Der türkische Präsident Recep Erdogan. (Foto: Imago/Zuma Press)
Nach Journalisten-Urteil

Erdogan greift Verfassungsgericht an

Von wegen keine politische Einflussnahme: Nach der Freilassung zweier Journalisten greift Türkeis Präsident Erdogan sein eigenes Verfassungsgericht scharf an - und verkündet sogleich, das Gerichtsurteil zur Freilassung schlicht und ergreifend zu ignorieren. Der Vorfall zeigt einmal mehr, wie der Staatschef die Demokratie in seinem Land schrittweise abschafft.

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan geht auf direkten Konfrontationskurs zum Verfassungsgericht seines Landes: Der umstrittene Staatschef will sich offenbar über ein Urteil des Gerichtshofs hinwegsetzen und zwei Journalisten – trotz anders lautendem Richterspruch – nicht auf freien Fuß setzen. Die Richter in Ankara hatten vergangene Woche die Freilassung von zwei prominenten Journalisten angeordnet, die seit drei Monaten in Untersuchungshaft saßen. Der Vorwurf: Die beiden Männer hätten über angebliche Waffenlieferungen des Geheimdienstes an islamistische Rebellen im Nachbarland Syrien berichtet. Erdogan selbst hatte den Strafantrag gegen die Journalisten gestellt, beide wurden daraufhin im November festgenommen. Bei den beiden Männern handelt es sich um den Chefredakteur der regierungskritischen Cumhyrriet, Can Dündar, und seinen Kollegen Erdem Gül.

Den Journalisten wird außerdem Spionage und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen – bei einer Verurteilung droht ihnen lebenslange Haft. Das Verfassungsgericht kam jetzt allerdings zu dem Schluss, der Haftbefehl sei unrechtmäßig und verletze die Meinungsfreiheit und die Persönlichkeitsrechte von Dündar und Gül.

„Habe keinen Respekt vor der Entscheidung“

Für Staatspräsident Erdogan aber scheint das Urteil keinerlei Bindung zu haben. Kurz nach der Verkündung der Entscheidung der Richter erklärte Erdogan, er werde die von den Verfassungsrichtern angeordnete Freilassung nicht akzeptieren. „Ich werde weder der Entscheidung Folge leisten, noch habe ich Respekt vor ihr“, teilte der Präsident mit. In seinen Augen sind die beiden Journalisten „Spione“, für die es „keine grenzenlose Freiheit der Medien“ geben könne – das gebe es nirgendwo auf der Welt.

Es ist das nächste Kapitel im Krieg Erdogans gegen die eigene Justiz. Der Präsident kämpft seit mehreren Jahren gegen das eigene Verfassungsgericht sowie gegen andere Richter und Staatsanwälte, besonders seit gegen ihn und etliche AKP-Anhänger wegen Korruption ermittelt wurde. Im Frühjahr 2014 hatte zudem das Verfassungsgericht ein Verbot des Kurznachrichtendienstes Twitter, das Erdogan erlassen hatte, aufgehoben.

Unbotsame ereilt in Erdogans Türkei das immer gleiche Schicksal: Sie werden diskriminiert, inhaftiert, bedroht, verprügelt oder auf sonst irgendeine Art gefügig gemacht beziehungsweise ausgeschaltet. Im Zuge der Beitrittsverhandlungen der Türkei zur EU hatte das Land vor vier Jahren die Möglichkeit für Privatpersonen geschaffen, das Verfassungsgericht anzurufen. Wie lange diese Regelung allerdings noch gilt, ist unklar: Premierminister Ahmet Davutoglu, ein Parteifreund Erdogans, hatte in einer Regierungserklärung im November angekündigt, man werde diese Möglichkeit wieder abschaffen.

Trotz der vorübergehenden Freilassung der beiden Journalisten wird das Strafverfahren übrigens fortgesetzt. Der erste Verhandlungstag soll Ende März stattfinden.