BAYERNKURIER: In unserer Gesellschaft dominieren zunehmend die Einzelinteressen. Was verbindet die Menschen zwischen Bamberg und Berchtesgaden?
Markus Söder: Der bayerische Patriotismus. Bayern ist mehr als ein Bundesland, Bayern ist ein Lebensgefühl. Ein Lebensgefühl, das Tradition und Fortschritt in gleicher Weise verbindet. Unser Land ist ein absolutes Wohlfühlland, für jemanden in der nördlichsten Ecke Oberfrankens genauso wie für jemanden aus dem Allgäu oder dem Berchtesgadener Land.
BAYERNKURIER: Wie will die Politik die zusehends unterschiedliche Lebenswirklichkeit der Menschen unter einen Hut bringen?
Söder: Franz Josef Strauß hat immer gesagt: Wir müssen die bayerische Gesellschaft so gestalten wie eine kräftige bayerische Wiese. Die SPD möchte immer gerne einen englischen Rasen, bei dem alles gleich geschnitten ist. Eine kräftige bayerische Wiese bietet dagegen für jeden Platz und gleiche Wachstumschancen. Darum arbeiten wir heute daran, dass nicht alles gleich wird, aber dass alle die gleichen Startbedingungen haben. Es ist die Aufgabe unserer Heimatstrategie dafür zu sorgen, dass es keine Spaltung im Land gibt, beispielsweise durch die mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten fortschreitende Digitalisierung oder das Wegbrechen von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum. Jede Region hat ihre Stärken, die wir betonen möchten.
BAYERNKURIER: Was muss die Politik also konkret machen?
Söder: Zunächst geht es sozusagen um die harten Faktoren – dazu gehört der Breitbandausbau, die kommunalen Finanzen, die Arbeitsplätze, die Hochschulen und Bildungseinrichtungen, die Behördenzentren und vieles mehr. Das alles gehen wir mit unserer Heimatstrategie an. Der ländliche Raum soll so gestärkt werden, dass er als lebendiger Kultur- und Lebensraum mit bayerischer Identität erhalten bleibt. Parallel dazu stehen auf der anderen Seite die Bedürfnisse, die eine Großstadt wie München hat: einen Konzertsaal, die zweite Stammstrecke für die S-Bahn, vielleicht die dritte Startbahn am Flughafen, also die Infrastruktur, um das große Miteinander zu verbessern. Was aber, glaube ich, das Allerwichtigste ist – und das gilt für den modernen Großstädter, ebenso wie für den Landwirt: du brauchst einen gedanklichen Überbau. Und das, was in Bayern den Überbau ausmacht, ist tatsächlich diese Verbindung – wie wir früher gesagt haben – aus Laptop und Lederhose. Das bedeutet, dass der moderne Computersystemanalytiker den gleichen gesellschaftlichen Stellenwert hat wie der kleine Landwirt im Nebenerwerb. Jeder muss sich in der Gesellschaft wiederfinden können und das Gefühl haben, gleich viel wert zu sein.
BAYERNKURIER: Welche ehemals strukturschwachen Regionen haben sich besonders gut entwickelt?
Söder: Niederbayern zum Beispiel. Es war eines der strukturschwächsten Regionen und steht jetzt glänzend da. Denken Sie an Passau, Straubing oder an Deggendorf – die haben sich enorm entwickelt. Gleiches gilt für die Oberpfalz. Wir arbeiten jetzt daran, den Bayerischen Wald zu stärken. Oberfranken war vor 15 Jahren ebenfalls in einer ganz schwierigen Strukturphase. Jetzt sind Aufwärtszeichen zu erkennen, wenn Sie an Bayreuth, Hof oder Kulmbach denken – überall bewegt sich was. Auch durch die von uns geförderten Hochschuleinrichtungen. Oder letztlich auch meine Heimatstadt Nürnberg. Ohne die Investitionen des Freistaats Bayern wäre Nürnberg die letzten Jahre durch so große Pleiten wie AEG oder Quelle völlig abgeschmiert.
BAYERNKURIER: Welche Maßnahmen brachten die Wende?
Söder: Man braucht immer ein Bündel an Maßnahmen. Aber die entscheidendste ist immer die Investition in Technologie. Wenn alte Arbeitsplätze wegfallen, hilft es nichts, die alten so lange zu subventionieren, bis endgültig keiner mehr da ist. Man muss neue Arbeitsplätze schaffen. Und deswegen ist die flächendeckende Investition in Technologie, Hochschule, Forschung die wichtigste Maßnahme. Das hebt das Niveau des ganzen Landes.
BAYERNKURIER: Über 50 Prozent der Fläche Bayerns gelten als „Raum mit besonderem Handlungsbedarf.“ Welchen Regionen muss man noch unter die Arme greifen?
Söder: Insbesondere den Gegenden, in denen die demographische Entwicklung noch verbessert werden kann. Es gilt, die Lebensbedingungen so verändern, dass es für junge Menschen attraktiv wird, eine Familie zu gründen und vor Ort zu bleiben. Das geht nur mit einem vernünftigen Arbeitsplatz und dem Zugang zur digitalen Welt. Wer nimmt denn heutzutage noch einen Bauplatz, wenn er nur Wasser und Strom, aber keinen Breitbandanschluss bekommt? Das ist heute Standard und den liefern wir in Bayern. Andere schaffen das nicht.
Und deswegen senden wir heute ganz bewusst das Signal an den ländlichen Raum, dass er kein Vergangenheits-, sondern ein echter Zukunftsraum ist.
Markus Söder
BAYERNKURIER: Vor einigen Jahren gab es ja mal die Idee, in erster Linie die Großstädte zu fördern…
Söder: Ja, das stimmt. Da hatten andere Bundesländer, aber auch wir selber zusammen mit dem Zukunftsrat, die Vorstellung, alles Geld nur noch in die Großstädte zu investieren. Da muss man ganz klar sagen: das wäre falsch. Bayern braucht starke pulsierende Großstädte, aber Bayern braucht auch einen starken ländlichen Raum. Und deswegen senden wir heute ganz bewusst das Signal an den ländlichen Raum, dass er kein Vergangenheits-, sondern ein echter Zukunftsraum ist.
BAYERNKURIER: Mit den BayernLABs wollen Sie ein Stück digitale Zukunft in die Fläche bringen. Welche Idee steckt dahinter?
Söder: Das ist eine echt spannende Geschichte. Wir wollen bis 2018 in jedem Regierungsbezirk mindestens ein BayernLAB errichten, also ein kleines digitales Labor, eine Versuchswerkstatt mit bester Internetverbindung für jedermann. Wir sorgen dort für den schnellsten Breitbandanschluss im Landkreis, sodass gerade junge Menschen und Schulklassen aus den ländlichen Bereichen mit Vollgas in die digitale Welt starten können. Dort kann man auch Virtual Reality ausprobieren, 3D-Drucker sind vorhanden und Möglichkeiten für Videokonferenzen. Während die digitalen Gründerzentren für Wirtschaft und Hochschule sind, sind die BayernLABs für alle da. Das erste wurde bereits in Traunstein eröffnet, die nächsten werden folgen.
BAYERNKURIER: Nach jüngsten Zahlen ist Augsburg die Stadt mit dem geringsten Durchschnittseinkommen in ganz Bayern. Wie kann es solch einen regionalen Unterschied geben?
Söder: Augsburg hat einen ähnlichen Strukturwandel wie Nürnberg hinter sich. Augsburg war stark von klassischer Industrie geprägt. Nürnberg und Augsburg waren in den sechziger Jahren mit einer höheren Wirtschaftsleistung als München versehen, das darf man nicht vergessen. Darum unterstützen wir Augsburg wirtschaftlich und finanziell sehr stark – zum Beispiel beim Ausbau der Hochschule, mit dem Universitätsklinikum oder auch beim Theater, um die Kulturfaktoren dieser Region zu stärken. Zudem liegt eine Chance für Augsburg auch darin, dass München weiter wächst und somit auch von dort enorme Wachstumsimpulse in Richtung Schwaben kommen.
BAYERNKURIER: Wie unterstützt Ihr Ministerium die bayerischen Städte und Gemeinden?
Söder: Ich sage immer, die drei „B“s sind in Bayern besonders wichtig: Bauern, Beamte und Bürgermeister! Denn die Bürgermeister vor Ort sind diejenigen, die den besten Kontakt zum Bürger haben und deswegen gilt es, diese auch zu unterstützen. Das machen wir in erster Linie über den kommunalen Finanzausgleich, über den der Freistaat den Städten und Gemeinden für ihre Aufgaben Geld gibt. Seit ich Finanzminister bin, ist dieser deutlich gewachsen, wir liegen mittlerweile bei einer Rekordsumme von fast neun Milliarden Euro im Jahr. Wir haben in den letzten Jahren insbesondere die kleineren und schwächeren Gemeinden gestärkt, wir haben Stabilisierungshilfen eingeführt, die vor allem den besonders notleidenden Kommunen Luft zum Atmen gibt, und wir haben den generellen Verbundsatz erhöht, also den automatischen Anteil an den Einnahmen. Und letztlich haben wir den Kommunen beim Thema Asyl so viel gezahlt wie kein anderes Bundesland.
BAYERNKURIER: Warum sind funktionierende Kommunen so wichtig für eine positive Entwicklung des Landes?
Söder: Ein wichtiger Punkt ist die Dezentralisierung. Die Münchener Ministerialbürokratie ist gut, aber sie muss nicht jede Prägung in jeder kleinen Gemeinde vornehmen. Außerdem geht es doch um die Wurzeln der Demokratie. Wenn die Bürgermeister kein Geld haben, nichts gestalten können, dann wird es irgendwann auch schwierig, den Menschen die Politik vor ihrer Haustüre attraktiv zu machen. Ich finde, über ihre Heimat sollen die Bürger vor Ort selber entscheiden können. In der Großstadt soll man entscheiden, was für die Großstadt gut ist – das weiß man dort am besten. Aber umgekehrt sollen die Politiker und Bürger vor Ort doch auch selber darüber abstimmen können, was ihnen gefällt und was nicht – wie jetzt beim Riedberger Horn. Was ist so falsch daran, wenn die Bürger über die Zukunft ihrer Gemeinde mitentscheiden können? Und damit diese dann auch umgesetzt werden kann, braucht man die entsprechenden finanziellen Mittel.
Wir müssen die Kosten rund um das Thema Flüchtlinge und Asyl senken, weil ansonsten ein großer Teil unserer Leistungsfähigkeit aufgezehrt wird.
Markus Söder
BAYERNKURIER: Wie geht es den Kommunen derzeit in Bayern?
Söder: So gut wie in keinem anderen Bundesland! Aber das Thema Asyl bleibt für alle Haushalte, egal, ob Kommune oder Land, die größte Herausforderung. Wir wenden im Staatshaushalt für die letzten beiden und die nächsten zwei Jahre insgesamt neun Milliarden Euro auf. Das sind schon dicke Brocken. Das Geld fehlt dann halt irgendwann auch für andere Dinge und deswegen kann man nur immer wieder sagen: Wir müssen die Kosten rund um das Thema Flüchtlinge und Asyl senken, weil ansonsten ein großer Teil unserer Leistungsfähigkeit aufgezehrt wird.
BAYERNKURIER: Bei allen Bemühungen – wenn die Entwicklung so weiter geht, leben im Jahr 2040 etwa 80 Prozent der Menschen in Städten, nur 20 Prozent auf dem Land. Das kann nicht funktionieren.
Söder: Nein. Wir wollen in Bayern keine Mega-Citys, wir spüren ja jetzt schon die Auswirkungen. Schauen Sie sich nur mal die Miet- und Immobilienpreise in München an. Die verkehrstechnische Infrastruktur ist auch am Limit, die Lebenskosten wachsen stark. Wie soll sich eine junge Familie das alles leisten können? Deswegen wollen wir das Wachstum der Städte entschleunigen und das Wachstum der ländlichen Bereiche beschleunigen. Eine wichtige Maßnahme in diesem Zusammenhang ist die Behördenverlagerung, durch die wir über 3.000 Beschäftigte und Studierende in die Fläche geben.
BAYERNKURIER: Studien belegen, dass das Leben auf dem Land sogar glücklicher macht…
Söder: Der ländliche Raum hat den großen Vorteil, dass man dort noch stärker zusammenhält. Dort kennt man sich, dort hat man eine funktionierende Sozialgemeinschaft, man ist weniger alleine. Ganz im Unterschied zu den Großstädten: obwohl viele Menschen da sind, sind doch viele sehr alleine. München ist die Singlehauptstadt. Die Menschen sehnen sich aber nach Halt, und den gibt es im ländlichen Raum leichter.
In dieser globalisierten und sich rasant verändernden Zeit braucht man einen Anker. Heimat ist so ein Anker.
Markus Söder
BAYERNKURIER: Wie wichtig ist Heimat in Zeiten der Globalisierung?
Söder: In dieser globalisierten und sich rasant verändernden Zeit braucht man einen Anker. Heimat ist so ein Anker. Heimat ist ein Gefühl, bei dem man weiß, wo man hingehört und wo man immer wieder gerne hin zurückkehrt. Gefühle, Gerüche, Düfte, Bilder, die man im Kopf hat – das alles gehört dazu. Übrigens bei dieser Gelegenheit: Was haben uns manche am Anfang ausgelacht, als wir 2014 ein Heimatministerium eingeführt haben. Und genau die beneiden uns heute um diese zukunftsweisende Idee.
Das Interview führte Marc Sauber.