Verstärkte Beobachtung: Türkische Spione sind in Deutschland unterwegs. (Bild: Imago/Kickner)
Erdogan

Türkische Spione in Deutschland

Die Verfassungsschutzbehörden gehen dem Verdacht nach, dass der türkische Geheimdienst MIT in großem Umfang Anhänger der Gülen-Bewegung in Deutschland ausspioniert. Offenbar in der Hoffnung auf Unterstützung hatte der MIT dem Bundesnachrichtendienst im Februar eine Liste mit mehr als 300 Namen überreicht.

Wegen des Verdachts der Spionage in Deutschland ermittelt die Bundesanwaltschaft gegen den türkischen Geheimdienst MIT. Hintergrund sind Hinweise, dass türkische Agenten möglicherweise in großem Umfang angebliche Anhänger der Gülen-Bewegung in Deutschland ausspioniert haben. Von der Bundesanwaltschaft hieß es, die Untersuchungen richteten sich gegen unbekannte MIT-Angehörige. Es gehe dabei um den Verdacht der geheimdienstlichen Agententätigkeit.

Offenbar in der Hoffnung auf Unterstützung hatte der MIT dem Bundesnachrichtendienst (BND) am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar eine Liste mit mehr als 300 Namen überreicht. In dem Papier sollen neben Einzelpersonen auch mehr als 200 angeblich der dubiosen Gülen-Bewegung zuzuordnende Vereine, Schulen und andere Institutionen benannt werden. Das Recherchenetzwerk von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR hatte berichtet, die an BND-Chef Bruno Kahl überreichte MIT-Liste enthalte Meldeadressen, Handy- und Festnetznummern sowie viele Fotos von Betroffenen. Eine Auswertung habe ergeben, dass etliche Fotos offenbar heimlich, etwa durch Überwachungskameras, aufgenommen worden seien.

Auswertung der Listen

Der Präsident des BND gab die Liste an Sicherheitsbehörden in allen Bundesländern weiter. Dort gehen nun in der Regel die Polizeibehörden auf die in der Liste erwähnten Personen und Institutionen zu, um sie über den Spionageverdacht zu informieren. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagt, die Spionageabwehr in Bund und Ländern werte solche Listen intensiv dahingehend aus, wie ein ausländischer Nachrichtendienst diese Informationen erhalten habe. Jedem Verdacht auf illegale Aktivitäten von Mitarbeitern ausländischer Nachrichtendienste werde mit Nachdruck nachgegangen – auch im Hinblick auf einen möglichen Anfangsverdacht für eine geheimdienstliche Agententätigkeit. Geprüft werden demnach auch die vom ausländischen Nachrichtendienst erhobenen Vorwürfe. Zudem wird die Gefährdung der auf der Liste stehenden Personen bewertet. Die Landesbehörden ergreifen nach Angaben des Sprechers gegebenenfalls Maßnahmen etwa zum Schutz der Betroffenen. Die Bundesanwaltschaft nahm Ermittlungen auf.

Beteiligung von Gülen am Putsch

In Deutschland ist der Verfassungsschutz für die Spionageabwehr zuständig. Die Gülen-Bewegung wird in der Bundesrepublik nicht vom Verfassungsschutz beobachtet. Die türkische Regierung macht den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für den gescheiterten Putsch vom 15. Juli 2016 verantwortlich. Beweise, dass der in den USA lebende Gülen selbst Drahtzieher des Putsches war, lieferte Ankara nicht.

De Maizière kritisiert Ausforschungen

Innenminister Thomas de Maizière hat solche Spionage scharf kritisiert. Ausforschungen dieser Art würden vom Verfassungsschutz beobachtet, bei Verstößen seien Konsequenzen möglich – etwa der Verlust der Aufenthaltserlaubnis oder sogar strafrechtliche Ermittlungen.

Spionageaktivitäten auf deutschem Boden sind strafbar und werden von uns nicht geduldet. Das gilt für jeden ausländischen Staat und auch für jeden Nachrichtendienst.

Thomas de Maizière, Bundesinnenminister

Generell zeigte sich de Maizière von den Vorwürfen nicht überrascht: „Wir haben der Türkei auch schon mehrfach gesagt, dass so etwas nicht geht. Unabhängig davon, wie man zu der Gülen-Bewegung steht, hier gilt deutsches Recht und hier werden nicht Bürger, die hier wohnen, von ausländischen Behörden ausspioniert“, sagte er.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hatte zu Monatsbeginn vor einer wachsenden Einflussnahme der Regierung in Ankara auf die in Deutschland lebenden Türken gewarnt. Man beobachte „einen signifikanten Anstieg nachrichtendienstlicher Tätigkeiten der Türkei in Deutschland“, teilte die Behörde mit. Unter solchen Aktionen werden auch das Ausspähen von Gegnern des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, versuchte Einflussnahme, Propaganda und Desinformationskampagnen verstanden.

Die Gülen-Bewegung

Die sektenähnliche Gülen-Gruppe, eine islamische (manche sagen: islamistische) Bruderschaft, war viele Jahre enger Partner des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan, bis die Bewegung in Ungnade fiel. Ob sie, wie die türkische Regierung behauptet, für den angeblichen Putsch 2016 verantwortlich ist, scheint mangels Beweisen fraglich – so äußerte sich auch der BND. Der Autor und Journalist Ahmet Sik ging nach dem Putschversuch von drei Gruppen im Militär aus, die beteiligt waren. Den Hauptteil bildeten nach seiner Überzeugung Soldaten der Gülen-Gemeinde.

Harmlos ist die Gülen-Bewegung jedenfalls nicht, auch wenn sie nicht vom Verfassungsschutz beobachtet wird: Sie unterwanderte seit Mitte der 80er Jahre systematisch Polizei und Justiz in der Türkei und ist mit vielen Bildungseinrichtungen auch in Deutschland vertreten. Sik hatte 2011 diese Unterwanderung im Buch „Die Armee des Imam“ öffentlich gemacht, wurde noch vor Buchveröffentlichung verhaftet und ein Jahr ins Gefängnis gesperrt. Letztlich musste er 2012 entlassen werden. Ironie der Geschichte: Im Dezember 2016 wurde er von Erdogans Helfern erneut verhaftet – als angeblicher Gülen-Unterstützer!