Verfassungskonflikt in Polen
Die neue rechtskonservative Regierung will fünf neue Verfassungsrichter vom Parlament wieder abwählen lassen. Die bürgerliche Vorgänger-Regierung ist nicht unschuldig: In ihren letzten Amtstagen hat sie die neuen Richter schnell noch bestimmt. In der Frage der europaweiten Umverteilung von Migranten bleibt Warschau hart und will keine Belastung durch hausgemachte Probleme anderer Länder.
Neue Regierung

Verfassungskonflikt in Polen

Die neue rechtskonservative Regierung will fünf neue Verfassungsrichter vom Parlament wieder abwählen lassen. Die bürgerliche Vorgänger-Regierung ist nicht unschuldig: In ihren letzten Amtstagen hat sie die neuen Richter schnell noch bestimmt. In der Frage der europaweiten Umverteilung von Migranten bleibt Warschau hart und will keine Belastung durch hausgemachte Probleme anderer Länder.

In der Geschichte sieht keine Seite gut aus: Polens neue nationalkonservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) nutzt ihre absolute Parlamentsmehrheit, um die Neuwahl von fünf Verfassungsrichtern durchzusetzen. Das Gericht sei ein „parteiliches Organ“, erklärte PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski im Fernsehen und behauptet außerdem, in der Justiz des Landes dauerten „postkommunistische Strukturen“ fort. Die Justiz sei nach der Wende von 1989 nicht genügend „durchleuchtet“ worden, so der PiS-Chef. Regierung, Regierungspartei und Parlament stellen sich damit gegen das Verfassungsgericht – ein massiver Verfassungskonflikt droht. Ein früherer Präsident des Verfassungsgerichts spricht schon von „Staatsstreich“, ein anderer von „Totalitarismus“.

Übler undemokratischer Stil: In den letzten Tagen ihrer Amtszeit hat die schon abgewählte Regierung schnell noch fünf neue Verfassungsrichter bestimmt.

Die ungute Geschichte hat aber eine ebenso ungute Vorgeschichte: In den letzten Tagen ihrer Amtszeit hat die am 25. Oktober abgewählte Regierung eben jene fünf Verfassungsrichter, um die es jetzt geht, schnell noch bestimmt. Das war mindestens übler undemokratischer Stil. Man darf auch von Machtmissbrauch sprechen. Die Folge ist in jedem Fall der nun ausgebrochene große Verfassungskonflikt, der alle Verfassungsorgane einbezieht, auch Staatspräsident Andrzej Duda. Denn Duda – ebenfalls von der Partei PiS – verweigert die Vereidigung der fünf schnell noch eingesetzten Verfassungsrichter. Das Verfassungsgericht muss also vorerst in der alten Besetzung weiter arbeiten. Dafür hat Duda sofort die Gesetzesänderung unterzeichnet, die die Neuwahl der Verfassungsrichter durch das neue Parlament möglich machen soll. Im Dezember muss nun das Verfassungsgericht darüber entscheiden, ob die Annullierung der Wahl jener fünf Richter und die Neuwahl der Verfassungsrichter durch das neue Parlament rechtens ist.

Sorge vor Eskalation in der Ukraine

Unterdessen hat Polens neue Ministerpräsidentin Beata Szydlo in ihrem Regierungsprogramm das Thema Sicherheit der polnischen Bürger zum großen übergeordneten Thema erklärt: „Für die Regierung hat die Sicherheit der Polinnen und Polen Priorität.“ Warschau denkt dabei nicht nur an das Thema Terror, sondern auch an seine östliche Grenze und an mögliche Eskalation des fortdauernden Konflikt in der Ukraine. Polen will massiv aufrüsten und setzt sich für die Stärkung der östlichen Nato-Flanke ein.

Wir brauchen jeden Soldaten, der unsere östliche Grenze bewachen kann.

Außenminister Witold Waszczykowski

Mit Blick auf die Situation an seiner Ostgrenze nimmt Warschau offenbar auch Abstand von einer Beteiligung auf dem syrisch-irakischen Bürgerkriegsschauplatz. Das zumindest lässt sich aus Äußerungen des neuen Außenminister Witold Waszczykowski herauslesen: „Wir brauchen jeden Soldaten, der unsere östliche Grenze bewachen kann.“ Der Außenminister wirft Russland „drohendes und erpresserisches Verhalten“ vor, das „eine Herausforderung gegenüber der gesamten Nato“ sei. Sehr entschieden befürwortet er darum die Stationierung von US- und Nato-Militärgerät in Polen. Die Polen werden bald Gelegenheit bekommen, das Thema in großer Runde zu diskutieren: Am 8. und 9. Juli 2016 ist Warschau Ort des nächsten Nato-Gipfels.

Migrantenkrise

In Europas großer Migrantenkrise bleibt Polen ein schwieriger Partner. Im vergangenen September hatte sich noch die alte Regierung nach langem Widerstand überraschend bereit erklärt, auf den Brüsseler Plan zur Umverteilung von 160.000 Migranten einzugehen. Polen wollte 4500 Migranten übernehmen.

Keine Belastung unbeteiligter Länder durch hausgemachte Probleme bestimmter Staaten.

Ministerpräsidentin Beata Szydlo

Nach den Terroranschlägen in Paris steht das jedoch wieder in Frage. Die von der Regierungspartei PiS kritisierte Entscheidung des EU-Rates zur Umsiedlung von Flüchtlingen und Migranten in alle EU-Staaten habe zwar weiterhin verpflichtende Wirkung, erklärte kürzlich der neue Europaminister Konrad Szymanski: „Angesichts der tragischen Ereignisse in Paris sehen wir jedoch keine politische Möglichkeit, sie auszuführen.“ Ihre Regierung werde EU-Bestimmungen zwar anerkennen, aber nur, wenn diese mit der Sicherheit des Landes vereinbar seien, betonte auch Premierministerin Szydlo. Im Parlament sprach sie zuletzt beim Thema Migranten zwar von Solidarität. Wohl mit Blick auf Berlin fügte sie aber hinzu: Darunter verstehe Polen nicht die Belastung unbeteiligter Länder durch „hausgemachte Probleme bestimmter Staaten“. Bereits vor seinem Amtsantritt hatte Außenminister Waszczykowski gesagt: „Deutschland öffnet die Tore sperrangelweit, aber die Polen mussten auf ihre Arbeitserlaubnis nach dem EU-Beitritt sieben Jahre warten. Deutschland soll uns bitte nichts von Solidarität erzählen.“ Es war auch bezeichnend, dass die neue Regierungschefin zum ersten Mal ohne Europa-Fahne im Hintergrund vor die Presse trat. Es gehe dort um polnische Themen, so die lapidare Begründung. Und dass der neue Kulturminister einer Moderatorin mit Jobverlust drohte, die ihn im TV-Studio argumentativ in die Zange nahm, war auch kein erfreuliches Zeichen.