NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) weist die Verantwortung für die Fehlleistungen der Polizei während der Übergriffe auf Frauen in Köln allein der dortigen Polizeiführung zu und duckt sich vor seiner politischen Verantwortung weg. (Foto: Imago/Rainer Unkel)
Nordrhein-Westfalen

SPD-Innenminister Jäger unter Druck

Nach den Übergriffen von arabisch-nordafrikanischen Moslems auf Frauen in Köln steht Innenminister Jäger (SPD) im NRW-Landtag massiv in der Kritik. Zunächst hatte er sich mit einem Bauernopfer retten wollen und schickte Polizeipräsident Albers in die Wüste. Doch die Verantwortung für die schwache Personaldecke der Polizei sowie organisatorischer Fehler liegt beim Minister.

Der Fisch stinkt vom Kopf her: Dieses Sprichwort bedeutet für die Politik, dass es mit personellen Bauernopfern auf Beamten-Ebene nicht getan ist, wenn Behörden und Ministerien massiv versagen. Die Verantwortung für langfristige Fehlentwicklungen sowie falsche Lageeinschätzungen liegt stets beim zuständigen Minister, der gegebenenfalls seinen Hut nehmen muss. Nach einer Sondersitzung des Innenausschusses im nordrhein-westfälischen Landtag wird die Luft für Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) dünn.

Nach den massiven sexuellen Übergriffen von Nordafrikanern und Arabern auf Frauen in der Silvesternacht Köln hatte Jäger den Kölner Polizeipräsidenten Wolfgang Albers (ebenfalls SPD) in den vorzeitigen Ruhestand geschickt. Ein Bauernopfer, das dem Minister allerdings nicht nachhaltig helfen dürfte. So betont der Oppositionsführer, der CDU-Landespartei- und Fraktionschef Armin Laschet: „Die Affäre Albers wird immer mehr zur Affäre Jäger.“ Der CDU-Landeschef argwöhnt, „dass die Öffentlichkeit über die Herkunft zahlreicher Tatverdächtiger bewusst getäuscht worden ist“. Insofern müsse sich Minister Jäger die Frage gefallen lassen, inwieweit diese Kommunikationsstrategie – besser gesagt: Verschweigestrategie – Politik seines Ministeriums ist.

Die Vorgänge in Köln passen ins Bild dieser Landesregierung: vertuschen, schönreden, wegducken.

Armin Laschet

Vor allem in der Frage, ob das Innenministerium die bereits in der vorgelagerten Einsatzplanung vom Kölner Polizeipräsidium angeforderte personelle Verstärkung verweigerte oder ob im Gegenteil die Kölner Polizeiführung angeblich angebotene Verstärkung von sich aus ablehnte, gibt es Widersprüche. Anfang Januar berichteten mehrere Medien, unter anderem der WDR, das „Land“ habe der Kölner Polizei die angeforderte Verstärkung bis auf 37 zusätzliche Beamte verweigert – unter Hinweis auf allgemeinen Personalmangel. In diesem Fall läge der entscheidende Schwarze Peter wohl bei Innenminister Jäger. Einige Tage später aber erklärte ein Sprecher des nordrhein-westfälischen Landesamts für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD) in Duisburg auf Anfrage der FAZ, drei Züge einer Hundertschaft mit insgesamt 114 Beamten hätten in der Nacht kurzfristig zusätzlich eingesetzt werden können, wenn die Kölner Polizei sie angefordert hätte. Allerdings räumte der LZPD-Sprecher ein, die Kölner Polizei habe in der Planung drei Züge angefordert, aber nur zwei erhalten. Der Schwarze Peter rotiert am Rhein ziemlich heftig in diesen Tagen.

Vertuschen, Schönreden, Wegducken

Falls sich bewahrheiten sollte, dass das Polizeipräsidium Köln in der Einsatzplanung zusätzliche Kräfte angefordert hatte, diese jedoch verweigert wurden, könnte das Innenministerium eine Mitverantwortung an den Vorkommnissen kaum mehr leugnen. Entsprechende Medienberichte legten nahe, „dass auch ein Großteil der Verantwortung am missglückten Polizeieinsatz beim Innenminister selbst liegt“, erklärt CDU-Landeschef Laschet. „Sollte sich definitiv bestätigen, dass die zuständige Landesstelle des Innenministers die von der Kölner Polizei im Vorfeld angeforderte Verstärkung abgelehnt hat, richten sich die markigen Worte von Herrn Jäger – ‚die Kölner Polizei hat jetzt viel zu tun‘ – gegen ihn selbst“, so Laschet.

„Die Vorgänge in Köln passen ins Bild dieser Landesregierung: vertuschen, schönreden, wegducken“, kritisiert der CDU-Fraktionschef die rot-grüne NRW-Chaosregierung insgesamt. „Wir haben Informationen darüber, dass die Landesregierung bereits in der Nacht von Silvester auf Neujahr informiert worden ist“, sagte Laschet im Sender Phoenix. Erstaunlicherweise habe aber niemand der Pressemitteilung der Kölner Polizei widersprochen, dass die Silvesternacht „entspannt“ verlaufen sei. Erst lokale Kölner Medien hätten dann aufgedeckt, was inzwischen bekannt sei.

Es sind aus meiner Sicht etwas zu viele Fälle der inneren Sicherheit, die in Nordrhein-Westfalen schieflaufen.

Armin Laschet

„Das ist ein Vorgang von Schönrednerei, über den wir Auskunft haben wollen“, forderte Laschet. Die langfristig wichtigste Frage an Minister Jäger sei, warum die Öffentlichkeit tagelang nicht über die Herkunft der Täter informiert worden sei, und ob es dazu vielleicht sogar eine Weisung des Innenministeriums an die Polizei gegeben habe. „Wenn das so wäre, ist das ein Fall, der wirklich gesellschaftspolitisch gefährlich ist, denn dieses Verdecken, dieses Vertuschen, das hilft den Rechtspopulisten, wie wir in den letzten Tagen gesehen haben.“

„Es sind aus meiner Sicht etwas zu viele Fälle der inneren Sicherheit, die in Nordrhein-Westfalen schieflaufen“, sagt Laschet mit Blick auf den SPD-Innenminister. Dazu nannte er drei Beispiele: Bei der großen rechtsradikalen Hooligan-Demonstration in Köln vor einem Jahr habe Jäger die Lage unterschätzt und schöngeredet, die Einbruchskriminalität in Nordrhein-Westfalen sei die höchste in ganz Deutschland und der in Paris erschossene IS-Sympathisant lebte in einem Flüchtlingsheim in NRW, wurde mehrmals festgenommen, aber immer wieder auf freien Fuß gesetzt.

Wie gehabt: Jäger duckt sich weg

Der kritisierte SPD-Minister blieb in der Sondersitzung des Innenausschusses im Düsseldorfer Landtag seiner bisherigen Linie des Wegduckens treu und wies die Verantwortung allein der Kölner Polizei zu. „Das Bild, das die Kölner Polizei in der Silvesternacht abgegeben hat, ist nicht akzeptabel“, sagte Jäger. Zwei Fehler der Kölner Polizei seien besonders gravierend, so Jäger. Zum einen habe es die Polizei unterlassen, in der Nacht Verstärkungen anzufordern. Zum anderen sei die Art und Weise ein Fehler gewesen, in der die Öffentlichkeit von der Polizei über die Ermittlungen informiert wurde. Das Innenministerium habe keine Anweisung gegeben, die Herkunft von Tatverdächtigen zu verschweigen. Diese Aussage des Ministers vor dem Parlament steht nun fest. Beobachter sind sich sicher: Sollte sich diese Aussage als unwahr erweisen, ist Jäger reif für den Rücktritt.

Nach dem Alkohol- und Drogenrausch kam der Gewaltrausch. Und es gipfelte in der Auslebung sexueller Allmachtsphantasien.

Ralf Jäger, SPD, Innenminister

Zugleich wies Jäger darauf hin, dass Straftaten „fast ausschließlich von Menschen mit Migrationshintergrund“ begangen worden seien. Seiner Darstellung nach hatten sich mehr als 1000 arabische und nordafrikanische Männer auf dem Bahnhofsvorplatz versammelt, viele davon aggressiv und betrunken. Aus kleineren Gruppen heraus seien dann Frauen sexuell angegriffen, bedroht und bestohlen worden. „Nach dem Alkohol- und Drogenrausch kam der Gewaltrausch. Und es gipfelte in der Auslebung sexueller Allmachtsphantasien“, sagte der Minister. Jäger sagte, es wäre weltfremd zu glauben, „dass alle Flüchtlinge und Asylsuchende Unschuldslämmer sind“. Es wanderten nicht nur Ärzte, Ingenieure und Wissenschaftler ein, sondern auch Straftäter. Es müsse verhindert werden, dass sich solche Taten wiederholten.

Die Übernahme der Verantwortung und einen Rücktritt lehnte Jäger kategorisch ab: „Das ist ein außergewöhnliches Ereignis, das jeden Innenminister mitnimmt, dass Frauen als Objekt erniedrigt wurden. Das hat mich schockiert. Es hat nicht zu Zweifeln geführt, als Innenminister in diesem Land weiter Verantwortung tragen zu wollen.“ Immerhin will Jäger Konsequenzen für den Polizei-Einsatz im kommenden Karneval ziehen. Vor allem werde dafür gesorgt werden, dass Frauen sich im Karneval sicher fühlen könnten, sagte er. Es werde deutlich mehr Polizei und mehr Video-Überwachung geben.

Die Öffentlichkeit hat ein Anrecht zu erfahren, ob die rot-grüne Landesregierung Vorgaben machte, wie mit möglichen Straftaten von Migranten umzugehen ist.

Florian Herrmann, CSU, MdL

Insbesondere die Meldung, dass die Polizeiführung in Köln den Hinweis auf Migranten als Täter unterdrücken wollte, weil das „politisch brisant“ sein könnte, stößt bei dem innenpolitische Sprecher der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag, Florian Herrmann auf Kritik: „Die Medien stellen zu Recht die Frage, ob die wahren Umstände der Kölner Silvesternacht aus politischen Gründen verschleiert wurden. Die Öffentlichkeit hat ein Anrecht zu erfahren, ob die rot-grüne Landesregierung Vorgaben machte, wie mit möglichen Straftaten von Migranten umzugehen ist. Und wenn nicht, bleibt die Frage, ob und warum die Polizeiführung von Köln aber der Meinung war, dass es politisch nicht opportun sei, die Wahrheit zu kommunizieren.“ Die Aufklärung dieser Fragen müsse ganz schnell kommen, so Herrmann, wenn SPD und Grüne das Vertrauen in den Rechtsstaat nicht weiter erschüttern wollten. Der Rechtstaat müsse alle schützen, unabhängig von ihrer Herkunft. Entsprechend müssten aber auch alle Straftäter unabhängig von ihrer Herkunft verfolgt werden.

 

Misere der NRW-Polizei: Personalmangel, Überalterung, Millionen Überstunden

Wie der nordrhein-westfälische Landesverband der Gewerkschaft der Polizei (GdP) auf Anfrage des Bayernkuriers erklärt, hat die NRW-Polizei schon seit Jahren mit Personalmangel, Überalterung und einer Anhäufung von Millionen (!) Überstunden zu kämpfen. Seit dem Jahr 2000 seien in NRW unter dem Strich 2000 Stellen abgebaut worden, auf derzeit rund 39.000. Von den 2000 weggefallenen Stellen seien 1500 Beamte und 500 Tarifbeschäftigte wie Sachbearbeiter und ähnliches. Ursächlich sei dieser falsche Kurs auf die vorherige rot-grüne Regierung unter Wolfgang Clement (1998 bis 2002) und Peer Steinbrück (2002 bis 2005) zurückzuführen, die die Polizei-Neueinstellungen von 1100 jährlich auf 500 zusammengestrichen hatte. Die folgende schwarz-gelbe Regierung unter Jürgen Rüttgers (CDU, 2005 bis 2010) habe das dann wieder auf 1100 erhöht.

Landespolizei: Bis 2025 fürchten Beobachter insgesamt ein Absinken der Personalstärke von 41.500 (2011) auf 37.600.

Wie die GdP weiter vorrechnet, wurden unter SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Innenminister Jäger zwar die Einstellungszahlen auf 1500 erhöht, wegen der Anschläge auf das Satireblatt Charlie Hebdo in Paris wurde nochmals um 120 aufgestockt, also gibt es derzeit regulär 1620 Neueinstellungen pro Jahr. Und wegen der Debatte um No-Go-Areas, Wohnungseinbrüche und den Zusatzbelastungen durch die Flüchtlinge wurden für 2015, 2016 und 2017 nochmals 250 Neueinstellungen jährlich beschlossen. Im Vergleich zu der Pensionierungswelle aber, die der NRW-Polizei bevorsteht – bis 2020 werden pro Jahr 2000 Beamte in Ruhestand gehen – ergibt sich dennoch ein negativer Saldo. Bis 2025 fürchten Beobachter insgesamt ein Absinken der Personalstärke von 41.500 (2011) auf 37.600. Die höheren Neueinstellungen linderten den Personalmangel auch nicht kurzfristig, so die GdP weiter. Denn die jetzt eingestellten Polizisten stünden erst nach ihrer Ausbildung in drei Jahren für den Dienst zur Verfügung.

Dazu kommt ein wahrer Berg von 3,5 Millionen (!) Überstunden. Das entspricht knapp 146.000 Tagen oder 400 Jahren. Pro Jahr werden um 100.000 Überstunden weniger abgebaut als neu aufgehäuft. Die Beamten würden durch eine Neuregelung gezwungen, ihre Überstunden binnen drei Jahren abzubauen. „Es ist nicht verantwortbar, die Beamten nun zum Überstunden-Abfeiern zu schicken, während sie dringend zur Sicherung von Ruhe und Ordnung gebraucht werden“, erklärte ein Sprecher der GdP NRW dem Bayernkurier. Vielmehr sollten rasch mindestens 150 Tarifbeschäftigte, also angestellte Sachbearbeiter, eingestellt werden, die keine lange Einarbeitungszeit benötigten und daher die Kripo sofort von bürokratischen Arbeiten entlasten könnten,  fordert die GdP.

Die Täter sind meist Asylbewerber oder Illegale

Bernd Heinen, Inspekteur der NRW-Polizei, sagte, die Polizei habe „keine Kontrolle über die Lage“ gehabt und „konnte quasi vor und unter ihren Augen nicht vermeiden, dass Frauen sexuell geschädigt und bestohlen wurden“. Einem weiteren Polizeivertreter zufolge liegen derzeit 516 Straftaten vor, bei 237 davon handele es sich um Sexualstraftaten. Verdächtig seien derzeit 19 Personen, allesamt Ausländer. Zehn Personen hätten den Status von Asylbewerbern, neun Personen hielten sich illegal in Deutschland auf. 14 der Verdächtigen stammten aus Marokko und Algerien. Keiner der 19 Verdächtigen habe einen Wohnsitz in Köln.

An dem Polizeieinsatz war massive Kritik laut geworden. Zudem gibt es Vorwürfe, die Kölner Polizei habe Details vertuscht und nicht früh erklärt, dass auch Flüchtlinge unter den Verdächtigen seien. Ein Bundespolizist hatte einen kompletten Kontrollverlust der Sicherheitskräfte am Hauptbahnhof geschildert. Die Bundespolizei, die für den Kölner Hauptbahnhof zuständig ist, hatte am Freitag die Zahl der bekannten Verdächtigen auf 32 beziffert, darunter 22 Asylbewerber.

Reuter/Phoenix/FAZ/wog