Herr befiehl, wir folgen: Szene auf der Erdogan-Großkundgebung in Köln. (Bild: Imago/C. Hardt/Future Image)
Kölner Demonstration

Erdogan vor der Haustür

Kommentar Bei der Demonstration von mehreren Zehntausend Türken am Sonntag in Köln durfte der türkische Autokrat Recep Erdogan nicht per Live-Schaltung zu seinen Untertanen sprechen. Das nahm er als Anlass, Deutschland als "undemokratisch" zu beschimpfen. Damit stellt er die Tatsachen auf den Kopf.

Zwei Wochen nach dem Putschversuch in der Türkei haben am Sonntag bis zu 40.000 Türken und Deutschtürken in Köln demonstriert. Ihr Motto lautete: „Ja zur Demokratie – Nein zum Staatsstreich“. In Wahrheit war es eine Feier für den streng islamischen Autokraten Recep Erdogan, eine Masseninszenierung, die absurder nicht hätte sein können. „Erdogan ist ein Held der Demokratie“, „Erdogan ist ein Streiter für Menschenrechte“, „Für Pressefreiheit. Gegen Gleichschaltung“, „Für Rechtsstaat. Gegen Tyrannei“, das alles stand tatsächlich auf vorgedruckten Plakaten. Dazu ein Ozean aus türkischen Flaggen der doch laut Grün-Rot so gut bei uns integrierten Deutschtürken, die bei der letzten türkischen Parlamentswahl auch nur zu 59,7 Prozent die AKP gewählt hatten. 

Ausgerechnet Erdogan fordert demokratische Rechte. Das stellt alles auf den Kopf!

Bereits im Vorfeld der Demonstration hatte das Bundesverfassungsgericht das Verbot einer Live-Übertragung des türkischen Präsidenten in Köln bestätigt. Das Urteil nahm die türkische Regierung zum Anlass für dreiste Vorwürfe, sogar der deutsche Gesandte in der Türkei wurde einbestellt. Das Verbot der Übertragung sei auf „widerrechtliche und unhöfliche Art“ erfolgt, eine „inakzeptable Verbannung“ und eine „Schande“ für Demokratie und Recht sei dieses Urteil eines höchsten Gerichts in einem demokratischen Rechtsstaat. Es sei von nun an inakzeptabel, wenn Deutschland gegenüber der Türkei die Begriffe Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechte und Freiheit auch nur in den Mund nehme, schallte es aus Ankara. Erdogan selbst schoss schon am Freitag den Vogel ab. Er warf Deutschland und Österreich mangelnde Meinungsfreiheit vor. Dort dürften türkische Bürger nicht demonstrieren und es sei sogar verboten, türkische Flaggen zu hissen. Die Demo in Köln beweist das Gegenteil.

Ausgerechnet Erdogan, das stellt alles auf den Kopf! Seit Jahren führt Recep Erdogan sein Land in die islamische Diktatur, wie er es schon 1998 in einem Gedicht zitierte: „Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.“ Nach seinem Amtsantritt 2002 bediente er sich Gülens und der EU, um die Macht des Militärs zu brechen.

Mit immer neuen Verboten, Verhaftungen und Gesetzen hat er das Land immer weiter islamisiert und sich und seiner AKP untertan gemacht. Die Schaltstellen des Staates in Justiz und Sicherheitsbehörden hat er mit Getreuen besetzt. Und ausgerechnet er, der Verächter von Demokratie und Freiheit, fordert jetzt auf deutschem Boden die demokratischen Rechte ein, die er zu Hause mit Füßen tritt. Dass man einem ausländischen Staatsoberhaupt, das immer wieder hetzerische Reden hält und hielt, nicht gestattet, live vor der aufgeheizten Menge sprechen zu lassen, ist absolut in Ordnung. Wer weiß, zu was er dieses Mal aufgerufen hätte?

Erdogan führt die Türkei in die Diktatur

Typische Merkmale einer Demokratie verschwanden in der Türkei schon lange vor dem angeblichen Putsch, davon zeugen beispielsweise die rund 2000 Anzeigen gegen Journalisten durch Erdogan persönlich, die Aufhebung der Immunität von 138 Parlamentsabgeordneten oder sein aus Wahltaktik geführter Krieg gegen die Kurden. Die AKP hat es auch nicht so mit unabhängigen Gerichten: Einige Wochen vor dem Putsch drohte der „Demokrat“ Erdogan dem türkischen Verfassungsgericht mit der Entmachtung – wegen der unliebsamen Freilassung zweier wegen Geheimnisverrat verhafteten Journalisten, die Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an Islamisten in Syrien veröffentlichten. Nach dem Putsch suspendierte er zwei Verfassungsrichter. Niemand soll ihm nachsagen können, dass er sein Wort nicht hält.

Und nach dem Putsch sind alle Rechte nur noch Makulatur: Zu Zehntausenden wurden bereits wenige Stunden nach der Rebellion Richter, Staatsanwälte, Wissenschaftler, Lehrer, Journalisten, Polizisten, Soldaten und andere Staatsbedienstete entlassen oder verhaftet, nach Erdogans Wortlaut „gesäubert“. Niemand zweifelt ernsthaft daran, dass diese Listen nicht schon längst bereit lagen – für einen Staatsstreich des „Demokraten“ Erdogan. Eine „Schande für die Demokratie“ ist auch die geplante Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei, die Sperrung unzähliger Internetseiten, die Schließung und Gleichschaltung von dutzenden Medien. Jeder Kritiker Erdogans hat nun Angst, auf der Liste der Putschisten zu landen. Damit ist die Meinungs- und die Pressefreiheit in der Türkei beerdigt. Als Geste des guten Willens kündigte der Staatschef jetzt überaus großzügig an, alle 2000 Klagen wegen Präsidentenbeleidigung zurückzunehmen. Sein Ziel hat er erreicht.

Visafreiheit zur demokratischen Erpressung

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu, ebenfalls ein feiner Demokrat, drohte der EU zudem mit dem Flüchtlingspakt: „Wenn es nicht zu einer Visaliberalisierung kommt, werden wir gezwungen sein, vom Rücknahmeabkommen … Abstand zu nehmen.“ Bis Oktober sei zu liefern. Das sei aber keine Drohung. Die EU-Kommission hat das anders aufgefasst und die „Drohungen“ zurückgewiesen. Man lasse sich „nicht erpressen“, für die Visafreiheit seien 72 Bedingungen zu erfüllen. In der Türkei steht noch die Reform der Anti-Terror-Gesetze an, die so geändert werden müssten, dass sie nicht gegen Journalisten und politische Gegner missbraucht werden können.

Unsere fragwürdigen Mitbürger

Man kann es bedauern, aber das demokratische Recht auf Meinungsfreiheit beinhaltet auch, dass man einem Regime huldigen darf, dass eben dieses Recht massiv verletzt und erst 2013 friedliche Massendemonstrationen am Istanbuler Gezi-Park brutal niederschlagen ließ. Man darf in Deutschland sogar einen Möchtegern-Diktator feiern, der schon lange vor dem Putsch Medienhäuser zusperren, hunderte Journalisten drangsalieren und einsperren sowie jetzt den Privatbesitz von Kritikern konfiszieren lässt.

Pro-Erdogan-Demo in Köln. Als demonstrierten Freilandhühner für Käfighaltung.

Facebook-Witz

„Wer der Abwicklung der türkischen Demokratie applaudiert, steht nicht auf dem Boden unseres Grundgesetzes“, warnte allerdings zu Recht CDU-Generalsekretär Peter Tauber. Videos zeigen, dass auf deutschem Boden etliche Türken nach der Einführung der Todesstrafe in ihrer wahren Heimat riefen. Von der Bühne schrie ein Redner begeistert (oder drohend?): „Wir sind Deutschland„, und erhielt als Antwort nur ein rauschhaftes: „Allahu akbar“, arabisch für „Allah ist groß“. Unzählige Frauen in Kopftüchern schrien vor Begeisterung. 

Man kann es nicht oft genug wiederholen: Dass so viele Deutschtürken einem Autokraten zujubeln, ist ein Zeichen ihrer fehlenden Integration. Die hat es nie gegeben, die wird es nie geben – im Gegensatz zu vielen anderen Nationalitäten, die bei uns heimisch wurden. Die doppelte Staatsbürgerschaft wurde von Rot-Grün als „Schlüssel zur Integration“ bejubelt. „Die Fakten sprechen eine andere Sprache. Wir haben uns etwas ins Land geholt, was wir nicht mehr beherrschen“, sagt der CSU-Landtagsabgeordnete Klaus Steiner nach Köln. CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn plädiert darum für eine Revision des Staatsbürgerschaftsrechtes. „Junge Deutschtürken sollten sich wieder bis zum 23. Lebensjahr entscheiden müssen, ob sie die deutsche oder die türkische Staatsbürgerschaft behalten wollen.“ Recht hat er.

Fazit

Die europäische und die deutsche Türkeipolitik steht vor einem grundlegenden Wandel, das war nicht erst seit der Kölner Demo oder dem angeblichen Putsch klar. Im Mittelpunkt der Entscheidungen werden der unsichere Flüchtlingspakt mit der Türkei und die EU-Beitrittsverhandlungen stehen. Europa steht vor wichtigen Fragen: Will man sich von dem Neo-Sultan weiter vorführen lassen oder zieht man einen Schlussstrich? Wie sichert Europa seine Grenzen ohne die Türkei? Und dann muss man sich noch überlegen, wie man künftig mit einer islamistischen Diktatur vor der Haustür umgehen will.