Bundeskanzler a.D. Helmut Kohl (M.) im Dezember 2014 im Albertinum in Dresden. (Bild: imago/Max Stein)
Altkanzler

Kohl empfängt Orban

Der umstrittene ungarische Ministerpräsident Viktor Orban ist zu einem Besuch bei Altkanzler Helmut Kohl in Ludwigshafen eingetroffen. Er setzt in der Flüchtlingspolitik auf nationale Abschottung und gilt bei dem Thema als einer der heftigsten Kritiker von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Kohl und er sähen in ihrer Haltung keinen Gegensatz zur Politik der Kanzlerin, heißt es aber danach.

Nach einem Besuch bei Altkanzler Helmut Kohl hat Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban die gemeinsamen Bemühungen mit Deutschland um Lösungen in der Flüchtlingsfrage herausgestellt. Kohl und er sähen in ihrer Haltung keinen Gegensatz zur Politik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), heißt es in einer Erklärung, die Kohls Büro am Dienstag nach dem Besuch von Orban in Ludwigshafen-Oggersheim verbreitete. In der Zielsetzung sei man sich völlig einig: Es gehe darum, „unter humanitären Aspekten in einer existenziellen Frage für Millionen von Menschen den besten Weg zu finden“. Der „Bild„-Zeitung sagte Orban nach dem rund 80-minütigen, privaten Treffen mit Kohl, Ungarn mit ihm als Ministerpräsidenten sehe sich Seite an Seite mit Berlin. Kohl und Orban betonten in der Erklärung, dass Europa nur für den kleineren Teil der geflohenen Menschen übergangsweise eine Zuflucht bieten oder gar eine neue Heimat werden könne. Es müssten auch Lösungen außerhalb von Europa und in den notleidenden Regionen gesucht werden, damit den Menschen dort geholfen und ihnen eine Zukunftsperspektive gegeben werden könne, „die am besten in der eigenen Heimat liegt“. Beide hoben hervor, „dass es weder in der Sache noch für die Menschen hilfreich sei, in dieser wichtigen Frage des Umgangs mit der Flüchtlingswelle und den Schicksalen von Millionen von Menschen vor allem politische Gegensätze zu konstruieren“. Orban überreichte Kohl nach Angaben von dessen Büro ein Exemplar seines Buches „Aus Sorge um Europa“. Es erscheine mit einem aktuellen Vorwort Kohls und einer Einführung Orbans in diesen Tagen in Ungarn.

Regierung bleibt gelassen

Die CDU sah dem Besuch des ungarischen Ministerpräsidenten und Merkel-Kritikers Viktor Orban bei Altkanzler Helmut Kohl jedoch betont gelassen entgegen. „Helmut Kohl zu treffen ist immer ein besonderes Erlebnis“, sagte CDU-Generalsekretär Peter Tauber im ARD-„Morgenmagazin„. „Wenn andere in Europa erkennen, dass der Ehrenbürger Europas immer ein guter Gesprächspartner ist, dann schadet das der Sache nicht.“ Der Besuch war als privat deklariert, Presse war nicht zugelassen. „Der Altbundeskanzler ist selbstverständlich vollkommen frei in der Auswahl seiner Besucher oder der Menschen, die er trifft“, hatte schon Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin nach der Besuchsankündigung gesagt. „Wir freuen uns, wenn sein Zustand es ihm erlaubt, rege Anteil zu nehmen am politischen Leben.“ CSU-Chef Horst Seehofer verteidigte das Treffen gegen Kritik: Kohl und Orban hätten sich schon vor vielen Jahren kennengelernt. Deshalb sei es „nur selbstverständlich, dass die beiden mal wieder zusammentreffen“.

Helmut Kohl zu treffen ist immer ein besonderes Erlebnis.

Peter Tauber, CDU-Generalsekretär

Nach einem Besuch des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) bei Orban Anfang März in Budapest waren aus der CDU noch kritische Stimmen laut geworden. Diese sind jetzt eigenartigerweise verstummt.

Linke Sprechblasen

Kohls Einladung an ihn hatte dem Altkanzler Kritik der üblichen Verdächtigen eingebracht. Hinter einer Absperrung empfingen etwa 20 Demonstranten Orban mit Pfiffen und hochintellektuellen Sprechchören wie „Orban vertreiben, Flüchtlinge bleiben!“. 50 Personen waren für die „Demonstration“ angemeldet. Die linke Szene kündigte Protest so dicht wie möglich vor Kohls Haus an. SPD und Grüne hatten Kohl zudem aufgefordert, in der Flüchtlingspolitik mäßigend auf Orban einzuwirken. „Helmut Kohl ist ein überzeugter Europäer, der vielleicht positiv auf Orban einwirken kann“, sagte SPD-Generalsekretärin Katarina Barley der Deutschen Presse-Agentur. Besuche von SPD-Chef Gabriel bei Ägyptens Autokraten Al-Sisi, bei der dieser vom Vizekanzler auch noch gelobt wird, werden in der linken Szene offenbar eher toleriert.

Merkels schärfster Kritiker

Orban setzt in der Flüchtlingskrise auf nationale Abschottung und gilt bei dem Thema als schärfster Kritiker von Kanzlerin Angela Merkel in Europa. Er hatte sein Land im vergangenen Jahr mit Grenzzäunen abgeschottet, als mehr als eine Million Flüchtlinge nach Europa, hauptsächlich nach Deutschland, kamen. Ihm wird zudem von vielen europäischen Institutionen und Nachbarn auch vorgeworfen, die Pressefreiheit in seinem Land drastisch eingeschränkt zu haben.

Einsame Entscheidungen, so begründet sie dem Einzelnen erscheinen mögen, und nationale Alleingänge müssen der Vergangenheit angehören.

Helmut Kohl, in seinem Buch

Kohls Büro bestätigte einen „Bild„-Bericht, wonach der Altkanzler den ungarischen Regierungschef seit langem schätze und ihn auch gegen Kritik als „Europäer mit Herzblut“ verteidigt habe. Die Zeitung hatte zudem aus einem Beitrag Kohls für ein demnächst erscheinendes Buch zur europäischen Politik zitiert. „Einsame Entscheidungen, so begründet sie dem Einzelnen erscheinen mögen, und nationale Alleingänge müssen der Vergangenheit angehören. Sie sollten im Europa des 21. Jahrhunderts kein Mittel der Wahl mehr sein, zumal die Folgen von der europäischen Schicksalsgemeinschaft regelmäßig gemeinsam getragen werden müssen“, schreibt Kohl. Ein deutlicher Wink an Merkels Alleingänge in der Flüchtlingspolitik, die Deutschland in Europa isoliert haben.

Kohl ist gesundheitlich angeschlagen

Helmut Kohl äußerte sich anlässlich seines 86. Geburtstags am 3. April erstmals zu seinem Gesundheitszustand. Ihm falle das Sprechen und Schlucken noch schwer, sagte der CDU-Politiker. Kohl hatte sich im vergangenen Jahr erst einer Hüft-Operation und dann einem Eingriff am Darm unterziehen müssen. In der Folge kam es zu weiteren gesundheitlichen Komplikationen. Seit Oktober 2015 lebt Kohl wieder in seinem Haus in Ludwigshafen-Oggersheim und wird dort unter anderem von seiner Frau Maike Kohl-Richter (51) betreut. Beinahe täglich, vertraute Kohl „Bild“ an, trainiere er nun auf dem Ergometer. Fernsehen schaue er kaum noch, nur Nachrichten und gelegentlich Fußball. Von einem Arzt begleitet, habe der auf einen Rollstuhl angewiesene Kohl bereits wieder einige Ausflüge unternommen, so an Weihnachten zum Speyerer Dom und an den Rhein. Als seinen Geburtstagswunsch gab Kohl an: „Kraft. Und noch ein paar gute Jahre.“

(dpa/avd)