Die Nürnberger Lorenzkirche ist eine von zwei evangelischen Bischofskirchen im Freistaat. Aber in Nürnberg sterben den Kirchen die Mitglieder weg. (Foto: Imago/Westend61)
Nürnberg

Nur noch jeder Zweite ist Christ

Alarmierende Zahlen für die großen Kirchen in Nürnberg: Die evangelischen Christen stellen in der bedeutenden Reformationsstadt nur noch 27 Prozent, die Katholiken 25 Prozent. Der Anteil der Christen ist über die Jahrzehnte drastisch gesunken.

Nur noch 52 Prozent der Nürnberger gehören der Evangelisch-Lutherischen oder der Römisch-Katholischen Kirche an. 48 Prozent gehören keiner oder einer anderen Religionsgemeinschaft an. Das teilte das Nürnberger Amt für Stadtforschung und Statistik mit. Der Anteil der Christen in der Stadt ist seit Jahrzehnten kontinuierlich gesunken und wird voraussichtlich weiter sinken, denn die Kirchenmitglieder sind deutlich älter als die Durchschnittsbevölkerung. Die Gründe für die Schrumpfung liegen vor allem in der Zuwanderung von Konfessionslosen und Andersgläubigen, in Kirchenaustritten, Überalterung und Sterbefällen.

Die beiden Kirchen liegen bei den Mitgliedern in Nürnberg jetzt fast gleichauf: 27 Prozent der Nürnberger (knapp 144.000) sind evangelisch, 25 Prozent katholisch (gut 130.000). Das ist eigentlich verwunderlich in dieser bedeutenden ehemaligen Freien Reichsstadt, die eine wichtige Rolle für den Erfolg der Reformation spielte: Sie war 1525 die erste Stadt, die die Reformation vollzog, hier gründete Philipp Melanchthon sein erstes humanistisches Reform-Gymnasium, und im Juli 2017 veranstaltete der Freistaat Bayern hier die zentrale Feier zum 500. Reformationsjubiläum. Auch bundesweit sinkt die Mitgliederzahl der evangelischen Kirche(n) seit Jahrzehnten schneller als die der katholischen.

Nürnberger Protestanten: Von 95 auf 27 Prozent

Besonders interessant ist der historische Verlauf, den das Statistikamt aus Anlass des Reformationsjubiläums heraussuchte: 1812, also kurz nach der Eingliederung Nürnbergs ins Königreich Bayern, waren von den lediglich 27.000 Einwohnern 95 Prozent evangelisch, 4 Prozent katholisch. Durch die Industrialisierung und den Zuzug von Arbeitern vor allem aus der Oberpfalz verschob sich dies bereits bis 1900 stark: Nun hatte die Stadt 261.000 Einwohner, davon 69 Prozent evangelisch, 28 Prozent katholisch, 2 Prozent jüdisch.

Eine nochmalige starke Verschiebung weist die Volkszählung 1970 aus, also nach Krieg und dem Zuzug der Heimatvertriebenen sowie dem Wirtschaftswunder und der Anwerbung von Gastarbeitern: Nun waren noch 54 Prozent der Nürnberger evangelisch (rund 256.000), 37 Prozent katholisch (176.000) und mit 41.500 erstmals ein nennenswerter Anteil Angehöriger „sonstiger“ Konfessionen und Konfessionsloser – also vor allem Moslems (Türken) und Orthodoxe (Griechen und Serben).

Zudem stärkten die zugewanderten Italiener, Spanier und Portugiesen die katholischen Gemeinden. Doch bei den durch die Gastarbeiter neu aufgetretenen Konfessionen stoßen die Statistiker auf ein Problem, denn diese Konfessionen haben keine so feste Mitgliedsstruktur und -buchführung wie die beiden großen Kirchen, weswegen hier keine genauen Zahlen bekannt sind. Der Islam verfügt überhaupt nicht über eine Organisationsstruktur, die mit den Kirchen vergleichbar wäre.

Schlechte Aussichten wegen Überalterung

Wie Wolf Schäfer, der Leiter des Nürnberger Amtes für Stadtforschung und Statistik, auf Anfrage des BAYERNKURIER mitteilt, hat sein Amt diese Angaben aus dem aktuellen Melderegister gewonnen, das die Angehörigen der Konfessionen, die Kirchensteuer erheben, ausweist – sowie die Angehörigen des Judentums. Die übrigen Konfessionen, unter anderem orthodoxe Christen und Moslems, sind dort nicht verzeichnet, da diese Gemeinschaften/Konfessionen keine Kirchensteuern erheben und auch keine direkten Mitgliedsregister führen. Der Zensus 2011 habe die Frage nach der Konfession nur als freiwillige Angabe enthalten, weswegen man darauf keine Statistik gründen könne, so Schäfer.

Eher schlecht sind die Aussichten für die Zukunft, wie die Statistiker weiter aufzeigen: Die Mitgliedschaft der großen Kirchen ist im Schnitt deutlich älter als der Durchschnitt der Stadt – oder kurz gesagt: Ältere sind generell frommer als Jüngere. Drastisch ausgedrückt: Die Mitgliedschaft der großen Kirchen überaltert und droht irgendwann wegzusterben. Die Katholiken in Nürnberg sind im Schnitt 47 Jahre alt, die evangelischen Christen sogar 48 Jahre. Der Altersdurchschnitt der gesamten Stadtbevölkerung ist dagegen 43 Jahre, der Durchschnitt der Konfessionslosen oder Andersgläubigen sogar nur 38 Jahre. Diese Überalterung hat seit 1970 ebenfalls dramatisch zugenommen: Damals waren die Mitglieder der beiden Großkirchen im Schnitt 39 Jahre alt – das entsprach genau dem Altersschnitt der Gesamtbevölkerung.

Einen kleinen Hoffnungsschimmer hat Amtsleiter Schäfer aber dennoch: Wie in ganz Deutschland nimmt die Zahl der Geburten derzeit auch in Nürnberg zu – und zwar nicht nur bei den Zuwanderern, sondern auch bei der einheimischen Bevölkerung, wie Schäfer auf BAYERNKURIER-Nachfrage betonte. Daher sei auch ein Anstieg der Taufen zu erwarten.

Regionalbischöfe sehen es nicht so negativ

Die evangelischen Regionalbischöfe Nürnbergs, Stefan Ark Nitsche und Elisabeth Hann von Weyhern, sehen die Entwicklung nicht so alarmierend. Sie zählen die Orthodoxen, Freikirchler und Christen anderer Konfessionen zu den 52 Prozent Mitgliedern der Großkirchen dazu und kommen zu folgender Einschätzung: „Deutlich über die Hälfte der Menschen sind Mitglied einer christlichen Glaubensgemeinschaft und versuchen, die Botschaft vom menschenfreundlichen Gott konkret werden zu lassen. Sie bringen sich als ,Salz der Erde‘ in die Gesellschaft ein“, erklären sie auf Anfrage des BAYERNKURIERS.

Aber natürlich kann die massive Verschiebung und Überalterung der Gemeinden den Regionalbischöfen nicht egal sein. Daher geht die Kirche neue Wege, um die Menschen in der Großstadt zu erreichen, erzählen sie: „Vieles läuft schon gut: Engagierte und gut vernetzte Arbeit von Haupt- und Ehrenamtlichen in Kirchengemeinden, kreative Projekte wie Tauffeste und Vesperkirchen, diakonische Quartiersarbeit und besondere Einrichtungen wie die Kircheneintrittsstelle.“