Die wichtigen Aufgaben zuerst: Ursula von der Leyen präsentiert ihre EU-Kommission. (Bild: imago Images/Belga/Thierry Roge)
EU-Kommission

Konzentration auf die großen Probleme

Migration, Klimaschutz, Digitalisierung und soziale Marktwirtschaft: Mit diesen Kernthemen hat die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihre Kandidaten für die künftige EU-Kommission vorgestellt. Nun ist das Parlament am Zug.

Die künftige EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen will ihre zentralen politischen Vorhaben mit Hilfe von drei erfahrenen Politikern aus dem Team ihres Vorgängers Jean-Claude Juncker umsetzen. Wie von der Leyen in Brüssel ankündigte, soll sich der niederländische Sozialdemokrat Frans Timmermans als „exekutiver Vizepräsident“ darum kümmern, Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent der Welt zu machen.

Zugleich wird er damit aus der Schusslinie der Osteuropäer genommen, denen er mit seiner früheren Zuständigkeit für Rechtsstaatlichkeit und ständigen – aus Sicht der Osteuropäer unangebrachten – Ermahnungen ein Ärgernis war. Hüterin der Rechtsstaatlichkeit wird stattdessen die Tschechin Vera Jourova, auch schon Mitglied der Juncker-Kommission.

Drei besondere Vizepräsidenten

Auch auf erhöhter Ebene wird die dänische Liberale Margrethe Vestager dafür verantwortlich sein, die EU für das digitale Zeitalter zu rüsten. Viele werten die streitbare Verstager, die auch weiter das Wettbewerbsressort leitet, als Kampfansage an amerikanische Internet-Giganten wie Amazon, Google oder Facebook.

Der Christdemokrat Valdis Dombrovskis aus Lettland soll als dritter exekutiver Vizepräsident den Schutz der sozialen Marktwirtschaft gewährleisten. Er soll auch Osteuropa besänftigen, das bei der Vergabe der Spitzenposten leer ausging. Diese neue Struktur mit drei hervorgehobenen Vizepräsidenten soll helfen, von der Leyens Kernthemen voranzubringen. Insgesamt gibt es acht Vizepräsidenten.

Ich möchte eine Kommission, die sich auf die akuten Probleme konzentriert.

Ursula von der Leyen

„Ich möchte eine Kommission, die mit Entschlossenheit geführt wird, die sich auf die akuten Probleme konzentriert und Antworten liefert“, sagte die CDU-Politikerin bei der Vorstellung ihres Teams. Es gehe darum, den Klimawandel mutig anzugehen. Zudem müssten aber zum Beispiel auch die Vorteile künstlicher Intelligenz optimal genutzt werden.

Im Zentrum die Migrationsfrage

Das derzeit entscheidende Thema Migration erhält ein eigenes Ressort mit dem Griechen Margaritis Schinas. Er ist nun verantwortlich für „Schützen, was Europa ausmacht“. Dahinter steckt ein Querschnittsressort, das Migrations- und Sicherheitspolitik miteinander verbindet. Von der Leyen erteilte dem Griechen ausdrücklich den Auftrag, einen neuen europäischen Pakt für Migrations- und Asylpolitik zu entwerfen. Dabei soll er „berechtigte Befürchtungen und Sorgen über den Einfluss irregulärer Zuwanderung auf unsere Wirtschaft und Gesellschaft“ berücksichtigen. Zugleich soll er sich aber auch um eine bessere Integration von Zuwanderern bemühen.

Neu ist auch der Posten einer Kommissarin für Gleichberechtigung, den die Malteserin Helena Dalli besetzen soll, sowie die Kommissarsposten für „Demokratie und Demografie“ (Dubravka Suica, Kroatien) und „Interinstitutionelle Beziehungen und Vorausschau“ (Maros Sefcovic, Slowakei). Suica soll unter anderem die Zukunft der EU vorbereiten und die Entwicklung des ländlichen Raums steuern, Sefcovic soll beispielsweise Themenfelder finden, die strategische Vorausplanung der EU erfordern. Der Bulgarin Mariya Gabriel erhielt das ebenfalls neu geschaffene Ressort „Jugend und Innovation“.

27 Kommissare, für jedes Land einen

Insgesamt sollen der nächsten Kommission inklusive von der Leyen 27 Mitglieder angehören, davon sind 13 Frauen und 14 Männer – also fast paritätisch besetzt. Großbritannien hat wegen des geplanten EU-Austritts keinen Kandidaten mehr nominiert. Die EU-Kommission mit einem Apparat von mehr als 30.000 Mitarbeitern schlägt Gesetze für die Staatengemeinschaft vor und überwacht die Einhaltung von EU-Recht.

Alle Kandidaten erhalten eine faire Chance.

Manfred Weber, CSU, EVP-Fraktionschef

Die neue Kommission soll ihre Arbeit am 1. November aufnehmen. Vorher müssen die designierten Kommissare noch von den zuständigen Ausschüssen des Europaparlaments angehört werden. Einzelne Personen könnten noch ausgetauscht werden, bevor das Plenum letztlich über das gesamte Personalpaket abstimmt.

Zuversichtlich äußerte sich der Vorsitzende der christdemokratischen EVP-Fraktion, Manfred Weber. „In den Anhörungen in den Ausschüssen des Europäischen Parlaments wird die EVP-Fraktion die Kompetenzen und Fähigkeiten der Kandidaten vorurteilsfrei untersuchen“, sagte der CSU-Politiker. „Alle Kandidaten erhalten eine faire Chance.“ Das „Grillen“ der möglichen EU-Kommissare im Parlament sei beispielhaft, in Deutschland gebe es das bei Ministern nicht. Alle Kandidaten müssten im EU-Parlament ihre Kompetenz nachweisen.

Die Wackelkandidaten

Gegen die Französin Sylvie Goulard (Binnenmarkt und Cybersicherheit) laufen Ermittlungen der EU-Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF wegen angeblicher Scheinbeschäftigung eines Assistenten auf Kosten des Europaparlaments. Goulard hat bereits 45.000 Euro zurückgezahlt.

Kritik gab es auch an von der Leyens Entscheidung, den Ungarn Laszlo Trocsanyi als Kandidaten für das EU-Erweiterungs-Ressort zu akzeptieren. Trocsanyi habe in seiner Zeit als Justizminister diskriminierende Gesetze gegen Nichtregierungsorganisationen durchgesetzt, behauptete der SPD-Gruppenvorsitzende Jens Geier.

Kritik deutscher Europaparlamentarier zog auch der frühere italienische Ministerpräsident Paolo Gentiloni als Wirtschaftskommissar auf sich, der nun unter anderem für die Einhaltung der EU-Defizitregeln seines überschuldeten Heimatlandes zuständig ist. Der CSU-Finanzexperte Markus Ferber bemängelte außerdem: „In seiner Zeit als Premierminister hat es Paolo Gentiloni nicht geschafft, die Wirtschaft anzukurbeln.“

Wackelkandidaten sind zudem der designierte polnische Landwirtschaftskommissar Janusz Wojciechowski sowie die für das Ressort Verkehr vorgesehene Rumänin Rovana Plumb. Gegen Wojciechowski laufen wegen möglicher Unregelmäßigkeiten bei Reisekostenabrechnungen während seiner Zeit im Europaparlament OLAF-Ermittlungen. Zugleich ist Polen der größte Empfänger von Agrarsubventionen in der EU.

Sonderfall Rumänien

Gegen Plumb wird in ihrer Heimat wegen des Vorwurfs des Amtsmissbrauchs ermittelt. Rumänien gilt als besonders korrupter Staat, insbesondere unter der sozialdemokratischen Regierung, die bereits versuchte, Amnestien für Korruptionsfälle durchs Parlament zu bringen und die Justiz auszuhöhlen. So sollten Opfer und Belastungszeugen nur noch in Anwesenheit der Täter aussagen dürfen und Fristen wurden derart verkürzt, dass Untersuchungen der Justiz kaum Erfolgsaussichten hätten. Nach monatelangem Streit mit der EU will das Land nun auf die umstrittene Justizreform, die der konservative Staatspräsident Klaus Johannis zur Überprüfung an das Verfassungsgericht schickte, verzichten.

Manfred Weber hat Rumänien nun sogar zu einem vorübergehenden Verzicht auf einen eigenen EU-Kommissar aufgefordert – aber nicht wegen Plumb. Es gehe darum, eine inakzeptable Verschwendung von Steuergeldern zu vermeiden, schrieb er auf Twitter. Grund für die scharfen Worte Webers ist die Absicht der rumänischen Regierung, den sozialdemokratischen Politiker Ioan Mircea Pacu für nur wenige Wochen in die alte Junker-EU-Kommission einrücken zu lassen, weil die bisherige rumänische Kommissarin Corina Creu ins neue EU-Parlament gewählt wurde. Dies würde dazu führen, dass Pacu eine staatliche Pension bekommen könnte, ohne dass er wirklich dafür gearbeitet hat. Schon Juncker hatte die Kosten für die Interimsbesetzung auf eine Million Euro geschätzt und Rumäniens Verzicht gefordert.

Verteidigung wieder Schwerpunkt

Als gesetzt in der neuen Kommission gelten andere Kandidaten wie der Österreicher Johannes Hahn (Haushalt und Verwaltung) sowie der Ire Phil Hogan (Handel).

Neben der geplanten Aufgabenverteilung kündigte die frühere deutsche Verteidigungsministerin von der Leyen auch den Aufbau einer Generaldirektion für Verteidigungsindustrie und Raumfahrt an. Die neue Fachabteilung soll auch in den Zuständigkeitsbereich der designierten EU-Kommissarin und früheren französischen Verteidigungsministerin Goulard fallen. Der Aufbau einer Generaldirektion für Verteidigungsindustrie und Raumfahrt gilt als Zeichen, dass von der Leyen die Pläne für eine echte europäische Verteidigungsunion weiter vorantreiben will.

Die Ernennung von Timmermans und Vestager zu „Exekutiv-Vizepräsidenten“ gilt auch als Zugeständnis ans Parlament. Beide hatten sich bei der Europawahl um die Spitze der EU-Kommission beworben – für die stimmenstärkste EVP-Fraktion war es eigentlich Manfred Weber, der sich jedoch gegen einige Regierungschefs wie Emmanuel Macron und Viktor Orban nicht durchsetzen konnte. Stattdessen hatten diese überraschend von der Leyen nominiert.

(dpa/BK)