Der scheidende Bundespräsident Joachim Gauck bei seiner letzten Rede im Schloss Bellevue in Berlin. (Bild: Imago/epd/Christian Ditsch)
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„Demokratie ist kein politisches Versandhaus“

Bundespräsident Joachim Gauck hat in einer Rede zum Ende seiner Amtszeit vor Gefahren für die Demokratie in Deutschland gewarnt. Es brauche deshalb einen starken Rechtsstaat im Inneren und mehr Verteidigungsbereitschaft nach außen. Außerdem forderte er eine bessere Streitkultur, "mit Respekt und dickem Fell".

Er erinnerte vor etwa 200 Gästen im Schloss Bellevue an seine Antrittsrede 2012, als er fragte: „Wie soll es aussehen, unser Land?“. Jetzt sagte er, es sei „das beste, das demokratischste Deutschland, das wie je hatten“. Ein Land, das „persönliches Glück und Fortkommen ermöglicht und die Freiheit mit Chancengerechtigkeit und sozialem Ausgleich zu verbinden sucht“. Aber: „Nun, nach fast fünf Jahren, bin ich stärker beeinflusst von dem Bewusstsein, dass diesem demokratischen und stabilen Deutschland auch Gefahren drohen. Und dass große Anstrengungen notwendig sein werden, um es für die Zukunft stark zu machen.“

Die neue deutsche Demokratie sollte nicht schwach, sondern wehrhaft sein.

Joachim Gauck

Gauck nannte die Krise der Europäischen Union mit dem bevorstehenden Austritt Großbritanniens, aber auch die Kriege im Nahen Osten und in der Ostukraine sowie die russische Besetzung der Krim. Damit seien die begrenzten Handlungsmöglichkeiten deutscher und europäischer Außenpolitik sichtbar geworden. Auch die Bedrohung durch den islamistischen Terror sei gewachsen. Und mit dem Amtsantritt des gewählten US-Präsidenten Donald Trump entstünden neue Herausforderungen für die internationale Ordnung, besonders für die Nato.

Streiten mit Respekt

„Die liberale Demokratie und das politische und normative Projekt des Westens, sie stehen unter Beschuss“, betonte Gauck und forderte eine „wehrhafte und streitbare Demokratie“. Er kritisierte, dass in Teilen der Gesellschaft ein Anspruchsdenken gewachsen sei, das den Staat allein als Dienstleister sieht. „Doch Demokratie ist kein politisches Versandhaus. Demokratie ist Mitgestaltung am eigenen Schicksal“, betonte er.

In der Auseinandersetzung mit populistischen Strömungen forderte Gauck eine offensive und robuste Streitkultur. „Austausch und Diskussion sind der Sauerstoff der offenen Gesellschaft, Streit ihr belebendes Element“, sagte er. „Heftig streiten, aber mit Respekt und mit dickem Fell.“ Wie im Sport müssten dabei aber Regeln anerkannt werden. „Wir leben in rauen Zeiten“, sagte Gauck: „Oft ist nicht mehr erkennbar, was wahr ist und was falsch. Vor allem in den sozialen Netzwerken wird fast grenzenlos gelogen, beschimpft, verletzt.“

Der Rechtsstaat verliert, wenn er sich im Kampf gegen Gewalt und Terror als zu schwach oder gar hilflos erweist.

Joachim Gauck

Plädoyer für einen starken Staat und Grenzkontrollen

In der Debatte über Konsequenzen aus den Terroranschlägen in Deutschland plädierte Gauck für einen starken Staat. „Der Rechtsstaat verliert, wenn er sich im Kampf gegen Gewalt und Terror als zu schwach oder gar hilflos erweist.“ Mehr Sicherheit sei keine Gefahr für die Demokratie, sondern notwendig zu ihrem Schutz. Dies sei eine „eindeutige Richtungsentscheidung“ der Verfassungsväter gewesen.

Bei der Flüchtlingspolitik liegt Gauck offenbar eher auf Linie der CSU: Nötig sei eine „effiziente Sicherung der europäischen Außengrenzen“ sowie eine „geregelte europäische Einwanderungspolitik“. Sonst könnten einzelne Länder bei der Aufnahme und Integration so vieler Flüchtlinge „überfordert“ sein, so der scheidende Bundespräsident. „Wir erleben vielfältige Bemühungen, die Kontrolle zu behalten oder wiederzugewinnen“, so Gauck ziemlich deutlich.

Mehr Verantwortung in der Welt

In der internationalen Politik bekräftigte Gauck seine Forderung, Deutschland müsse mehr Verantwortung übernehmen. „Gemessen an den Herausforderungen unserer Zeit und an unseren Möglichkeiten könnten und sollten wir deutlich mehr tun.“ Deutschland und Europa müssten ihre Verteidigungsbemühungen verstärken, um nicht zum Spielball der Interessen anderer zu werden. „Das ist der Kern der wehrhaften Demokratie, das ist republikanische Verteidigungsbereitschaft.“

Das Recht ist nicht in der Hand der Macht.

Joachim Gauck

An die Adresse all der alten und neuen Diktatoren richtet er diese Worte: „Das Recht ist nicht in der Hand der Macht.“

Einsatz für Demokratie

Aus Sicht des Vorsitzenden der Evangelischen Kirche Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, hat Gauck in seiner Amtszeit das Ansehen Deutschlands gestärkt. Der Rheinischen Post sagte der EKD-Vorsitzende: „Gaucks tief in der eigenen Biografie verankerter Einsatz für Demokratie und Freiheit hat einen Maßstab für die Ausrichtung und das Miteinander unserer Gesellschaft gesetzt.“ Gerade in einer Zeit, in der die demokratische Kultur in vieler Hinsicht auf die Probe gestellt werde, sei das besonders wichtig.

Gauck scheidet am 18. März nach fünf Jahren aus dem Amt. Sein Nachfolger wird am 12. Februar gewählt – aller Voraussicht nach wird es Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD).