Aus Scherz wird Staatsaffäre
Offenbar ist Erdogan entschlossen, seinem Bild im Ausland treu zu bleiben. Er klagt gegen Satiriker Jan Böhmermann wegen eines Schmähgedichtes und setzt damit die Bundesregierung unter Entscheidungsdruck. Diese knickt ein: anstatt den Antrag abzulehnen, wird er derzeit geprüft. Axel-Springer-Chef Matthias Döpfner hingegen erklärte sich mit Böhmermann solidarisch. Die CSU warnt vor Extremismus.
Ankara

Aus Scherz wird Staatsaffäre

Offenbar ist Erdogan entschlossen, seinem Bild im Ausland treu zu bleiben. Er klagt gegen Satiriker Jan Böhmermann wegen eines Schmähgedichtes und setzt damit die Bundesregierung unter Entscheidungsdruck. Diese knickt ein: anstatt den Antrag abzulehnen, wird er derzeit geprüft. Axel-Springer-Chef Matthias Döpfner hingegen erklärte sich mit Böhmermann solidarisch. Die CSU warnt vor Extremismus.

Ankara verlangt eine Bestrafung des Satirikers Jan Böhmermann. Grund ist sein Schmähgedicht über Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Das Auswärtige Amt erhielt vom türkischen Botschafter eine entsprechende Verbalnote. Und die Bundesregierung lenkt offenbar ein. Sie lehnt das Ansinnen nicht ab: Mitarbeiter des Ministeriums, Kanzleramts und des Justizministeriums prüfen derzeit die Anfrage. Dies werde „ein paar Tage dauern“, sagte Regierungssprecher Seibert. Gibt die Bundesregierung der Anfrage der Türkei statt, nimmt die Staatsanwaltschaft Ermittlungen auf.

CSU warnt vor Extremismus

Die CSU hat in der Böhmermann-Affäre vor zu starkem Einfluss des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan auf die gesellschaftliche Stimmung in Deutschland gewarnt. Es sei unerträglich und sehr bedenklich, dass das „Hineinwirken“ der Türkei in diesem Zusammenhang zur Absage der nächsten Sendung und zu Polizeischutz für den Satiriker Jan Böhmermann geführt habe, sagte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer. Zwar halte er den Beitrag Böhmermanns nicht für gelungene Satire und schlechten Stil. Der Umgang Erdogans damit zeige aber grundsätzlich, dass dieser „ein gestörtes Verhältnis zu Presse- und Meinungsfreiheit hat“. Scheuer warnte, der aktuelle Fall Böhmermann „darf nicht dazu führen, dass Erdogan die Strategie zeigt, weiter in die Bevölkerung (in Deutschland) zu wirken“. Dies könne zu gesellschaftlichen Spannungen und im Extremfall zu Extremismus führen. Hintergrund ist die Forderung der Türkei nach einem Strafverfahren gegen Böhmermann wegen eines Schmähgedichts über den türkischen Staatschef.

Berlin steht vor Grundsatzentscheidung

Laut Strafgesetzbuch muss die Bundesregierung im aktuellen Fall entscheiden, ob sie weiteren Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen einer möglichen Beleidigung eines ausländischen Staatschefs zustimmt. Theoretisch drohen dem Satiriker drei Jahre Haft. Die Bundesregierung befindet sich in der Zwickmühle. Einerseits hängt Deutschlands Flüchtlingspolitik von Erdogans Bereitschaft zur Zusammenarbeit ab. Anderseits sieht sie sich mit dem Vorwurf konfrontiert, den Wert der Presse- und Kunstfreiheit nicht zu verteidigen. Dieses Urteil würde eine Genehmigung weiterer Ermittlungen durch die Regierung zweifellos hervorrufen. Regierungssprecher Seibert hingegen betonte, die Entscheidung stehe in keiner Weise im Zusammenhang mit dem Abkommen der EU mit der Türkei, in der Flüchtlingskrise enger zusammenzuarbeiten:

Die Grundwerte des Grundgesetzes sind unverhandelbar, unabhängig davon, ob Deutschland mit anderen daran arbeitet, gemeinsam eine politische Herausforderung zu bewältigen.

Das wird sich zeigen. Jetzt stellt sich zunächst die Frage, wer die Entscheidung trifft. Grundsätzlich ist das Außenamt zuständig, da es um die Türkei geht. Im Haus von Minister Frank-Walter Steinmeier aber machte man laut Spiegel Online klar, dass dieser Fall mit dem Justizressort und dem Kanzleramt abgestimmt werde. Was wohl bedeutet, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Ende entscheidet.

Merkel hoffte Wogen zu glätten

Die Kanzlerin hatte vergangene Woche den türkischen Premierminister Ahmet Davutoglu in einem Gespräch darauf hingewiesen, dass der Beitrag mit dem umstrittenen Gedicht über Erdogan bereits aus dem Netz gelöscht sei. Regierungssprecher Seibert versicherte, dass für die Bundeskanzlerin die Pressefreiheit nicht schrankenlos sei, Böhmermann habe einen „bewusst verletzenden“ Text geschrieben. CSU-Rechtspolitiker Hans-Peter Uhl verteidigte die Reaktion Merkels gegenüber der Tageszeitung Welt:

Wir sollten unsere Pressefreiheit gegenüber jedermann konsequent verteidigen. Wenn aber ein Machwerk wie dieses ausschließlich Beleidigungsabsicht hat, muss es Formen der öffentlichen Distanzierung geben.

Solidarität von Axel-Springer-Chef

Mehrere Medien rücken die Debatte in die Nähe einer Staatsaffäre. „In Deutschland brach eine Art Staatskrise aus, nur weil Sie Herrn Erdogan als ‚Ziegenficker‘ bezeichnet haben“, schrieb Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner in einem offenen Brief an Böhmermann. „Ich finde Ihr Gedicht gelungen. Ich habe laut gelacht“, bekannte der Vorstandsvorsitzende des Medienhauses in der Welt am Sonntag. „Dass Ihr Gedicht geschmacklos, primitiv und beleidigend war, war ja – wenn ich es richtig verstanden habe – der Sinn der Sache“, schrieb Döpfner, der nachdrücklich Partei für Böhmermann ergriff und dessen Gedicht als „ein Kunstwerk“ bezeichnete. Der Leitartikel des aktuellen Spiegel kommt zu einem ähnlichen Schluss: „Und natürlich war Böhmermanns Beitrag keine Schmähkritik, sondern das Spiel mit ihr.“ Der sonst eher konservative Döpfner sprach Böhmermann seine volle Solidarität zu: „Ich möchte mich, Herr Böhmermann, vorsichtshalber allen ihren Formulierungen und Schmähungen inhaltlich voll und ganz anschließen und sie mir in jeder juristischen Form zu eigen machen. Vielleicht lernen wir uns auf diese Weise vor Gericht kennen.“

„Das ist Pubertät, nicht Humor“

Anders argumentierte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. „Man kann Erdogan mit guten Gründen kritisieren, auch mit den Mitteln der Satire. Aber indem man ihn als Sodomisten bezeichnet, sagt man ausschließlich etwas über sich selbst. Man will der sein, der sich traut, sowas zu sagen. Man ist der Gute, der den Bösen beschimpft. Das ist Pubertät, nicht Humor und erst recht nicht Politik“, meinte Autorin Friederike Haupt.

Justizminister Heiko Maas (SPD) sagte in einem Tagesspiegel-Interview auf die Frage, was er von Böhmermann halte:

Er hat selbst gesagt, er habe ganz gezielt die Grenzen der Meinungsfreiheit ausloten wollen.

Maas wollte sich nicht dazu äußern, ob Böhmermann die Grenzen überschritten habe. Das stehe ihm als Justizminister nicht zu, sagte Maas auch mit Blick auf die laufenden Ermittlungen.

Böhmermann schweigt

Böhmermann hatte das Gedicht mit dem Titel „Schmähkritik“ am 31. März in seiner satirischen Fernsehshow „Neo Magazin Royale“ präsentiert – und vorher ausdrücklich darauf hingewiesen, dass so etwas in Deutschland nicht erlaubt sei. Die Staatsanwaltschaft ermittelt schon, weil es Anzeigen gegen Böhmermann und ZDF-Verantwortliche gab. Anlass für das Schmähgedicht war Erdogans Protest gegen einen Satire-Beitrag des NDR-Fernsehmagazins „extra 3“ (der Bayernkurier berichtete). Nach eigenen Worten wollte Böhmermann daraufhin an einem praktischen Beispiel erklären, was in Deutschland von der Satire-Freiheit gedeckt sei und was nicht.

Von Böhmermann selbst ist bislang nichts zu hören. Eine Einladung zur ARD-Talkshow von Anne Will zu den Diskussionen schlug er aus. Auf Radio Eins vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) ließ Böhmermann seine Satire-Sendung ausfallen. Auch der Grimme-Preisverleihung am 8. April war er ferngeblieben. Dort wurde Böhmermann für eine andere Satire („Varoufake“ um den Stinkefinger des ehemaligen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis) mit dem diesjährigen Grimme-Preis ausgezeichnet. Dass die Grimme-Preisverleihung zeitlich mit der Debatte um das Erdogan-Gedicht zusammenfiel, war Zufall. In einer Zeitschrift zur diesjährigen Grimme-Preis-Verleihung heißt es über Böhmermann: „Sein erklärtes Ziel ist es, Inhalte nicht bloß gedankenlos zu konsumieren; die Zuschauer sollen sich im Idealfall nachhaltig mit der Thematik beschäftigen.“ Am Freitagmorgen vor der Verleihung hatte er auf seiner Facebook-Seite gepostet:

Ich fühle mich erschüttert in allem, an das ich je geglaubt habe. Mein Team von der Bildundtonfabrik und ich bitten um Verständnis, dass wir heute Abend nicht in Marl feiern können.

Vom Deutschen Volkshochschul-Verband als Preisstifter erhielt der 35-Jährige zusätzlich die „Besondere Ehrung“ für seine Verdienste um die Entwicklung des Fernsehens in der digitalen Welt. „Dieses Gedicht hat sicherlich die Grenzen des guten Geschmacks verletzt und ist sicher alles andere als Grimmepreis-würdig“, stellte die DVV-Präsidentin und saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) fest. Aber das ändere nichts an Böhmermanns Qualitäten und Leistungen für eine offene, mutige und demokratisch-gelassene Medienwelt, betonte sie. „Deshalb ist diese Ehrung verdient.“

Kunstfreiheit in Deutschland wieder verhandelbar?

Böhmermann dürfte klar sein, dass er mit seiner Erdogan-Schelte zu weit gegangen ist. Aber dies festzustellen, ist nicht Sache der Politik, sondern der Justiz. Wie es zurzeit läuft, scheint es, dass Meinungs- und Kunstfreiheit in Deutschland offenbar wieder verhandelbar sind. Das zeigt die Tatsache, dass sich Regierungschefs anderer Länder in innerdeutsche Angelegenheiten einmischen können. Unabhängig davon, ob Jan Böhmermann mit seinem Gedicht ein Staatsoberhaupt persönlich beleidigt oder eben „nur“ im Rahmen einer Satire kritisiert, hat er einen entscheidenden Beitrag geleistet. Denn dass die Entscheidung der Bundesregierung in seinem Fall nicht im Vorfeld bereits eindeutig ist, macht nicht nur Angst, sondern zeichnet ein unbehagliches Bild, wie es derzeit um Grundrechte in Deutschland steht.

(dpa/AS)