Edmund Stoiber war von 1993 bis 2007 bayerischer Ministerpräsident. Er ist CSU-Ehrenvorsitzender. (Foto: Stefan Zeitz/imago)
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Mehr Mut zur politischen Auseinandersetzung

Gastbeitrag Aus dem aktuellen BAYERNKURIER-Magazin: Der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber verlangt von den Unionsparteien, auch unangenehme Themen offen zu diskutieren. Um im politischen Wettbewerb erfolgreich zu sein, müsste die Union der bürgerlichen Mitte aber auch dem rechten demokratischen Spektrum eine Heimat bieten.

Das neue Grundsatzprogramm der AfD schlägt hohe Wellen. Die Reflexe funktionieren: Politiker aller Parteien sind empört. Die Beschlüsse werden als verfassungswidrig und reaktionär bezeichnet. SPD-Linksaußen Stegner redet von einer „zerstrittenen Rechtsaußenpartei“, CDU-Generalsekretär Tauber will die Menschen „einladen, die AfD wolle sie ausgrenzen.“ Mit Pauschalurteilen sind auch die Medien flott bei der Hand.

Richtig ist: Einiges, was die AfD will, würde Deutschland direkt ins Verderben führen. So hätte die von der Partei befürwortete Rückabwicklung der Europäischen Union zu einer reinen Wirtschaftsgemeinschaft oder der Austritt aus dem Euro unabsehbare politische und wirtschaftliche Konsequenzen für Deutschland und Europa. Ein Zusammenbruch der Europäischen Union und damit einhergehend eine Renationalisierung Europas könnte längst begraben geglaubte Feindbilder wieder zum Leben erwecken. Frieden und Freiheit, die zwei größten Errungenschaften Europas nach dem Zweiten Weltkrieg, stünden plötzlich wieder auf dem Spiel. Einem solchen außenpolitischen Russisch Roulette würden CSU und CDU niemals die Hand reichen.

Die traditionelle Familie muss im Mittelpunkt staatlicher Aufmerksamkeit stehen

Nicht alle AfD-Beschlüsse sind aber empörenswert. Manche sind bereits geltende Programmatik der CSU: Genau wie die deutliche Mehrheit der Deutschen lehnt die CSU einen Beitritt der Türkei zur EU ab. Das Land wird auf lange Zeit weder die notwendigen rechtsstaatlichen noch die kulturellen Voraussetzungen erfüllen. Auch die sicherheitspolitische Lage – der Kurdenkonflikt, der Syrienkrieg – verbietet eine Vollmitgliedschaft Ankaras in der EU.

Es wäre auch zu einfach, der AfD in der Familienpolitik einen Rückfall in eine „alte, miefige Bundesrepublik“ (Süddeutsche Zeitung) vorzuwerfen. Die Forderung, dass wieder die traditionelle Familie aus Vater, Mutter und Kindern im Mittelpunkt staatlicher Aufmerksamkeit stehen muss, ist bei den meisten Unionswählern Konsens.

Maßstab der Politik ist das christliche Menschenbild

Gleiches gilt für die wohl umstrittenste Formulierung im AfD-Grundsatzprogramm, nämlich dass der Islam nicht zu Deutschland gehört. Das ist so originell auch nicht: Im Grundsatzprogramm der CSU heißt es wörtlich: „Maßstab und Orientierung unseres Handelns ist das christliche Menschenbild mit der Entwicklung aus Antike, Humanismus und Aufklärung.“ Von den teilweise vormodernen Auffassungen des Islam insbesondere hinsichtlich der Gleichberechtigung von Mann und Frau ist auch die Programmatik der CSU Lichtjahre entfernt. Nur, weil die AfD diese Themen auch anspricht, heißt das noch nicht, dass sie damit falsch liegt.

 Allzu leichtfertig wurden und werden etwa Kritiker der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung von der politischen und medialen Elite als rechtsradikal diffamiert.

Edmund Stoiber

Sachkompetenz ist allerdings nicht das Markenzeichen der AfD. Selbst in der Asyl- und Flüchtlingspolitik, die letztlich den aktuellen Aufschwung der AfD begründet hat, trauen laut ARD-Deutschlandtrend nur sieben Prozent der Partei Lösungen zu. In der Familienpolitik sind es gerade einmal drei Prozent. Der eigentliche Grund für die momentane Stärke der AfD ist ein anderer: In der gleichen Umfrage sagt über die Hälfte der Befragten, dass die AfD zwar keine Probleme löse, aber die Dinge wenigstens beim Namen nenne. Das ist der Kern der Sache. Allzu leichtfertig wurden und werden etwa Kritiker der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung von der politischen und medialen Elite als rechtsradikal diffamiert, Islamkritiker werden als Verfassungsfeinde hingestellt. Das bringt der AfD nur noch mehr Aufmerksamkeit und Wählerstimmen! Mit einer undifferenzierten Kritik wird nur erreicht, dass die zu Unrecht angegriffen Fühlenden sich gegen „die da oben“ solidarisieren. Ein massiver Kollateralschaden besteht darin, dass das Vertrauen in die Medien stark gesunken ist. Mittlerweile hält die Mehrheit laut einer Umfrage des Bayerischen Rundfunks die Nachrichtenmedien für vom „System“ gelenkt, also nicht mehr für einen objektiven Beobachter, sondern für einen Unterstützer der politischen und gesellschaftlichen Eliten.

Die Kategorien „links“ und „rechts“ verlieren an Bedeutung

Vor diesem Hintergrund verlieren die politischen Kategorien „links“ und „rechts“ rasant an Bedeutung. Die Unterschiede zwischen der AfD und den Linken sind in Teilbereichen wie der Sozial- oder Außenpolitik kaum noch erkennbar. Künftige politische Auseinandersetzungen finden zwischen „unten“ und „oben“ statt, zwischen den Eliten und dem sprichwörtlichen „kleinen Mann“.

Wir brauchen eine bessere demokratische Streitkultur, die die Emotionen anspricht, ohne unsachlich zu werden.

Edmund Stoiber

Um im politischen Wettbewerb auch künftig die Nase vorn zu haben, müssen die Unionsparteien den Gegensatz zwischen oben und unten überbrücken und dabei der bürgerlichen Mitte, aber auch dem rechten demokratischen Spektrum eine Heimat bieten. Grundvoraussetzung dafür ist, dass selbst unbequeme Themen ohne Scheuklappen angesprochen und diskutiert werden. Der künstliche Aufbau politischer Tabuzonen ist falsch und führt zu einem Meinungs-Einheitsbrei. Beispielsweise haben viele Wähler bei den letzten Landtagswahlen nicht mehr gewusst, was der Unterschied in der Flüchtlingspolitik zwischen CDU, SPD und Grünen ist. Wir brauchen deshalb mehr Mut zur politischen Auseinandersetzung! Wir brauchen eine bessere demokratische Streitkultur, die die Emotionen anspricht, ohne unsachlich zu werden.

Die CSU ist im Volk verwurzelt

Der Erfolg der CSU beruht genau darauf: auf einer deutlichen Ansprache der Themen, die die Menschen beschäftigen. Und auf einer starken Verwurzelung im Volk, sowohl bei den Meinungsmachern als auch in der Leberkäs-Etage. Die CSU hat nie Politik nur für die intellektuelle Elite gemacht. Deshalb sehe ich eine solide Basis, dass wir in Bayern auch potenzielle AfD-Wähler erfolgreich an die CSU binden können. Außerhalb Bayerns empfehle ich den anderen (Volks-)Parteien: Wandel durch Annäherung, besonders an den enttäuschten, von der Politik frustrierten Wähler!