trinken auf, eröffnete einen Buchladen und wurde 1987 für die SPD Bürgermeister von Würselen bei Aachen (bis 1998). Bei der Europawahl 1994 wurde Schulz ins Europäische Parlament gewählt und war dort zwischen 2000 und 2004 Vorsitzender der deutschen SPD-Landesgruppe sowie ab 2004 Vorsitzender der Sozialistischen, später Sozialdemokratischen Fraktion. 2012 wurde er zum Präsidenten des Europaparlaments gewählt. Als Spitzenkandidat der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) bei der Europawahl 2014 wollte er sich das Amt des EU-Kommissionspräsidenten sichern. Die SPE wurde aber nur zweitstärkste Kraft, was das Ende dieser Träume bedeutete. Schulz wurde erneut zum Präsidenten des Europaparlaments gewählt, aufgrund einer Absprache mit EVP-Chef Manfred Weber (CSU). Dass die Sozialdemokraten diese Absprache brachen, als wie vereinbart ein EVP-Kandidat Schulz nachfolgen sollte, verfolgte dieser recht still – auch wenn er sonst immer auf Vertragstreue pochte. Denn zunächst wollte er wohl in seinem Amt bleiben. So äußerte er noch im September in der Rheinischen Post, er sei „zu Stabilität und Kontinuität in Brüssel bereit“.

Kämpfer für den kleinen Mann?

Wenig glaubwürdig ist der Versuch der Sozialdemokraten, ihren neuen Spitzenmann als Vertreter des einfachen Volkes zu präsentieren, als einen bodenständigen Malocher, der die Sprache des kleinen Mannes auf der Straße spricht. In keinem guten Licht lässt ein Bericht des Fernsehmagazins „Report“ aus dem April 2014 den damaligen Parlamentspräsidenten erscheinen. Wie die Journalisten aufdeckten, kassierte Schulz zu seinem Gehalt als EU-Abgeordneter von mehr als 9000 Euro im Monat und üppigen steuerfreien Pauschalen für Wohnung, Wahlkreisbüro und Repräsentation noch täglich ein Tagegeld in Höhe von 304 Euro – an jedem Tag des Jahres, steuerfrei und anders als normale EU-Abgeordnete. 365 Tage, egal, ob er für das EU-Parlament im Einsatz war, für seine Partei oder ob er Urlaub machte. Auf Nachfragen von „Report“ bestätigte das Büro von Schulz damals diesen Sachverhalt und erklärte, er beziehe seit dem 18. April keine Tagegelder mehr. In den beiden Jahren seiner Amtszeit zuvor habe er das Geld aber sehr wohl bekommen. 304 Euro mal 365 macht 110.960 Euro – steuerfrei, wohlgemerkt.

Wenn Schulz wie in seinen jüngsten Äußerungen vom brav steuerzahlenden Bäckerlehrling spricht, ist das also zumindest heikel. Die soziale Gerechtigkeit nennt er dann auch noch, als er nach einem „echten Gewinnerthema“ gefragt wird. Seit 20 Jahren drifte die Gesellschaft auseinander, sagte Schulz bei „Anne Will„. Von den letzten 20 Jahren trug die SPD bis auf 5 Jahre Regierungsverantwortung, von 1998 bis 2005 stellte sie sogar den Regierungschef. Schulz: „Wir haben auch nicht immer die richtigen Antennen und Sensoren …“ Auch er selbst nicht, gehört er doch seit 1999 dem SPD-Parteivorstand und dem -Parteipräsidium an. Zugleich stellte er sich damit gegen die von Kanzler Gerhard Schröder (SPD) verabschiedete „Agenda 2010“, die zum Teil den wirtschaftlichen Aufschwung herbeiführte.

Ein Hang ins Rot-Rot-Grüne

Zwar verweigert er jede Antwort auf die Frage nach seiner Koalitionspräferenz. Doch deuten seine Äußerungen daraufhin, dass er ein rot-rot-grünes Bündnis anstrebt, das die Agenda mit ziemlicher Sicherheit kippen würde. Kanzler wolle er werden, sagte Schulz, das ist bei dem Abstand zur Union aber nur mit den beiden linken Parteien möglich. Auch seine Äußerungen zur Steuerpolitik biedern sich bei der Linkspartei an: „Riesenvermögen“ müssten höher belastet werden als kleine und mittlere, sagte Schulz am Montag. Die bösen „Reichen“. Keine Angaben machte Schulz, wie er zu der von Linken und Teilen der Grünen geforderten Wiedereinführung der Vermögensteuer oder einer höheren Besteuerung von Firmenerben steht. Schwammig sagte er: „Die Reduzierung der Debatte nur auf diese Kampfbegriffe ist völlig falsch.“ Wer all die sozialen Segnungen und Ausgaben erwirtschaften soll, die Schulz andeutete, auch dazu sagte er nichts.

Millionengräber

Schulz hat sich selbst gelobt für „seine Erfahrung als Bürgermeister“ von Würselen. Ein Blick in seine Heimatstadt, in der Schulz von 1987 bis 1998 ehrenamtlicher Rathauschef war. Wo ist das Denkmal, das an ihn erinnert? „Ein Millionengrab“ nennt CDU-Stadtverbandsvorsitzender Hans-Josef Bülles das Spaßbad „Aquana“, die Hinterlassenschaft des einstigen Bürgermeisters. „Das hat Schulz mit der SPD gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit und gegen die anderen Fraktionen durchgesetzt“, so Bülles. Das landschaftlich schön gelegene alte Freibad mitsamt einem kleinen Hallenbad wurde dafür abgerissen.

Dieser Bau war eine krasse Fehlentscheidung.

Karl-Jürgen Schmitz, CDU Würselen

Die CDU wollte damals nur das alte Hallenbad, das nach jahrelanger vernachlässigter Instandhaltung durch die SPD-Stadtregierung marode gewesen sei, durch ein kleines neues Bad ersetzen, so berichtet es Würselens CDU-Fraktionschef Karl-Jürgen Schmitz. Er zog 1984 gemeinsam mit Schulz in den Stadtrat ein. Schulz und die SPD hätten aber lieber auf einen „aus unserer Sicht unsicheren Investor“ gesetzt, der ein Spaßbad errichtete. Es kam, wovor die CDU gewarnt hatte: Die zugesicherte Bausumme, die die Stadt zahlen musste, wurde deutlich überschritten. Und man musste schließlich für eine symbolische Mark das Bad ganz übernehmen, weil sich der Investor zurückzog. „Dieser Bau war eine krasse Fehlentscheidung“, sagt Schmitz. Er selbst trat damals aus Protest aus dem Aufsichtsrat der städtischen Bädergesellschaft zurück. Jedes Jahr müsse die Stadt nun im Schnitt 1,5 Millionen Euro für den Betrieb des Bades hinblättern. Bereits im ersten Jahr kamen Reparaturkosten von einer Million DM hinzu, weitere Bau- und Technische Mängel beliefen sich bis 2004 auf 4 Millionen DM.

Die Gemeindeprüfungsanstalt Nordrhein-Westfalen (GPA NRW) ist für die Jahresabschlussprüfung bei den Eigenbetrieben der Gemeinden zuständig. Vernichtend fiel ihr Urteil 2015 über das Schulz’sche Spaßbad aus: „Der Betrieb des Freizeitbades AQUANA belastet den Haushalt der Stadt Würselen in hohem Maße. Mögliche höhere Verluste bergen außerdem ein Risiko für den städtischen Haushalt.“ Die Empfehlung der GPA ist eine nachträgliche Ohrfeige für Schulz: „Die Stadt ist bemüht, den Betrieb des Bades zu optimieren. Spätestens, wenn größere Investitionen zu tätigen sind (lt. Studie in ca. 8 bis 12 Jahren), sollte die Schließung des Bades geprüft werden.“

Doch das war noch nicht alles: Auch wenn Schmitz die exakten Zahlen nicht mehr im Kopf hat, lag der Schuldenstand der 39.800-Einwohner-Stadt 1999 seiner Erinnerung nach bei rund 90 Millionen Euro. Nimmt man den „Kommunalen Schuldenreport NRW 2007“ der Bertelsmann-Stiftung, die für das Jahr 2000 bei damals noch rund 36.500 Einwohnern eine Pro-Kopf-Verschuldung von 3285 Euro errechnete (das wären dann 120 Millionen Euro), so dürfte diese Erinnerung sogar noch zu niedrig angesetzt sein. Angefügt sei: Es gibt unterschiedliche Berechnungsarten für öffentliche Gesamtschulden, etwa mit oder ohne Kassenkredite. Nun wurden natürlich nicht alle Schulden von Schulz allein verursacht, seinen Anteil daran hat er aber dennoch.

Die Schulen waren teilweise so marode, dass die Tafeln von den Wänden fielen.

Karl-Jürgen Schmitz, CDU Würselen

Die Quittung erhielt Schulz nicht mehr selbst, da er 1998 das Amt aufgab: Im Kommunalwahlkampf 1999 verlor die SPD vor allem wegen des Baddebakels alle Direktmandate und das Rathaus, berichten Bülles und Schmitz. Und der CDU-Fraktionschef erinnert sich an weiteres segensreiches Wirken von Schulz und seiner SPD: Als die CDU 1999 das Rathaus übernahm, musste sie erst mal 30 Millionen DM in die Sanierung der Schulen investieren. „Die waren teilweise so marode, dass die Tafeln von den Wänden fielen“, erinnert sich Schmitz.

Flüchtlingsfrage

Wie aber steht Schulz zum derzeit wichtigsten politischen Thema, der Flüchtlingsfrage?  „Was die Flüchtlinge zu uns bringen, ist wertvoller als Gold“, sagte Schulz in der Aula der Neuen Universität Heidelberg im Juni 2016 laut der Rhein-Neckar-Zeitung. „Es ist der unbeirrbare Glaube an den Traum von Europa.“ Oder doch in vielen Fällen nur der Traum von mehr Geld und einem besseren Leben? Obergrenzen lehnt er ab und bedient sich dabei auch der Nazikeule: Manche meinen, Europa abzuschotten, sei die richtige Antwort, so Schulz in Heidelberg. „Es ist die Lösung, die die Populisten des 21. Jahrhunderts in den kalten Nachthimmel schreien, nachdem sie die Fahnen ihrer Großväter aus dem Keller geholt haben.“ Und dann folgte noch ein Plädoyer für die Multikulti-Ideologie: „Multikulturalität gibt es in Europa seit Jahrhunderten, es ist ein Kontinent der Vermischung.“ Zumindest nach 1945 haben sich aber doch auch einige gemeinsame Werte herausgebildet?

Wenn Sie die eine Million Flüchtlinge, die wir derzeit haben, unter den 28 Mitgliedstaaten mit seinen 500 Millionen Einwohnern verteilen, dann verursacht das überhaupt keine Probleme.

Martin Schulz

Auch Schulz glaubt, dass nur Europa helfen kann: „Die Flüchtlingskrise zeigt uns doch ganz deutlich, dass wir auf ein globales Phänomen wie die Flüchtlingsbewegungen keine nationalen Antworten geben können“, so der SPD-Politiker im The European. Dabei ist längst klar, dass vor allem der nationale Alleingang von Ländern wie Ungarn und Österreich den Migrantenstrom deutlich verringerte. Etwas naiv ging Schulz davon aus, dass alle EU-Länder von der Willkommenskultur genauso begeistert waren wie anfangs Deutschland und dass Flüchtlingsintegration leicht zu schultern ist: „Wenn Sie die eine Million Flüchtlinge, die wir derzeit haben, unter den 28 Mitgliedstaaten mit seinen 500 Millionen Einwohnern verteilen, dann verursacht das überhaupt keine Probleme”, meinte der SPD-Kandidat im Mai 2016 in einem Euronews-Interview.

Innere Sicherheit, Bildung, Infrastruktur

Er wolle als Kanzler die Polizei stärken, verkündete Schulz bei seiner Rede und mahnte eine konsequente Verfolgung von Straftätern an. Das Problem an dieser Aussage ist die gegensätzliche Haltung der SPD in der Realität. Denn es war die SPD, die teilweise jahrelang wichtige Sicherheitsvorschläge der Union blockierte, von der Vorratsdatenspeicherung über die elektronische Fußfessel bis hin zur Videoüberwachung. Dem Verfassungsschutz wollte etwa die Bayern-SPD Mitte 2016 die Instrumente Wohnraumüberwachung, digitale Spurensicherung und den Einsatz von V-Leuten beschränken.

Und in den Kriminalitätsstatistiken liegen die SPD-geführten Länder hinten: So war im Jahr 2015 das Risiko, Opfer einer Straftat zu werden, in Nordrhein-Westfalen um 66,7 Prozent höher als in Bayern, die Aufklärungsquote dazu noch rund 15 Prozent niedriger. Warum gibt es beispielsweise keine Schleierfahndung in Nordrhein-Westfalen? Dazu kommen No-Go-Areas in verschiedenen Städten, die es nach dem Willen der Landesregierung zwar nicht gibt, über die aber immer wieder Bürger, Polizisten und Medien berichten. Nicht viel besser ist es in Berlin oder Bremen. Auch beim Abbau beziehungsweise Nicht-Ausbau der Polizei „glänzten“ vor allem rote Länder.

Das Gleiche gilt für die Defizite in Bildung und Infrastruktur, die Schulz bei seiner Antrittsrede anprangerte: Beide Themen sind im Wesentlichen Ländersache. Und auch hier haben die SPD-Länder die Roten Laternen.

Selbstüberschätzung und Machthunger

Zweifellos leidet der SPD-Kandidat nicht an Selbstunterschätzung: Gleich bei seiner Vorstellung spürte er überall „Aufbruchstimmung“ und eine „neue Hoffnung, im ganzen Land greifbar“. Er verglich sich mit dem gerade verabschiedeten US-Präsidenten: „Obama hatte auch keine Regierungserfahrung“, als er ins Weiße Haus einzog, sagte Schulz. Für die große Bundespolitik reiche seine Erfahrung als Bürgermeister von Würselen aus: „Alles, was die Bürgerinnen und Bürger bewegt, das landet sowieso im Rathaus.“ Ein Blick über den kommunalen Tellerrand hinaus ist zwar in der Bundes- und Weltpolitik gut und wichtig, aber dafür war Schulz ja Präsident des Europäischen Parlaments. Einmal sagte er auch:

Ich schwitze den Machtwillen aus jeder Pore.

Martin Schulz

Legendär sind seine patzigen Haudrauf-Äußerungen, nicht nur in Europa, als er konservative Regierungschefs wie Berlusconi oder Orban beschimpfte. In Italien sei er deshalb ein „Volksheld“, sagte er einmal bescheiden. Auch seine jüngsten Äußerungen zum neuen US-Präsidenten Trump („Abrissbirne“) sind wenig diplomatisch, zumal er als Kanzler mindestens bis 2020 mit ihm zusammenarbeiten müsste.

In ein großes Fettnäpfchen trat er, als er 2014 als EU-Parlamentspräsident vor der israelischen Knesset sprechen durfte. Dort kritisierte er die israelische „Blockade“ des Gazastreifens und erzählte er von einem palästinensischen Jungen, der ihn gefragt habe, warum Israelis 70 Liter Wasser am Tag benutzen dürften und Palästinenser nur 17. Diese in linken Kreisen verbreitete Propagandalüge in seiner Position, noch dazu als Deutscher, ungeprüft wiederzugeben, führte zu großem Ärger in Israel. Denn zum einen ließ er dabei die palästinensischen Anschläge und Raketenangriffe außer Acht, die erst zur Blockade führten. Zum anderen lag selbst nach Angaben der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) aus dem Jahr 2011 der durchschnittliche Pro-Kopf-Verbrauch in PA-Städten bei 103 Litern. Im Sommer 2013 erhöhte Israel sogar noch die Wasserversorgung, half beim Ausbau von 136 Brunnen im Westjordanland und bot vergeblich mehrfach Wasser aus Entsalzungsanlagen an. Zudem taten die Palästinenser wenig, um die zahllosen Lecks in ihren Wasserleitungen zu stopfen und die Wasserverschwendung zu stoppen.

Fehler als EU-Parlamentspräsident

Mehrfach kritisierten Mitglieder des EU-Parlaments-Ausschusses für Haushaltskontrolle die Amtsführung des Präsidenten. Sie bemängelten die „hohe Zahl an Mitarbeitern“, die Schulz in seinem Büro beschäftigte: 35 Personen arbeiteten demnach für Schulz, darunter ein Sprecher nebst Assistentin plus weitere fünf Pressesprecher, dazu zwei Fahrer sowie ein persönlicher Amtsdiener. Diese Zahl an Mitarbeitern sei „äußerst fragwürdig“ und „ein schlechtes Beispiel für die Senkung von Kosten und die finanzpolitische Verantwortung innerhalb des Parlaments“, so die EU-Parlamentarier. Auch die zwei Limousinen, die für Schulz bereit standen, stießen den Kontrolleuren sauer auf.

Anlass zu Beschwerden gab auch Schulz´ Verhalten während des EU-Wahlkampfs im Jahr 2014. Hier sei es „schwierig“ gewesen, zwischen seinen Aktivitäten als Parlamentspräsident und als Spitzenkandidat seiner Partei zu trennen. Mit Bedauern nahmen die Mitglieder des Haushaltskontrollausschusses zur Kenntnis, dass Schulz zumindest „indirekt“ Mitarbeiter zur Vorbereitung seines Wahlkampf herangezogen habe. Zudem habe Schulz das Twitter-Profil des Parlamentspräsidenten in sein persönliches Profil umfunktioniert und zu Wahlkampfzwecken verwendet. „Es kann nicht sein, dass der europäische Steuerzahler für den Wahlkampf der Sozialisten aufkommt“, erklärte die CDU-Abgeordnete Ingeborg Gräßle. Die SPD dementierte.

Zentralist und Schuldenfreund

Der frühere EU-Parlamentspräsident wollte Brüssel stärken und die Nationalstaaten schwächen: „Handel, Euro, Umwelt und Zuwanderung soll Brüssel entscheiden, nicht Deutschland.“ Erst nach dem Brexit rückte er ein wenig von der europäischen Umarmung ab.

Schulz bewies auch in diesem Amt die alte Weisheit, dass Sozialdemokraten nichts von Finanzpolitik verstehen. So forderte er während der Griechenland-Krise 2011 in der Saarbrücker Zeitung die Einführung von Eurobonds, also gemeinschaftlichen Staatsanleihen der EU. Diese hätten zur Folge gehabt, dass alle Schulden der südeuropäischen Misswirtschaften vergemeinschaftet worden wären und insbesondere der deutsche Steuerzahler dafür hätte zahlen müssen, weit mehr, als er jetzt schon zahlen muss. Zudem hätten solche Bonds wirklich jeden Reformdruck von den Schuldenkönigen genommen. Für den SPD-Spitzenkandidaten jedoch war das einzige Risiko ein „kleiner Zinsaufschlag für deutsche Staatsanleihen“. Das ist eben SPD-Finanzpolitik nach nordrhein-westfälischer Art. Obendrein befürwortete Schulz den Aufkauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank, während er 2009 den Sparkurs des damaligen Kommissionspräsidenten Barroso kritisierte.

Türkei und EU

Schulz hat sich wiederholt für den EU-Beitritt der Türkei ausgesprochen, auch nach den Verhaftungsorgien des Autokraten Erdogan. „Selbstverständlich“ bleibe der EU-Beitritt weiter möglich, so der SPD-Mann in der Rheinischen Post im vergangenen September. Sogar das Einfrieren der Beziehungen lehnte er ab. Er wolle keinen Abbruch der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei, außer wenn diese die Todesstrafe wieder einführen würde. Immerhin schränkte er ein: „Andererseits sehe auch ich angesichts der türkischen Innen- und Außenpolitik keine Möglichkeit für einen zeitnahen Beitritt.“

Schulz zeigt mit seinen Äußerungen sein wahres Denken eines Europas ohne Wurzeln und ohne Koordinaten, ein Europa der geistigen Beliebigkeit und des bürokratischen Einmischens.

Andreas Scheuer, CSU

Die Verweigerung der Visafreiheit für die Türkei schrieb er sich selbst zu, wieder ganz bescheiden: „Letzte Woche habe ich den Plan zur türkischen Visafreiheit gestoppt, den die Kommission an das Parlament übermittelt hatte. Die Türkei hat die dafür verlangten 72 Kriterien absolut nicht erfüllt.“ Er habe die Papiere nicht an den zuständigen Ausschuss weitergeleitet. Dabei waren es insbesondere die Konservativen wie EVP-Chef Manfred Weber, die in den Wochen davor darauf hingewiesen hatten, dass die Türkei mangels erfüllter Kriterien keine Visafreiheit bekommen dürfe. Auch die Bevölkerung war zu 70 Prozent dagegen.

Keine Kreuze

Obwohl Martin Schulz selbst katholisch ist, lehnt er Kreuze in öffentlichen Einrichtungen ab. Im Mai 2014 forderte der damalige SPD-Spitzenkandidat für die Europawahl in einer TV-Debatte einen in religiösen Dingen neutralen Staat. „Ich will nicht, dass solche Leute Verantwortung als Kommissionspräsident tragen, die uns Kreuze in Schulen oder Behörden verbieten wollen“, sagte damals EVP-Chef Manfred Weber. „Würden wir die religiösen Symbole aus dem öffentlichen Raum verbannen, würden wir denjenigen ein Monopol einräumen, die keinen Glauben haben“, sagte Weber der Welt. „Schulz zeigt mit seinen Äußerungen sein wahres Denken eines Europas ohne Wurzeln und ohne Koordinaten, ein Europa der geistigen Beliebigkeit und des bürokratischen Einmischens“, so CSU-Generalsekretär Andres Scheuer damals.

Fazit

Auch wenn Schulz immer wieder so tut, als ob sein Lebensweg dauernd in den Schmutz gezogen würde: Seine persönliche Vita ist im Wahlkampf ohne Bedeutung. Entscheidend sind seine Worte und Taten als Politiker sowie die Pläne seiner Partei. Und hier gilt: Schulz macht fast nichts anders als die Genossen bisher, er kommt nur sympathischer rüber. Er ist „alter Wein im neuen Schlauch“, und dies ist keine Anspielung auf den Ex-Alkoholiker. Schulz steht für die alten und unbrauchbaren Parolen der SPD, für deren verfehlte Ziele ebenso wie für deren Inkompetenz in der Finanz- und Wirtschaftspolitik.

(avd/TR)