Die Asyl- und Flüchtlingspolitik ist die vordringlichste und schwierigste politische Baustelle. SPD und Grüne blockieren immer wieder wichtige Einigungen, um den Zustrom zu begrenzen. (Foto: Imago/Chromorange)
Sichere Herkunftsländer

Katz-und-Maus-Spiel von Rot-Grün

SPD und Grüne blockieren wegen bevorstehender Wahlen erneut eine wichtige Einigung im Asylrecht: Die SPD nimmt die Weigerung der Grünen, im Bundesrat der Einstufung von Marokko, Algerien und Tunesien als sichere Herkunftsländer zuzustimmen, zum Anlass, das Gesetz zu blockieren. Die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat werden auch nach den Landtagswahlen am 13. März kompliziert bleiben.

Wenn es nach den sexuellen Übergriffen von Köln in der Silvesternacht einen politischen Konsens gab, dann die, dass die illegale Zuwanderung aus dem Maghreb, also den nordafrikanischen Staaten Marokko, Algerien und Tunesien, stark eingeschränkt werden muss. SPD-Chef Gabriel hatte sogar gedroht, diesen Ländern die Entwicklungshilfe zu streichen, wenn sie nicht bereit sind, ihre eigenen Staatsbürger zurückzunehmen (der Bayernkurier berichtete).

Es handelt sich bei Marokko, Algerien und Tunesien um beliebte Urlaubsdestinationen. Politische Verfolgung findet dort nach derzeitigem Wissensstand nicht statt. Die Anerkennungsquote von Asylbewerbern von dort liegt unter 1,0 Prozent. Also hat die große Koalition aus CDU, CSU und SPD einmütig beschlossen, diese Staaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären, damit die offensichtlich unbegründeten Asylanträge von deren Bürgern rasch abgelehnt werden können. Dieser zustimmungspflichtige Punkt war aus dem Asylpaket II ausgegliedert worden, das an diesem Freitag erstmals im Bundestag behandelt werden wird – damit nicht das ganze Asylpaket durch den Bundesrat muss.

SPD und Grüne bangen um linke Stammwähler

Doch kurz vor den wichtigen Landtagswahlen in im grün-roten Baden-Württemberg und im rot-grünen Rheinland-Pfalz am 13. März stellen sich die Grünen quer. Zumindest Baden-Württemberg und das schwarz-grüne Hessen müssten im Bundesrat zustimmen, um Länder als sichere Herkunftsstaaten definieren zu können. Das ist im Fall der Westbalkanstaaten bereits einmal geschehen. Doch nun fürchten die Grünen offensichtlich die Rache ihrer linksromantischen Stammklientel und treten auf die Bremse.

Und im Windschatten der Grünen wollen anscheinend auch die Sozialdemokraten nicht mehr mitmachen bei der Umsetzung des in der Koalition bereits Beschlossenen. Dem Vernehmen nach wollen sie sich jetzt erst mit den Grünen einigen – ungeachtet der Koalitionsverpflichtungen und der Absprachen mit CDU und CSU. Vielmehr wird jetzt neues politisches Druckpotenzial ausgepackt – Forderungen, die alle dringend nötigen Asylrechtsveschärfungen der letzten Wochen konterkarieren und das Tor der Zuwanderung nach Deutschland wieder weiter aufstoßen würden.

Grüne Altfallregelung würde Gauner und Verfahrensverschlepper belohnen

Im Einzelnen fordern SPD und Grüne jetzt eine großzügige Altfallregelung. Die würde bedeuten, dass alle unberechtigten Asylbewerber, die ihre Ablehnung und Abschiebung dadurch umgangen haben, dass sie beispielsweise ihre Papiere vernichtet haben, oder auch alle Tricks – rechtsstaatliche und auch weniger rechtsstaatliche – eingesetzt haben, um ihr Verfahren zu verschleppen, nachträglich ein Bleiberecht erhalten würden. Das würde ein fatales Zeichen setzen und genau die Falschen belohnen.

Außerdem fordern SPD und Grüne eine generelle Beschwerdestelle für abgelehnte Asylbewerber. Man kann sich vorstellen, was dort los wäre. Außerdem würde auch eine solche Beschwerdestelle die Verfahren wiederum verlängern und viele überfällige Abschiebungen weiter verzögern. Namentlich Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte diese beiden Punkte, eine liberale Altfallregelung sowie eine Beschwerdestelle für abgelehnte Asylentscheidungen, als Voraussetzung für seine Zustimmung im Bundesrat gefordert.

Grüner Kuhhandel? Nicht mit der CSU

Doch mit der CSU ist so ein sinnloser und kontraproduktiver Kuhhandel nicht zu machen. Das machte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Stephan Mayer (CSU), klar. Gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, dem 30 Tageszeitungen angehören, sagte Mayer: „Das eine hat mit dem anderen gar nichts zu tun.“ Die CSU werde die Zugeständnisse nicht akzeptieren, nur damit das von den Grünen regierte Baden-Württemberg im Bundesrat zustimme.

Ausgerechnet der CSU Verzögerungen bei der Einstufung weiterer sicherer Herkunftsländer vorzuwerfen, ist schon ein starkes Stück.

Gerda Hasselfeldt, CSU-Landesgruppenchefin

Um ihre erneute Kehrtwende und Orientierungslosigkeit zu vertuschen, verbreitet die SPD aber gleichzeitig das Märchen, die klare Haltung der CSU verhindere eine Einigung. Deutliche Worte findet hier CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt: „Ausgerechnet der CSU Verzögerungen bei der Einstufung weiterer sicherer Herkunftsländer vorzuwerfen, ist schon ein starkes Stück“, sagte sie zum Bayernkurier.

SPD nimmt Rücksicht auf Malu Dreyer und deren grüne Freunde

„Wir hätten das Thema gerne diese Woche auf der Agenda gehabt. Leider steht die SPD hier auf der Bremse, nur um vor den Landtagswahlen unangenehmen Diskussionen in Rheinland-Pfalz aus dem Wege zu gehen“, kritisierte Hasselfeldt.

SPD und Grüne müssen jetzt Flagge zeigen und beweisen, dass sie es ernst meinen, die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren.

Gerda Hasselfeldt, CSU-Landesgruppenchefin

Die CSU-Landesgruppenchefin appelliert eindringlich an SPD und Grüne, nicht aus Gründen der Wahltaktik wichtige Einigungen zu blockieren. „SPD und Grüne müssen jetzt Flagge zeigen und beweisen, dass sie es ernst meinen, die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren. Die Einstufung sicherer Herkunftsländer wirkt. Das zeigt auch der starke Rückgang der Wirtschaftsflüchtlinge vom Westbalkan“, so Hasselfeldt.

Wir hätten das Gesetz gern diese Woche eingebracht. Aber die SPD möchte das nicht.

Michael Grosse-Brömer, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion

Dass tatsächlich der erneute Kurswechsel der orientierungslosen SPD die Ursache für die weitere Verzögerung eines raschen Herkunftsstaaten-Kompromisses ist – und nicht etwa die klare Haltung der CSU –, bestätigte auch der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer (CDU). Er wolle mit dem „Märchen aufräumen, die CSU hätte das verhindert“, so Grosse-Brömer. Der CDU-Politiker spekulierte, die SPD wolle jetzt Rücksicht auf ihre Ministerpräsidentin Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz nehmen, die mit den Grünen regiert.

Grosse-Brömer unterstrich, die CDU/CSU-Fraktion hätte gern den entsprechenden Gesetzentwurf in dieser Woche eingebracht – aber: „Die SPD möchte das nicht“. Weiter erklärte er, über die Forderungen der Grünen könne man reden. Und zwar dann, wenn das Gesetz eingebracht sei. Er verwies darauf, dass Asylbewerber aus den genannten Ländern nur eine Anerkennungsquote von einem Prozent hätten.

Kretschmann zittert um seine Wahlchancen

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann hatte zuvor auf ein großzügigeres Bleiberecht für seit langem geduldete Ausländer. „Leute zurückzuschicken, die hier schon Wurzeln geschlagen haben, ist unvernünftig – so sieht das auch die Wirtschaft“, sagte der Grünen-Politiker dem Sender n-tv. Darum sei es an der Zeit, die Situation von lange geduldeten Menschen in Deutschland mit einer Altfallregelung zu verbessern. Nur würde das, wie geschildert, auch die Falschen belohnen.

Anfang Februar hatte Grünen-Parteichef Cem Özdemir ähnliche Forderungen erhoben und dies zur Bedingung für einen weiteren Asylkompromiss im Bundesrat gemacht. Dabei geht es um die von der Bundesregierung angestrebte Einstufung von Marokko, Algerien und Tunesien als sichere Herkunftsländer. Özdemir wies in der „Rheinischen Post“ darauf hin, dass Geduldete schlecht an Integrationsleistungen herankämen und für sie nur eine sehr beschränkte Arbeitserlaubnis gelte.

Auch Geduldete müssten eigentlich ausreisen

Die Duldung ist eigentlich nur eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung von Ausländern, die zur Ausreise verpflichtet sind. Derzeit leben etwa 193.000 Menschen in Deutschland, die eigentlich ausreisen müssten. Der Großteil davon – fast 142.000 – sind Geduldete. Sie können oft nicht abgeschoben werden, weil sie angeblich krank sind oder ihre Papiere vernichtet haben.

In der Silvesternacht hatten Gruppen von Männern in Köln und anderen Städten Frauen bestohlen und sexuell bedrängt. Die Männer wurden zumeist als Nordafrikaner und andere Araber identifiziert.

Das grün-rot regierte Baden-Württemberg hatte 2014 eine Änderung des Asylrechts mit der Ausweitung der sicheren Herkunftsländer auf Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina ermöglicht. Kretschmanns Zustimmung stieß damals bei vielen linken grünen Stammwählern auf massiven Widerspruch – dies will sich Kretschmann jetzt, kurz vor der Wahl, offenbar nicht erneut antun.

Überaus komplizierte Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat

Die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat sind derzeit überaus kompliziert. Die Begriffe A- (SPD-Ministerpräsident) und B-Länder (Unions-Ministerpräsident) sind in Zeiten der großen Koalition nicht entscheidend. Vielmehr muss man von einem schwarzen, schwarz-roten und rot-schwarzen „Koalitionsblock“ sprechen, dem eine Art „neutraler Block“ (oder eher linker Block) der rot-grünen, grün-roten, rot-roten und rot-rot-grünen Länder gegenübersteht. Einen reinen „Oppositionsblock“ wie in früheren Zeiten gibt es nicht, denn in allen Ländern außer Bayern (CSU-Alleinregierung) regiert mindestens entweder die SPD oder die CDU mit.

Im Moment sieht es so aus: Die absolute Mehrheit liegt bei 35 Stimmen der 69 Stimmen. Der schwarz-rote „Koalitionsblock“ hat zusammen nur 24 Stimmen. Die Länder, in denen rot-grüne, grün-rote, rot-rote oder rot-rot-grüne Regierungen herrschen („neutraler Block“), haben derzeit gemeinsam 45 Stimmen.

Rot-Rot in Thüringen bringt Koalition in Bedrängnis

2014, als Baden-Württemberg mit der Regierung stimmte, hatte im Bundesrat noch die Zustimmung eines grün mitregierten Landes genügt. Allerdings wechselte in der Zwischenzeit die Thüringer SPD zu einer Koalition mit der Linkspartei. Beim letzten Asylkompromiss mit der Ausweisung weiterer sicherer Herkunftsländer stimmten das grün-rote Baden-Württemberg (6 Stimmen) und das schwarz-grüne Hessen (5) mit der schwarz-roten Koalition. Das ergab genau 35 Stimmen und damit die derzeit denkbar knappste absolute Mehrheit.

Wenn nun theoretisch (!) am 13. März die Landtagswahlen in Baden-Württemberg (6 Stimmen) und Rheinland-Pfalz (4) komplett gegen die Grünen liefen und sich überall schwarz-rote Koalitionen ergäben – eventuell sogar irgendwo Schwarz-Gelb, falls die FDP noch stark auf Kosten der Grünen zulegen könnte –, verlöre der „neutrale Block“ zehn Stimmen, der „Koalitionsblock“ gewänne zehn. Das ergäbe dann 34 Stimmen für CDU, CSU und SPD: Das ist immer noch keine absolute Mehrheit. Zumindest ein grün mitregiertes Land müsste immer noch mit der Koalition stimmen – aller Augen richteten sich dann wohl auf das schwarz-grüne Hessen mit seinen fünf Stimmen.

Der Bundesrat hat seine komplizierten Mehrheitsverhältnisse hier dargestellt.

dpa/ www.bundesrat.de/wog