Endlich Transparenz herstellen
Die Umweltorganisation Greenpeace veröffentlicht geheime Unterlagen zum europäisch-amerikanischen Freihandelsabkommen TTIP. Es sind Dokumente, die viele Befürchtungen zu bestätigen scheinen. Klar ist jedenfalls: Die USA erhöhen den Druck auf die EU. Bayerns Ministerpräsident Seehofer forderte daher, in den Verhandlungen zum Abkommen endlich "volle Transparenz" zu schaffen.
Debatte um TTIP

Endlich Transparenz herstellen

Die Umweltorganisation Greenpeace veröffentlicht geheime Unterlagen zum europäisch-amerikanischen Freihandelsabkommen TTIP. Es sind Dokumente, die viele Befürchtungen zu bestätigen scheinen. Klar ist jedenfalls: Die USA erhöhen den Druck auf die EU. Bayerns Ministerpräsident Seehofer forderte daher, in den Verhandlungen zum Abkommen endlich "volle Transparenz" zu schaffen.

Die von der Umweltorganisation Greenpeace veröffentlichten geheimen Dokumente zu den Verhandlungen über das Freihandelsabkommen TTIP zwischen den USA und der EU sorgen für heftige Debatten. Ein Blick in die Details der Beratungen zeigt: Viele Skeptiker dürfen sich in ihrer Sorge bestätigt fühlen. Allerdings zeigt sich auch, dass die EU tatsächlich hartnäckigen Widerstand gegen die US-Begehren leistet, was offenbar zu verhärteten Fronten geführt hat.

US-Druck auf EU höher als gedacht

Die Papiere belegen, dass die US-Regierung Europa bei den Verhandlungen deutlich stärker unter Druck setzt als bisher bekannt. Sie will auch den europäischen Gesetzgeber bei Eingriffen in die Wirtschaft stark beschränken. Greenpeace hatte den Medien insgesamt 240 Seiten zur Verfügung gestellt. Mehrere mit den Verhandlungen vertraute Personen hätten demnach bestätigt, dass es sich bei den vorliegenden Dokumenten um aktuelle Papiere handelt.

Neuigkeiten bei Verbraucherschutz und Gerichtsbarkeiten

Danach könnte das bislang in Europa geltende Vorsorgeprinzip, das Produkte nur erlaubt, wenn sie für Mensch und Umwelt nachweislich unschädlich sind, durch das in den USA angewandte Risikoprinzip ersetzt werden. Das würde bedeuten, dass künftig in Europa auch hoch umstrittene und bislang in vielen Ländern nicht zugelassene genmanipulierte Pflanzen und Lebensmittel sowie andere gesundheitlich bedenkliche Produkte so lange angebaut und konsumiert werden, bis ihre Schädlichkeit bewiesen ist. Aus den geleakten Dokumenten geht allerdings nicht eindeutig hervor, ob es sich hier lediglich um Forderungen der US-Seite handelt, oder es sich um den tatsächlichen, aktuellen Stand der Verhandlungen handelt.

Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung droht Washington außerdem damit, Exporterleichterungen für die europäische Autoindustrie zu blockieren, um im Gegenzug zu erreichen, dass die EU mehr US-Agrarprodukte abnimmt.

Mehrheit der Deutschen will kein Genfood

In jedem Fall scheint die Entwicklung der Verhandlungen alles andere als im Einklang mit den Vorstellungen der Deutschen in Sachen Genfood zu stehen: Eine neue „Naturbewusstseinsstudie“ unter Führung des Bundesumweltministeriums zeigt, dass sich eine große Mehrheit der Deutschen (83 Prozent) deutlich strengere Regeln und Gesetze für die Landwirtschaft wünscht. Landwirte sollen demnach mehr Rücksicht auf Natur und Tierwohl nehmen, fordern jeweils mehr als 90 Prozent. Den Einsatz von Genpflanzen lehnen die Deutschen mit 76 Prozent klar ab.

Und auch bei den oft zitierten privaten Schiedsgerichten enthalten die Dokumente Neuigkeiten: Um das Thema aus dem Weg zu räumen, hat die EU den Amerikanern statt der Schiedsgerichte eine Art Handelsgerichtshof angeboten. In der Öffentlichkeit hatten die USA Verständnis für die europäischen Bedenken gezeigt – die Geheimdokumente offenbaren jetzt allerdings, wie weit die Vorstellungen in diesem Bereich auseinandergehen. Die Amerikaner scheinen die Sorgen der EU zwar registriert zu haben, denken aber offenbar nicht daran, ihnen auf diesem Feld entgegenzukommen. Stattdessen wird klar: Die USA erhöhen den Druck – und damit das Image von TTIP in Europa nicht noch schlechter wird, lässt die EU-Kommission die Öffentlichkeit im Unklaren darüber, wie es in den Verhandlungen wirklich steht.

Seehofer macht Zustimmung von Transparenz abhängig

Genau diese mangelnde Transparenz kritisierte auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer. In einem Statement am Rande der CSU-Vorstandssitzung in München sagte der Parteichef, es müsse „endlich volle Transparenz hergestellt werden“. Solange man als verantwortlicher Politiker gar nicht genau wisse, was da alles verhandelt werde und welcher Interessensausgleich erfolge, werde er als CSU-Vorsitzender kein grünes Licht für TTIP geben.

Seehofer betonte, prinzipiell sei es immer im Interesse von Deutschland und von Bayern, dass es internationale Handelsabkommen gebe – zumal die Bedeutung des Welthandels immer weiter zunehmen werde. „Aber wenn die aktuellen Medienberichte korrekt sind, dann ist die Haltung sehr begründet, dass man erst über den Inhalt Bescheid wissen muss“, stellte der Ministerpräsident fest. Seehofer warnte insbesondere vor Abstrichen bei den hiesigen hohen Verbraucherschutzstandards. „So haben wir uns das eigentlich nicht vorgestellt“, sagte er auf eine entsprechende Frage und betonte: „Mir liegt daran, dass die hohen Verbraucherschutzstandards erhalten bleiben. Das ist für die Deutschen ein sehr wichtiger Wert.“

Die EU und die USA verhandeln seit Mitte 2013 über die sogenannte „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“. Umwelt- und Verbraucherschützer, Gewerkschaften und Sozialverbände befürchten eine Angleichung von Standards auf geringerem Niveau, wie es in den USA festgeschrieben ist.

Abstimmung in Europa- und Nationalparlamenten

Die Verhandlungen sind geheim, allerdings muss die EU-Kommission am Schluss ein Ergebnis vorlegen, dass mehrheitsfähig ist. Wenn das EU-Parlament und die Regierungen in den EU-Mitgliedstaaten ihm nicht zustimmen, wird es kein Freihandelsabkommen mit den USA geben. Zudem gilt es als sicher, dass TTIP auch dem Deutschen Bundestag zur Abstimmung vorgelegt wird.

US-Präsident Barack Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatten bei ihrem Treffen in Hannover am Sonntag vergangener Woche zur Eile bei den TTIP-Verhandlungen gemahnt. Merkel betonte, das Freihandelsabkommen sei aus europäischer Perspektive sehr wichtig für das Wirtschaftswachstum in Europa.

Die EU-Kommission reagiert

Die EU-Kommission hat die Kritik von Greenpeace an den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) zurückgewiesen. „Kein EU-Handelsabkommen wird jemals die Standards bei Verbraucherschutz, Lebensmittelsicherheit oder Umweltschutz absenken“, schrieb EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström am Montag in einem Blog-Eintrag. Während der Verhandlungen sei es aber normal, dass beide Seiten für sich so viel wie möglich erreichen wollten. Wenn man in manchen Positionen zu weit entfernt voneinander bleibe, werde die EU eben nicht zustimmen. „In dieser Hinsicht sind viele der heutigen Überschriften ein Sturm im Wasserglas“, schrieb Malmström mit Blick auf die Darstellung der Umweltschutzorganisation Greenpeace und mehrerer Medien, dass die US-Regierung die EU in den TTIP-Gesprächen massiv unter Druck setze.

Der Chefunterhändler der EU, Ignacio Garcia Bercero, widersprach zudem der Behauptung, die USA drängten auf eine Absenkung der Standards in Europa. Zugleich räumte er aber ein, dass die Gespräche über den Export von Autos und Agrarprodukten schwierig seien und vermutlich erst am Ende der Verhandlungen gelöst werden könnten. Beim Thema Vorsorgeprinzip erwarte die EU eine „signifikante“ Bewegung von den USA. „Wir sind noch sehr sehr weit von einer Einigung in diesem Punkt entfernt“, sagte Bercero. Er bezeichnete es als „Problem“, wenn während der Verhandlungen vertrauliche Dokumente veröffentlicht würden. Die Leseräume für Abgeordnete der nationalen wie des europäischen Parlaments werden nach Berceros Angaben beibehalten.

(dos / dpa)