Der türkische Präsident Recep Erdogan. (Foto: Zuma-Press/imago)
Nach NDR-Satire

Türkei bestellt deutschen Botschafter ein

Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei befinden sich seit Beginn der islamischen AKP-Regierung 2002 in einem immer schlechteren Zustand. Präsident Recep Erdogan will nun offenbar auch noch in Deutschland die totale Medienkontrolle einführen: Nach einem kritischen Satirebeitrag des NDR über seine Person bestellte die Türkei den deutschen Botschafter ein.

Der deutsche Botschafter in der Türkei ist wegen einer Fernsehsatire des NDR ins Außenministerium in Ankara einbestellt worden. Dabei ging es übereinstimmenden Medienberichten zufolge um ein Lied mit dem Titel „Erdowie, Erdowo, Erdogan“ über den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayip Erdogan, das die Macher der Satiresendung „extra 3“ produziert hatten. Das kritische Lied wurde in der Sendung vom 17. März in der ARD ausgestrahlt – und hat offenbar den Zorn des türkischen Präsidenten geweckt.

Deutliche Reaktionen

Die Bundesregierung hat den türkischen Protest gegen eine Satire im deutschen Fernsehen nun offiziell zurückgewiesen. Staatssekretär Markus Ederer machte am Dienstagabend in einem Telefonat mit seinem türkischen Amtskollegen deutlich, dass die Presse- und Meinungsfreiheit „nicht verhandelbar“ sei, wie eine Sprecherin des Auswärtigen Amts am Mittwoch mitteilte. Der deutsche Botschafter in Ankara, Martin Erdmann, war zuvor innerhalb von einer Woche zwei Mal in das türkische Außenministerium einbestellt worden. Beim ersten Treffen verlangte die türkische Seite, dass eine Fernsehsatire des Norddeutschen Rundfunks über Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan nicht mehr verbreitet wird. Beim zweiten Treffen ging es um die Teilnahme Erdmanns an einem Prozess gegen regierungskritische Journalisten. Die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz erklärte, der Wert der Meinungsfreiheit sei auch von Kanzlerin Angela Merkel bei verschiedenen Gelegenheiten unterstrichen worden, etwa in der Abschlusserklärung des EU-Gipfels Mitte März.

Auch die EU-Kommission hat sich in den deutsch-türkischen Satire-Streit eingeschaltet und Präsident Erdogan eine Verletzung der Presse- und Meinungsfreiheit vorgeworfen. Eine Kommissionssprecherin sagte, Präsident Juncker habe kein Verständnis dafür, wenn der deutsche Botschafter nur wegen eines satirischen Songs einbestellt werde. Juncker sei davon überzeugt, dass sich die Türkei mit einem solchen Verhalten weiter von der EU entferne.

Kritik an Präsidentenpalast und Umgang mit Journalisten

Wie die türkischen Behörden mitteilten, habe sich Botschafter Martin Erdmann „für eine knapp zweiminütige Satire rechtfertigen müssen“. Im Text des Liedes zur Musik von Nenas „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“ heißt es zum Beispiel: „Er lebt auf großem Fuß, der Boss vom Bosporus.“ Dazu werden Bilder von Erdogans neuem Präsidentenpalast gezeigt, der wegen seiner Größe und Kosten umstritten ist (der Bayernkurier berichtete).

Gleiche Rechte für die Frauen, die werden auch verhauen.

aus dem „extra 3“-Satiresong über Erdogan

Zu Bildern von der Abführung eines Journalisten und der Erstürmung einer Redaktion lautet der Text: „Ein Journalist, der irgendwas verfasst, was Erdogan nicht passt, ist morgen schon im Knast.“ Bilder eines Treffens zwischen dem türkischen Präsidenten und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), bei dem sich beide die Hände schütteln, sind unterlegt mit dem Text „Sei schön charmant, denn er hat Dich in der Hand“ – eine Anspielung auf die Vereinbarungen zwischen der EU und der Türkei in der Flüchtlingsproblematik, die in Deutschland eigentlich normal ist – aber offenbar das Blut des türkischen Präsidenten in Wallung bringt. Das Auswärtige Amt hat bislang noch nicht offizielle auf die Einbestellung des Botschafters reagiert.

Kurden hasst er wie die Pest, die bombardiert er auch viel lieber als die Glaubensbrüder drüben beim IS.

aus dem „extra 3“-Satiresong über Erdogan

DJV nennt Aktion „lächerlich“

Der Deutsche Journalistenverband hat sich empört über die Medienkritik aus Ankara gezeigt. In einer Reaktion wirft der DJV dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan vor, wegen dessen Intervention gegen NDR-Satire unnötige diplomatische Verwicklungen ausgelöst zu haben. „Der türkische Machthaber hat offenbar die Bodenhaftung verloren“, bewertet etwa DJV- Bundesvorsitzender Frank Überall die diplomatischen Verwicklungen. „Wenn er wegen einer Satire den deutschen Botschafter in den Senkel stellt, haben die Macher von ,Extra 3‘ ins Schwarze getroffen.

Aus Sicht des DJV-Vorsitzenden sei Erdogan Opfer des „Streisand- Effekts“ geworden: „Seine außenpolitische Empörung ist so lächerlich, dass er sich zum Gespött der sozialen Netzwerke gemacht hat.“ Über das berechtigte Gelächter dürfe aber nicht übersehen werden, dass „die Verfolgung kritischer Journalisten in der Türkei bittere Realität ist“, sagt Überall. Er hoffe, dass der deutsche Botschafter in Ankara den türkischen Präsidenten auf die Bedeutung des Grundrechts Pressefreiheit hingewiesen habe.

„Extra 3“ legt nach

Das NDR-Satiremagazin „extra 3“ hat im Fernduell mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan noch einmal kräftig nachgelegt. Das umstrittene Video, das Erdogan nicht passte, gab es am Mittwochabend noch einmal zu sehen. „Vielleicht hat Erdogan den Beitrag nicht verstanden?“, meinte Moderator Christian Ehring. „Deswegen gibt es ihn jetzt noch mal mit türkischen Untertiteln!“ Ehring machte sich weiter über den Präsidenten lustig. Erdogan gucke offenbar „extra 3„, zahle aber keine Gebühren. Andererseits gelte:

Wenn er Kritik hören will, muss er ‚extra 3‘ sehen. Will er keine Kritik, sollte er besser die Bundeskanzlerin treffen.

Ehring sagte dazu: „Wir haben heute bei uns den türkischen Botschafter einbestellt – er ist bloß nicht erschienen.“ Wohin solle das alles nur führen? Zu Krieg? Er habe doch nur Zivildienst im Altenheim geleistet. Letztlich plädierte Ehring für Deeskalation im „extra-3„-türkischen Konflikt. Denn man müsse Erdogan dafür dankbar sein, dass die Zusammenarbeit mit ihm hervorragend geklappt habe: „extra 3“ wählte ihn aus diesem Grund auch zum Mitarbeiter des Monats.

Der Satire-Beitrag war am 17. März erstmals zu sehen und wurde auf YouTube mittlerweile rund drei Millionen Mal angeklickt.

Geschichte wiederholt sich

Schon einmal gab es für Satire aus Deutschland Kritik aus der Türkei, dabei ging es um eine Karikatur. Die gemeinsame Karikatur des Aschaffenburger Karikaturisten Heribert Lenz mit seinem Kollegen Achim Greser war bereits 2011 in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ erschienen und auch in baden-württembergischen Schulbüchern abgedruckt worden. Sie zeigt zwei Männer in bayerischer Tracht vor einer Berghütte namens „Üzrüms Alpenglück“. Auf der Hundehütte eines zähnefletschenden Hundes im Hintergrund stand „Erdogan“. Wie im aktuellen Fall mit einem NDR-Satirefilm war auch damals der deutsche Botschafter einbestellt worden, da das türkische Außenministerium Erdogan verunglimpft sah. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und sein „sonnenkönighaftes Auftreten“ komme seit der Rüge aus dem türkischen Außenministerium 2014 in seinen eigenen Karikaturen nicht mehr und nicht weniger vor, betonte Lenz gegenüber der dpa.

Erdogan duldet keine Kritik – auch nicht im Ausland

Nach den Diskussionen um die Behandlung inhaftierter Journalisten der regierungskritischen Zeitung Cumhuriyet (der Bayernkurier berichtete) ist die Einbestellung des deutschen Botschafters ein neuerlicher Beweis dafür, wie rücksichtslos Recep Tayip Erdogan gegen Kritiker vorgeht – jetzt auch im Ausland. Für zusätzliche Empörung hatte dabei auch gesorgt, dass sich Erdogan über ausländische Botschafter echauffierte, die dem Cumhuriyet-Prozess vor Ort verfolgt hatten. Und auch die Posse um den deutschen Botschafter Erdmann scheint noch nicht vorbei: Offenbar muss der Diplomat im Laufe der Woche auch noch im Außenministerium in Ankara vorstellig werden und dort die in Deutschland unbestrittene Presse- und Meinungsfreiheit verteidigen. Wie heißt es doch so treffend in dem „extra 3„-Song: „Die Zeit ist reif für sein großosmanisches Reich.“