Im Zwielicht: Köln, hier mit dem Tatort Domplatte zwischen dem Hauptbahnhof und dem Dom. (Foto: Imago/Thilo Schmülgen)
Köln

Nacht ohne Ende

Vor einem Jahr hat Silvester in Köln und anderen Städten mit einer Serie sexueller Übergriffe durch muslimische Nordafrikaner und Araber, darunter auch Asylbewerber, für ein Umdenken in Deutschland gesorgt. Tabus sind gefallen. Was blieb noch von Köln? Was hat das Multikulti-Waterloo am Rhein bewirkt? Der Versuch einer nicht ganz wertungsfreien Bilanz.

Ausgelassene Stimmung – Feiern weitgehend friedlich.

Pressemeldung der Polizei Köln am Neujahrsmorgen 2016

„Inhaltlich nicht korrekt“, so lautet die Ergänzung am 8. Januar an diese Pressemitteilung.

In der Tat: Die Bilanz der Silvesternacht 2015/2016 ist verheerend. In Köln, Düsseldorf, Bielefeld, Berlin, Hamburg, Stuttgart und Frankfurt gab es 1808 Anzeigen, darunter Diebstahl, Raub, Körperverletzung und 966 sexuelle Übergriffe bis hin zur Vergewaltigung. 70 Prozent der Taten, darunter 533 sexuelle Übergriffe, wurden jedoch in Köln verübt, gewissermaßen das Epizentrum. „Ein Wendepunkt in der Betrachtung der inneren Sicherheit in Deutschland und ein politisch und gesellschaftlich historisches Ereignis“, bilanzierte GdP-Chef Oliver Malchow im Focus. Das Magazin ermittelte, dass es bisher lediglich 388 Tatverdächtige gebe (105 bezüglich der Sexualstraftaten) und nur 59 Anklagen beziehungsweise Verurteilungen, meist wegen Diebstahl (ein gestohlenes Handy ist leichter zu orten). Bei den Sexualstraftaten fehlen schlicht die Beweise. Laut dem Entwurf der BKA-Abschlussbilanz hielt sich rund die Hälfte der Tatverdächtigen erst seit weniger als einem Jahr in Deutschland auf.

Als einziger Verantwortlicher wurde Kölns Polizeipräsident Wolfgang Albers „bestraft“ und in den Ruhestand versetzt. Er selbst sieht sich als „Sündenbock“ und die Schuld zuerst bei der unkontrollierten Einreise „so vieler Flüchtlinge in so kurzer Zeit“. Gegen 13 namentlich bekannte Polizisten wird wegen unterlassener Hilfeleistung ermittelt, so der Spiegel.

Gesellschaft und Politik

Die Frage, ob hinter der massenhaften Verachtung für (deutsche) Frauen eine unter Muslimen verbreitete Gesinnung steckt oder lauter bedauerliche Einzelfälle, bewegt seit Köln die Talkshows der Republik. Wirklich beantworten will sie kaum jemand. Die CSU hat wichtige Gesetzesänderungen im Straf- und Asylrecht vorgeschlagen oder umgesetzt, die meist erst heftig bekämpft, dann ganz still umgesetzt wurden – wie etwa die zwei Asylpakete, die Aufnahmezentren für Asylbewerber mit geringer Bleibeperspektive, die Wohnsitzauflage für Asylbewerber, die umgehende Abschiebung von Straftätern, die Erweiterung der Liste sicherer Herkunftsstaaten, die Begrenzung des Familiennachzugs oder das Integrationsgesetz. Grüne und SPD haben wichtige Gesetzesänderungen blockiert, etwa bei der Aufnahme der Maghreb-Staaten in die Liste sicherer Herkunftsländer. Und das, obwohl laut BKA im ersten Quartal 2016 jeder vierte tatverdächtige Zuwanderer in Deutschland aus Marokko, Algerien oder Tunesien kam, während die Asylaussichten für Menschen aus diesen Staaten gleich Null waren. Auch in Köln stellten sie die Mehrheit der Tatverdächtigen.

Dennoch sind einige Tabus gefallen, das Land spricht jetzt offen über die Kriminalität von Ausländern, ab und zu sogar, ohne dafür von Links sofort als Rassist oder Nazi tituliert zu werden. Nun reicht es meist nur noch zu einem: „Das dient nur den rechten Hetzern“. Oder „Bitte kein Generalverdacht!“. „Wenn es heißt, ein Täter stamme aus Köln, dann hat noch niemand gefordert, dies zu verschweigen, weil sonst alle Kölner unter Generalverdacht gestellt würden“, sagte CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach dazu.

Was ist seitdem noch passiert? Ein Blick zunächst in die Stadt selbst, dann darüber hinaus.

Die Stadt Köln

Mit viel Aufhebens hat die Stadt Köln ihr Sicherheitskonzept für die kommende Silvesternacht vorgestellt, nachdem vor einem Jahr von Sicherheit keine Rede sein konnte. Politik und Polizei versuchen sichtlich, mit neuen Maßnahmen ihr unbegreifliches Versagen wieder gut zu machen – soweit das überhaupt möglich ist. Mit 1500 Beamten und 600 Mitarbeitern des Ordnungsamtes und privater Sicherheitsfirmen werden mehr als zehn Mal so viele Polizisten vor Ort sein wie vor einem Jahr. Es soll mehr kontrolliert, Brennpunkte frühzeitig ausgemacht, mehr Videoüberwachung genutzt werden. Um den Dom gilt Feuerwerkverbot – nachdem der muslimische Mob vor einem Jahr den christlichen Dom (zugleich Weltkulturerbe) mit Raketen und Böllern beschossen hatte, was der Auftakt zum Chaos war.

Friedlich, sicher, fröhlich und mit Gemeinschaftssinn.

Henriette Reker, Oberbürgermeisterin, über das Köln von morgen

Dazu kommt die „Kölsche“ Politik der heilen Welt: Ein mobiler Beratungsbus soll dafür sorgen, dass heuer Opfer nicht mehr allein bleiben. Es gibt eine Hotline, Streetworker in den Straßen, eine Lichtshow namens „Licht-Traum-Raum“ am Dom mit Wünschen der Bürger, die diese auch mit bereit stehender Kreide auf den Asphalt malen dürfen. Das „positive Kunstereignis“ soll „andere Bilder entwickeln“, so der Künstler. Ein Chor aus Flüchtlingen und Jugendlichen wird mehrsprachig am Dom singen. Lieder gegen ein „kleines Missgeschick?“, frägt die Facebook-Gemeinde Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos), der ihre missglückte Äußerung, Frauen sollten zu Fremden ohne Vertrauensverhältnis „eine Armlänge Abstand halten“, immer noch nachhallt. „Nach den schockierenden Übergriffen der vergangenen Silvesternacht haben wir als Stadt Köln Konsequenzen gezogen“, betont Reker. „Friedlich, sicher, fröhlich und mit Gemeinschaftssinn“ solle Köln wieder sein.

Sicherheit auf Kosten der anderen Städte

Erste Kritik gibt es schon jetzt am neuen Sicherheitskonzept. Köln wird ziemlich sicher sein, das ist angesichts der Polizeipräsenz zu erwarten. CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach mahnte jedoch, dass man nicht nur in der Domstadt viel Polizei einsetzen dürfe. „Was in Köln passiert ist, kann auch in anderen Großstädten passieren“, erinnert er. Eine Ausnahme macht er jedoch: „In München wäre der Spuk im letzten Jahr nach wenigen Minuten zu Ende gewesen.“ Die Rheinische Post meldete kurz vor Weihnachten, dass andere Großstädte diese Konzentration auf Köln (und Düsseldorf) mit Sorge sehen. Das führe „zu Ausfällen an anderen Standorten“. „Es besteht ein Gerangel um die Kräfte. Aber wir können aus Präventionsgründen nicht überall gleich viel Personal einsetzen“, so ein leitender Kriminalbeamter zu der Zeitung. Sind es eigentlich Prestigegründe, die letztlich zu einem Sicherheitsrisiko andernorts führen könnten?

In München wäre der Spuk im letzten Jahr nach wenigen Minuten zu Ende gewesen.

Wolfgang Bosbach, CDU

Zuständig für die Verteilung der Kräfte ist das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste in Duisburg, das dem viel kritisierten Innenminister Ralf Jäger (SPD) untersteht. Das meldet, im Notfall könnten rasch zusätzliche Hundertschaften aus anderen Bundesländern angefordert werden, auch wenn dafür derzeit keine Notwendigkeit zu erkennen sei. Hilfe aus anderen Bundesländern für Notfälle? Die könnte notwendig werden: Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in NRW sagt, es seien 18 Bereitschaftshundertschaften für Silvester mobilisiert worden. „Wegen der normalen Ausfallquote“ stünden aber am Ende wohl nur 12 davon zur Verfügung. Sieben gingen nach Köln (laut Polizei Köln sind es fünf), zwei nach Düsseldorf, blieben drei (bis fünf) Hundertschaften für das 18-Millionen-Einwohner-Land Nordrhein-Westfalen, so rechnet die GdP. Immerhin: Eine Dienstfreisperre bündelt alle Kräfte zum Jahreswechsel – Familienurlaub fällt für die Polizisten damit aus.

Eine andere wichtige Frage bleibt: Wurde das Einsatzkonzept des „tatenlosen Zusehens“ geändert? „Über eine Absenkung von Einschreitschwellen wurde öffentlich aus dem Innenministerium heraus nichts verlautbart“, sagt die Abgeordnete Ina Scharrenbach, Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion im Untersuchungsausschuss „Silvesternacht 2015“, gegenüber dem Bayernkurier.

Die rot-grüne Landesregierung

Zur Entschuldigung der Polizei müssen vier Dinge gesagt werden, auch wenn sie die fehlenden Hilfeleistungen der Beamten nur zum Teil erklären können:

  • Die sexuellen Übergriffe durch solche Massen enthemmter Täter gab und gibt es zwar im nordafrikanisch-arabischen Raum immer wieder, etwa am Tahrir-Platz in Kairo. Für Deutschland war es aber nach heutigem Erkenntnisstand ein neues Phänomen.
  • Es gab in Nordrhein-Westfalen nicht genug Polizei, um einer solchen Lage Herr zu werden, sagt GdP-Chef Oliver Malchow im Focus. Immerhin würden jetzt allerorten neue Polizisten eingestellt, „die einzige positive Nachwirkung der Silvesternacht“.
  • Die rot-grüne Multikulti-Seligkeit hat möglicherweise bei vielen Beamten dazu geführt, mit angezogener Handbremse zu agieren, weil es sich bei den Tätern um Ausländer handelte. „In Nordrhein-Westfalen gibt es eine politisch beeinflusste Kultur der Verharmlosung und Tabuisierung von Straftaten durch Ausländer“, so Armin Schuster, CDU-Bundestagsabgeordneter.
  • Den Beamten vor Ort fehlte es an einer konsequenten Führung und entsprechend früh einsetzenden Einsatzregeln, die Schlimmeres verhindert hätten. Dies bestätigt sehr eindringlich das Gutachten des vom Landtag eingesetzten Rechtspsychologen Rudolf Egg. Verantwortung für die Polizeiführung eines Landes aber trägt als oberster Dienstherr der Innenminister – und damit die Landesregierung.

Auch Innenexperte Bosbach kritisiert die rot-grüne Landesregierung von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD): „Wenn das Risiko, Opfer einer Straftat zu werden, in Köln doppelt so hoch ist wie in der größeren Stadt München, dann zeigt das ja, wer welche politischen Schwerpunkte setzt.“ In Bayern gelte der Grundsatz „Wehret den Anfängen“ und es gebe „keine Toleranz an der falschen Stelle.“

Ein unbequemer Ausschuss

Ein Untersuchungsausschuss im Landtag, aber auch die Medien, allen voran der Kölner Express und die Rheinische Post, fördern immer wieder Unangenehmes für Rot-Grün zutage, etwa eine seltsame Weisung aus dem Ministerium an die Polizei, eine Vergewaltigung in etwas Harmloseres umzudeklarieren. Doch niemand will den Kriminalhauptkommissar angerufen haben, der dies berichtet. Und die Telefondaten, die das belegen könnten? Routinemäßig gelöscht – auch das ein Skandal. Und im November sagte im Ausschuss eine Polizistin aus, dass viele Frauen nur durch ihre Strumpfhosen vor Vergewaltigungen bewahrt wurden.

Wir müssen alles dafür tun, dass sich das nicht wiederholt. Dazu muss am Anfang eine lückenlose Aufklärung stehen. Das sind wir den Betroffenen, den Opfern schuldig.

Hannelore Kraft, SPD, am 14. Januar 2016

Die Frage, wer wann was gewusst hat, dürfte SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, die doch „lückenlose Aufklärung“ versprach, noch länger beschäftigen. Erst am 4. Januar wollen Kraft und Jäger über die Kölner Vorfälle gesprochen haben, obwohl Online-Artikel zu dem Thema bis zum 3. Januar schon millionenfach angeklickt wurden. CDU und FDP wollen nun mit einer Verfassungsklage erreichen, dass die von Kraft als zum geheimen Bereich der Willensbildung der Regierung eingestuften und zurückgehaltenen Regierungsunterlagen, Dateien und Telefondaten der Staatskanzlei von Anfang Januar an den Ausschuss ausgehändigt werden. Denn so viel Geheimes gab es Anfang Januar 2016 doch eher nicht im Lande Nordrhein-Westfalen. Doch auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sah der Chef der Staatskanzlei, Franz-Josef Lersch-Mense, durch eine Übermittlung der Telefondaten verletzt – und der Erkenntnisgewinn sei ohnehin „nachrangig“.

‚Deckel drauf‘, wie SPD und Grüne es sich wünschen, wird es mit uns nicht geben.

Ina Scharrenbach, CDU

Dem Bayernkurier liegt die Verfassungsklage vor. „Derzeit ist unbekannt, wann sich das Landesverfassungsgericht mit unserer Klage beschäftigen wird, ob vor oder nach der Landtagswahl im Mai 2017“, erklärt eine der drei CDU-Kläger, die Landtagsabgeordnete Ina Scharrenbach. „SPD und Grünen ist die Verteidigung der Ministerpräsidentin und des Innenministers offenbar wichtiger als das Recht der Opfer und der Öffentlichkeit, endlich über alle Abläufe – auch innerhalb der Landesregierung – in den kommunikativen Chaostagen nach der Silvesternacht informiert zu werden. ‚Deckel drauf‘, wie SPD und Grüne es sich wünschen, wird es mit uns nicht geben.“

NRW-Innenminister Jäger sagte jüngst im ZDF-Morgenmagazin, es packe ihn „die kalte Wut“, wenn er daran denke, dass seine Töchter in der Silvesternacht Opfer geworden wären.

Die Opfer

Ganz zum Schluss soll deshalb auch das Schicksal der hunderten Opfer beleuchtet werden. Die Frauen und Mädchen mit „Fingern in allen Körperöffnungen“ (Egg-Gutachten), denen „Strumpfhose und Slip vom Leib gerissen“ wurde, die von 30 nordafrikanischen und arabischen Männern „eingekesselt“, als „Schlampe“ beschimpft und an Hintern, Brüste und zwischen die Beine gegrapscht wurde, als seien sie „ein Stück Vieh“, und jene, die vergewaltigt wurden. Die, die „sich nachts nicht mehr allein vor die Tür trauen“, die nun „Furcht vor der Dunkelheit“ haben, die in „ärztliche Therapie“ müssen, die sich „zurückgezogen“ haben. Und die, die Flüchtlinge nicht mehr willkommen heißen.

Manche bekamen Hilfe von der Opferorganisation „Weißer Ring“. Die Gerichtshilfe Köln und der Landschaftsverband Rheinland, ein Zusammenschluss einiger Kommunen, hatten Hotlines geschaltet. Wenige riefen an. Das Fachpersonal für die Betreuung von Opfern sexueller Gewalt wurde schon aufgestockt, hieß es bei der Polizei. Für die Gegenwart oder die Zukunft? Einige andere Opfer sprachen über die Vorfälle und ihr Leben danach in den Medien. Viel mehr ist nicht über sie zu berichten – leider. Nur eines: Ein Opferchor singt nicht an Silvester in Köln.