Bayerns Bauministerin Ilse Aigner. (Foto: Nikky Maier)
Ökonomie

Ja zur sozialen Marktwirtschaft

Gastbeitrag Ludwig Erhards Grundsätze haben das deutsche Wirtschaftswunder ermöglicht. Sie können auch dabei helfen, in Zeiten der Digitalisierung die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, schreibt Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner.

Die CDU begibt sich auf die Suche nach einer neuen Programmatik. Denn tatsächlich bildet das alte CDU-Grundsatzprogramm viele Herausforderungen unserer Zeit nicht ab. Und natürlich stellt sich längst die Frage, wie Globalisierung und Digitalisierung unsere Welt verändern und ob wir neue Antworten auf diesen Wandel finden müssen.

Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft sind gemeinsam gefragt, eine Vorstellung davon zu entwickeln, welche Werte weiterhin gelten und welche Rahmenbedingungen gesetzt werden müssen, auch welche Ziele wir überhaupt verfolgen. Im Zusammenhang mit diesem Findungsprozess wird gern auf ein Konzept zurückgegriffen, das noch älter ist als besagtes Grundsatzprogramm: auf das der Sozialen Marktwirtschaft.

Wachstum und Wohlstand, Motivation und Leistungsbereitschaft verlangen ein hohes Maß an (Gestaltungs-)Freiheit.

Ilse Aigner, bayerische Wirtschaftsministerin

Mag es – als die CDU ihre Programmatik verfasste – noch keine iPhones gegeben haben und keine Energiewende. Als Ludwig Erhard seine Gedanken zu entwickeln begann, wurden Lebensmittel- und Kleiderkarten vergeben sowie Kohle-Zuteilungen, die Regale in den Geschäften waren leer, der europäische Binnenmarkt existierte noch nicht, statt dessen prägte die Teilung Europas das Leben der Menschen sowie die Zeitgeschichte. Gleichzeitig regelte der Staat alles: Preise, Löhne, Mieten.

Fünf Gründe für Erhard

Diese Dinge nur zur Verdeutlichung: Erhard, das ist wirklich lange her.  Warum in aller Welt greifen wir – und viele andere – dann immer noch auf dessen Thesen zurück? Fällt uns denn gar nichts Neues ein? Dazu habe ich eine klare Meinung:

  1. Es ist gut, wenn wir uns auf die von Erhard geprägte Soziale Marktwirtschaft besinnen, denn sie ist ohne Zweifel die Grundlage unseres wirtschaftlichen Erfolgs. Der Aufstieg Deutschlands zum reichsten und wirtschaftlich stärksten Land in Europa ist ohne Erhard nicht denkbar. Das bedeutet für uns heute, dass wir die neuen Möglichkeiten nutzen, in die notwendigen Infrastrukturen und in Bildung investieren müssen. Wir müssen die Bürokratie begrenzen und die Voraussetzungen dafür schaffen, dass unsere Betriebe wettbewerbsfähig sowie Arbeitnehmer (besser) qualifiziert sind. Denn hiesige Facharbeiter stehen jetzt ebenso im Wettbewerb mit Arbeitern in China wie unsere Unternehmen mit konkurrierenden Firmen in aller Welt.
    Für mich besonders entscheidend: Das Konzept wird getragen von einem Geist der Verantwortung. Und vor allem formuliert es einen von Optimismus getragenen Gestaltungswillen. Diesen gilt es aufrecht zu erhalten und zu erneuern – und dem Gefühl entgegenzusetzen, den rasanten Veränderungen unserer Zeit hilflos ausgeliefert zu sein.
  2. Die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft – freier Wettbewerb, Preisstabilität, Eigenverantwortung, Schutz des Eigentums, soziale Gerechtigkeit – sind einem klaren Ziel untergeordnet. Um es vereinfacht auszudrücken: Maßstab ist der Nutzen für eine Gesamtheit – „Wohlstand für alle“. Dieses übergeordnete Ziel gilt weiter.
    Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass neben der sozialen Gerechtigkeit die Eigenverantwortung steht und dass das Ideal auf der Leistungsbereitschaft des Einzelnen basiert. Dennoch ist es mir wichtig, den Wohlfahrtsgedanken hervorzuheben und für die Zukunft zu beanspruchen. Mit Blick auf die Digitalisierung bedeutet das nämlich, dass wir sie mit dem Anspruch gestalten, die Zahl der Gewinner hoch zu halten. Gleichzeitig müssen wir unseren Sozialstaat dahingehend überprüfen, ob Freiheit und Verantwortung, Staat und Umverteilung in einem angemessenen Verhältnis stehen. Ob nicht der Wunsch nach Absicherung aller Lebensrisiken und die Eigendynamik der sozialen Sicherungssysteme Fortschritt und Wachstum in einem unguten Maße beeinträchtigen.
  3. Denn Wachstum und Wohlstand, Motivation und Leistungsbereitschaft verlangen ein hohes Maß an (Gestaltungs-)Freiheit – und den weitgehenden Verzicht des Staates auf regulatorische Eingriffe. Von diesem Gedanken haben wir uns in den letzten Jahrzehnten immer weiter entfernt und die (unternehmerische) Freiheit durch eine Flut von Vorschriften und Gesetzen beschnitten.  In diesem Sinne halte ich eine echte Rückbesinnung auf Erhard´sche Grundsätze für angezeigt – gerade angesichts des enorm gestiegenen Innovationstempos.
  4. Eingriffe des Staates hält Erhard immer nur dann für notwendig, wenn der freie Wettbewerb gefährdet wird – etwa durch Monopolbildungen und Marktkonzentrationen. Auch dieser Grundsatz gilt weiter – oder heute erst recht. Denn die Bedingungen des Wettbewerbs haben sich erheblich verändert. Im Internet werden auf neuen Plattformen Güter und Dienste von Mitfahrten bis zu Wohnungen getauscht und geteilt. Der schnelle und kostenlose Austausch von Informationen über Netzwerke schafft neue Formen der Vermittlung von Arbeit und Kapital. Netzwerkeffekte und der Besitz von Information begünstigen Marktmacht. Und Daten selbst sind heute ein wirtschaftlicher Wert, der Produkte im herkömmlichen Sinne ablöst.
  5. Dabei reicht allerdings ein national gesteckter Rahmen kaum mehr aus. Wirtschaftliche Dynamik und industrielle Revolutionen entwickeln sich kaum in kleinteiliger Abschottung. Und ein Gegengewicht zu asiatischen Großstaaten oder der digitalen amerikanischen Übermacht ist so allemal nicht zu schaffen.
    Aufgabe des Staates im Erhard´schen Sinne ist es deshalb nun, die Rahmenbedingungen für Datensicherheit, Kompatibilität der Systeme und die Rechte an den Daten so zu setzen, dass sich die freien Unternehmer kreativ entfalten und Wohlstand für alle schaffen können.

Freiheitliche Prinzipien

Der Begriff der sozialen Marktwirtschaft wird im Rückblick verbunden mit dem des Wirtschaftswunders. Ludwig Erhard selber sagte dazu: „Das, was sich in Deutschland … vollzogen hat, war alles andere als ein Wunder. Es war nur die Konsequenz ehrlicher Anstrengung eines ganzen Volkes, das nach freiheitlichen Prinzipien die Möglichkeit eingeräumt erhalten hat, menschliche Initiative, menschliche Energien wieder anwenden zu dürfen“.

Lassen Sie uns Inhalte und Geist von Ludwig Erhard wiederbeleben, denn was ich oben als aus einer anderen Zeit beschrieben habe, ist zugleich hochaktuell. Auch wenn es uns heute allgemein besser geht als zu Zeiten Erhards und jemals zuvor in unserer Geschichte, können die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft eine gute Richtschnur für unsere Entscheidungen sein.

Die Chancen der Digitalisierung

Im Nachkriegsdeutschland trieb viele Menschen die Vorstellung an, den eigenen Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen. Diese mit Händen zu fassende Möglichkeit setzte Energien frei. Heute dagegen fürchtet ein großer Teil selbst der Mittelschicht den Verlust des eigenen Wohlstandes sowie sinkende Chancen für die zukünftige Generation.

Angst ist jedoch ein schlechter Berater – und eine neue Zeit, diese neue Zeit offenbart zugleich unzählige Chancen: Denn die Digitalisierung birgt auch ein Wachstums- sowie ein Teilhabe-Versprechen. Erhard 4.0 ist deshalb für mich idealer Weise dessen Renaissance in Deutschland und eine Erweiterung seiner Prinzipien auf einen europäischen oder internationalen Rahmen.