Fahrplan für die Flüchtlingskrise
Ein Ende der Grenzkontrollen und Kooperation mit der Türkei - die Staats- und Regierungschefs der EU setzen sich für den bevorstehenden EU-Gipfel hohe Ziele. Dazu will EU-Innenminister Dimitris Avramopoulos einen "Fahrplan" präsentieren, der unter anderem mehr Hilfen für Griechenland vorsieht.
EU-Gipfel

Fahrplan für die Flüchtlingskrise

Ein Ende der Grenzkontrollen und Kooperation mit der Türkei - die Staats- und Regierungschefs der EU setzen sich für den bevorstehenden EU-Gipfel hohe Ziele. Dazu will EU-Innenminister Dimitris Avramopoulos einen "Fahrplan" präsentieren, der unter anderem mehr Hilfen für Griechenland vorsieht.

Schon vor dem EU-Gipfel am kommenden Montag könnten EU und die Türkei kurz vor einem Durchbruch bei den Verhandlungen über die Flüchtlingskrise stehen: Laut Financial Times könnte die Türkei sich einverstanden erklären, alle nicht-syrischen Flüchtlinge, die auf griechischen Inseln ankommen, aufzunehmen.

Türkei soll Menschenstrom aufhalten

Wenige Tage vor dem EU-Türkei-Gipfel mahnt EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos dazu an, den mit der Regierung in Ankara vereinbarten Aktionsplan zur Flüchtlingskrise umzusetzen. „In den letzten Tagen hat die Türkei Griechenland rund 300 illegale Migranten abgenommen – das ist ein sehr gutes Zeichen“, sagte Avramopoulos der Welt. „Sicher ist: Ohne Kooperation mit der Türkei sind wir nicht in der Lage, die Situation effektiv in den Griff zu bekommen.“ Die Türkei ist das wichtigste Transitland für Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa. Das Land hat mehr als 2,5 Millionen Syrer aufgenommen. Die EU hofft, dass die Regierung in Ankara den Zug der Menschen nach Europa durch effektivere Grenzkontrollen aufhält. Mit dem im November vereinbarten Aktionsplan stellte die EU Ankara im Gegenzug dafür drei Milliarden Euro und politische Zugeständnisse in Aussicht.

„Schengen darf nicht zusammenbrechen“

In der Flüchtlingskrise haben immer mehr Länder des Schengen-Raumes, in dem eigentlich Reisefreiheit gilt, wieder Grenzkontrollen eingeführt. Avramopoulos warnte mit drastischen Worten vor den Folgen, die ein Zusammenbruch des Schengen-Systems hätte. „Ein Zusammenbruch von Schengen wäre der Anfang vom Ende des europäischen Projekts.“ Am 12. Mai werde die EU-Kommission eine Bilanz der Bemühungen Athens zum Schutz der EU-Außengrenze ziehen. „Sollten wir bis dahin keinen Erfolg erkennen, werden wir ohne zu zögern die Voraussetzungen schaffen, dass die Grenzkontrollen in Europa verlängert werden können“, kündigte Avramopoulos an.

Bayern setzt auf Schengen

Europaministerin Beate Merk sieht den bayerischen Kurs bei der Frage nationaler Grenzkontrollen an den Binnengrenzen bestätigt. Niemand wolle die Reisefreiheit in Europa oder die Errungenschaften des Schengen-Raums grundsätzlich infrage stellen. Allerdings könne Schengen nur funktionieren, wenn sich alle Schengen-Mitgliedstaaten konsequent an die dabei geltenden Regeln halten.

Wenn die Außengrenzen in Europa nicht ausreichend geschützt werden, muss es den Mitgliedstaaten an den Binnengrenzen möglich sein, sich selbst zu schützen.

Beate Merk, Europaministerin 

Wenn ein Mitgliedstaat nicht bereit oder in der Lage ist, seine Außengrenzen zu schützen, müsse er in letzter Konsequenz den Schengen-Raum verlassen.

 

Ende für Grenzkontrollen

Die EU-Kommission setzt darauf, dass wegen der Flüchtlingskrise eingeführte Kontrollen an europäischen Binnengrenzen bis Ende des Jahres wieder aufgehoben werden können. Dazu soll es einen Fahrplan geben. Ein Entwurf, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, sieht mehr Hilfe für Griechenland bei der Sicherung seiner EU-Außengrenze zur Türkei vor. Bis November soll eine europäische Grenz- und Küstenwache einsatzbereit sein. Nach Angaben von Avramopoulos werden inzwischen etwa 80 Prozent der Flüchtlinge registriert, die in Griechenland ankommen. Mittlerweile seien in Griechenland vier von fünf Hotspots funktionsfähig, in Italien drei von sechs.

Grenzkontrollen belasten Wirtschaft

Die EU rechnet mit einer Belastung der europäischen Wirtschaft von insgesamt 7 bis 18 Milliarden Euro pro Jahr. Das entspräche maximal 0,13 Prozent der Wirtschaftsleistung im Schengen-Gebiet, das neben 22 EU-Staaten auch die Länder Island, Norwegen, Schweiz und Liechtenstein umfasst. Am stärksten würden die Grenzkontrollen den Schätzungen zufolge den Güterverkehr auf der Straße belasten. Allerdings stehen dort nicht nur Lkw-Fahrer im Stau, sondern auch 1,7 Millionen Arbeitnehmer, die täglich innerhalb der EU über Grenzen zur Arbeit pendeln. Nach den Berechnungen kämen auf die Arbeitgeber dieser Pendler Kosten zwischen 2,5 und 4,5 Milliarden Euro zu – wegen verlorener Wartezeit an den Grenzen. Für den Tourismusbereich wird mit 13 Millionen Übernachtungen weniger gerechnet.

Flüchtlinge könnten neue Routen suchen

Griechenlands nördliches Nachbarland Mazedonien, das derzeit die Grenze für Flüchtlinge aus Griechenland weitgehend abgeriegelt hat, forderte Avramopoulos auf, besser mit den Nachbarn zu kooperieren. Durch die Grenzblockade riskiere das Land, „zum Teil einer großen humanitären Krise zu werden“. Er warnte, dass sich die Flüchtlinge, die derzeit an der griechisch-mazedonischen Grenze gestoppt werden, bald neue Routen suchen könnten. „Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass jede Barrikade umgangen wurde“, sagte der Innenkommissar. „Es ist naiv zu glauben, dass Zäunen, Barrikaden oder eine raue See die Flüchtlinge abhalten können.“

Merkel in Paris

Zur Vorbereitung des Türkei-Gipfels reiste Kanzlerin Angela Merkel nach Paris. Dort trifft sie den französischen Präsidenten François Hollande im Pariser Élyséepalast. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte: „Die deutsch-französische Achse ist sehr lebendig, sehr wach und weiter sehr wichtig dafür, dass wir in Europa gemeinsam Fortschritte machen.”

dpa/AS