Mit einer Großübung auf dem Gelände des Landespolizeipräsidiums in Saarbrücken probten die Polizei und die Bundeswehr gemeinsam den Ernstfall eines Terroranschlags. (Bild: Imago/Becker&Bredel)
Sicherheit

Der undenkbare Fall

Bundeswehr und Polizei probten in einer Großübung in sechs Bundesländern den gemeinsamen Kampf gegen den Terror im Inland. Ziel ist, sich auf den hoffentlich nie eintretenden Ernstfall vorzubereiten.

Die erste virtuelle Übung dieser Art namens GETEX (Gemeinsame Terrorismus-Abwehr-Exercise) lief in Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Schleswig-Holstein an. Dabei wurden bis Donnerstag zeitgleiche Anschläge in mehreren deutschen Städten ähnlich dem Mumbai-Anschlag 2008 simuliert – natürlich nur in der Theorie. In der indischen Finanzmetropole Mumbai (früher Bombay) hatten im November 2008 zehn Terroristen das Hotel Taj Mahal, ein jüdisches Zentrum und einen Bahnhof angegriffen. Die Anschläge und Kämpfe, die drei Tage dauerten, forderten mindestens 166 Todesopfer und Hunderte Verletzte. Auch die Anschläge in Paris im November 2015 waren vergleichbar.

Ziel der Übung war, Kommunikation und Alarmketten zu testen, die Verständigungs- und Anforderungswege zwischen Polizei und Bundeswehr zu überprüfen, die Eingliederung von Streitkräften in die Einsatzstrukturen unter Führung der Polizei zu erproben und das Leistungsspektrum der Bundeswehr für Unterstützungsmöglichkeiten im Anschlagsfall zu erheben. An der Übung waren 360 Soldaten beteiligt, darunter rund 180 bayerische Beamte aus verschiedenen Sicherheitsbehörden.

Und dann kommen wir zu einem Punkt, wo spezielle Fähigkeiten der Bundeswehr abgefragt werden.

Thomas de Maizière, Bundesinnenminister

„Für mich ist wichtig, dass wir uns auf Undenkbares vorbereiten, damit in einer solchen Lage verantwortungsvoll, entschlossen und zusammenwirkend agiert werden kann“, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Eine solche Übung sei wichtig, damit „alle für einen Fall lernen, der hoffentlich nie eintritt“, sagte der CDU-Politiker in Berlin. „Und dann kommen wir zu einem Punkt, wo spezielle Fähigkeiten der Bundeswehr abgefragt werden.“ Damit meinte er unter anderem den Abtransport von Verwundeten unter Beschuss, die Abwehr gegen ABC-Waffen, Aufspüren und Entschärfen von Sprengsätzen, Versorgung einer größeren Zahl von Brandopfern, Luftraumüberwachung sowie Objektschutz.

Ergebnisse gründlich auswerten

Der sächsische Innenminister und Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Markus Ulbig (CDU), besuchte in München mit Bayerns Innenminister Joachim Herrmann den Start der gemeinsamen Stabsrahmenübung. Mit dabei waren auch der bayerische Landespolizeipräsident Wilhelm Schmidbauer sowie der Kommandeur des Landeskommandos Sachsen, Oberst Helmut Baumgärtner. „Wir erleben heute die erste gemeinsame Anti-Terror-Übung von Bundeswehr und Polizeien in sechs Bundesländern. Das wäre noch vor kurzem unvorstellbar gewesen“, betonte Ulbig. Die Ergebnisse sollen bereits bei der nächsten Innenministerkonferenz im Juni in Dresden diskutiert werden.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann betonte: „Obwohl wir gut aufgestellt sind, könnte auch die Bayerische Polizei in extremen Terrorlagen an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen. In solchen Fällen brauchen wir den Einsatz der Bundeswehr im Innern zum besseren Schutz der Bevölkerung.“ Mit aktuell 41.969 Stellen hat die Bayerische Polizei so viel Personal, wie nie zuvor. Bis 2020 sollen jährlich weitere 500 Stellen dazu kommen.

Wir müssen alles dafür tun, die Innere Sicherheit für die Menschen in unserem Land weiter zu stärken.

Joachim Herrmann

Am Donnerstag trafen dann Herrmann, Staatskanzleichef Marcel Huber und Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) in der Werdenfelser Kaserne in Murnau zusammen. Hier wurde Theorie zur Praxis: Auf dem Kasernengelände wurde eine Fahrzeugkontrollstelle der Polizei dargestellt, die mit technischer und personeller Unterstützung der Bundeswehr durchgeführt wurde. Dabei ging es auch um das Auffinden von gefährlichen Sprengstoffen. Vor Ort waren neben den Einsatzeinheiten spezielle Einsatzmittel wie Hubschrauber, besonders geschützte Fahrzeuge, Aufklärungsdrohnen und Sprengstoffentschärfungsroboter. Staatskanzleiminister Huber betonte: „Die spezialisierten Fähigkeiten unserer Soldatinnen und Soldaten können im Ernstfall lebenswichtige Ergänzungen sein. Wenn das Leben von Menschen auf dem Spiel steht, müssen wir alle Kompetenzen auf Landes- und Bundesebene bis zum Militär bündeln.“ Eine praktische Übung solle folgen, erklärte Herrmann. „Wir müssen alles dafür tun, die Innere Sicherheit für die Menschen in unserem Land weiter zu stärken.“

Unverständliche Kritik

Das Grundgesetz erlaubt den Einsatz der Bundeswehr gemäß Artikel 35 nur in Ausnahmefällen, etwa bei Katastrophen oder großen Unglücksfällen. Die Übung könne eine „Büchse der Pandora“ öffnen, mutmaßte jetzt der stellvertretende Vorsitzende der Linken, Tobias Pflüger. Die innenpolitische Sprecherin der Linkspartei, Ulla Jelpke, befand: „Auch wenn es sich nur um eine Übung am Schreibtisch handelt: Diese Übung ist ein Beitrag zur Militarisierung der Gesellschaft.“

Auch die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, kritisierte in der Rheinischen Post: „Mit der gemeinsamen Übung wird auf unverantwortliche Weise der Grundsatz in Frage gestellt, dass die innere Sicherheit Hoheitsaufgabe der Polizei ist.“ Und die Grünen in dem von Grün-Schwarz regierten Baden-Württemberg befürchteten, dass „Ängste in der Bevölkerung geschürt“ werden könnten.

Innenminister beruhigen

Der Bundesinnenminister konnte die verängstigte Opposition beruhigen: „Es gibt verfassungsmäßige Beschränkungen, die wir selbstverständlich einhalten.“ Die Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr im Inland sollen mit GETEX nicht ausgeweitet werden. „Wenn die Verfassung diese Möglichkeiten gibt und ein solches Übungsszenario nicht völlig unwahrscheinlich ist, dann sind wir aber gut beraten, das auch gemeinsam zu üben.“ Auch Bayerns Innenminister Herrmann stellte klar: „Für die Innere Sicherheit in Bayern ist und bleibt zuallererst die Bayerische Polizei zuständig.“

Kein Mensch würde verstehen, wenn diese Ressourcen der Bundeswehr bei einem extremen Terroranschlag der Bevölkerung nicht zur Verfügung gestellt würden.

Ursula von der Leyen, Verteidigungsministerin

Verteidigungsministerin von der Leyen ergänzte: „Die Bundeswehr unterstützt die Polizei nur dann auf deren Anfrage, wenn die Polizei mit ihren Mitteln nicht mehr weiterkommt.“ Die Übung zeige diese Schwachstellen auf. Die Ministerin betonte aber: „Kein Mensch würde verstehen, wenn diese Ressourcen der Bundeswehr bei einem extremen Terroranschlag der Bevölkerung nicht zur Verfügung gestellt würden.“

Eine große Mehrheit der Bundesbürger will, dass die Bundeswehr in bestimmten Situationen auch im Landesinneren eingesetzt werden kann – etwa zur Abwehr von Terroristen. 68 Prozent der Deutschen sprachen sich in einer dimap-Umfrage für den Bayernkurier für diese Möglichkeit aus. In Bayern sind es sogar 72 Prozent der Bürger.

Unverändert hohe Gefährdungslage

Wie schnell aus der Übung ein Ernstfall werden könnte, verdeutlicht eine aktuelle Pressemeldung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV). Darin warnte Hans-Georg Maaßen, Präsident des BfV, vor einer „unverändert hohen Gefährdungslage“ in Deutschland. Als Hauptgefahren bezeichnete er zum einen die wachsende Zahl religiöser Fanatiker in der Islamisten-Szene und zum anderen die wachsende rechtsextreme Szene um die sogenannten „Reichsbürger“. Der Verfassungsschutz schätzte die Zahl der Islamisten in Deutschland zum Jahresende 2015 auf 45.120 Personen, darunter 1600 Gewaltbereite.

Islamistisch-terroristische Anschläge in Deutschland sind jederzeit möglich.

Hans-Georg Maaßen, Präsident des BfV

Rund tausend Muslime aus Deutschland kämpften und kämpfen zudem für Islamisten in Syrien und im Irak. Wenn diese irgendwann zurückkehren sollten, müssen wieder vermehrt Anschläge befürchtet werden. „Islamistisch-terroristische Anschläge in Deutschland sind jederzeit möglich“, so Maaßen. Allein seit dem Jahr 2013 hätten sich die „unspezifischen Gefährdungshinweise“ verdreifacht.