Tor zur Hölle: Der Haupteingang zum KZ Auschwitz-Birkenau. Bild: Fotolia/gekaskr
Neuer Antisemitismus

Wieder bedroht: Europas Juden

Am 27. Januar 1945 wurde das Vernichtungslager Auschwitz von der vorrückenden Roten Armee befreit. 70 Jahre später sind Europas jüdische Gemeinden wieder in Gefahr: Mit Millionen Zuwanderern aus dem Mittleren Osten und Afrika zieht neuer gewalttätiger Judenhass in Europa ein.

„Für Juden in Frankreich gibt es keine Zukunft.“ Auf die lakonische Formel brachte es im vergangenen September ein Rabbi im Marais, jenem malerischen vierten Pariser Arrondissement, das seit dem 13. Jahrhundert Zentrum jüdischen Lebens in Paris ist. Nach dem mörderischen Dschihad-Überfall auf einen jüdischen Supermarkt in Paris erinnerte sich jetzt ein Journalist der mit dem US-Magazin Newsweek verbundenen Internetzeitung The Daily Beast an seinen spätsommerlichen Spaziergang durchs Marais und die Begegnung mit jenem Rabbi.

Frankreichs Juden haben Angst. Nicht erst seit den jüngsten Terroranschlägen, bei dem ein radikal-islamischer Mörder vier jüdische Kunden beim Einkauf zum Sabbat erschoss, einfach nur weil sie Juden waren. Seit gut 15 Jahren erleben die Juden in Frankreich wachsenden Antisemitismus und immer häufiger den Ausbruch regelrecht mörderischer antisemitischer Gewalt. Und fast immer geht sie von Angehörigen der muslimischen Zuwanderungsbevölkerung aus: Im vergangenen Dezember wurde im Pariser Stadtteil Bercy ein junges jüdisches Paar in seiner Wohnung ausgeraubt – weil Juden Geld haben – und das junge Mädchen brutalst vergewaltigt. Im Juli, während des kurzen Gaza-Konfliktes, wäre es in Paris ums Haar zu antijüdischen Pogromen gekommen: Unter „Tod den Juden“-Gebrüll wollten mohammedanische Mobs Synagogen stürmen. Ein jüdisches Geschäft und eine jüdisch geführte Apotheke gingen in Flammen auf. Frankreich stand unter Schock. Noch schlimmer ist die Erinnerung an den 23-jährigen jüdischen Telefonverkäufer Ilan Halimi: 2006 wurde Halimi von einer 27-köpfigen Bande afrikanisch-stämmiger Muslime, die Geld erpressen wollten, entführt, eine Woche lang gefoltert und dann ermordet.

Manuel Valls: „Neuer Judenhass von Zuwanderern“

„Es gibt in Frankreich einen neuen Judenhass“, gab Frankreichs Premierminister Manuel Valls noch vor den jüngsten Dschihad-Angriffen in Paris im Interview mit dem US-Linksmagazin The Atlantic zu. Valls: „Dieser neue Judenhass kommt aus den Problem-Vierteln von Zuwanderern aus dem Mittleren Osten und aus Nordafrika. Israel und Palästina sind nur ein Vorwand. Da passiert gerade etwas viel tiefer gehendes.“

Und es wird immer schlimmer. Die Zahl der antisemitischen Angriffe wächst von Jahr zu Jahr. Juden können sich nicht mehr trauen, mit Kippa nach draußen zu gehen, „vor allem nicht in die Métro“, berichtete kürzlich der Präsident des Repräsentativrats der jüdischen Institutionen in Frankreich (Crif), Roger Cukierman: „Wir leben wie Ausgestoßene.“ Über dem ganzen Land lastet die Angst vor mindestens 1000 französischen Dschihadisten, die irgendwann aus Syrien oder dem Irak zurückkommen werden, und die es, so der stellvertretende Crif-Präsident Yonathan Arfi, „vor allem auf die Juden abgesehen haben“. In Brüssel (2014) und Toulouse (2012) ist genau das schon passiert mit insgesamt sieben jüdischen Toten.

Immer mehr französische Juden ziehen die Konsequenzen, fliehen aus dem Land. 7000 französische Juden sind 2014 nach Israel ausgewandert, mehr als doppelt so viele wie 2013. Die meisten Israel-Einwanderer kommen inzwischen aus Frankreich. Verzweifelt versucht die Regierung in Paris, die Juden zu beruhigen: 4700 Soldaten schützen jetzt alle Synagogen und alle jüdischen Schulen in Frankreich. Was da passiert betrifft ganz Frankreich, sieht Premierminister Valls: „Wenn 100000 Juden gehen, dann ist Frankreich nicht mehr Frankreich. Dann wird man die Französische Republik als gescheitert betrachten.“

Mit noch 500000 Personen ist die jüdische Gemeinde in Frankreich die größte in Europa. Wenn es dort keine Zukunft für die Juden gibt, „dann heißt das, dass es in ganz Europa keine Zukunft für die Juden gibt“, überlegt wieder die US-Internetzeitung The Daily Beast. Die Befürchtung ist nicht aus der Luft gegriffen. Denn was sich in Frankreich abspielt, wiederholt sich in vielen westeuropäischen Ländern. Wie in Frankreich ist 2014 in ganz Westeuropa die Zahl der Israel-Auswanderer stark gewachsen: um 88 Prozent. Denn wie in Frankreich zieht auch in anderen westeuropäischen Ländern mit immer mehr muslimischen Zuwanderern auch deren gewalttätiger islamischer Judenhass ein.

Auch in den Straßen Großbritanniens und Deutschlands führte der Gaza-Konflikt vom vergangenen Juli zu Hassausbrüchen und Gewaltdrohungen gegen Juden. Sichtbar wurde bei den unverhohlenen Pro-Hamas-Demonstrationen auch, dass der antisemitische Hass keineswegs nur von wenigen Islamisten ausgeht, sondern von aufgehetzten städtischen Massen.

Frits Bolkestein: „Ich sehe in den Niederlanden keine Zukunft für Juden“

Über die Hälfte der etwa 270000 britischen Juden fürchteten, dass auch im Vereinigten Königreich Juden keine Zukunft mehr hätten, berichtet jetzt die Londoner Tageszeitung The In­dependent. Der gleichen Umfrage zufolge fühlen sich 45 Prozent der britischen Juden von islamistischem Extremismus bedroht. Auch in Großbritannien müssen jüdische Andachtsstätten und Schulen Tag und Nacht streng bewacht werden, so der jüdische Geschichtsprofessor Geoffrey Alderman in der Wochenzeitung The Spectator: „Wenn wir Juden es wagen, die Kippa zu tragen, riskieren wir physische ­Gewalt.“

Ähnlich geht es den Juden in den Niederlanden. Schon 2010 riet etwa der ehemalige niederländische Minister und EU-Kommissar Frits Bolkestein den niederländischen Juden resigniert zur Auswanderung: „Ich sehe keine Zukunft für erkennbare Juden, insbesondere wegen des Antisemitismus, speziell den marokkanisch-stämmiger Niederländer, deren Anzahl weiter steigt.“ Die Anzahl der antisemitischen Zwischenfälle habe sich verdoppelt, berichtete im Januar des gleichen Jahres die Rotterdamer Abendzeitung NRC Handelsblad: „Die jüdische Gemeinde fühlt sich wie unter Belagerung.“ In Amsterdam trauten sich Juden kaum noch mit Kippa auf die Straße und hielten Gottesdienste zum Teil nicht mehr in der Synagoge ab, sondern zuhause, „um Angriffen arabisch-stämmiger und türkischstämmiger Jugendlicher zu entgehen“, schrieb Ende 2010 die Berliner Tageszeitung Die Welt.

Grassierender Antisemitismus in Malmö

Schon im Jahr 2004 hat, wiederum in der Welt, der niederländische jüdische Schriftsteller Leon de Winter beschrieben, was in Holland passiert ist: „Die Immigration von Muslimen brachte nordafrikanische und arabisch-islamische Phänomene zu uns, also auch den tiefen alten islamischen Hass auf die falschen Religionen von Juden und Christen, den Wunsch, Israel zu zerstören, und den Abscheu gegen den Westen im allgemeinen.“ Die Rhetorik des Nahen Ostens sei „zu einem festen Bestandteil der Pöbeleien auf niederländischen Straßen geworden“, so de Winter in der Wochenzeitung Die Zeit.

Auch für etwa 20000 Juden in Schweden wird es gefährlich. „Auf der Flucht vor Pogromen in Russland hatten Juden einst in Schweden eine sichere Heimstatt gefunden. Nun könnte es damit vorbei sein. Unter dem Druck der muslimischen Einwanderung sehen sie sich einem zunehmend gewaltsamen Antisemitismus ausgesetzt“, leitete im Oktober 2012 die liberale Neue Zürcher Zeitung einen Artikel über „grassierenden Antisemitismus in Malmö“ ein. Von 300000 Einwohnern sind dort 600 Juden und 70000 Muslime. Wer sich in Malmö als Jude zu erkennen gebe, lebe gefährlich, warnte die Jerusalem Post. Das Simon Wiesenthal Center riet 2009 Juden von Reisen in die schwedische Hafenstadt ab.

Im Nachbarland Norwegen ist die Lage nicht besser, schrieb 2010 die NZZ unter der Überschrift „Nahost im Hohen Norden“. Etwa 1300 Juden leben dort mit inzwischen 150000 zugewanderten Muslimen. Auch hier fielen muslimische Jugendliche mit offenem Judenhass auf, so die NZZ. Fernsehsendungen aus dem Nahen Osten hätten einen üblen Einfluss.

Besonders bedrückend ist es, wenn muslimische Zuwanderer Judenhass in ein Land tragen, wo es Antisemitismus früher kaum gab. Etwa nach Dänemark, wo zwischen 7000 und 8000 Juden leben. Im November 2012 hielt es Israels Botschafter Arthur Avnon für notwendig, jüdischen Kopenhagen-Touristen Vorsichtsmaßnahmen zu empfehlen: Sie sollten nicht hebräisch sprechen, jeden David-Stern-Schmuck verdecken und die Kippa lieber in der Tasche verschwinden lassen. Der dänisch-jüdische Journalist Martin Krasnik machte daraufhin im Kopenhagener Zuwanderer-Viertel Nørrebro den Test und wagte einen zweieinhalb Kilometer langen Spaziergang durch seine Heimatstadt – mit Kippa. Er entging nur knapp physischer Gewalt, berichtete er dem jüdischen New Yorker Online-Magazin Tablet. Krasnik: „Wir müssen den Tatsachen ins Gesicht sehen. Antisemitismus ist ein Importprodukt des Nahostkonfliktes nach Kopenhagen.“ Seine Schlussfolgerung: „Multikulturalismus als Ideologie funktioniert einfach nicht.“

Leon de Winter: „Die jüdische Präsenz in Europa wird enden“

Wie wird es weiter gehen mit den Juden in Europa? Leon de Winter ist ein Pessimist, was man dem Sohn orthodoxer Juden, die den Holocaust in Verstecken überlebten und dessen Verwandtschaft fast komplett in Konzentrationslagern ermordet wurde, schwerlich verdenken kann. In einem Interview sprach er 2010 folgende Warnung aus: „Was in den Niederlanden und in Europa geschieht, ist der Auftakt schrecklicher zukünftiger Ereignisse. … Die jüdische Präsenz in Europa wird enden. … In diesem Sinne waren die Nazis erfolgreich. … Anstelle ruheloser, schwieriger, kreativer, lustiger und gescheiter Juden hat Europa Muslime importiert, die gewöhnlich schlecht ausgebildet und oft frustriert, aggressiv und destruktiv sind.“

An den Europäern wird es liegen, ob de Winters düstere Prophezeiung wahr wird. Sie müssen sich überlegen, welchen Preis sie für ihr Ideal von der ganz weit offenen Einwanderungs- und Multikulti-Gesellschaft zu zahlen bereit sind. Aber sie sollten dabei an Manuel Valls denken. Denn was der Premier für die Französische Republik konstatiert, gilt genauso für Europa: Wenn die Juden gehen, dann ist Europa nicht mehr Europa. Dann muss man Europa als gescheitert betrachten.