Bleiben vor allem links: Die Grünen – hier mit dem offenbar immer noch tonangebenden Jürgen Trittin – beschlossen eine Vermögensteuer sowie die Abschaffung des Ehegattensplittings und der Sanktionen für arbeitsunwillige Hartz-IV-Empfänger. (Foto: Imago/Rüdiger Wölk)
Grünen-Parteitag

Kurs klar auf Rot-Rot-Grün

Steuererhöhungen, ersatzlose Streichung des Ehegattensplittings, Abschaffung von Sanktionen für arbeitsunwillige Hartz-IV-Empfänger, Verbot von herkömmlichen Autos, offene Grenzen: Auf dem Grünen-Parteitag in Münster haben sich die Fundis durchgesetzt und die Weichen eindeutig auf Rot-Rot-Grün gestellt. Schwarz-Grün scheint nach diesen Festlegungen ausgeschlossen.

Die Grünen wiederholen die „Taktik“ von 2013 und gehen mit einem ausgesprochen linken Programm in den Bundestagswahlkampf. Die Bundesdelegiertenkonferenz in Münster beschloss erstens Steuererhöhungen: Die Wiedereinführung der vom Bundesverfassungsgericht 1995 gekippten Vermögensteuer für „Superreiche“ sowie die Abschaffung des Ehegattensplittings. Zweitens wollen die Grünen die Staatsausgaben im Sozialbereich (weiter) stark erhöhen und planen unter anderem die Abschaffung von Sanktionen für arbeitsunwillige Hartz-IV-Empfänger. Außerdem streben die Grünen ein Verbot der Neuzulassung von Diesel- und Benzin-Fahrzeugen ab 2030 an.

Der gesamte Parteitag stand unter dem Generalmotto „soziale Gerechtigkeit“, also staatliche Umverteilung, sowie „sozial-ökologischer Umbau der Volkswirtschaft“, also massive Schädigung von Wirtschaft und Arbeitsplätzen unter vorgeblichen „Klimaschutz“-Zielen. Die sozial- und steuerpolitischen Beschlüsse der Grünen überlappen sich auffällig weit mit dem Parteiprogramm der Linkspartei und widersprechen dem bürgerlichen Grundansatz diametral. Daher werten Beobachter den Parteitag als klares Signal für Rot-Rot-Grün und als Absage an die schwarz-grüne Option. Bei der Bundestagswahl 2013, als die Grünen unter Führung von Spitzenkandidat Jürgen Trittin ebenfalls Steuererhöhungen angekündigt hatten, sackten sie auf 8,4 Prozent ab – damals warteten sie zudem als Verbotspartei mit einem weiteren Minuspunkt auf.

Kretschmanns vergeblicher Kampf gegen die Vermögensteuer

Leidenschaftlich hatte der Realo-Flügel, namentlich der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann und seine Anhänger, vor der Vermögensteuer gewarnt: Es handle sich dabei um eine Substanzbesteuerung, die gerade mittelständischen Betrieben die Luft für Investitionen nehme und Betrieben in schweren Zeiten den Garaus machen könne. Die Vermögensteuer belaste das Betriebsvermögen von Mittelständlern viel stärker als das großer Konzerne, sagte der Ministerpräsident Baden-Württembergs.

In konjunkturell guten Zeiten können Mittelständler eine Vermögensteuer vielleicht noch ertragen, in schlechten geht es sofort an die Substanz.

Winfried Kretschmann, Ministerpräsident Baden-Württembergs

„In konjunkturell guten Zeiten können sie es vielleicht noch ertragen, in schlechten geht es sofort an die Substanz“, sagte Kretschmann. Daher kämpfe er „mit aller Macht“ dagegen. Die Mittelständler seien das Rückgrat der Volkswirtschaft und seien verantwortlich für die meisten Arbeitsplätze in Deutschland. Als Ministerpräsident trage er auch die Verantwortung für den Mittelstand in seinem Bundesland. Viel wichtiger sei, entschieden gegen Steuertricks und -schlupflöcher vorzugehen, sagte Kretschmann.

Trittin gibt weiter den Ton an

Doch letztlich durchgesetzt haben sich die „Fundis“, als deren Wortführer sich nach wie vor der 2013 gescheiterte Spitzenkandidat Jürgen Trittin präsentierte. „Das hat überhaupt nichts mit der Gefährdung von Mittelstand zu tun“, behauptete er und polemisierte: „Ein Land, in dem Raucher doppelt so viel zum Steueraufkommen beitragen wie Vermögende, ein solches Land ist nicht gerecht.“ Schließlich geht die Zahl der Raucher in die Millionen.

Es darf nicht sein, dass eine Steuer, die überwiegend verteilungspolitisch oder ideologisch motiviert ist, die Existenz mittelständischer Firmen bedroht.

Rheinische Post

Der Parteitag hatte zwischen fünf Modellen zu wählen. Letztlich durchgesetzt hat sich ein „Kompromiss“, den die Bundestags-Fraktionsführung ausgearbeitet hatte. Der „Kompromiss“ besteht formal darin, dass die Steuer nur für „Superreiche“ gelten soll und die Regelung „verfassungsfest“ ausfallen soll. Angesichts des Urteils des Verfassungsgerichts, das die Vermögenssteuer 1995 für verfassungswidrig erklärte, könnte dies praktisch unmöglich sein. Auch ist völlig offen, was „superreich“ letztlich bedeuten soll.

Realos üben sich in absurder Dialektik

Die „Realos“ um Parteichef Cem Özdemir und Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer versuchten anschließend, in Interviews diese verwaschenen Formulierungen als Sieg zu verkaufen. Sie bemühten sich auch zu versichern, ihrer Meinung nach sei Schwarz-Grün mit dem Beschlüssen nicht ausgeschlossen. In einer ausgesprochen gewagten, geradezu absurden Argumentation behauptete Özdemir im ARD-Interview: Das Gegenteil sei der Fall – denn wer die Grünen nach links rücke, mache Rot-Rot-Grün sogar unwahrscheinlicher. Schließlich brauche es dann die Grünen erst Recht als bürgerliches Gleichgewicht, so Özdemir.

Der Kommentator der Rheinischen Post jedenfalls schüttelt den Kopf: „Nur schwer verhindern ließe sich auch, dass die Vermögensteuer kleine und mittlere Unternehmen trifft, die für die Masse der Arbeitsplätze sorgen. Die Steuer müsste aus der Substanz eines Unternehmens bezahlt werden, was in schlechten Jahren seinen Fortbestand bedrohen kann. Es darf aber nicht sein, dass eine Steuer, die überwiegend verteilungspolitisch oder ideologisch motiviert ist, die Existenz mittelständischer Firmen bedroht.“

Abschaffung des Ehegattensplittings: Doppelte Steuerlast für Ehepaare

Doch schon ein Blick auf den zweiten steuerpolitischen Grundsatzbeschluss zeigt, wie weit sich die Grünen von den Normalbürgern entfernt haben. Sie wollen auch gerade Normalverdiener, vor allem Ehepaare, besonders schröpfen: Nach dem Willen der Parteibasis soll das Ehegattensplitting ersatzlos wegfallen. Für ein klassisches Ehepaar mit einem Hauptverdiener würde das glatt eine Verdoppelung der Steuerlast bedeuten. Aber auch alle anderen Familien, bei denen ein Elternteil mehr verdient als der andere, würden massiv stärker belastet. Ob diese Abschaffung verfassungsfest ist, ist obendrein unklar: Die Grünen wollen das Splitting nur für neue Ehen abschaffen und bereits geschlossene Ehen nicht antasten – dies könnte ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot sein.

Die Grünen wollen das wichtige Prinzip des ‚Förderns und Forderns‘ ersetzen durch ‚Beratung auf Augenhöhe‘. Wie man damit diejenigen überzeugen will, einen Beitrag zur Allgemeinheit zu leisten, die diese Gesellschaft ablehnen oder sogar verachten, bleibt ihr Geheimnis.

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Außerdem beschlossen die Grünen, die Kürzungen abzuschaffen, die Hartz-IV-Empfängern drohen, wenn sie sich arbeitsunwillig zeigen, also etwa Vorstellungsgespräche schwänzen oder Ähnliches. Auch dies ist eine Abkehr vom Prinzip der einst mitbeschlossenen „Agenda 2010“ und deckungsgleich mit den Plänen der Linkspartei, fällt dem Kommentator der FAZ auf, der insgesamt einen „grünen Linksrutsch“ erkennt: „Die Grünen wollen das wichtige Prinzip des ‚Förderns und Forderns‘ ersetzen durch ‚Beratung auf Augenhöhe‘. Wie man damit diejenigen überzeugen will, einen Beitrag zur Allgemeinheit zu leisten, die diese Gesellschaft ablehnen oder sogar verachten, bleibt ihr Geheimnis.“

Der Fundi-Flügel der Grünen setzte sich auch durch beim Beschluss, alle Verbrennungsmotoren ab 2030 abzuschaffen, mithin keine neuen Benzin- oder Dieselfahrzeuge mehr zuzulassen – trotz eines Besuchs des Daimler-Vorstandsvorsitzenden Dieter Zetsche in Turnschuhen und Jeans, der den Grünen noch gut zugeredet hatte. Der Auto-Boss war zwar eingeladen, wurde dann aber ausgebuht: Grüne Gastfreundschaft eben.

Massive Kritik aus der CSU

Bei der CSU stoßen diese Pläne auf massive Kritik. „Das ist zu kurz gedacht. Ein Verbot von Diesel- und Benzinmotoren trifft ja nicht nur die Automobilindustrie, sondern auch die überwiegend mittelständischen Zulieferer“, sagte Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU). „Der Elektromobilität gehört die Zukunft. Aber den Weg dorthin müssen wir ohne Brüche, und ohne dass wir unsere Industrie überlasten, bewältigen“, so Aigner. Es gehe um eine Gesamtbetrachtung der Mobilität. „Es bringt nichts, wenn wir alle mit einem Elektroauto fahren und der Strom dafür aus einem Kohlekraftwerk kommt. Das ist kein Beitrag zum Klimaschutz.“

Es bringt nichts, wenn wir alle mit einem Elektroauto fahren und der Strom dafür aus einem Kohlekraftwerk kommt.

Ilse Aigner, Bayerns Wirtschaftsministerin

Aigner lehnte auch die Pläne der Grünen zur Wiedereinführung der Vermögenssteuer ab: „Das ist nicht nur verfassungsrechtlich bedenklich, sondern auch Gift für unsere Wirtschaft. Vor allem im Mittelstand geht eine Vermögenssteuer an die Substanz.“ Sie belaste Investitionen und Arbeitsplätze und führe zu einer Verlagerung der Vermögen ins Ausland. Angesichts des steigenden Steueraufkommen sei eine zusätzliche Steuerquelle gar nicht nötig.

Die Vernunft konnte sich nicht durchsetzen

Auch nach Einschätzung von CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt haben sich die Grünen „klar Richtung Rot-Rot-Grün positioniert“. Wörtlich sagte Hasselfeldt: „Die Stimme der Vernunft konnte sich nicht durchsetzen.“ Winfried Kretschmann, der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, habe mit seiner eindringlichen Warnung vor einer Vermögenssteuer alleine dagestanden. „Stattdessen ziehen die Grünen wieder mit Steuererhöhungen in den Wahlkampf“, bedauerte Hasselfeldt. „Auch die Abschaffung von Hartz IV-Sanktionen, also das Ende des Prinzips von Fördern und Fordern, halte ich nicht für zielführend.“

Damit ist der Kurs auf Rot-Rot-Grün programmiert.

Markus Söder, Bayerns Finanzminister

Das bayerische Finanzminister Markus Söder brachte den Grünen-Parteitag auf folgenden Nenner: „Das ist das Programm der Grünen: Vermögenssteuer einführen statt kleine Einkommen zu entlasten, Hartz-IV-Sanktionen lockern und sogar das Ehegattensplitting abschaffen – alles was SPD und Linke gut finden. Damit ist der Kurs auf Rot-Rot-Grün programmiert. Kretschmann hat am Parteitag verloren: damit macht auch Schwarz-Grün keinen Sinn“, schrieb Söder auf Facebook.

Sogar die SPD kritisiert den Linksruck der Grünen

Mit heftiger Kritik reagierte auch das Wirtschaftsforum der SPD auf die wirtschafts- und sozialpolitischen Beschlüsse des Grünen-Parteitags. „Der Beschluss der Grünen, die Hartz-IV-Sanktionen abzuschaffen, ist der falsche Schritt zur falschen Zeit“, sagte Harald Christ, Präsidiumsmitglied im Wirtschaftsforum der SPD, der Welt. „Die von Rot-Grün beschlossenen Hartz-IV-Reformen sind ein Erfolg, wie die erfreulich niedrige Arbeitslosenquote zeigt. Das sollten auch die Grünen erkennen.“ Es müsse darum gehen, „noch mehr Menschen den Weg ins Erwerbsleben zu bahnen, statt an bewährten Regeln herumzubasteln“, so Christ.

Ihr Plädoyer für die Vermögensteuer zeigt, dass die Grünen aus Erfahrungen nicht klug werden.

Harald Christ, Präsidiumsmitglied im SPD-Wirtschaftsforum

Die Mehrheit der Bevölkerung wolle, dass Hartz-IV-Empfänger eine Chance im ersten Arbeitsmarkt erhalten und nicht ewig in Abhängigkeit vom Staat gehalten werden. Heftig kritisierte das SPD-Wirtschaftsforum, dem zahlreiche Unternehme angehören, auch die von den Grünen erhobene Forderung nach einer Vermögensteuer. „Im letzten Bundestagswahlkampf sind die Grünen mit dem Ruf nach diversen Steuererhöhungen auf die Nase gefallen. Ihr Plädoyer für die Vermögensteuer zeigt, dass sie aus Erfahrungen nicht klug werden“, sagte Christ der Welt weiter. Die Grünen versuchten, „sich abermals in Populismus gegen ,die Reichen’, anstatt vernünftige Schritte zu wagen, wie etwa ein Abbau der kalten Progression“. Der Abbau der kalten Progression sei „ein Programm für die Mitte der Gesellschaft“, sagte Christ.

Grenzen auf, Kirchen entkernen, Islam aufwerten

„Wir bleiben unbequem“ war das Motto dieses Grünen-Parteitages. Das gilt vor allem für die christlichen Kirchen, die die Ökologen in ihrem Beschluss „Religions- und Weltanschauungsfreiheit in der offenen Gesellschaft“ mal wieder als einzig wahre moralische Instanz mit ihren Vorstellungen beglücken wollen: Die Kirchensteuer soll bezüglich Gleichbehandlung und Datenschutz reformiert werden, das kirchliche Arbeitsrecht soll geändert werden, die Kirchen sollen ihre Finanzen offen legen, staatliche Leistungen für die Kirchen sollen auf den Prüfstand. Der Islam wird erneut hofiert: Islamische Gemeinschaften können und sollen als Religionsgemeinschaften anerkannt werden, wenn sie die rechtlichen Voraussetzungen des Religionsverfassungsrechts erfüllen. Immerhin: Derzeit trifft das auch nach Auffassung der Grünen etwa beim Verband Ditib nicht zu, weil dieser von der Türkei gesteuert wird. Eigene Feiertage aber soll es für alle anerkannten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften geben, was zu einem Flickenteppich im christlich-abendländisch geprägten Deutschland führen würde, mit denen dann etwa Unternehmen zu kämpfen hätten.

Wir wollen legale und sichere Zugangswege für Flüchtlinge nach Europa schaffen, gezielte Familienzusammenführungen erleichtern und die gemeinsame Seenotrettung stärken.

Beschluss der Grünen zur unbegrenzten und erleichterten Zuwanderung

Nebenbei wollen die Grünen unbegrenzte Zuwanderung: „Wir wollen legale und sichere Zugangswege für Flüchtlinge nach Europa schaffen, gezielte Familienzusammenführungen erleichtern und die gemeinsame Seenotrettung stärken“, so ein Beschluss, der letztlich offene Grenzen und staatliche Fluchthilfe für alle Asylbewerber weltweit bedeuten würde. Die innere Sicherheit dagegen wird mit der altbekannten und falschen Warnung vor dem angeblichen deutschen „Big Brother“-Staat ihrer wirksamsten Instrumente beraubt: „Maßnahmen, die die Freiheit der Bürger einschränken, indem ein anlasslos agierender Überwachungsapparat ausgebaut wird oder die gefährliche Pauschalverknüpfung sämtlicher Datensammlungen vorangetrieben wird, lehnen wir ab“, so ein weiterer Beschluss.

(dpa/ARD/FAZ/Welt/RP/wog/avd)