Der türkische Präsident Recep Erdogan. (Foto: Zuma-Press/imago)
Europa wäre am Ende

Warum die Türkei nie Mitglied der EU werden darf

Kommentar Die schiere Größe des Landes, die geographische Lage, die Rückständigkeit der Infrastruktur und der Kultur, die fortlaufenden Demokratie- und Menschenrechtsverstöße, der Krieg gegen die Kurden im Osten des Landes, der Islamismus der herrschenden Partei AKP sowie das neo-osmanische Hegemoniestreben von „Sultan“ Erdogan: Die Türkei darf nie Mitglied der EU werden.

Die Türkei gehört geographisch, geostrategisch und religiös-kulturell nicht zu Europa. Sie würde die EU wirtschaftlich und politisch sprengen. Die EU in ihrer bisherigen Form als friedliche Gemeinschaft freier europäischer Völker wäre am Ende. Sie müsste sich auflösen und in eine reine Freihandelszone umwandeln.

Bei allen bisherigen, teilweise überstürzten Beitritten von Ländern, die nicht reif dafür waren, konnte sich die EU viele Fehler erlauben. Teilweise mit Sonderregelungen – wie jahrelang verzögerte Arbeits- und Freizügigkeitsrechte der Neubürger – wurden schockartige Nebenwirkungen vermieden, die die Altmitglieder überfordert und Abwehrreaktionen provoziert hätten.

Doch auch heute noch stellen einige Neumitglieder und ihre Bürger die EU vor große Probleme. Gängigstes Beispiel: Wenn Roma aus Bulgarien und Rumänien in großer Zahl in die deutschen Sozialsysteme drängen – weil schon das deutsche Kindergeld höher ist als der „Durchschnittslohn“ der Roma zuhause.

Mahnendes Beispiel: Die bisherigen EU-Beitritte

Aber insgesamt waren die Staaten in Mittel- und Osteuropa, die bisher der EU beitraten, und ihre Probleme überschaubar. Die Gelder, die dorthin flossen, waren im Nachhinein betrachtet großteils gut angelegt. Die Infrastruktur wurde rasch erneuert, die Arbeitslosigkeit ist stark gesunken, viele der EU-Neumitglieder blühten wirtschaftlich auf und stehen jetzt auf eigenen Beinen.

Etwas holzschnittartig könnte man sagen: Deutschland als weitaus größter Nettozahler konnte es sich leisten, die „armen Nachbarn“ aufzupäppeln. Als größte Exportnation hatte Deutschland ja auch anschließend seinen Nutzen davon.

Mit der Türkei wäre die EU endgültig überfordert

Mit der Türkei aber wäre die EU völlig überfordert, wollte sie auch nur ansatzweise Transfers leisten, wie sie nach Osteuropa flossen – gemessen im Verhältnis zur Größe des Landes und der Einwohnerzahl. Sogar die Wirtschaftskraft Deutschland wäre hier völlig überdehnt. Die Türkei ist viel zu groß, als dass die EU sie verkraften könnte.

Mit 784.000 Quadratkilometern wäre die Türkei mit Abstand das größte Land der EU, gefolgt von Frankreich mit 552.000, Spanien mit 506.000 und Deutschland mit 357.000 Quadratkilometern. Sogar die Ukraine ist mit 604.000 Quadratkilometern deutlich kleiner als die Türkei.

EU würde sich unabsehbare Konflikte ins Haus holen

97 Prozent des gewaltigen türkischen Staatsgebietes liegen in Asien (Kleinasien/Anatolien), nur der kleine Fleck um Edirne und den europäischen Teil Istanbuls (Ostthrakien), der drei Prozent des Staatsgebiets ausmacht, gehören zum geographischen Europa. Im Nordosten grenzt die Türkei an die christlichen, aber untereinander verfeindeten Länder Georgien und Armenien.

Hinter der Ostgrenze der Türkei liegt die schiitische Theokratie Iran, an der Südgrenze liegen die Bürgerkriegsländer Irak und Syrien mit ihren Diktatoren, Terrortruppen, Christenverfolgungen und gewaltigen inneren Spannungen. Die EU würde sich damit zahlreiche strategischen Brandherde dauerhaft ins Haus holen.

Viel zu groß und rückständig

Mit über 79 Millionen Einwohnern wäre die Türkei der zweitbevölkerungsreichste, bald der bevölkerungsreichste Staat der EU. Bis 2025 erwarten Experten ein Bevölkerungswachstum auf 92 Millionen. Wirtschaftlich hat die Türkei in den letzten Jahren zwar einen Aufschwung verzeichnet, aber mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Einwohner von 10.815 US-Dollar belegt die Türkei 2013 (jüngste vorliegende Zahlen des IWF) trotzdem nur Platz 65 weltweit – hinter Staaten wie Gabun, Libyen und Kasachstan. Aus der EU liegen nur Rumänien und Bulgarien im BIP pro Einwohner hinter der Türkei, wenn auch knapp.

Vor allem der Westen, die Küstenregionen und die Großstädte der Türkei haben vom Aufschwung profitiert, hier haben sich auch die modern und säkular denkenden Türken versammelt. Dagegen sind vor allem die ländlichen Regionen Ost- und Südostanatoliens weiterhin völlig unterentwickelt, rückständig, arm. Sie erinnern in Sachen Infra- und Denkstruktur eher an den benachbarten Iran als an Westeuropa.

Anatolien würde größten Teil der EU-Mittel schlucken

Deshalb wird auch oft davon gesprochen, dass es die „eine“ Türkei nicht gibt, sondern mindestens zwei Teile; als dritter Teil wird oft das Kurdengebiet gesehen. Leider sind vor 50 Jahren vor allem die ländlichen, nicht-säkularen Türken nach Deutschland eingewandert, nicht die modern denkenden Städter.

Allein Ost-und Südostanatolien würden langfristig den größten Teil der heute vorhandenen EU-Regional- und anderen Fördermittel binden. Die Ost- und Südeuropäer, aber auch die Bewohner Ostdeutschlands und anderer Zonenrandgebiete, würden in die Röhre schauen und sich dafür recht schön bedanken.

Türkei ist ein schwieriger und selbstherrlicher „Partner“

Die Türkei ist auf politischer Ebene bereits jetzt ein schwieriger, selbstherrlicher und egoistischer Partner. Schon innerhalb der Nato belasteten die notorischen Alleingänge Ankaras über Jahre hinweg die Südflanke des Bündnisses – sei es gegen Griechenland wegen umstrittener Ägäis-Inseln, sei es im Zypern-Konflikt, sei es bei diversen Provokationen gegen Israel, sei es jüngst beim Abschuss eines russischen Militärflugzeugs an der syrischen Grenze.

Auch beim jüngsten Brüsseler EU-Türkei-Gipfel zeigte sich das überbordende türkische Selbstbewusstsein, das auf eine bis auf die Knochen verunsicherte, zerstrittene EU traf: Ministerpräsident Davutoglu trat mehr oder weniger schon jetzt wie ein Hegemon auf, der allen anderen die Bedingungen diktierte und den Forderungskatalog „gebündelt auf den Tisch knallte“, wie die linksliberale SZ schrieb.

Erdogan, der neue Sultan

Dazu kommen die neo-osmanischen Anwandlungen des Staatspräsidenten Erdogan, der in Ankara in einem Palast residiert, dessen Ausmaß an betonaler Selbstverwirklichung den alten Sultanen Tränen des Neids in die Augen getrieben hätte. Er pflegt durch die sunnitischen Länder der Levante und des Maghreb zu reisen und sich von der Bevölkerung bejubeln zu lassen.

Dabei macht er antiisraelische Propaganda, um die sunnitisch-islamistischen Araber auf seine Seite zu ziehen. Erdogan zeigt seinen als Israel-Kritik getarnten Antisemitismus ziemlich offen. In einer Rede zum 562. Jahrestag der Eroberung Konstantinopels sagte der Präsident 2015 vor einer Million Türken: „Eroberung heißt Sultan Saladin, heißt, in Jerusalem wieder die Fahne des Islams wehen zu lassen.“

Erdogan als Hemmschuh der Integration in Deutschland

Auch in Deutschland macht Erdogan bei den türkischen Staatsbürgern rücksichtslose Propaganda – zuletzt im Präsidentschaftswahlkampf. Er warnt seine Landsleute vor Integration (nennt das dann „Assimilation“), mahnt sie, der Heimat treu zu bleiben und bindet sie damit an sich und die Türkei. Damit bildet sich Erdogan eine fünfte Kolonne in Deutschland – beinah eine Art Irredenta, mit der er in die deutsche Innenpolitik eingreifen kann. Bei der letzten Wahl haben deutlich mehr als 50 Prozent der in Deutschland lebenden und in der Türkei wahlberechtigten Türken für die AKP gestimmt.

Erdogan hat aus seinen Zielen auch nie einen Hehl gemacht. Schon 1998 zitierte er in einer Rede ein Gedicht, dass seine Pläne offenbarte: „Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.“

Türkei wäre zwangsläufig die neue Zentralmacht der EU

Die Türkei wäre also die neue Zentralmacht der EU: Gleichzeitig das größte, dominanteste, selbstbewussteste und ärmste Land der EU. Sie würde versuchen, die EU nach ihrem Gusto umzugestalten. So etwas könnte die EU als Bund freier Staaten nicht überleben – zumindest nicht mit der momentanen Konzeption einer immer engeren politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Union mit immer weiterer Vertiefung und Vereinheitlichung („ever closer union“).

Gleichzeitig ist und bleibt der Türkei der Kontinent Europa und seine tradierten Werte grundsätzlich wesensfremd – auch wenn Istanbul bis 1453 Konstantinopel hieß, hier über 1000 Jahre lang christliche Kaiser ihren Sitz hatten, wichtige Stätten des frühen Christentums auf dem Gebiet der heutigen Türkei liegen und viele Heilige aus der Region stammen: Dies war alles vor der Eroberung des byzantinischen Reichs durch die muslimischen Osmanen.

Europa ist nun einmal ein christlich geprägter Kontinent

Europa ist nun einmal ein zutiefst christlich geprägter Kontinent. Das Christentum, das Judentum, der vom biblischen Glaubensgrundsatz der Gottebenbildlichkeit des Menschen ausgehende Gedanke der Menschenwürde, der freie Wille des Menschen, die unveräußerlichen, individuellen Menschenrechte, die Aufklärung, die Rechtsstaatlichkeit, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die freie Meinungsäußerung – all das ist einem Großteil der Türkei gedanklich fremd.

Umgekehrt gehörte der Islam nie wirklich zu Europa. Islamische Regime kamen immer nur als Invasoren und wurden auf kurz oder lang wieder zurückgedrängt. Die wenigen muslimischen Nationalitäten in Europa wie Albaner, Bosniaken oder auch die Tataren in Rumänien und Bulgarien bilden eine historische Ausnahme, fast ein Kuriosum: Sie lebten jahrhundertelang einen stark säkularisierten, integrierten, konfliktarmen Alltags-Islam in enger Nachbarschaft mit dem Christentum. In der ganzen rumänischen Dobrudscha, wo 70.000 Moslems leben, sieht man keine einzige Frau mit Schleier oder Kopftuch in der Öffentlichkeit.

Der Islam als Hürde

Der Islam in all seinen Formen, auch der türkischen, teilt die ganze Welt und alle ihre Einzelteile grundsätzlich ein in „erlaubt“ (halal) und „verboten“ (haram): Speisen, Familiengesetze, Kleidung, Verhalten und so weiter. So kann ein strenggläubiger Moslem – vor allem nach den strengen Rechtsschulen, die weltweit auf dem Vormarsch sind – niemals tolerant gegenüber Christentum, Schweinefleisch oder gar Frauen im Bikini sein. Diese Dinge sind eindeutig „haram“. Im besten Fall verachtet er sie still, im schlechtesten Fall greift er sie tätlich an. Aber er wird sie nie als gleichwertig anerkennen.

Daher richten die gläubigen Moslems in Westeuropa häufig ihre Nischen ein, in denen die Gesetze und Traditionen des Gastlandes nicht gelten, sondern die islamischen Sitten und Gebräuche von zuhause. Die Europäer nennen dies Parallelgesellschaft und stehen davor mit naivem Staunen. Dabei ist dies aus Sicht der Moslems ganz logisch.

In diesem Sinne handelt auch die AKP in der Türkei: Ehebruch sollte wieder unter Strafe gestellt werden, islamischer Religionsunterricht (ausschließlich der sunnitisch-hanefitische) an staatlichen Schulen wurde auch für Nichtmuslime als verpflichtend eingeführt, das Kopftuchverbot an türkischen Universitäten wurde aufgehoben, das Mindestalter für den Koranunterricht wurde auf drei Jahre gesenkt, die Absolventen schlichtester religiöser „Akademien“ wurden denen von geistes- und naturwissenschaftlichen Schulen beim Hochschulzugang gleichgestellt und der Alkoholausschank wurde mit allen Mitteln unterbunden. Eine türkisch geprägte EU wäre also zwangsläufig eine islamisch geprägte EU. Können die Europäer das wollen?

Christen werden in der Türkei diskriminiert

In der Türkei schaut es jedenfalls sehr düster aus mit Glaubensfreiheit, sofern diese Christen betrifft. Keine christliche Kirche darf Gebäude bauen, kaufen oder besitzen. Die evangelisch-lutherische Kirche in Istanbul gehört beispielswiese offiziell auch heute noch dem deutschen Konsulat.

Der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel darf immer noch nicht das 1971 vom Staat staatlich geschlossene Priesterseminar auf der Insel Chalki im Marmarameer nutzen. Da aber auch Priester, die im Ausland studiert haben, gesetzlich nicht als Patriarch in Frage kommen, ist das Patriarchat von Konstantinopel und damit die ganze traditionsreiche griechische Orthodoxie in der Türkei im Grunde zum Aussterben verurteilt.

Diese prinzipielle Diskriminierung von Christen im eigenen Land kontrastiert eigenartig mit der Impertinenz, mit der der Islamverband DITIB, der dem türkischen Religionsministerium und damit der AKP unterstellt ist, in Deutschland ganz selbstverständlich allerorten Moscheen bauen will – und das möglichst gleich im osmanischen Zuckerbäckerstil: mit Minarett, Kuppel und allen Schikanen.

Demonstranten werden niedergeknüppelt, Medien gleichgeschaltet

Sehr schlecht steht es auch um die Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei. Demonstrationen, die dem AKP-Regime nicht passen, werden brutal niedergeknüppelt. Unter Umständen, wenn die Demonstranten ausdauernd und leidensfähig genug sind, werden solche Straßenkämpfe zu richtiggehenden Schlachtfeldern und längerfristigen Platzbesetzungen, wie die Demonstrationen im Gezi-Park in Istanbul 2013. Kennzeichnend dabei ist stets das rücksichtlose Vorgehen der Polizei. Auch die Justiz ist durch Versetzungen, Entlassungen und Neubesetzungen weitgehend auf AKP-Linie gebracht worden.

Allein während der Gezi-Proteste im Sommer 2013 verließen 60 Journalisten ihre Stelle, weil ihnen gekündigt wurde oder sie es vorzogen, selber zu gehen.

Der Mob war als eine Art Leserbrief an die Zeitung zu verstehen.

Ismail Kul

Erst dieser Tage hat die türkische Regierung gewaltsam die Redaktion der regimekritischen Zeitung Zaman (die der wiederum dubiosen Gülen-Sekte nahe stehen soll) in Istanbul gewaltsam gestürmt, übernommen und auf Linie gebracht. Redaktionelle Arbeit und Druck wurden von der Polizei überwacht, noch am gleichen Tag sang auch Zaman das Hohelied auf Erdogan.

Seit Jahren untergräbt Erdogan die Pressefreiheit systematisch

Die Pressefreiheit wird aber schon seit Jahren systematisch attackiert: Seit 2008 wird mit Steuerverfahren versucht, die regierungskritische Dogan-Mediengruppe gefügig zu machen. In einem Gerichtsverfahren wegen Steuerhinterziehung wurde der der angeklagte Aydin Dogan jedoch freigesprochen. In einem Telefongespräch, das im Februar 2014 veröffentlicht wurde, wies mutmaßlich Erdogan seinen Justizminister an, für ein hartes Gerichtsurteil gegen den Medienunternehmer zu sorgen. Am 6. und am 8. September 2015 griffen 200 beziehungsweise 100 AKP-Anhänger das Redaktionsgebäude der regierungskritischen Tageszeitung Hürriyet an. „Der Mob war als eine Art Leserbrief an die Zeitung zu verstehen“, schrieb ironisch Ismail Kul im deutsch-türkischen Journal DTJ-Online dazu.

Wenige Tage vor der Parlamentswahl in der Türkei am 1. November 2015 stürmte die Polizei das Gebäude der regierungskritischen Mediengruppe Koza Ipek in Istanbul und schaltete die Sender Kanaltürk und Bugün TV ab. Im November wurden der Chefredakteur der unabhängigen Zeitung Cumhuriyet, Can Dündar, und der Hauptstadtbüroleiter Erdem Gül verhaftet, weil sie über angebliche Waffenlieferungen der Türkei an Extremisten in Syrien berichtet hatten. Das passte dem Islamisten Erdogan nicht, er stellte persönlich die Anzeige. Zwar ordnete das Verfassungsgericht vergangene Woche die Freilassung der beiden an, ihnen droht aber weiter lebenslange Haft – wegen „Spionage“ und „Geheimnisverrat“.

Seit Jahren werden AKP-kritische Journalisten und Schriftsteller verfolgt, verprügelt, bedroht und eingesperrt, mehr als 30 sitzen wohl derzeit in Haft. Genaueres weiß man nicht, aber einem Bericht der türkischen Tageszeitung Sözcü zufolge sollen unter der AKP-Regierung bisher 61 Journalisten inhaftiert, gegen weitere 2000 Journalisten sollen Gerichtsverfahren eröffnet und gegen 4000 Journalisten sollen Ermittlungen geführt worden sein. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ liegt die Türkei auf Platz 149 von 180 Staaten – bei Erdogans Amtsantritt lag sie noch auf Platz 99. Sollte dies etwa die Zukunft der Meinungsfreiheit in der EU sein?

Ach, die Armenier! War da was?

Dazu passt die Chuzpe, mit der die Türkei immer noch den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts leugnet, den der nationalistischen Jungtürken an den christlichen Armeniern. 1915 und 1916 kamen bei Massakern und Todesmärschen zwischen 300.000 und 1,5 Millionen Menschen ums Leben.

Die offizielle Türkei und nationaltürkische Geschichtsschreiber verharmlosen diesen brutalen, vielfach durch Quellen belegten Völkermord allerdings nur als Folge von „kriegsbedingten Sicherheitsmaßnahmen“. Wer dennoch in der Türkei über den Völkermord an den Armeniern spricht, dem droht Strafverfolgung wegen „Beleidigung des Türkentums“.

Krieg gegen die Kurden wieder voll im Gang

Der Konflikt mit den Kurden im Südosten des Landes ist wieder stark aufgeflammt. Vergessen sind die Friedensverhandlungen und der Waffenstillstand von 2012 und 2013. Nach den verlorenen Parlamentswahlen im Juni 2015 verschärfte Erdogan die Konflikte wieder, um der prokurdischen Partei HDP, deren Erfolg der AKP die absolute Mehrheit entrissen hatte, den Boden zu entziehen. Im Juli wurden bei einem angeblichen IS-Anschlag in der türkisch-kurdischen Stadt Suruc 34 Kurden getötet und viele verletzt. Es kam landesweit zu Protesten gegen die türkische Regierung wegen deren Untätigkeit gegen den IS.

Die militanten Kurden der PKK, die sich jahrelang friedlich verhalten hatten, verübten als Vergeltung Anschläge gegen türkische Polizisten und Soldaten. Erdogan hatte seinen Anlass, ließ das Militär marschieren und kurdische Städte abriegeln. Im Herbst 2015 wurden angeblich 150 Soldaten, Polizisten und Dorfschützer sowie 181 Militante der PKK getötet. Bei den Kampfhandlungen starben auch viele Zivilisten.

Türkische Flugzeuge bombardieren seitdem immer wieder kurdische Dörfer, unter anderem im Irak und in Syrien – besonders fatal mit Blick auf die kurdische Anti-IS-Truppe Peschmerga, die ja auch von der Nato und Deutschland unterstützt wird. Der FAZ-Korrespondent in der Türkei befürchtet schon, dass der „Krieg gegen die Kurden in Anatolien“ die nächste große Flüchtlingswelle auslösen wird.

Wie stark hat die Türkei den IS gefördert?

Auch das Anwachsen der Terrortruppe Islamischer Staat (IS) führen viele Experten auf die gnädige Mithilfe der Türkei zurück – zumindest hat die Türkei das Treiben des IS lange Zeit billigend in Kauf genommen und nichts dagegen unternommen. Jedenfalls dürfte es laut mehreren TV-Reportagen so sein, dass ein Großteil des Güterumschlags des IS über die Türkei abgewickelt wird – wie auch sonst, da in Irak und Syrien kein ziviler Flugverkehr herrscht und der IS wohl kaum größere Warentransporte durch das gegnerische Gebiet weiter im Westen veranstaltet. Fest steht jedenfalls, dass alle aus Europa angeworbenen IS-Kämpfer über die Türkei ins Kampfgebiet nach Syrien gereist sind.

Die Zypern-Frage als juristischer Ausschlussgrund

Angesichts all dessen wirkt ein Umstand beinah nachrangig, dem die EU aber juristisch größte Bedeutung beimessen muss: Die Türkei erkennt das EU-Mitgliedsland Zypern nicht an und hat sogar einen Teil davon völkerrechtswidrig besetzt (Nordzypern). Dies dürfte ein glasklarer juristischer Ausschlussgrund sein – juristisch vergleichbar mit dem Nichtanerkennungs-Konflikt zwischen Griechenland und Mazedonien, nur umgekehrt. Es stellt sich die Frage: Wie kann ein Land die Aufnahme in einen Staatenbund forcieren, in dem ein Staat Mitglied ist, den man nicht anerkennt? Die EU ist ein Binnenmarkt mit zahlreichen gemeinsamen Regeln und Rechtsstandards. Wie soll so etwas funktionieren, wenn man einen der Mitgliedstaaten ignoriert und ihm das Existenzrecht abspricht?

Fazit: Die Türkei kann und darf niemals Mitglied der EU werden. Dies wäre das Ende der EU als politisch-kulturelle Friedensgemeinschaft freier Völker. Wer also eine Politik verfolgt, die die Mitgliedschaft der EU zum Ziel hat oder diese beschleunigt, wer eine Politik verfolgt, die die politische Abhängigkeit der EU von der Türkei erhöht, so dass diese Druck in Richtung einer Vollmitgliedschaft oder weitreichenden Reiseerleichterungen ausüben kann, der schadet der EU.

(wog/avd)