Derzeit leben über 80.000 Flüchtlinge im UNHCR-Flüchtlingscamp Zaatari an der syrischen Grenze. (Bild: Bayerische Staatskanzlei)
Jordanien

Lebensperspektive statt Flucht

Der Freistaat ist in Tunesien engagiert und im Libanon. Jetzt hilft er auch in Jordanien. Dort geht es vor allem um die Verbesserung der Wasserversorgung und die berufliche Bildung von Flüchtlingen. Europaministerin Merk reist in die Region und trifft Musliminnen, die das Klempnern lernen. "Wer für sich eine Lebensperspektive vor Ort sieht, flieht nicht."

Eine Handvoll Frauen, ihre Haare von Kopftüchern verhüllt. Versammelt um Waschbecken und Kloschüsseln üben sie, Anschlüsse und Armaturen anzuschrauben. Zwischendurch: ein Selfie mit Europaministerin Beate Merk. Zu Besuch ist die Ministerin nicht etwa in einem bayerischen Handwerksbetrieb, sondern im Berufsbildungszentrum in Irbid, anderthalb Fahrstunden von Jordaniens Hauptstadt Amman entfernt. Dort hat die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ein Projekt aufgezogen, das dem Land und den Flüchtlingen helfen soll.

Mehr Selbstvertrauen, weniger Abhängigkeit

Jordanien ist eines der wasserärmsten Länder der Welt, dazu ist das Leitungssystem marode, es versickert jede Menge. Klempner können da helfen, deswegen und deswegen sollen auch Frauen das Klempnern lernen.

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Jordanienreise von Europaministerin Merk

Jede der Frauen in dem Projekt hat gute Gründe, eine Ausbildung zu absolvieren. Anpacken können beim Wiederaufbau in Syrien, selbst etwas reparieren zu können – viele Frauen leben inzwischen ohne ihre Männer. Isra Ababneh zum Beispiel sagt, die Ausbildung gebe ihr Selbstvertrauen und sie müsse nicht ihre Zeit damit verschwenden warten zu müssen, bis ihr jemand helfe.

Kapital Bildung

Ministerin Merk nennt Bildung als eines der wichtigsten Felder zur Bekämpfung der Fluchtursachen. Die Syrer, die derzeit in Jordanien lebten, seien „in aller Regel Menschen, die sagten: Wir wollen nicht weg aus Jordanien, sondern wir wollen zurück nach Syrien“. Die Menschen müssten die Gewissheit erhalten, dass „ihre Kinder keine verlorene Generation“  seien, sagte Merk. Deshalb müsse zum einen Geld für Schulbildung bereitgestellt werden, zum anderen müsse Bildung auch jenen zugänglich sein, die nicht dafür bezahlen könnten.

Für uns spielt die Fluchtursachenbekämpfung in den Herkunfts- und Nachbarstaaten von Krisenregionen eine entscheidende Rolle. Wir müssen die Lebensverhältnisse vor Ort durch gezielte Hilfsprojekte nachhaltig verbessern und so den Migrationsdruck senken. Wer für sich eine Lebensperspektive vor Ort sieht, flieht nicht. Deswegen leistet auch Bayern seinen Beitrag zur Entwicklungspolitik.

Beate Merk, Europaministerin

Das Projekt in Irbid passt ins bayerische Konzept. Der Freistaat unterstützt es mit 350.000 Euro.  Darum geht es bei der Reise von Europaministerin Beate Merk. Wie und wo kann sich die Staatsregierung vor Ort engagieren? Möglicherweise gemeinsam mit Hilfsorganisationen als Partner oder dem Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) oder auch der Weltbank. Im Sommer steht die Kabinettsklausur an, da müssen konkrete Vorschläge vorliegen. Dafür erarbeitet die Staatskanzlei derzeit ein Konzept, wie über Patenschaften in Partnerregionen einzelne Projekte unterstützt werden können. (Mehr dazu lesen Sie hier: „Bayern verstärkt seine Hilfe in Krisenregionen“)

„Die Menschen sollen im Land bleiben“

Haben Projekte langfristigen Erfolg und bieten den Menschen Perspektiven, sind gleich mehrere Ziele erreicht: Weniger suchen Zuflucht in Bayern und Flüchtlingen bleibt die lebensgefährliche Reise nach Europa erspart.

Dass wir helfen wollen, dass die Menschen in ihrer Region bleiben können, das geschieht auch um der Länder Willen, die sonst Menschen verlieren, die eines Tages beim Aufbau fehlen.

Beate Merk, Europaministerin

Zudem sei das Geld ein Vielfaches wert, das dort ausgeben werde, wo die Flüchtlinge herkämen, betont Merk. Wohin das Geld fließen soll, sucht die Ministerin sorgfältig aus. Es gehe darum, „maßgeschneiderte“ Projekte zu finden. „Wir wollen direkt, nah an den Leute arbeiten“, sagt Merk. Schulbildung, die Förderung von Frauen und Berufsausbildung sind Schwerpunkte, da könne Bayern mit seinem Handwerksbereich und dem dualen System Stärken einbringen. Neben dem Thema Bildung setzt der Freistaat auch auf medizinische Versorgung vor Ort. So besuchte Merk das Camp Zaatari vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen mit 80.000 Flüchtlingen nahe der syrischen Grenze.

2,3 Millionen für Hilfsprojekte

Weltweit sind über 60 Millionen Menschen auf der Flucht vor Verfolgung, Gewalt und Krieg. Einer der Hauptbrennpunkte ist der Nahe Osten mit den Bürgerkriegsländern Syrien und Irak. Allein aus Syrien sind über vier Millionen Menschen geflohen, davon über 600.000 nach Jordanien. Der Freistaat will seine Hilfe bei der Bekämpfung von Fluchtursachen auf maximal fünf Länder begrenzen. Entscheidend bei der Auswahl sei, dass durch die Hilfe Flüchtlingsströme vermieden werden. Im Nachtragshaushalt 2016 hat der Bayerische Landtag für Hilfsprojekte in der Entwicklungspolitik rund 2,3 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.

Merk fordert Schutz der Grenzen

Aber nicht nur auf konkrete Hilfe vor Ort, auch auf die politische Zusammenarbeit kommt es an. In Rom mahnte die Ministerin deshalb einen wirksamen Schutz der EU-Außengrenzen an. Der Sommer naht und die Zeit drängt. Vor allem Libyen bliebe „Europas Achillesferse“. Die Fehler in der Ägäis dürfen sich nicht wiederholen.

Europa muss auf die zu erwartenden Flüchtlingsströme aus Afrika vorbereitet sein. Die Schleuserindustrie wird auch dieses Jahr wieder mit allen Mitteln versuchen, Flüchtlinge und Migranten nach Europa zu bringen. Wir brauchen eine verlässliche Begrenzung, eine bessere Steuerung von Flucht und Migration sowie eine gerechtere Verteilung von Flüchtlingen auf die einzelnen EU-Staaten.

Beate Merk, Europaministerin

Merk forderte auch eine bessere Zusammenarbeit mit Drittstaaten, vor allem in Nordafrika. Sie begrüßt den Vorschlag des italienischen Ministerpräsident Matteo Renzi aktuell, Asylzentren in Nordafrika einzurichten und durch den Abschluss weiterer EU-Rückführungsabkommen die Rückkehr zu stärken.

Wir wissen, dass die Flüchtlingskrise vor allem für Europas Außenstaaten eine immense Belastung ist. Ich hoffe aber auch, dass Italien alles Nötige dafür tut, alle vorgesehenen Hotspots in einen voll funktionsfähigen Zustand zu versetzen, damit ankommende Menschen ordnungsgemäß identifiziert und registriert werden können. Eine unkontrollierte Weiterreise nach Deutschland und Österreich darf sich nicht wiederholen.

Beate Merk, Europaministerin