Plädiert für eine nachhaltige Entwicklungspolitik: Charles M. Huber. (Bild: privat)
Afrika

Zeit für Veränderungen

Gastbeitrag Als die Bundesregierung von einer neuen Afrika-Strategie sprach, machte sich unter afrikanischen Diplomaten vorsichtiger Optimismus breit. Doch der Weg zu einer nachhaltigen Entwicklungspolitik ist noch weit. Von Charles M. Huber.

Weg von der klassischen Entwicklungshilfe hin zu einer Wirtschaftskooperation auf Augenhöhe, hieß es vielversprechend, als zuerst der „Marshall-Plan für Afrika“, kurz darauf, nämlich um möglichen Unterstellungen post-kolonialer Ambitionen vorzugreifen, der „Marshall-Plan mit Afrika“ verkündet wurde.

Afrika darf nicht der Abladeplatz für alte Autos oder andere alte Dinge sein.

Paul Kagame, Präsident der Republik Ruanda

Diese anfängliche Euphorie stand jedoch nach relativ kurzer Zeit auf einem Prüfstand. Erstens, weil die afrikanischen Partner durch die Vielzahl von Aktivitäten einzelner deutscher Ministerien ein wenig die Orientierung verloren. Zweitens, weil im Konzept konkrete wirtschaftspolitische Ansätze zu kurz kamen. Alles lief ein bisschen nach dem Motto: „One size fits all.“ So wie es in Deutschland funktioniert, funktioniert es überall auf der Welt. Aber so ist es nicht. Immerhin: Aus dem Krisenkontinent Afrika wurde der Chancenkontinent.

Ein Paradigmenwechsel. Zumindest in der Kommunikation.

Auf Augenhöhe

Ein weiterer richtiger Schritt folgte: Die Kanzlerin ließ sich überzeugen, dass afrikanische Staatschefs Wert darauf legen, solche Vorhaben auf entsprechender Ebene zu diskutieren. Augenhöhe heißt eben Augenhöhe. Vorbei waren die Zeiten, wo ein afrikanischer Minister in Deutschland gerade noch von einem Referatsleiter empfangen wurde. Umgekehrt ein Abgeordneter von einem Präsidenten. Man musste zur Kenntnis nehmen, dass Afrika in jüngster Zeit spürbar selbstbewusster geworden war.

Diese Diskussion wurde dann auf einer G20-Ebene richtig angesiedelt, obwohl sich einige fragten, warum Deutschland seine neue Afrika-Strategie mit anderen Industrienationen absprechen musste. Die Franzosen hätten es nicht getan. Die Engländer, welche Prinz Harry und seine afro-amerikanische Gattin, Herzogin Meghan von Sussex, quer durch die afrikanischen Commonwealth-Staaten schicken und bereits an bilateralen Verträgen mit ihren ehemaligen Kolonialstaaten hinsichtlich eines Post-Brexit-Szenarios arbeiten, ebenso wenig.

Tatsächlich nimmt der Pakt mit Afrika derzeit Fahrt auf. So finanziert die KfW in Zusammenarbeit mit der GIZ und der Firma Gauff beispielsweise im Senegal die Elektrifizierung von 300 Dörfern. Das ist sinnvoll und effizient. Ohne Energie ist ein wirtschaftlicher Folgeplan eines Landes gar nicht möglich, weder in Europa noch in Afrika.

Auch das neue Konzept, Arbeitsplätze auf dem Kontinent zu schaffen, ist richtig, wenn auch ausbaufähig. Wichtig ist hier der Ausbau des verarbeitenden Sektors, etwa von Agrarrohstoffen zu Lebensmitteln – mit dem langfristigen Ziel der Eigenversorgung des Kontinents. Wichtig wäre es auch, lokal erzeugten und verarbeiteten Produkten in Europa eine Marktperspektive zu bieten. Denn es gibt hier beispielsweise Varianten an Obst und Gemüse, die in Europa unbekannt, aber durchaus attraktiv wären. Zudem würden sie nicht in Konkurrenz zu europäischen Agrarprodukten treten.

Müll als Problem

Die Schattenseite: Das Verpackungsmaterial hat sich seitdem vervielfacht. Aus Mangel an Entsorgungs- und Recycling- Konzepten wird der Müll einfach am Straßenrand, in Mangrovensümpfen oder im Meer versenkt, was weder dem Tourismus dient noch den betroffenen Ländern, noch der Gesundheit der Menschen, welche in der Nähe solcher Müllablagerungen leben. In Ruanda sind Plastikverpackungen deshalb verboten.

Im Senegal hat sich Präsident Sall nun dieses Problems selbst angenommen. Das Land hat großes Potenzial und ist eines der sichersten Länder Afrikas. Da es nur drei Flugstunden von der Iberischen Halbinsel entfernt liegt, wird nun der spanische Touristikkonzern RIU zwei Hotel­anlagen in Point Sarène bauen, 35 Kilometer vom neuen Flughafen entfernt. Ehemalige Gäste des 2007 geschlossenen, legendären „deutschen“ Clubs Aldiana, für die die Gegend der „Petite  Cote“ zweite Heimat geworden war, werden frohlocken. Und die örtliche Bevölkerung bekommt Hunderte direkte und Tausende indirekte Arbeitsplätze zurück.

Äthiopien hat durch seine kulturelle Vielfalt und seine abwechslungsreiche Natur das touristische Aufkommen binnen zwei Jahren um 50 Prozent erhöhen können. Dem Senegal wird mindestens ein ähnlicher Zuwachs vorausgesagt.

Ein riesiger Markt

Schaut man auf die Liste der IHK, sieht man viele deutsche Firmen, die mittlerweile in Afrika tätig sind. Vielleicht haben einige deutsche Firmen begriffen, dass der Einstieg in den riesigen afrikanischen Markt mit 54 Ländern in Zukunft fast unvermeidlich ist. Zudem birgt die Abhängigkeit von Big Playern wie China für die exportorientierte deutsche Wirtschaft auch Gefahren. Andere Länder haben das jedenfalls erkannt, darunter Frankreich, Großbritannien,  die USA, Türkei, Indien und eben China. Auch Japan will in den nächsten drei Jahren 30 Milliarden in Afrika investieren.

Afrika ist mittlerweile nicht nur ein Absatzmarkt für Luxusautos für die wachsende afrikanische Mittel- und Oberschicht, sondern auch für alle anderen Automobil-Preiskategorien. Denn Luftverschmutzung gerade durch alte Autos hat auch in den rapide wachsenden Metropolen Afrikas gesundheitliche Konsequenzen für die dortige Bevölkerung. Die medizinische Versorgung jenseits der durchaus wichtigen Impfkampagnen wie GAVI ist noch eine große Aufgabe für die afrikanische Politik. Arztbesuche mit medikamentöser Behandlung können schon einmal mit einem Drittel des Monatsgehalts eines Alleinversorgers einer Familie zu Buche schlagen.

Wer im Monat weniger als 100 Euro verdient, hat nicht 20 Jahre Zeit, darauf zu warten, bis sich sein Land entwickelt.

Charles M. Huber

Teile der deutschen Wirtschaft sind längst in Afrika erfolgreich, darunter BMW, Volkswagen und Mercedes in Südafrika. Bei Mercedes gibt es offenbar Überlegungen, auch in Ägypten wieder zu fertigen – wie es BMW schon tut. VW montiert auch Fahrzeuge in Algerien, Kenia und Ruanda und plant neue Standorte in Ghana, Nigeria und Äthiopien. Paul Kagame, Präsident der Republik Ruanda, sagte damals: „Afrika darf nicht der Abladeplatz für alte Autos oder andere alte Dinge sein.“

Über diese Projekte aber wurde kaum berichtet. Warum? Weil die Firmen mit einer Gewinnabsicht nach Afrika gehen und nicht ins Helferschema der Nichtregierungsorganisationen passen. Dass die Chinesen, bei allem was man an deren Afrika-Engagement oft auch unberechtigt monieren mag, durch ihre Infrastrukturprojekte einen großen Anteil daran haben, dass Neuwagen auch aus Deutschland zunehmend auf  Afrikas Straßen präsent sind, sollte man hier nicht verschweigen. Denn wer fährt schon gerne mit seinem neuen BMW auf einer Straße durch die Hauptstadt, wenn alle 50 Meter ein knietiefes Schlagloch auf ihn wartet?

Nichts zu tun, auch das hat die schlimmsten Folgen. Inmitten der sogenannten Migrationskrise wurde Europa klar, dass die afrikanische Jugend den „European Life Style“ nicht mehr nur aus dem Internet und über den TV-Sender Canal Plus verfolgen will. Und wer im Monat weniger als 100 Euro verdient, hat nicht 20 Jahre Zeit, darauf zu warten, bis sich sein Land entwickelt – und verständlicherweise auch nicht die Geduld. Also machten sich einige auf den Weg nach Europa. Zeit ist somit ein Faktor. Tatsache ist: Die instabile Lage im Mittleren Osten birgt augenblicklich ein wesentlich größeres Potenzial für Massenmigration als Subsahara-Afrika.

Bitte helfen Sie uns. Die Deutschen verstehen uns nicht.

Bitte von afrikanischen Botschaftern

Die deutsche Wirtschaft steht zwar nicht in der Verantwortung, die Migrationsfrage zu lösen. Aber kaum auf einem anderen Kontinent lassen sich durch kluge Investitionen vergleichbare Renditen erzielen wie in Afrika. Dort versteht man nämlich jeden Unternehmer, der mit seinem Engagement auch Geld verdienen will. Tatsache ist: Ohne die Wirtschaft werden die wenigsten SDGs, die sustainable development goals, umgesetzt werden können. NGO- Politik alleine hilft vielen Menschen im Krankenhaus. Sie entlässt aber niemanden aus dem Armenhaus.

Fehlende Kenntnisse

Das Problem war und ist leider immer noch die Tatsache, dass Politik und Bürokratie so gut wie nicht mit der afrikanischen Lebensrealität vertraut sind. Dazu reichen ein paar Delegationsreisen nicht aus. Als mich zu Beginn meines damaligen Bundestagsmandats die Botschafter der afrikanischen Länder zu einem Sondergipfel in der ägyptischen Botschaft einluden, hieß es fast flehentlich: „Bitte helfen Sie uns. Die Deutschen verstehen uns nicht. Wir brauchen Direktinvestitionen.“ Ironie des Schicksals. Deutschland hat aufgrund geringer und lange zurückliegender kolonialer Erfahrung eine große Erkenntnislücke zu schließen. Auch die deutsche Journalistenlandschaft ist in Afrika ex­trem vernachlässigt. Der deutsche Normalbürger weiß über Afrika so gut wie nichts, außer, wenn es zu einer Krise kommt. Länder wie der Senegal, wo es bislang keinen Krieg gab, wurden daher lange Zeit gar nicht wahrgenommen. Ausländische Institutionen halten sich vor Ort im Allgemeinen gedanklich sowie kulturell im eigenen Biotop auf.

Kooperation heißt nicht moralpolitische Dominanz- und Kontrollansprüche. Aus historischen Gründen sollte man das sogenannte „colonial paradox“ auf größtmöglichem Abstand halten. Afrika ist nicht überall gleich. Einig ist man sich darin, dass alles, was nach Bevormundung von außen anmutet, nicht mehr gerne gesehen wird.

Augenblicklich leben bereits eine Million Chinesen in afrikanischen Ländern. „Boots on the ground“, nur so lernt man, Afrika zu verstehen. Mittlerweile ist es auch schwierig geworden, mit einem Vertrag über ein Millionenprojekt in der Hoffnung anzureisen, schon am nächsten Tag mit der passenden Unterschrift darunter wieder abzureisen. Die ruhige Intelligenz der Afrikaner wird zudem häufig falsch bewertet. „Njam xat“ ist ein Sprichwort aus der Sprache des Stammes meiner afrikanischen Vorfahren, der Serer, dem auch mein Großonkel, der Philosoph und ehemalige Staatspräsident des Senegals, Leopold Sedar Senghor, angehörte. Es heißt zu Deutsch so viel wie „kommen, essen, gehen.“ Übertragen: „Ich hole mir, was ich brauche, aber an Dir selbst habe ich kein Interesse.“ So viel zum interkulturellen Duktus.

Chinas Infrastrukturprogramme sorgen zwar für hohe afrikanische Schulden, aber ohne diese Projekte gäbe es gar keine größeren nationalen, geschweige denn regionalen Perspektiven für einen Binnenhandel. Arbeitsmarkt, Steuereinnahmen, Handel und Transport haben sich dadurch verbessert. Obwohl weiter entfernt als Europa, trägt China, wenn wohl auch unbeabsichtigt, mehr zur Bekämpfung der Fluchtursachen bei.

Der richtige Weg

Auch die afrikanische Schattenwirtschaft hält sich zu einem großen Teil mit dem Verkauf chinesischer Billigprodukte über Wasser. Nun schafft der asiatische Riese vor Ort auch noch Arbeitsplätze. Deutschland hingegen präsentiert sich in den meisten Wirtschaftsdialogen mit Afrika leider noch zu sehr als Produktverkäufer. Wer hier künftig auf hoher politischer Ebene empfangen werden will, muss als Investor und nicht als Moralapostel auftreten.

Russland hat in einem Akt der Renaissance früherer Beziehungen vom 22. – 24. Oktober die afrikanischen Staatschefs eingeladen. 47 Länder von 54 haben die Einladung angenommen. Das Credo lautet: Wir schützen Euch gegen die „Ausbeutung des Westens“ und helfen Euch ohne Konditionierung. Hier präsentiert sich ein weiterer ernst zu nehmender Mitbewerber. Militärisch jedenfalls ist die neue und alte geostrategische Macht in Afrika schon längst wieder präsent.

Afrika will nicht nur Produkte kaufen, sondern künftig auch eigene verkaufen.

Charles M. Huber

Der richtige Weg: Arbeitsplätze schaffen! Afrikanische Volkwirtschaften nicht mehr vom Weltmarkt ausschließen und nicht nur als Rohstofflieferanten sehen. Das ist sicher nicht in aller Interesse. Wertschöpfungsketten müssen auch dort entstehen. Afrika will nicht nur Produkte kaufen, sondern künftig auch eigene verkaufen. Zumindest in Afrika selbst. Siehe das AfCFTA-Freihandelsabkommen. Nur drei Prozent der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung beziehen sich augenblicklich auf den südlichen Nachbarkontinent Europas. Aber unter den 20 am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt finden sich einige afrikanische Länder wie Ruanda, Guinea, Elfenbeinküste, Benin, Äthiopien, Senegal und Ghana. Afrika ist auch der am schnellsten wachsende Mobilfunkmarkt der Welt.

Die hohen Geburtenraten im dünn besiedelten Afrika werden in Europa von Populisten als Bedrohung hochgeschaukelt, als Auslöser für weitere Migration dargestellt. Dies hat nur dann Relevanz, wenn der dortige Arbeitsmarkt sich nicht schneller als bislang entwickelt. Steigender Wohlstand senkt die Geburtenraten, das hat Europa bewiesen. Moderne afrikanische Familien mittleren Einkommens, welche es nun auch vermehrt gibt, haben auch keine sechs Kinder mehr. Wozu auch? Lieber hat man drei, welchen man eine gute Bildung ermöglichen kann, anstatt sechs, wovon fünf auf der Straße he­rumlungern. Die heutige afrikanische Lebensrealität erfordert die beschriebene neue entwicklungspolitische Linie. Daher war Wirtschaftskooperation auch das Hauptziel meiner politischen Arbeit in Bezug auf Afrika. Ich habe 1996 meine politische Karriere als Berater des äthiopischen Tourismusministers begonnen und kann aus persönlicher Sicht sagen: Wir haben seit damals bereits einige große Chancen in  Afrika verpasst.

Aber wer in Afrika erfolgreich ist, weiß, dass sich der Einstieg immer noch lohnt.

Der Autor

Charles M. Huber ist Berater für Afrika- Fragen, Wirtschaft und Sicherheit, Autor, ehem. Schauspieler und ehem. Bundestagsabgeordneter.