Mazedonien wird das neue Bollwerk der EU - obwohl es kein EU-Mitglied ist. Bild: Imago/Pixsell/HaloPix
Flüchtlingsansturm

Das Bollwerk Mazedonien

Mazedonien schließt tageweise seine Grenze, ebenso wie andere Balkanstaaten. Auch Österreich hatte eine Obergrenze und massive Grenzkontrollen angekündigt. Problem: Alle diese Länder lassen die Flüchtlinge durch, die "Deutschland" als Ziel ausrufen. Die europäische Solidarität, auf die Kanzlerin Angela Merkel all ihre Hoffnungen setzt, gibt es nicht, das wird auch hier wieder deutlich.

Mazedonien hatte seinen Grenzübergang zu Griechenland für Flüchtlinge und Migranten wieder geöffnet, nachdem es diesem zum wiederholten Mal geschlossen hatte. Ein Polizeioffizier aus der griechischen Grenzstadt Idomeni bestätigte die Wiederöffnung am Donnerstagmorgen der Deutschen Presse-Agentur. Der nördliche Nachbarstaat Griechenlands hatte diesen für die Flüchtlinge wichtigen Grenzübergang am Vortag vorübergehend geschlossen. Es gebe weiter nördlich nahe der mazedonisch-serbischen Grenze einen „Stau“, hatten die mazedonischen Behörden der griechischen Polizei als Grund genannt. Auf der griechischen Seite des Eisenbahnübergangs von Idomeni befanden sich nach Augenzeugenberichten rund 1000 Menschen. Diese verbrachten die Nacht in Zelten und provisorischen Unterkünften. Gut 800 Flüchtlinge mussten demnach die Nacht in Bussen und in einer Tankstelle rund 20 Kilometer südlich ausharren. „Jetzt gehen sie wieder in kleineren Gruppen rüber“, sagte ein griechischer Grenzpolizist. Beamte in Slowenien und Mazedonien berichteten, seit Verkündung der österreichischen Obergrenze sei die Zahl von Flüchtlingen an den Grenzübergängen spürbar gewachsen. Ungarns Grenzzaun und die Haft bei illegalem Übertritt schrecken offenbar fast alle Flüchtlinge ab.

Wer Deutschland ruft, darf weiterreisen

Grund des „Staus“ ist, dass Mazedonien derzeit nur Menschen passieren lässt, die in Österreich oder Deutschland Asyl beantragen wollen. Zudem wird die Weiterreise nur Schutzsuchenden aus dem Irak, Syrien und Afghanistan erlaubt. Bürger anderer Staaten würden von den mazedonischen Behörden als Wirtschaftsflüchtlinge eingestuft und zurück nach Griechenland geschickt, sagten Vertreter von Hilfsorganisationen im griechischen Rundfunk. Einige Menschen versuchten demnach, an unüberwachten Stellen die Grenze zu überqueren, um ihren Weg auf der sogenannten Balkanroute fortzusetzen. Was in all den Flüchtlingsmeldungen ein wenig untergegangen ist: Auch Österreich wird nur die „Deutschland“-Rufer durchwinken! Am 21. Januar hatte zudem nach Serbien, Kroatien und Mazedonien auch Slowenien beschlossen, nur noch Asylbewerber mit Ziel Deutschland und Österreich durchzulassen. Auch Deutschland verfährt im Übrigen so: Seitdem skandinavische Länder einen Pass verlangen, weist die Bundespolizei an der deutsch-österreichischen Grenze deutlich mehr Flüchtlinge zurück. Wer nicht in Deutschland um Schutz sucht, wird abgewiesen. Grundlage dafür ist der Schengener Grenzkodex. Wer sagt, er wolle weiter nach Dänemark oder Schweden fahren, darf mittlerweile nicht mehr in die Bundesrepublik einreisen.

Was wir derzeit erleben, hat ja nur wenig mit Schutzsuche zu tun, sondern mit der Suche nach dem wirtschaftlich attraktivsten Land. Das kann so nicht weitergehen.

Johanna Mikl-Leitner, Österreichs  Innenministerin

Kurz nach der Entscheidung Wiens verkündete Slowenien per Verordnung, dass nur noch die Flüchtlinge durchgelassen werden, die als Zielland „Deutschland“ oder „Österreich“ angeben; auch eine Obergrenze sollte eingeführt werden. Sloweniens Innenministerin Vesna Györkös Znidar tat so, als sei dies eine Reaktion auf Österreichs Schritt. Dabei war das Balkanland seit Beginn der Flüchtlingswelle immer nur Durchgangsstation gewesen und hatte alles dafür getan, die Flüchtlinge möglichst schnell nach Norden zu transportieren.

Sollte in Österreich die Obergrenze überschritten werden, will die Alpenrepublik laut Innenministerin Johanna Mikl-Leitner hart bleiben. In diesem Fall sollen die Flüchtlinge entweder zurückgewiesen oder ihre Anträge nicht mehr bearbeitet werden. „Entweder machen wir es wie Schweden, das heißt, wir nehmen über der Obergrenze zwar noch Anträge an, bearbeiten sie aber auf Jahre nicht mehr. Und die zweite Möglichkeit wird jetzt wie vereinbart geprüft: nämlich, ob wir über einer Obergrenze überhaupt noch Anträge annehmen müssen oder direkt an der Grenze in die sicheren Nachbarstaaten zurückweisen können“, so Mikl-Leitner. Österreichs Innenministerin beklagte zugleich eine „Asyloptimierung“, der man entgegentreten müsse. „Wir müssen zum Kern des Asylrechts zurückkommen. Was wir derzeit erleben, hat ja nur wenig mit Schutzsuche zu tun, sondern mit der Suche nach dem wirtschaftlich attraktivsten Land. Das kann so nicht weitergehen.“ So seien beispielsweise Slowenien und Kroatien sichere Staaten. „Dennoch werden dort kaum Asylanträge gestellt. Man zieht weiter nach Österreich, Deutschland oder Schweden“, so die konservative Politikerin der Österreichischen Volkspartei (ÖVP). Dafür habe niemand Verständnis. „Das ist keine Schutzsuche mehr, sondern Asyloptimierung. Da müssen wir streng und vernünftig dagegenhalten.“

Leidtragender all dieser Entschlüsse ist ganz allein Deutschland.

Nachdem auch Frankreich nach den Pariser Anschlägen seine Grenzen geschlossen hat und gemäß EU-Quote nur 30.000 Flüchtlinge in zwei Jahren aufnehmen will und auch das zweite große Aufnahmeland Schweden seine Grenzen dicht gemacht hat, ist eines völlig klar: Leidtragender all dieser Entschlüsse ist ganz allein Deutschland. Denn diese Politik wird sich bei den Asylsuchenden schnell herumsprechen: Alle Flüchtlinge, die jetzt kommen, werden in wenigen Tagen als Ziel nur noch „Deutschland“ ausgeben. Diese Vermutung ist übrigens auch aus Wiener Regierungskreisen zu hören. Dies wird zwar nicht zu einem unerwartet großen Anstieg führen, weil ohnehin fast alle zu uns kommen wollen, aber auch ein geringer Anstieg wird die Belastung für Kommunen und Behörden weiter ansteigen lassen.

Die Hoffnung, die Grenze zu Griechenland in Bulgarien und Mazedonien schließen zu können, ist nicht nur wegen der politischen Auswirkungen nicht sicher durchzuführen, zumal dann auch Albanien seine Grenze zu Griechenland schließen müsste (siehe Karte). Der Druck im deutschen Kessel wird folglich größer und nicht geringer, wie viele angesichts der ausschließlich wegen des Winterwetters gesunkenen Flüchtlingszahlen und der österreichischen Obergrenze voreilig verkündeten oder hofften. Und Europa wird nicht helfen, das sollte Bundeskanzlerin Merkel allmählich mal begreifen. „Wir müssen Deutschland helfen“, sagte Frankreichs Premierminister Manuel Valls scheinbar hilfsbereit. Aber dann folgte die Ohrfeige: Die europaweite Verteilung der Flüchtlinge mittels Quote sei allerdings nicht die Lösung, sondern ein Signal dafür, „dass wir nicht alle Flüchtlinge in Europa willkommen heißen können“. Die Verteilung der Flüchtlinge stieß zudem von Anfang an auf erbitterten Widerstand der Osteuropäer. Und der Italiener Matteo Renzi glaubt, Merkel für seine Unterstützung eine Lockerung des Stabilitätspakts abpressen zu können. Er weiß obendrein, dass nur wenige Flüchtlinge in Italien bleiben werden. Großbritannien will ebenso wie Frankreich aus der Erfahrung seiner Ghettos heraus keine weiteren Muslime aufnehmen, spricht aber offiziell ganz allgemein davon, keine weiteren Flüchtlinge aufzunehmen.

Mazedonien als Festung?

Die Zeitung „Die Welt“ mutmaßte deshalb, dass der kleine Balkanstaat Mazedonien zur Festung ausgebaut werden soll, weil Griechenland beim Schutz der EU-Außengrenze versagt. Angeblich würden bereits Polizeibeamte aus EU-Staaten hier beim Grenzschutz helfen, Überwachungsgerät und Fachwissen stellen sowie die mazedonischen Kollegen beim Aufbau eines durchgehenden Stacheldrahtzauns an der Grenze zu Griechenland unterstützen. Die erste zweitägige Grenzschließung vor wenigen Tagen könnte laut Welt eine „Generalprobe“ gewesen sein. Als Gegenleistung für den Grenzschutz erhoffe sich das Land EU-Hilfen und möglicherweise auch „Fortschritte bei den Verhandlungen über eine Vollmitgliedschaft in der Union, die derzeit von Griechenland wegen des sogenannten Namensdisputs blockiert werden“. Die griechische Regierung akzeptiert die Staatsbezeichnung Mazedonien für das Nachbarland nicht, weil sie Gebietsansprüche auf die griechische Region Makedonien befürchtet – eine eher abstrus anmutende Begründung, die sich durch entsprechende Vereinbarungen leicht ausschließen ließe. „Mazedonien macht den Job, den eigentlich Griechenland machen sollte“, kritisierte der CDU-Politiker Elmar Brok, Vorsitzender im Auswärtigen Ausschuss des Europaparlaments. „Dies ist nicht akzeptabel, und Griechenland könnte bald innerhalb des Schengenraums isoliert werden, wenn es so weitermacht.“

Griechenland versucht immer noch so schnell wie möglich, die aus der Türkei kommenden Migranten nach Mazedonien zu schicken.

Zitat aus Behördenkreisen in Mazedonien

„Wir müssen eine zweite Linie der Verteidigung schaffen, um Europa zu schützen und die Grenzen von Mazedonien und Bulgarien mit Griechenland zu schützen“, sagte der rechtskonservative ungarische Premierminister Viktor Orbán kürzlich in Brüssel. Die „Welt am Sonntag“ zitierte aus einem Brief des slowenischen Ministerpräsidenten Miro Cerar an Bundeskanzlerin Angela Merkel, in dem dieser Hilfen aller EU-Staaten zur Sicherung der mazedonischen Grenze fordert. Aber Griechenland versuche „immer noch so schnell wie möglich, die aus der Türkei kommenden Migranten nach Mazedonien zu schicken“. Nun soll offenbar auch eine Mission der EU-Grenzschutzagentur Frontex in Mazedonien starten.

Der Druck auf Griechenland wächst

In Athen fragt man sich dagegen, ob Griechenland zum Auffanglager Europas für Migranten werden soll. Angesichts des Flüchtlingsandrangs nach Europa wuchs zuletzt der Druck auf Griechenland, seine Seegrenze besser zu sichern. Die Regierung in Athen müsse ihre „Hausaufgaben“ machen, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) bei einem Treffen mit seinen EU-Kollegen in Amsterdam. Schon in den nächsten Wochen müssten die Einreisen dauerhaft und spürbar sinken, verlangte er. „Die Zeit läuft uns davon.“ Griechenland ist für die meisten Flüchtlinge das Tor nach Europa. Hunderttausende sind in den vergangenen Monaten von der Türkei aus nach Griechenland übergesetzt und auf der sogenannten Balkan-Route weitergereist, vor allem nach Deutschland.

Wenn wir die Flüchtlinge stoppen wollten, müssten wir Krieg gegen sie führen.

Nikos Kotzias, griechischer Außenminister

In Kreisen des griechischen Außenministeriums hieß es, das mit den „Hausaufgaben machen“ sei leicht gesagt angesichts der großen Zahl an Schutzsuchenden, die in dem Land ankämen. Der griechische Migrationsminister Ioannis Mouzalas wies diese Kritik zurück. Die Seegrenze zur Türkei könne nicht abgedichtet werden. „Nach internationalem Recht, nach dem Seerecht, nach der Genfer Konvention, nach europäischem Recht und nach griechischem Recht ist die einzige Handlungsoption, (die Leute) zu retten“, so Mouzalas. Deshalb statteten Schleuser Flüchtlinge vor Reiseantritt mit Werkzeugen aus, um ihre Boote zu versenken, sobald die griechische Küstenwache oder die Marine in Sichtweite sei. Bei Schlauchbooten reichten ein paar Stiche mit dem Messer, und auch alte Holzkutter ließen sich problemlos leckschlagen. Der stellvertretende griechische Außenminister Nikos Xydakis hatte erklärt, das Land kontrolliere seine Grenzen. Es werde aber nicht „Flüchtlingsboote versenken und Kinder und Frauen ertränken“. Die Küstenwache habe in den vergangenen Monaten 104 000 Menschen aus den Fluten gerettet. Wer das Vorgehen in der Ägäis ändern wolle, der riskiere weitere Opfer. „Wenn wir die Flüchtlinge stoppen wollten, müssten wir Krieg gegen sie führen. Wir müssten sie bombardieren, ihre Boote versenken und die Menschen ertrinken lassen“, erklärte der griechischen Außenminister Nikos Kotzias in der „taz„. „Wer fordert, die Seegrenzen zu schützen, weiß nicht, von was er redet“, sagte auch ein Offizier der griechischen Küstenwache, der täglich verzweifelte Menschen aus den eisigen Fluten der Ägäis rettet, der Deutschen Presse-Agentur. „Die Flüchtlinge werden kommen, ob die Rechtspopulisten es wollen oder nicht. Sie werden auch neue Grenzen überwinden.“ Die Schleuser suchten schon längst nach anderen Wegen, etwa über Albanien oder die Adria und das Ionische Meer nach Italien. Für die griechische Regierung steht fest, dass die von der Türkei zugesagte Kontrolle der Flüchtlinge bislang nicht funktioniert. Aus Athener Regierungskreisen heißt es, die Türkei habe sogar die Visumspflicht für Bürger jener Staaten aufgehoben, aus denen Migranten kämen, die ihre Heimat aus wirtschaftlichen Gründen verließen. So kämen inzwischen zunehmend Marokkaner und Algerier an den griechischen Inseln an. In Athen wird vermutet, dass Ankara die Trumpfkarte „Kontrolle des Flüchtlingszustroms“ weiterhin ausspielen will, um eigene Interessen in den Beziehungen zur EU durchzusetzen.

Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner erklärte es dagegen zu einem „Mythos“, dass die Grenze nicht zu sichern sei. Sie drohte, die Schengen-Außengrenze von Griechenland weg „Richtung Mitteleuropa“ zu bewegen.