Südeuropa am Pranger
Europa muss entscheiden, was mit Staaten wie Spanien und Portugal passiert, die gegen den Stabilitätspakt verstoßen? Bußgeld oder keine weiteren finanziellen EU-Unterstützungen? Es wären die ersten Sanktionen nach Einführung des Euros. Der Alarm aus Brüssel ist berechtigt. Bayerns Finanzminister Markus Söder sieht bereits in Italiens marodem Finanzsektor den Auslöser für die nächste Bankenkrise.
EU-Kommission

Südeuropa am Pranger

Europa muss entscheiden, was mit Staaten wie Spanien und Portugal passiert, die gegen den Stabilitätspakt verstoßen? Bußgeld oder keine weiteren finanziellen EU-Unterstützungen? Es wären die ersten Sanktionen nach Einführung des Euros. Der Alarm aus Brüssel ist berechtigt. Bayerns Finanzminister Markus Söder sieht bereits in Italiens marodem Finanzsektor den Auslöser für die nächste Bankenkrise.

In der Debatte um Europas Defizitsünder und den Stabilitätspakt rücken Strafen für Spanien und Portugal näher. Beide Länder hätten 2015 ihre Haushaltsvorgaben nicht eingehalten und auch keine ausreichenden Gegenmaßnahmen eingeleitet, stellte die EU-Kommission fest. Nun muss die Eurogruppe entscheiden, ob sie die Einschätzung der EU-Kommission teilt. Stimmt sie dem Kommissionsbefund zu, muss das Team von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker innerhalb von 20 Tagen entscheiden, welche Sanktionen verhängt werden. Möglich ist allerdings, dass die EU-Kommission selbst dann nicht auf Strafen dringt. „Wir müssen berücksichtigen, woher die Länder kommen“, sagte EU-Finanzkommissar Pierre Moscovici.

Das Bußgeld kann null Euro betragen.

Pierre Moscovici, EU-Finanzkommissar

Bußgeld oder Euro-Sperre?

Der Euro-Stabilitätspakt sieht unter anderem eine Defizitgrenze von drei Prozent der Wirtschaftsleistung vor. Euro-Staaten, die dagegen verstoßen, drohen Bußgelder. Diese wurden bislang jedoch noch nie verhängt. Im äußersten Fall wird für Spanien eine Strafzahlung von bis zu zwei Milliarden Euro, bei Portugal bis zu 360 Millionen Euro fällig. Eine andere Alternative: die Auszahlung von Mitteln aus dem EU-Strukturfonds solange zu sperren, bis die Regierungen in Madrid und Lissabon einlenken. Was im Fall Portugals Mindereinnahmen von bis zu 500 Millionen Euro bedeuten kann und im Fall von Spanien ein Minus von bis zu 1,3 Milliarden Euro.

Neuverschuldung nicht im Griff

Spanien wies im Jahr 2015 eine Neuverschuldung von 5,1 Prozent der Wirtschaftsleistung auf. Auf dem Höhepunkt der Krise im Jahr 2009 hatte das Defizit noch elf Prozent betragen. Portugal verzeichnete 2010 mit 11,2 Prozent den höchsten Stand, 2015 waren es 4,4 Prozent. Beide Länder hätten seitdem wichtige Reformen angeschoben, sagte EU-Finanzkommissar Pierre Moscovici. Der Arbeitsmarkt und die Wirtschaftsleistung hätten zugelegt. Es seien jedoch keine ausreichenden Maßnahmen getroffen worden, um die Neuverschuldung in die Griff zu bekommen. Auf 132,7 Prozent beläuft sich Roms Staatsverschuldung inzwischen – nach Griechenland (176,9) der zweithöchste Wert im Euroraum. Problematisch ist vor allem, dass Italien nicht nur mit die höchsten Staatsschulden in Europa hat, sondern zugleich auch die marodesten Banken. Lesen Sie hierzu: Von Staatsschulden und maroden Banken.

Italien – Auslöser für neue Bankenkrise?

Seit dem Brexit-Votum in Großbritannien liegt der Fokus auf den angeschlagenen italienischen Banken. Am schlimmsten sieht es derzeit beim Traditionshaus Monte dei Paschi di Siena (MPS) aus, dessen Wert an der Börse zuletzt auf ein Rekordtief gefallen war. Es wird davon ausgegangen, dass die Bank ihre faulen Kredite im Wert von 43,4 Milliarden Euro nicht ohne staatliche Hilfe abbauen kann, wie von der Europäischen Zentralbank gefordert.

Bayerns Finanzminister Markus Söder fürchtet deshalb, dass Italiens maroder Finanzsektor Auslöser für die nächste Bankenkrise werden könnten. Er forderte, dass die Regeln mit der Bankenunion von der Regierung Renzi eingehalten werden sollen. Es dürfe nicht dasselbe wie beim Euro-Stabilitätspakt geschehen, dessen Regeln immer dann gebrochen wurden, wenn es darauf ankäme. Das sagte der Minister im Interview der Bild-Zeitung.

Der Grundgedanke der Bankenunion lautet: Für marode Banken haften Eigentümer und Gläubiger, nicht aber die Steuerzahler. Das muss jetzt auch für Rom gelten. Schon jetzt zeigt das Beispiel Italiens, warum es keine europäische Einlagensicherung geben darf, bei der deutsche Sparer für marode Banken in Südeuropa haften sollen.

Markus Söder, bayerischer Finanzminister

Chefökonom fordert Bruch der EU-Regeln

Der Chefökonom der Deutschen Bank, David Folkerts-Landau, schlägt deshalb gegenüber der Welt am Sonntag ein neues milliardenschweres Banken-Rettungsprogramm vor.

Mit 150 Milliarden Euro lassen sich die europäischen Banken rekapitalisieren.

David Folkerts-Landau, Deutsche Bank

Folkerts-Landau sagte, notfalls müsse für die Bankenrettung sogar ein Bruch der Regeln der neuen EU-Bankenrichtlinie akzeptiert werden. Eigentlich sollen nach den Erfahrungen der Finanzkrise 2008/2009 staatliche Hilfen für angeschlagene Banken erst fließen dürfen, nachdem Aktionäre und private Gläubiger herangezogen wurden. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer sieht faule Kredite in Italien ebenfalls als gravierendes Problem. Nach dem ersten Quartal habe die Notenbank eine Summe von 333 Milliarden Euro genannt.

Eine Beteiligung der Investoren nach den reinen Lehren der EU halten wir für ebenso unwahrscheinlich wie breit angelegte Staatshilfen.

Jörg Krämer, Commerzbank

Weitere tickende Zeitbombe: Frankreich

Im Frühjahr hatte die EU-Kommission noch eine Entscheidung zu den Defizitverfahren in beiden Ländern verschoben. Als Begründung führte sie vor allem den Wahlkampf und die Parlamentswahl in Spanien an. Aber auch aus Angst vor einer weiteren Defizit- und Staatsschulden-Zeitbombe im Euroraum: Frankreich. Lesen Sie hierzu: Brüssels Angst vor der eigenen Courage.

Nach Worten von Frankreichs Finanzminister Michel Sapin verdiene Portugal keine EU-Sanktionen wegen zu großer Haushaltslöcher. „Man kann nicht sagen, dass Portugal nicht alle angemessenen Schritte unternommen hätte“, sagte Sapin vor Reportern in Paris laut Reuthers. Sapin äußerte sich nicht zu Sanktionen gegen Spanien. Der französische Finanzminister räumte ein, dass es gerechtfertigt sei, dass die EU-Kommission das Strafverfahren eingeleitet habe. Frankreich selbst hat wiederholt gegen die Defizitregeln verstoßen. Das Land dürfte im nächsten Jahr erstmals seit 2007 wieder die erlaubte EU-Obergrenze von drei Prozent Neuverschuldung im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung unterschreiten.

Stabilitätspakt in der Krise

Die Auslegung des Euro-Stabilitätspakts ist seit Jahren umstritten. Im Jahr 2003 hatte Deutschland den Stabilitätspakt in eine tiefe Krise gestürzt. Damals wurden die Defizit-Verfahren gegen Deutschland und Frankreich ausgesetzt. Unter dem Eindruck der schweren Finanzkrise vor fünf Jahren war das Regelwerk noch verschärft worden. Gemäß der neuen EU-Bankenrichtlinie sollen staatliche Hilfen für marode Banken erst fließen dürfen, nachdem Aktionäre und private Gläubiger herangezogen wurden. Erst am Freitag hatte die italienische Notenbank erklärt, das Land brauche ein öffentliches Sicherheitsnetz zur Rettung angeschlagener Geldhäuser, das im Notfall greifen könne.

Obama: „Sparpolitik sorgt für Angst“

US-Präsident Barack Obama hat sich kritisch zum Rückgriff auf Sparmaßnahmen gegen die Wirtschafts- und Finanzkrise in Europa geäußert. Er glaube, dass die Sparpolitik einer der Gründe dafür sei, dass Europa derzeit ein relativ geringes Wirtschaftswachstum habe, sagte Obama der Madrider Zeitung El País aus Anlass seines Spanienbesuchs. Obama ist seit 15 Jahren der erste US-Präsident, der Spanien besucht. Er traf in Madrid den spanischen König Felipe VI.

Diese Politik ist aus meiner Sicht ein wichtiger Faktor zur Erklärung der Frustrationen und Ängste, die in vielen europäischen Ländern zu beobachten sind.

Barack Obama, US-Präsident

Die Euro-Gruppe

ist ein informelles Gremium, in dem die Minister aus den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets über Fragen betreffend den Euro beraten, die in ihre gemeinsame Verantwortung fallen. Ihre wichtigste Aufgabe besteht darin, eine enge Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets zu gewährleisten. Gleichzeitig ist sie bestrebt, die Voraussetzungen für ein stärkeres Wirtschaftswachstum zu verbessern. Die Euro-Gruppe kommt einmal im Monat zusammen.

Quellen: dpa/reuthersAS/bild/welt