Glaubenskonflikt: Es herrscht Krieg in Syrien und im Irak. (Foto: Fotolia)
Syrien

Auf dem Weg nach Kurdistan?

Die syrischen Kurden und ihre Verbündeten haben eine autonome Region im Norden des Bürgerkriegslandes ausgerufen. Das ruft den türkischen Diktator Erdogan auf den Plan: Die türkische Regierung hatte wiederholt gedroht, dass sie einen Kurdenstaat in Nordsyrien nicht dulden werde. Auch die syrische Assad-Regierung bezeichnete die Ausrufung als "wertlos".

Der Plan für ein „föderales System“ sei bestätigt worden, sagte Kurdensprecher Idriss Nassan der Deutschen Presse-Agentur. Das Autonomiegebiet soll auch drei bereits existierende Selbstverwaltungen in Nordsyrien einschließen, in denen bisher alle ethnischen und religiösen Gruppen annähernd gleichberechtigt vertreten sind. Rojava, ein Landstrich, der sich rund 400 Kilometer entlang der türkischen Grenze vom Irak bis zum Euphrat erstreckt, sowie die Region um Afrin sollen eine gemeinsame Regierung erhalten. Bestimmende politische Kraft in der Region ist die syrisch-kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD). Sie ist der syrische Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK in der Türkei. Die PYD kontrolliert mit ihrem militärischen Arm YPG weite Gebiete im Norden Syriens und führt diese faktisch bereits autonom. Militärisch bestimmend sind die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), in denen Kurden, Christen und Araber kämpfen. Sie wird von den USA unterstützt, die in Rojava zwei Flughäfen ausgebaut haben.

Kreise nahe der kurdischen Führung hatten betont, dass es sich um eine Föderation handele, nicht aber um einen eigenen Staat. Das Vorgehen sei auch keine Reaktion darauf, dass die PYD nicht zu den Genfer Syrien-Gesprächen eingeladen ist. Die Pläne für die Autonomieregion gebe es schon längere Zeit.

Assad-Regime droht

Das syrische Regime hatte sich ablehnend geäußert: „Jede Art von Spaltung wird ein absoluter Misserfolg“, drohte der Chefunterhändler der Regierung bei den Genfer Gesprächen, Baschar Dschaafari. Die syrische Regierung teilte mit, die Erklärung werde „keine rechtlichen, politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Auswirkungen“ haben, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Sana unter Berufung auf einen Mitarbeiter des Außenministeriums.

Ein neuer Flächenbrand?

Dennoch könnte die Ausrufung einen Flächenbrand auslösen: Die türkische Regierung hatte wiederholt gedroht, dass sie einen Kurdenstaat in Nordsyrien nicht dulden werde. In der Vergangenheit ist die Armee bereits öfters bei begrenzten Operationen in die irakischen und syrischen Kurdengebiete einmarschiert. Der Grund sind die eigenen Kurdengebiete, die auch nach Selbständigkeit streben. Nachdem der türkische Möchtegern-Diktator Erdogan einen Krieg gegen die Kurden im eigenen Land angezettelt hat, nur um die Wahlen zu gewinnen, scheint nun alles möglich. Die PKK und radikale Ableger von ihr haben laut Regierungsangaben bereits Anschläge auf türkische Soldaten und Polizisten verübt. Wobei man bei diesen Schuldzuweisungen immer vorsichtig sein muss, weil es auch Gerüchte gibt, dass die Anschläge von interessierten Kreisen verübt wurden, um den Krieg gegen die Kurden zu legitimieren. Freunde werden Türken und türkische Kurden jedenfalls nicht mehr.

Der Kurdenstaat

Und ein Kurdenstaat rückt immer mehr in den Bereich des Möglichen: Auch der irakische Teil des Kurdengebiets wird bereits faktisch völlig autonom verwaltet, mit eigener Verfassung, Regierung, Parlament, Hauptstadt (Erbil), Verwaltung, Währung, Amtssprache, Wappen, Fahne, Nationalhymne und eigenen Sicherheitskräften. Sollten sich also der syrische und der irakische Teil Kurdistans über kurz oder lang zu einem Staat zusammenschließen, könnten dies vermutlich weder die syrische noch die irakische Regierung verhindern. Dazu sind sie politisch und militärisch viel zu schwach. Lediglich der iranische Teil des kurdischen Siedlungsgebietes bleibt mit ziemlicher Sicherheit Teil des Mullah-Staates. Auch das Interesse der USA an einem stabilen Staat in der Region nimmt zu – und dies könnte eigentlich einzig und allein das Kurdengebiet sein. Was ein solcher Staat für eine Anziehungskraft auf die geschätzt 11,5 Millionen türkischen Kurden entwickeln würde, das will sich das AKP-Regime in Ankara wohl nicht mal in den schlimmsten Alpträumen ausmalen. Die Kurden jedenfalls sagen von sich selbst, sie seien weltweit die größte Volksgruppe ohne eigenen Staat.