Krampfiger Händedruck vor Europa-Fahnen: Polens Regierungschefin Beata Szydlo vergangene Woche mit EU-Kommissionsvize Frans Timmermans. (Foto: Imago/Eastnews)
Europa

Recht und Gerechtigkeit gegen den Rechtsstaat

Erstmals leitet die EU-Kommission ein Verfahren zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit gegen einen Mitgliedsstaat ein: gegen Polen. Mit ihrer Justizreform betreibe Ministerpräsidentin Beata Szydlo die "systematische Gefährdung des Rechtsstaats", sagt Kommissionsvize Frans Timmermans. Der Warschauer Justizminister weist den Angriff als Einmischung in innere Angelegenheiten zurück.

Die EU-Kommission setzt die polnische Regierung unter Druck, Abstand von ihrer umstrittenen Justizreform zu nehmen. Offiziell hat die Behörde in Brüssel gerade die Regierenden in Warschau deshalb verwarnt und ein Verfahren zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit formell eröffnet. In einem Mahn-Schreiben bemängelt sie, dass das Kabinett der rechtskonservativen Ministerpräsidentin Beata Szydlo die Vereidigung mehrerer Verfassungsrichter verweigere, die noch ihre Vorgängerregierung ernannt hatte. Zudem strebe sie eine Justizreform an, die nach Ansicht der Kommission die Arbeit des Verfassungsgerichts beeinträchtigen würde. Kommissionvizepräsident Frans Timmermans sieht darin eine „systematische Gefährdung des Rechtsstaats“. Dieser sei jedoch „einer der Grundpfeiler der Europäischen Union“.

Zwei Mal war Timmermans zu Gesprächen nach Warschau gereist, hatte Regierungschefin Szydlo zuletzt vergangene Woche zu dem Thema gesprochen. Zu einer Einigung über die strittigen Punkte war es jedoch nicht gekommen. Namens der polnischen Regierung reagierte Justizminister Zbigniew Ziobro empört auf das Schreiben aus Brüssel. Er sieht darin „eine Einmischung in innere Angelegenheiten“. Damit verfolge Europa jedoch ganz andere Ziele: Polen solle dazu gebracht werden, Tausende Flüchtlinge aufzunehmen.

Zusammenhalt von Osteuropas Rechtskonservativen

Mit dem Vorstoß setzt die EU-Kommission erstmals das erst seit 2014 mögliche Verfahren zum Schutz der Rechtstaatlichkeit in einem Mitgliedstaat um. Es könnte bis zum Entzug des Stimmrechts für Polen in Brüssel führen. Die Machthaber der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) glauben jedoch, dem Verfahren gelassen entgegen sehen zu können. Denn für die drohenden Sanktionen benötigt die Kommission Einstimmigkeit der EU-Staaten. Die Polen zählen jedoch auf die Unterstützung der ebenfalls nationalkonservativen Regierung von Viktor Orban in Ungarn.

Noch ist der Ermahnungsbrief der Kommission freilich nicht öffentlich. Der liberale Oppositionspolitiker Ryszard Petru bemängelt, dass das Schreiben bislang vertraulich gehalten werde: „Das geht so nicht, dass wir in Polen nicht wissen, was die Kommission uns schickt.“ Denn ihrerseits hat auch Ministerpräsidentin Szydlo wenig Interesse, den für sie unangenehmen Wortlaut publik zu machen.