Neue (Un-)Sicherheit: Köln an Silvester und Deutschland von morgen? (Bild: Imago/Luo Huanhuan/Xinhua)
Sicherheit

Bleibt alles anders

Die Sicherheitslage hat sich ebenso wie das Sicherheitsgefühl der Deutschen nach den islamistischen Anschlägen und den Kölner Silvestervorfällen verändert. Die Polizisten sind frustriert und das Risiko bleibt hoch: 62 islamistische Gefährder können derzeit trotz abgelehntem Asylantrag nicht abgeschoben werden.

Drei Wochen nach dem Weihnachtsmarkt-Anschlag in Berlin kommt die SPD endlich der von den Unionsparteien geforderten Verschärfung einzelner Sicherheitsmaßnahmen näher. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) erklärte jetzt: „Wir müssen alles tun, um Gefährder so gut wie möglich im Blick zu haben, auch vor einer möglichen Verurteilung“, sagte er der dpa. „Dabei darf der Einsatz von elektronischen Fußfesseln kein Tabu sein.“ Bisher war er nur für Fußfesseln nach einer Verurteilung. Als Gefährder stufen die Sicherheitsbehörden jene Extremisten ein, denen sie einen Anschlag zutrauen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte bereits einen Gesetzentwurf zur Abschiebehaft für ausreisepflichtige Gefährder vorgelegt und plante seit Oktober, einen neuen Haftgrund „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“ einzuführen. In der Bild am Sonntag hatte er bezweifelt, dass „alle in der SPD bereit sind, harte Maßnahmen wirklich mitzutragen“.

Eins kann ich sagen: so, wie es mal gewesen ist, wird es nicht bleiben.

Jürgen Mathies, Kölns Polizeipräsident

Maas kündigte am Sonntag jetzt sogar eigene Vorschläge an und sagte: „Abschiebehaft sollte künftig für Gefährder auch dann verhängt werden dürfen, wenn die Herkunftsstaaten bei der Rückführung nicht kooperieren.“ Diese Haft solle auch „über die volle Zeit von 18 Monaten, die jetzt schon möglich ist“ verhängt werden. Der Attentäter von Berlin, Anis Amri, war als Gefährder eingestuft und ausreisepflichtig, konnte aber nicht abgeschoben werden, weil sein Heimatland Tunesien ihm keine Papiere ausstellte.

62 Gefährder können nicht abgeschoben werden

62 islamistische Gefährder ohne deutschen Pass halten sich derzeit trotz abgelehntem Asylantrag in Deutschland auf. Unklar sei, in wie vielen Fällen die eigentlich erforderliche Abschiebung derzeit nicht möglich sei, unter anderem wegen fehlender Ausweise. Insgesamt hat knapp die Hälfte der derzeit 548 von den Sicherheitsbehörden in Deutschland als sogenannte Gefährder eingestuften Islamisten keinen deutschen Pass – von diesen 224 Personen halten sich allerdings nicht alle in Deutschland auf. Das teilte das Bundesinnenministerium auf Anfrage der Welt am Sonntag und der dpa mit. Nach Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA) sitzen zudem über 80 von ihnen in Haft.

Sanktionen gegen unkooperative Staaten?

Nach Ansicht von SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sollte die Bundesregierung Sanktionen gegen Staaten erwägen, die ihre als Asylbewerber abgelehnten Staatsbürger nicht zurücknehmen.

Eine Strafe muss im festgelegen Rahmen auch an die oberste Grenze gehen und nicht nur an der niedrigsten Schwelle enden.

Hans-Jürgen Kirstein, GdP Baden-Württemberg

Innenminister De Maizière hatte am Sontag in der ARD gesagt, er allein könne diese Länder nicht zum Einlenken bewegen. Mithelfen müssten das Wirtschaftsministerium von SPD-Chef Sigmar Gabriel, das Außenamt von Frank-Walter Steinmeier (SPD) und das Entwicklungsministerium von Gerd Müller (CSU). Dass der Unwille, eigene Bürger zurückzunehmen, weiter besteht, zeigten am Wochenende Demonstrationen in der tunesischen Hauptstadt Tunis. Zahlreiche Menschen protestierten dort gegen die Rückkehr von Dschihadisten. Das Land hat mit die meisten Terroristen: Bis zu 7000 Tunesier sollen im Ausland für Terrororganisationen kämpfen, fast 1000 sollen zurückgekehrt sein.

Sanktionen à la Oppermann wären kontraproduktiv, sagte eine Sprecherin von Entwicklungsminister Gerd Müller am Montag in Berlin. Würden etwa die Gelder für Ausbildungsprogramme reduziert, erhöhe dies noch den Druck auf junge Menschen ohne Perspektive, ihr Land zu verlassen. Besser sei es, die Staaten stärker zu unterstützen, wenn sie im Gegenzug ihre abgeschobenen Bürger zurücknähmen.

Polizisten sind frustriert

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordert mehr Unterstützung beim Vorgehen gegen Mehrfachtäter aus dem Ausland. Die Polizisten hätten häufig den Eindruck, dass ihre Arbeit „von den politisch Verantwortlichen nicht ernst genommen wird“, sagte Baden-Württembergs Landeschef Hans-Jürgen Kirstein den Stuttgarter Nachrichten. Für viele Polizisten entstehe dadurch „ein frustrierender Arbeitsalltag“. Für seine Kollegen sei es schwer nachzuvollziehen, dass jemand, der in Deutschland Hilfe suche und dann zum Teil dutzendfach straffällig werde, „mit nur sehr geringen oder gar keinen Folgen zu rechnen“ habe – weder straf- noch ausländerrechtlich. Der Rechtsstaat habe sich bewährt, er müsse aber auch verteidigt werden. Dabei gehe es auch um den Schutz möglicher Opfer. „Das ist unsere Aufgabe und wir brauchen die notwendigen Mittel und klare Signale aus Politik und Justiz, dass unsere Arbeit wertgeschätzt und respektiert wird“, so der GdP-Vorsitzende mit einem klaren Seitenhieb auf die Grünen-Vorsitzende Simone Peter. Hierbei spiele keine Rolle, woher der Straftäter komme. Eine Strafe müsse „im festgelegen Rahmen auch an die oberste Grenze gehen und nicht nur an der niedrigsten Schwelle enden“.

Die kommen gezielt nach Deutschland, um Straftaten zu begehen, und tauchen immer wieder auf. Für die ist die Welt ein Selbstbedienungsladen.

Anonymer Polizist, in den Stuttgarter Nachrichten

In einem früheren Artikel derselben Zeitung von Mitte Dezember hatte sich ein anonymer Polizist ebenfalls über die Mehrfachtäter beschwert: „Solche Leute wird man einfach nicht los. Die kommen gezielt nach Deutschland, um Straftaten zu begehen, und tauchen immer wieder auf. Für die ist die Welt ein Selbstbedienungsladen. Das ärgert uns wahnsinnig.“ Die Lage beim Thema Ausländerkriminalität habe sich seit einigen Jahren massiv verschlechtert. Nicht nur, aber auch im Zuge der Flüchtlingskrise. „Wir haben es immer öfter mit einer streng islamischen Denkweise oder völlig fehlendem Unrechtsbewusstsein zu tun“, sagt eine weitere Beamtin dazu. Sie selbst als Frau erlebe häufig totale Respektlosigkeit. Im Jahr 2015 hatten in Baden-Württemberg laut Landeskriminalamt 41 Prozent der Tatverdächtigen keinen deutschen Pass, ohne Aufenthaltsverstöße waren es noch 36 Prozent (ein Anstieg um 13,5 Prozent). Ein weiterer Anstieg wird erwartet. Angesichts eines Anteils an der Bevölkerung von 14 Prozent ist das viel, selbst wenn man „durchreisende“ Kriminelle abzieht. Zwar ist durch die Flüchtlingswelle die Gesamtzahl der Ausländer und auch die der besonders kriminalitätsanfälligen jungen Männer gestiegen, als angeblich Schutzsuchende sollte deren Kriminalitätsrate aber eigentlich doch sehr niedrig sein. Besonders auffällig sind Algerier, Georgier, Gambier, Serben, Tunesier und Marokkaner, so die Stuttgarter Nachrichten.

58 Prozent der Frauen fühlen sich nicht mehr sicher

Zwei Umfragen zeigen, wie sich das Sicherheitsgefühl der Deutschen nach den islamistischen Anschlägen und den Kölner Silvestervorfällen verändert: In einer Emnid-Umfrage für die Bild am Sonntag unter Frauen gaben 58 Prozent der Befragten an, dass öffentliche Orte für sie heute weniger sicher sind als früher. 31 Prozent sahen keine Veränderung, zehn Prozent sahen mehr Sicherheit. 48 Prozent der Frauen gaben an, dass sie bestimmte Gebiete meiden würden, sobald es dunkel wird. 16 Prozent führten nach Sonnenuntergang Pfefferspray mit sich, unter den 14- bis 29-Jährigen sogar 32 Prozent.

50 Prozent der Bürger sind der Auffassung, die Zuwanderung bringt ‚eher Nachteile‘.

ARD-Deutschlandtrend

Laut dem aktuellen Deutschlandtrend von Infratest Dimap für die Welt und die ARD-Tagesthemen haben 88 Prozent der Bürger sehr großes oder großes Vertrauen in die Polizei, im Oktober 2016 lag dieser Wert bei 84 Prozent. Das Vertrauen in die Polizei erreicht damit den höchsten Wert seit rund 20 Jahren. Rückläufig dagegen ist das Vertrauen in die deutschen Geheimdienste (36 Prozent, minus zwei), denen 54 Prozent nicht vertrauen. Fast drei von vier Bürgern (73 Prozent) fühlen sich danach als „eher sicher“ in Deutschland, 26 Prozent „eher unsicher“. Bei den wichtigsten politischen Themen liegen weiter die Flüchtlinge vorn (40 Prozent), dahinter die Innere Sicherheit (11). 50 Prozent der Bürger sind der Auffassung, die Zuwanderung bringe „eher Nachteile“ (plus 8 Prozent), 33 Prozent sehen „eher Vorteile“ (minus 5). Kaum verwunderlich: Die Anhänger von SPD, Grünen und Linken sehen überwiegend „eher Vorteile“ (45, 61 und 52 Prozent). Ausgesprochen skeptisch sind die Anhänger der CDU: Unter ihnen sehen 46 Prozent „eher Nachteile“, nur 34 Prozent „eher Vorteile“. Fast zwei Drittel der Deutschen (62 Prozent) sorgen sich, dass die Kriminalität durch Flüchtlinge ansteigen wird. Einen zu starken Einfluss des Islam befürchten 55 Prozent.

Das Fazit zur Sicherheitslage ist jedenfalls düster, wie Kölns Polizeipräsident Jürgen Mathies in der Berliner Zeitung darlegte: „Eins kann ich sagen: so, wie es mal gewesen ist, wird es nicht bleiben.” Die Menschen müssten sich darauf einstimmen, „dass die Polizei dauerhaft mit starker Präsenz und Einsatzkräften Silvester begleiten“ werde.

Flüchtlingszahlen

Im vergangenen Jahr sind offenbar rund 321.000 Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Das berichtet die Welt am Sonntag unter Berufung auf Zahlen aus dem Easy-Erfassungssystem der Bundesländer. 2015 waren es etwa 890.000 Asylsuchende. Die Easy-Zahlen der Zugänge von Asylsuchenden weisen jedoch Ungenauigkeiten auf, da Fehl- und Mehrfacherfassungen nicht auszuschließen sind. Bundesinnenminister Thomas de Maizière stellt die offizielle Bilanz für 2016 am kommenden Mittwoch in Berlin vor. Das Ministerium hatte für die Zeit von Januar bis November insgesamt 304.929 Ankommende im Easy-System registriert. Wie die WamS unter Berufung auf die EU-Grenzschutzagentur Frontex berichtet, stieg die Zahl der illegalen Grenzübertritte aus Nordafrika 2016 spürbar an, darunter 12.270 illegale Migranten aus Ägypten (plus 16 Prozent), aus Algerien 1100 Personen (plus 260 Prozent) und aus Tunesien 1000 (plus 78 Prozent).