Ministerpräsident Horst Seehofer bei seinen CSUlern. (Bild: A. Schuchardt)
US-Wahl

Klartext ist nötiger denn je

Der Erfolg Donald Trumps zeigt, dass die Zeit des „politisch korrekten“ Totschweigens unbequemer Wahrheiten vorbei ist. Diesen Schluss zieht die CSU aus der Präsidentenwahl in den USA. Wer sich nicht traut, mit klaren Worten Stellung zu beziehen und die Menschen von oben herab belehrt, anstatt ihnen zuzuhören, läuft Gefahr, bei künftigen Wahlen abgestraft zu werden.

Bereits seit den Zeiten von Franz Josef Strauß, der sich oft als „Mitglied im Verein für deutliche Aussprache“ bezeichnete, ist die CSU diejenige politische Kraft in Deutschland, die nicht davor zurückschreckt, auch harte Wahrheiten deutlich auszusprechen und wenig Rücksicht auf „politisch korrekte“ Sprechverbote zu nehmen. Zuletzt erwies sich dies im Herbst 2015 bei der Flüchtlingskrise, als die CSU als einzige demokratische Partei die medial geschürte „Willkommen“-Euphorie bremste und vor einer Überforderung Deutschlands warnte, falls der ungeregelte und ungebremste Zustrom anhält.

Über die Köpfe hinweg

Durch den Wahlerfolg Donald Trumps in den USA dürfte in dieser Hinsicht auch in Deutschland einiges in Bewegung geraten. „Vor allem die Art, wie über Politik gesprochen wird, wie in Zukunft Wahlkämpfe geführt werden, welche Inhalte auf die Tagesordnung gehoben werden, dürfte sich ändern“, heißt es in der Welt. Offenbar sind es die Bürger leid, von Spitzenpolitikern nicht angehört, sondern belehrt zu werden.

Immer mehr Wähler auch in Deutschland haben den Eindruck, eine abgehobene Führungsschicht regiere über ihre Köpfe hinweg, nehme sie nicht mehr ernst und mache sich nicht die Mühe, die Menschen mit stichhaltigen Argumenten zu überzeugen, sondern mit Floskeln wie angeblicher „Alternativlosigkeit“ oder Totschlagargumenten wie „Das dient nur den rechten Hetzern“ abzuspeisen. Wer dies nicht berücksichtigt, läuft Gefahr, künftig bei den Wahlen abgestraft zu werden.

Die Arroganz der Eliten muss aufhören. Viele Bürger haben zunehmend den Eindruck, von Politik und Eliten bevormundet zu werden, und dagegen wehren sie sich.

Horst Seehofer, CSU-Parteichef

Die CSU erkennt genau dieses Dilemma, das besonders in der Bundespolitik virulent wird. „Die Menschen haben das Gefühl: Die da oben wollen immer Recht haben“, sagte CSU-Parteichef Horst Seehofer im Münchner Merkur. Und wenn es dann doch anders laufe, behaupteten die Politiker dennoch, Recht gehabt zu haben. „Das ertragen die Menschen nicht mehr.“

Seehofer forderte die Bundespolitik auf, stärker auf die Bevölkerung zu hören und ihr „Ohr nah an der Bevölkerung“ zu haben. Wörtlich betonte der Bayerische Ministerpräsident: „Die Arroganz der Eliten muss aufhören. Viele Bürger haben zunehmend den Eindruck, von Politik und Eliten bevormundet zu werden, und dagegen wehren sie sich.“

Stoiber: Politiker müssen alles offen diskutieren

Der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber forderte die Politiker auf, keinen Bürger ins Abseits zu stellen, weil er die Regeln der „Political Correctness“ ignoriert und geradeheraus redet. „Wir müssen als Politiker alles offen diskutieren. Das Volk hat Sorgen und benutzt dafür auch mal eine Sprache, die vielleicht nicht politisch korrekt ist. Aber das dürfen wir nicht abtun“, sagt er im Focus. Die Spitzenpolitiker müssten dem Volk wieder zuhören: „Wenn wir den kleinen Leuten nicht das Signal geben, dass wir ihre Ängste und Probleme ernstnehmen und ihre Sprache verstehen, dann bleibt die Gefahr, dass wir viele nicht mehr an uns binden können.“

Gerade die Wahl Donald Trumps gegen den erklärten Willen der Führungsschicht in Washington und sämtlicher Mainstream-Medien müssten als Weckruf verstanden werden, so Stoiber: „Amerika zeigt, was passiert, wenn die Distanz zwischen dem Establishment und dem kleinen Mann so groß wird, dass jemand diesen Konflikt für sich ausnutzen kann.“ Die CSU sei die einzige Partei, die darauf richtig reagiere. „Wir können den einfachen Argumenten der Protestparteien nur begegnen, wenn auch wir die Ängste der Menschen aufnehmen und Antworten darauf finden. So wie es die CSU tut“, erklärte der frühere Ministerpräsident.

Zeit des politisch-korrekten Totschweigens ist vorbei

„Wenn alle Parteien sich am Mittelkreis tummeln, dann ist das keine Antwort auf die Fragen der Bürger. Es braucht Ecken und Kanten und Positionen, die unterscheidbar sind“, betonte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer in der Welt. „Die Zeit des ,Lass uns das lieber nicht sagen‘ ist vorbei.“ Der Generalsekretär kündigte an, die CSU werde die Bundestags-Wahlkampagne „auf die Bürger zuschneiden“. 2017 gehe es ums Ganze. Es verbiete sich, Scheu zu haben, etwas anzusprechen.

Wenn alle Parteien sich am Mittelkreis tummeln, dann ist das keine Antwort auf die Fragen der Bürger. Es braucht Ecken und Kanten.

Andreas Scheuer

Der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionschef im Bundestag, Hans-Peter Friedrich, verortet genau da das Problem. „Trump ist Ausdruck des Willens der Amerikaner, über ihr Land selbst zu bestimmen“, sagt der frühere Bundesinnenminister in Bild. „Diesen Wunsch haben erkennbar auch immer mehr Menschen in Deutschland und Europa.“ Für die CSU, aber auch CDU und SPD, sei das ein klarer Auftrag, betont Hans-Peter Friedrich: „Wenn sie von den Volksparteien keine Antworten bekommen, dann wenden sie sich auch bei uns den Populisten zu.“

Ganz ähnlich sieht das auch der Vorsitzende der CSU-Grundsatzkommission, der Landtagsabgeordnete Markus Blume. „Wir brauchen nicht weniger, sondern wieder mehr Debatte und eine echte Streitkultur in diesem Land. Große Fragen wie die Flüchtlingspolitik müssen auch groß diskutiert werden können, ohne dass gleich die Meinungspolizei auf den Plan tritt“, sagt Blume der Welt mit Blick auf rot-grüne Umerzieher. Die Bürger wollten, dass man sich um sie kümmert. „Dabei gilt der Satz von Franz Josef Strauß, dass man dem Volk aufs Maul schauen, aber nicht nach dem Mund reden soll.“ Mit Blick auf Rechtspopulisten warnte Blume: „Das Geschäft mit der Angst werden wir nur unterbinden, wenn wir den Kampf um die Zukunft der ,kleinen Leute‘ aufnehmen.“

Guttenberg warnt vor besserwisserischem Zeigefinger

Der frühere Bundeswirtschafts- und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hat den Wahlsieg von Donald Trump als „Weckruf für die Eliten in Europa“ bezeichnet. Dies sei ein Ergebnis, das zu denken geben sollte, sagte zu Guttenberg, der seit 2011 als Politischer Analytiker in New York lebt, im Bayerischen Rundfunk. Der ehemalige Minister warnte davor, „die USA jetzt sofort zu verteufeln und besserwisserisch mit dem Zeigefinger zu wedeln“. Es sei in sicherheitspolitischem und wirtschaftlichem Interesse, die „Kontakte in die USA nicht komplett abbrechen zu lassen“.

Politische Kultur erfordert politische Auseinandersetzungen, und die finden auch in Deutschland zu wenig statt. Diesen Weckruf scheint innerhalb der Union die CDU weit weniger verstanden zu haben als die CSU.

Richard Hilmer, Meinungsforscher

Dieser Einschätzung gab der Meinungsforscher Richard Hilmer völlig Recht, der viele Jahre das Dimap-Institut leitete. Er attestierte der CSU, mit ihrem Ansatz der klaren Aussprache einen Nerv zu treffen. „Politische Kultur erfordert politische Auseinandersetzungen, und die finden auch in Deutschland zu wenig statt“, sagt er der Welt. Daher sei Trumps Wahlsieg ein Weckruf für die Parteien in Deutschland. „Diesen Weckruf scheint innerhalb der Union die CDU weit weniger verstanden zu haben als die CSU.“ Sowohl für CDU als auch die SPD bestehe die Gefahr, den Kontakt zu den Bürgern auf dem flachen Land und in den Industriezonen zu verlieren, sagt Hilmer – so wie Hillary Clintons Demokraten in den USA.

Gute Lebensverhältnisse im ganzen Land beugen Politikverdrossenheit vor

Auch Ursula Münch, die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, gab der CSU mit ihrer Analyse recht. „Ich denke, dass sich Horst Seehofer und die CSU bestätigt fühlen werden. Die CSU hat mit ihrem Ziel, nah am Volk zu sein, wohl den etwas besseren Riecher“, sagte sie der DPA. Mit Blick auf die Wähler in den USA meint die Politikwissenschaftlerin: „Wir erleben hier einen Aufstand von denjenigen, die glauben, dass alles an ihnen vorbeigeht. Sie fühlen sich von oben herab behandelt. Nun haben sie erneut kundgetan, dass sie so nicht mit sich umspringen lassen.“

Die CSU hat mit ihrem Ziel, nah am Volk zu sein, wohl den etwas besseren Riecher.

Ursula Münch, Politische Akademie Tutzing

Münch warnt die Spitzenpolitiker davor, die Menschen und ihre Anliegen nicht ernst zu nehmen: „Es genügt nicht, nur über die sogenannten Modernisierungsverlierer zu sprechen und mehr oder minder mitleidig auf sie herunterzuschauen. Das ist jetzt nach dem Brexit der endgültige Beweis, dass Politik mehr machen muss.“ Nach Meinung der Politikwissenschaftlerin sind die Bürger, die von der Politik enttäuscht sind, noch nicht endgültig für die Volksparteien verloren. „Meines Erachtens ist der Zug noch nicht abgefahren.“ Gute Infrastrukturpolitik für das ganze Land – wie in Bayern – macht da schon viel aus, um sie zu erreichen. „Man sollte diesen Leuten jetzt nicht ständig nach dem Mund reden, aber ihre Sorgen ernst nehmen und zum Beispiel das Thema Infrastruktur mehr aufgreifen. Nicht nur in den Großstädten und den urbanen Gegenden muss es schön sein.“

Klare Trennlinie zwischen CSU und demagogischen Rechtspopulisten bleibt

Eine klare Trennlinie bleibt natürlich gezogen zwischen der deutlich formulierenden, gleichzeitig eindeutig demokratisch-rechtsstaatlichen Partei CSU und verantwortungslosen rechtspopulistischen Demagogen, die keine Lösungen anbieten, sondern nur eine Proteststimmung erzeugen wollen. „Eine Haltung gegen das Establishment von Politik und Medien ist auch hierzulande weit verbreitet. Da gibt es ein erschreckend hohes Potenzial“, sagte CSU-Generalsekretär Scheuer.

Der CSU-Politiker Markus Blume erklärte den Unterschied in der Welt anhand der Frage, was denn wäre, wenn die Bürger für die Todesstrafe plädierten. „Wenn es eine solche Stimmung gäbe, haben wir als Politiker gerade nicht die Aufgabe, diesem Wunsch nachzukommen. Aber wir stünden natürlich in der Pflicht sicherzustellen, dass mögliche Zweifel an der Durchsetzungsfähigkeit des Rechtsstaates konsequent ausgeräumt werden.“

Die Direktorin der Tutzinger Akademie für Politische Bildung, Ursula Münch, hält die Aufgabe der CSU, die Sorgen und Nöte der Menschen aufzunehmen, klar zu benennen und sich gleichzeitig auf Lösungen zu konzentrieren, für sehr schwierig: „Natürlich ist es immer ein Spagat, man gehört dann schnell zu den Populisten. Aber wir dürfen nicht die Schlussfolgerung ziehen: Nur weil die Populisten nah am Volk sind, können das andere nicht auch sein.“

(dpa/Münchner Merkur/Welt/Focus/Bild//BR/wog)