Auf dem Weg in die Diktatur: Die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei müssen gestoppt werden. (Bild: Imago/Ralph Peters)
EU-Türkei

Österreich fordert Ende der Beitrittsverhandlungen

Österreichs Bundeskanzler Kern will die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abbrechen. Die demokratischen Standards im Erdogan-Land seien nicht ausreichend, und die Verhandlungen würden aktuell sowieso ohne Fortschritte geführt, so der Regierungschef. Er fordert ein "alternatives Konzept". Damit liegt er auf einer Linie mit der CSU.

Österreich will in der EU den Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zur Diskussion stellen. Der Bundeskanzler der Alpenrepublik, Christian Kern, sagte in einem TV-Interview, er wolle das Thema am 16. September beim Treffen des Europäischen Rats auf den Tisch legen.

„Zur Zeit keine Beitrittsperspektive“

Seiner Meinung nach müsse die EU „bei einer realistischen Bewertung“ der Situation feststellen, dass es zur Zeit keine wirkliche Beitrittsperspektive für das Land des umstrittenen Staatspräsidenten Recep Tayip Erdogan gebe. Das Vorgehen der türkischen Regierung nach dem gescheiterten Militärputsch vor zwei Wochen – mit tausenden Festnahmen und der Schließung zahlreicher regierungskritischer Medien – habe gezeigt, „dass die demokratischen Standards der Türkei bei Weitem nicht ausreichen, um einen Beitritt zu rechtfertigen“, so der SPÖ-Politiker, der erst seit wenigen Wochen im Amt ist. Die Verhandlungen über eine EU-Mitgliedschaft der Erdogan-Türkei sei „nur noch diplomatische Fiktion“ – ohnehin gehe nach den Worten Kerns bei den Verhandlungen schon seit Monaten nichts mehr vorwärts.

Statt weiterer zielloser Beitrittsverhandlungen fordert der Kanzler jetzt ein „alternatives Konzept“ für die künftige Beziehung der EU zur Türkei.

„Wir sind kein Bittsteller der Türkei“

Beim Verhalten der Europäischen Union gegenüber der Türkei pocht Christian Kern auf mehr Selbstbewusstsein. Das Land sei in sicherheitspolitischen Fragen zweifellos ein wichtiger Partner, etwa beim Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat. Dennoch, so betont der Bundeskanzler, sei die EU gegenüber Ankara „kein Bittsteller“. Die EU sei „einer der größten Investoren, der türkische Tourismus hängt an uns und was man nicht vergessen darf, der Westen finanziert das Leistungsdefizit der Türkei“. Daher glaubt Kern nicht, dass Ankara als Reaktion auf eine schwindende EU-Perspektive den Flüchtlingsdeal mit der EU platzen lassen würde.

Mit seinen Äußerungen liegt der Sozialdemokrat auf einer Linie mit den Argumentationen des SPÖ-Koalitionspartners ÖVP – allen voran Außenminister Sebastian Kurz.

Auf einer Linie mit der CSU

Aber auch die Nachbarn aus Bayern fordern seit Jahren, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, die hauptsächlich der rot-grünen Bundesregierung von Ex-Kanzler Gerhard Schröder zu verdanken sind, endlich zu beenden. Aus den Reihen der CSU hatte neben Parteichef Horst Seehofer auch Generalsekretär Andreas Scheuer zuletzt wieder in den vergangenen Wochen betont, das Verhalten Ankaras mache die ohnehin jahrelange Debatte um eine EU-Mitgliedschaft der Türkei bis auf Weiteres überflüssig.

Entwicklungen, die Präsident Erdogan derzeit massiv vorantreibt, sprechen auch jeder Rechtsstaatlichkeit Hohn. Es gibt so keine vernünftige Grundlage mehr für Beitrittsverhandlungen.

Joachim Herrmann

Und auf die neue österreichische Initiative sagte nun Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) der Deutschen Presse-Agentur: „Es entspricht der Meinung der Bayerischen Staatsregierung, dass die Europäische Union einen Abbruch der Beitrittsgespräche mit der Türkei in Betracht ziehen sollte. Eine türkische EU-Mitgliedschaft kann überhaupt keine Option sein.“ Ein Land, das demokratische Werte so mit Füßen trete, könne nicht Mitglied der EU sein. „Die Entwicklungen, die Präsident Erdogan derzeit massiv vorantreibt, sprechen auch jeder Rechtsstaatlichkeit Hohn. Es gibt so keine vernünftige Grundlage mehr für Beitrittsverhandlungen“, betonte Herrmann. Wer sich in dieser Art und Weise von den Grundsätzen einer freiheitlichen Demokratie entferne, treibe die Beitrittsverhandlungen selbst „in die völlige Aussichtslosigkeit und ad absurdum“.

Und auch aus Berlin kommen eher zurückhaltende Worte, wenn es um die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei geht. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, sie glaube, „dass in der jetzigen Situation neue Kapitelöffnungen nicht auf der Tagesordnung stehen“.

Erdogan wirft Kern „Rechtsextremismus“ vor

Eine Reaktion aus Ankara auf die Äußerungen Christian Kerns ließen nicht lange auf sich warten. Kerns Äußerungen hätten Züge von Rechtsextremismus, sagte etwa der türkische EU-Minister Ömer Celik. „Kritik ist sicherlich ein demokratisches Recht, aber es gibt einen Unterschied zwischen einer Kritik an der Türkei und einer Positionierung gegen die Türkei.“

Unterdessen will Erdogan – ungeachtet aller Kritik aus der EU – die „Säuberungen“ nach dem Putschversuch in der Türkei nun auch auf die Wirtschaft ausweiten. „Die, die bis jetzt gefasst wurden, sind nur die Spitze des Eisbergs“, sagte Erdogan vor den Vorsitzenden von Handelskammern und Börsen in Ankara. Die Gülen-Bewegung sei besonders stark im Wirtschaftssektor vertreten. Erdogan rief Geschäftsleute auf, auch in diesem Bereich Gülen-Anhänger den Behörden zu melden. Jeder sei verdächtig:

Ich sage euch, das kann sogar euer Verwandter sein.

Recep Erdogan

Wer die Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen finanziere, trage nicht weniger Schuld als die Putschisten selber, sagte Erdogan. Der Präsident macht Gülen für den Putschversuch verantwortlich. Er kündigte an: „Wir werden kein Mitleid haben.“ Und betonte: „Wir haben noch keinen Punkt gesetzt, das ist erst das Komma.“ Es werde kein Nachlassen bei der „Säuberung“ der Türkei von Gülen-Anhängern geben. „Der Virus hat sich überall ausgebreitet“, so der Autokrat.

Sie werden in zwei Quadratmeter großen Löchern sterben wie Kanalratten.

Nihat Zeybekçi, türkischer Wirtschaftsminister laut „Spiegel“

Noch unerfreulicher sind Äußerungen von Erdogan-Getreuen. Der Spiegel zitiert den türkischen Wirtschaftsminister Nihat Zeybekçi mit den Worten: „Wir werden sie so hart bestrafen, dass sie flehen werden: ‚Lasst uns sterben, damit wir erlöst werden!‘ Wir werden sie zwingen uns anzuflehen. Wir werden sie in so tiefe Löcher werfen, dass sie kein Sonnenlicht mehr sehen, solange sie atmen. ‚Tötet uns‘, werden sie uns anflehen. Selbst wenn wir sie hinrichteten, fände mein Herz keinen Frieden. Sie werden in zwei Quadratmeter großen Löchern sterben wie Kanalratten.“

Bislang sind vor allem Staatsbedienstete von den „Säuberungen“ betroffen. Nach Regierungsangaben vom Dienstag wurden seit dem Putschversuch Mitte Juli 58.611 Staatsbedienstete suspendiert, weitere 3499 wurden dauerhaft entlassen. Zusätzlich wurde mehr als 20.000 Lehrern an Privatschulen die Lizenz entzogen. Nach Angaben des Innenministeriums vom Mittwoch wurden 25.917 Menschen festgenommen, gegen 13.419 Verdächtige wurde Haftbefehl erlassen. Die Reisepässe von 74.562 Personen wurden für ungültig erklärt, um die Flucht von Verdächtigen ins Ausland zu verhindern.