Beim Tag der Bayerischen Wirtschaft in Brüssel – organisiert von der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) wurde einmal mehr deutlich: Bayerns Unternehmer sehen den bevorstehenden Austritt Großbritanniens aus der EU äußerst kritisch. „Der ‚Brexit‘ wird negative Folgen haben – für Europa, für Großbritannien, für Deutschland und auch für Bayern“, sagte vbw-Präsident Alfred Gaffal in seiner Rede. Man verliere mit Großbritannien einen wichtigen Partner bei der Verteidigung von Freihandel und Marktwirtschaft.
Auswirkungen auf Bayern
Der Brexit hat deutliche Auswirkungen auf den Freistaat: Für Bayern ist das Vereinigte Königreich nach den USA der zweitgrößte Exportmarkt. „Durch den Austritt laufen wir nun in eine Phase der Unsicherheit“, stellte Gaffal fest. „Unsicherheit führt zu Investitions- und Kaufzurückhaltung. Diese Phase muss jetzt so kurz wie möglich gehalten werden, indem die EU und Großbritannien den künftigen Umgang miteinander schnell definieren.“
Kein europäisches „Business as usual“
Die vbw forderte die EU auf, jetzt nicht zum ‚business as usual‘ zurückzukehren. „Die EU muss grundlegend reformiert werden, ein ‚Weiter so‘ darf es nicht geben“, so Gaffal. Die richtige Antwort auf die wachsende Europaskepsis sei nicht der reflexhafte Ruf nach ‚mehr Europa‘. „Vielmehr brauchen wir ein besseres Europa, das sich auf seine Stärken besinnt und seinen praktischen Nutzen für die Menschen unter Beweis stellt“, sagte Gaffal. Aus Sicht der vbw gehört dazu etwa ein gemeinsames europäisches Handeln in der Flüchtlingspolitik und die Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit.
Sieben der zehn größten Exportmärkte Bayerns sind EU-Staaten.
Alfred Gaffal, vbw-Präsident
Gaffal wagte auch einen Blick auf die restlichen Wirtschaftsbeziehungen des Freistaats zu den EU-Nachbarn. Dabei betonte er, dass die Staatsschuldenkrise in vielen EU-Ländern Bayern deutlich schade: „Sieben der zehn größten Exportmärkte Bayerns sind EU-Staaten“, erklärte der vbw-Chef. „Die EU-Kommission muss besser auf eine solide Haushaltspolitik aller EU-Mitglieder achten. Finanzielle Hilfen darf nur erhalten, wer die notwendigen Strukturreformen durchführt.“
Der Forderung nach einer Reduzierung der bayerischen und deutschen Exportüberschüsse erteilte die vbw eine klare Absage: „Nach einer aktuellen vbw Studie führt die Nachfrage Deutschlands nach Produkten aus anderen EU-Staaten zu fünf Millionen Arbeitsplätzen in diesen Ländern. Eine schlechtere Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands hätte negative Effekte auch auf andere EU-Staaten“, so Gaffal.
„Für Bayern sind offene Märkte unverzichtbar“
Mehr Wohlstand in Europa könne man nur durch mehr Markt und Wettbewerb erreichen, stellte der vbx-Chef klar. „Dazu ist eine Re-Industrialisierung nötig. Wir unterstützen das Ziel der EU, den industriellen Wertschöpfungsanteil in Europa bis 2020 auf 20 Prozent zu erhöhen“, erklärte Gaffal bei dem Event in Brüssel, an dem auch Bayerns Europaministerin Emilia Müller und die Chefin der CSU-Gruppe im Europaparlament, Angelika Niebler, teilnahmen.
Die vbw richtete zusammen mit der Vertretung des Freistaats Bayern in Brüssel zum vierten Mal den „Tag der Bayerischen Wirtschaft“ aus. Mehrere Unternehmen präsentieren dabei auf dem Gelände der Bayerischen Vertretung ihr Produktportfolio.
Auswirkungen auf TTIP?
Die vbw erwartet von der EU zudem, dass sie die Zukunftschancen der Digitalisierung konsequent nutzt und ihre ‚Digitale Agenda’ umsetzt. Große Wachstumschancen sieht die vbw auch in dem umstrittenen Freihandelsabkommen mit den USA, TTIP. „Für ein Exportland wie Bayern sind offene Märkte unverzichtbar“, erklärte Gaffal. „Wir werden weiter für TTIP werben.“
So meldet die Zeitung Die Welt, dass mit dem britischen EU-Austritt die Chancen auf einen Erfolg der ohnehin festgefahrenen TTIP-Gespräche schwinden würden. Zumindest eine Verzögerung sei fast sicher. Die EU werde in den kommenden Monaten wegen des Brexit sehr mit sich selbst beschäftigt sein. Vor allem aber würden sich nicht wenige Politiker die Frage stellen, ob es in dieser Lage eine kluge Idee sei, ein Abkommen durchzusetzen, das in breiten Teilen der europäischen Bevölkerung keine Unterstützung findet. Zudem lägen beide Seiten immer noch weit auseinander, etwa ob beim Investitionsschutz, im öffentlichen Auftragswesen oder bei den Verbraucherschutzstandards. Auch in den USA schwinde die Begeisterung für TTIP: Der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump lehne es ohnehin ab und die demokratische Bewerberin Hillary Clinton fürchte um amerikanische Jobs.