Auftaktveranstaltung zur Münchner Sicherheitskonferenz: Transatlantisches Forum der CSU. (Bild: CSU/Dominik Doschek/Archiv)
Transatlantisches Forum

Zum Verhandeln gehören zwei

Spannende Begegnung auf dem 12. Transatlantischen Forum der CSU: In der transatlantischen Küche wird vielleicht doch nicht alles so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Europas größtes Thema: der Brexit. Großbritannien bestrafen zu wollen, wäre unklug, besonders in der aktuellen gefährlichen Weltlage.

Alle reden in München vor allem über die transatlantischen Beziehungen. Noch. Denn wenigstens für die Europäer wird sich schon bald eine ganz andere Beziehungskiste in den Vordergrund schieben, für die sie bislang noch nicht einmal einen Namen hatten: die „Trans-English-Channel Relations“ – die Beziehungen zwischen Europäern und Briten über den Kanal hinweg. Google kennt den Begriff noch nicht. Aber er könnte schon bald auf viele Google-Einträge kommen.

Ein britischer Gast hat die schöne Wortschöpfung dem 12. Transatlantischen Forum der CSU sozusagen zum Geschenk gemacht. Die traditionelle CSU-Auftakt-Veranstaltung zur Münchner Sicherheitskonferenz kommt dem Modell der alten Wehrkundetagung besonders nahe: Etwa 100 hochrangige Teilnehmer aus den europäischen und den beiden nordamerikanischen Nato-Ländern kommen zwei Stunden lang am großen eckigen Runden Tisch zum offenen Gespräch zusammen, ohne Fernsehen und ohne Mikrophone. Eine gute Gelegenheit, sich unter Freunden Standpunkte erklären und einleuchten zu lassen.

Brexit: gegenseitiger Nutzen, nicht gegenseitiger Schaden

Brexit war 2016 einer der meistgebrauchten Begriffe. Auch im Jahr 2017 wird er wohl wieder starke Konjunktur haben. Auf dem Transatlantischen Forum der CSU war der Brexit gegenüber den aktuell gespannten transatlantischen Beziehungen schon fast das größere Thema. „Bitte akzeptieren Sie unsere korrekte demokratische Entscheidung: Wir werden die EU verlassen“, warb ein britischer Staatsminister fast flehentlich um Verständnis. Ende März wird London Artikel 50 des Lissabonner Vertrag aktivieren und damit den zweijährigen Austrittsprozess auslösen. Auf keinen Fall wollten die Briten der EU Schaden zuzufügen, versicherte der britische Forumsgast. Der Brexit solle auch nicht dazu führen, dass sich Spannungen erhöhten. Jetzt ginge es vielmehr darum, einen „aufgeklärten Ansatz“ zu finden und einen gemeinsamen Weg, der zu gegenseitigem Nutzen führe, nicht zu gegenseitigem Schaden.

Manche sprechen davon, Großbritannien bestrafen zu wollen – das wäre sehr unklug, besonders in einer so gefährlichen Weltlage.

Allerdings: Zum Verhandeln gehören zwei. Die sich jetzt entscheiden müssen, ob sie eine friedliche Scheidung anstreben wollten oder eine hässliche. Auf der EU-Seite gebe es viele, die nicht zulassen wollten, dass die Briten aus dem Brexit einen Nutzen zögen, warnte der Staatsminister aus London: „Manche sprechen davon, Großbritannien bestrafen zu wollen – das wäre sehr unklug, besonders in einer so gefährlichen Weltlage.“ Die Briten jedenfalls sind entschlossen, alles zu tun, damit zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU keine neuen Barrieren und Hindernisse entstehen: „Wir verlassen die EU, aber nicht Europa.“

Tatsächlich seien die Voraussetzungen für ein konstruktives Miteinander über den Kanal hinweg gut, beobachtete ein bayerischer Europapolitiker: „In vierzig Jahren EU-Mitgliedschaft hat Großbritannien den sogenannten acquis communautaire – das gesamte EU- Gesetzeswerk – übernommen.“ Aber genau das würde zu den aus den TTIP-Verhandlungen gut bekannten Schwierigkeiten führen, wenn London und Washington den avisierten schnellen  Freihandelsvertrag Realität werden lassen wollten. Und welchem Modell, welcher Struktur würden die neuen Transkanal-Beziehungen folgen? Das norwegische und das Schweizer Modell habe London schon abgelehnt: „Für die Europäer ist Großbritannien dann ein dritter Staat, der weiß Gott wo auf dem Globus liegen könnte.“ Eine gute Frage: Wo liegt Großbritannien nach dem Brexit? Vor allem darüber müssen die Brexit-Verhandlungen Klarheit bringen.

Washingtons absolute Priorität: Kampf gegen islamischen Extremismus

Dagegen wird womöglich in der transatlantischen Küche doch nicht alles so heiß gegessen, wie es derzeit gekocht wird. Er sei hier, um Freunde zu gewinnen, betonte ein echter Minister der neuen Trump-Regierung. In einer langen militärischen Karriere hat er viel Lebenszeit auf Manövern in den Ländern von sieben europäischen Nato-Partnern verbracht. Über die Bedeutung des transatlantischen Bündnisses muss man ihm nichts sagen. Er hat die Nato verinnerlicht. Niemand müsse befürchten, dass sich die USA sozusagen nach innen wendeten – „eine völlig irrige Sorge“. Dem Kampf gegen den islamistischen Terror räumt Präsident Donald Trumps Washington die absolute Priorität ein. Aber genau dafür braucht es die Verbündeten und den intensiven Datenaustausch mit ihnen, etwa über Reisedokumente oder über die Bewegungen von Terrorverdächtigen.

Weil es extrem schwierig geworden ist, in die USA zu kommen, lernen die Extremisten, dass es viel einfacher ist, nach Europa zu gelangen.

Auch die Trump-Administration weiß: Nicht zuletzt dank der Zusammenarbeit mit den europäischen Partnern ist es den Amerikanern bisher gelungen, die Einreise radikaler islamischer Extremisten weitgehend auszuschließen. Was für die Europäer aber auch eine schlechte Nachricht enthält: „Weil es extrem schwierig geworden ist, in mein Land zu kommen, merken die Extremisten jetzt, dass es viel einfacher ist, in Ihre Länder zu gelangen.“ Was nur bedeutet: Die Europäer brauchen die Zusammenarbeit mit den Amerikanern jetzt eher noch mehr.

Enge Partner

Das bestätigte indirekt ein bayerischer Polizeichef mit seinem Dank für die große amerikanische Unterstützung bei der Terrorfahndung. Ohne sie wären in Europa viele Katastrophen eingetreten, ergänzte ein anderer deutscher Teilnehmer. Besonders nützlich muss die US-Hilfe beim Knacken verschlüsselter Datenträger gewesen sein. Dem Dank folgte eine Bitte an den US-Minister: Ob der dafür sorgen könne, dass der Austausch zwischen den Polizeibehörden noch schneller ginge und mit weniger bürokratischen Hürden? Die prompte Antwort: „Das mache ich.“

Wenn wir uns in der Handelspolitik auseinander dividieren lassen, dann leiden auch die transatlantischen Beziehungen und die Sicherheitszusammenarbeit Schaden.

Weil in einer Partnerschaft alles mit allem zusammenhängt, stellte eine bayerische Staatsministerin den Zusammenhang zu einem nur auf den ersten Blick völlig unverwandten Thema her: der Handelspolitik. „Wenn wir uns hier auseinander dividieren lassen, dann leiden auch die transatlantischen Beziehungen und die Sicherheitszusammenarbeit Schaden.“ In Europa sei Freihandel ein Wert, ergänzte ein CSU-Bundesminister. Präsident Trump sei der Auffassung, dass internationaler Handel den USA nutze, so der Gast aus Washington. 35 der wichtigsten amerikanischen Vorstandschefs hätten das im Weißen Haus kürzlich erläutert. Der Gast aus den USA: Washington wolle Handel – „aber es muss fairer Handel sein“. Die Debatte darüber, was das bedeuten soll, wird weiter gehen.

Wut-Thema Massenmigration

Woher kommt eigentlich die öffentliche Wut, die derzeit eben nicht nur in den USA, sondern mindestens so sehr auch in Europa mit der Nato und der EU ausgerechnet jene Institutionen in Frage stellt, die 70 Jahre lang Frieden und Stabilität garantiert haben? Da flösse Zorn aus mindestens vier Quellen zur großen internationalen Krise zusammen, überlegte eine norwegische Forumsteilnehmerin. Zum einen russischer Zorn über den Verlust der Weltmachtstellung, den Moskau eben korrigieren wolle – „einschließlich des Anspruchs auf Mitsprache, wenn es um die Angelegenheiten der Nachbarländer geht“. Zum anderen mittelöstlicher Zorn über die Konfrontation mit westlichen Werten, was zu islamischem Extremismus führe und zu Terror gegen Europa – „die größte Bedrohung unserer Zeit“.

Russischer Zorn über den Verlust der Weltmachtstellung, den Moskau korrigieren will.

Dann die Wut der Globalisierungsverlierer auf beiden Seiten des Atlantiks. Und schließlich das Wut-Thema Massenmigration: Es beherrsche derzeit den politischen Diskurs in Europa und könne Wahlen und Referenden entscheiden und Regierungswechsel herbeiführen. „Wir müssen diese Wut und ihre Gründe sehr ernst nehmen.“ Woran es noch fehle: Denn in der europäischen Debatte sei bislang nur moralische Schelte und Stigmatisierung zu hören. Die Gefahrenlage und wachsende europäische Selbstzweifel machen die Nato umso unentbehrlicher, jedenfalls aus norwegischer Sicht. Um fortdauerndes US-Engagement in Europa zu sichern, sollen die Verbündeten mehr leisten. Oslo will damit voran gehen: In den nächsten 20 Jahren wird Norwegen 22 Milliarden Dollar zusätzlich in seine Verteidigung stecken.

Anti-Amerikanismus bei wichtigen EU-Mitgliedern

Auf keinen Fall dürften die Europäer jetzt der Versuchung nachgeben, die neue US-Regierung als Bedrohung zu sehen, warnte ein hochrangiger kroatischer Gast. Mit Redensarten wie jener von den Europäern, die nun von den Amerikanern die Fackel der liberalen Werte übernehmen müssten, sei nichts zu gewinnen. Aktuelle transatlantische Missstimmung führte der Redner aus Zagreb weniger auf die neue US-Administration zurück, sondern vielmehr auf „alte anti-amerikanische Positionen, die bei wichtigen EU-Mitgliedern durchaus noch lebendig sind“.

Die Politik der Konfrontation mit der neuen US-Regierung führt nur zu Spaltungen innerhalb der EU.

Es sei ein großer Irrtum zu glauben, die Europäer könnten ohne die USA oder gegen sie zu größerer Geschlossenheit finden. Ganz im Gegenteil: „Die Europäer müssen die Politik der Konfrontation mit der neuen US-Regierung beenden. Denn die führt nur zu Spaltungen innerhalb der EU.“ Was im Grunde hieß: Wenn ihr so weiter macht, dann ist die Spaltung schon da. Die Europäer redeten gerne über ihre globale Rolle, erinnerte der Gast aus Kroatien schließlich: „Aber diese Rolle können die Europäer nicht in der Konfrontation mit den USA spielen, sondern nur im Bündnis mit ihnen.“