Wächst in Deutschland der Hass auf Politik, Gesellschaft und Mitmensch? (Bild: Imago/Seeliger)
Hass-Debatte

„Wir müssen auf unsere Sprache achten“

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) und der Chef der Landeszentrale für politische Bildung Sachsen, Frank Richter, haben in Erlangen unter dem Titel "Die wachsende Verachtung - Hass auf Politik, Gesellschaft und Mitmensch“ diskutiert. Herrmann ermahnte Politiker und Medienschaffende, besser auf die eigene Sprache zu achten und nicht "vom hohen Ross herunter" zu belehren.

Das Thema öffentlich ausgetragener Hass ist ernst und dringlich: Gerade dieser Tage erlebt der Nürnberger Bürgermeister Christian Vogel (SPD), was als „shitstorm“ bezeichnet wird. Der Komiker Mario Barth hatte im Sender RTL ein Interview mit dem Bürgermeister über die Delphin-Lagune im Nürnberger Tiergarten offenbar dermaßen sinnentstellend zusammengeschnitten, dass die Zuschauer eine Verhöhnung der Tiere und obendrein massive Geldverschwendung heraushören konnten oder mussten.

Daraufhin bekam Vogel binnen neun Stunden über Nacht „800 Mails mit wüsten Beschimpfungen“, wie er den Nürnberger Nachrichten (NN) sagte. Das Ganze belaste ihn persönlich sehr. Er sei zwar eine öffentliche Person, aber kein Freiwild für unsachliche Berichterstattung und persönliche Beleidigungen, zitieren ihn die NN weiter.

„Die wachsende Verachtung – wie umgehen mit dem Hass?“

„Die wachsende Verachtung – wie umgehen mit dem Hass auf Politik, Gesellschaft und Mitmensch?“ lautete der Titel der Diskussionsrunde in Erlangen, zu der Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) und der Chef der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Frank Richter, geladen waren. Ausufernde, persönlich beleidigende oder zu Gewalt aufrufende Hass-Äußerungen könnten Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auf Dauer untergraben, so die Hauptaussage des Abends.

Als Moderator fungierte der Chefredakteur der linksliberalen Nürnberger Nachrichten, Michael Husarek. Allerdings engte dieser die Diskussion einseitig auf das vermeintlich rechte oder rechtspopulistische Spektrum ein. Persönlich beleidigende und demokratiefeindliche Hass-Aussagen von Linksradikalen und Islamisten, gar Gewalttaten gegen Polizisten oder Terroranschläge, die von diesen Gruppen ausgehen, kamen in dieser Diskussion nicht vor. Am Ende des Abends verwies wenigstens Innenminister Herrmann auf islamistische Hassprediger, die genau das Gegenteil von Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechten im Sinn haben und sogar zu Gewalt und Terrorismus aufrufen.

Ich habe bei Pegida in Dresden keine 25.000 Nazis in Nadelstreifen gesehen.

Frank Richter, Leiter der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung

Der sächsische Theologe und Politikwissenschaftler Richter sagte, bei Aufkommen der Pegida-Bewegung hätte man viele der 25.000 Mitläufer noch leicht ins demokratische Spektrum zurückholen können, wenn Politiker und veröffentlichte Meinung sie ernstgenommen hätten. Leider aber habe NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) aus 600 Kilometer Entfernung diagnostiziert, es handle sich um „Nazis in Nadelstreifen“.

Flüchtlingswelle war Konjunkturprogramm für Pegida

Dazu sagte Richter: „Ich habe bei Pegida in Dresden keine 25.000 Nazis in Nadelstreifen gesehen.“ Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) nannte die Pegida-Mitläufer eine „Schande für Deutschland“, Grünen-Chef Cem Özdemir nannte sie „Mischpoke“. Als dann Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Neujahrsansprache vom „Hass in den Herzen der Menschen“ gesprochen habe, sei das wie ein PR-Sieg für den Gründer Lutz Bachmann gewesen, der damit Pegida endgültig als Marke etabliert hatte.

Die Politik muss den Menschen sehr genau zuhören.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann

Den Höhepunkt habe Pegida mit der Flüchtlingskrise im Spätsommer 2015 erreicht. Zuvor hatte nach Meinung örtlicher Medien schon das „Totenglöckchen“ für Pegida geläutet, wie Richter sagte. Derzeit kämen regelmäßig 3000 Menschen zu den Montags-Schweigemärschen in Dresden, damit habe sich ein harter Kern herausgebildet. „Die sind Anti-Islam, Anti-Asyl, Anti-Freiheitlich-Demokratische Grundordnung. Die sind nicht mehr für ein Gespräch erreichbar“, fasste Richter seine Erfahrungen mit dieser Klientel zusammen.

Wutbürger kritisieren Dialogunfähigkeit der Politik, wollen aber selbst nicht diskutieren

„Die Politik muss den Menschen sehr genau zuhören“, forderte Bayerns Innenminister Herrmann mit Blick auf verunsicherte Bürger. Der Begriff „Wutbürger“ sei im Zusammenhang mit den Protesten gegen „Stuttgart 21“ aufgekommen. Die Kritik laute oft, die Politik sei nicht in der Lage, den Menschen zuzuhören. Umgekehrt wollten manche der „Wutbürger“ aber auch gar keinen Dialog. „Es ist sehr schwierig, wenn manche Leute alles für Mist halten und nicht mehr diskutieren wollen“, so Herrmann.

Der Osten macht derzeit einen Crashkurs durch. Wir lernen, dass die Freiheitlich-Demokratische Grundordnung auch Problemlösungskompetenz besitzt.

Frank Richter, Leiter der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung

In München hätten sich anfangs bis zu 1000 Menschen zu Pegida zusammengefunden, derzeit seien es 200 – davon seien viele dem Verfassungsschutz einschlägig als Rechtsradikale bekannt. Pegida habe also in Bayern nie eine solche Wucht wie in Dresden gehabt. „Viele der Pegida-Mitläufer wären nie zu einer Veranstaltung der NPD gegangen“, so Herrmann.

Objektiv betrachtet hätten die Menschen in Bayern wenig Anlass, sich abgehängt zu fühlen: Hier seien immerhin Arbeitslosigkeit und Kriminalität am niedrigsten, so Herrmann. Politiker, Medienschaffende und andere in der Öffentlichkeit Stehende müssten sehr genau auf ihre Worte achten. Beispielsweise sei es schädlich, wenn ein TV-Moderator eine Fußballmannschaft als „Feind“ einer anderen bezeichne, kritisierte Herrmann. Das spiele denen in die Karten, die nur zum Fußball gingen, um die Anhänger des anderen Teams zu verprügeln.

Ohnmachtsgefühl erzeugt Wut, Wut erzeugt Hass

Richter wiederum analysierte, in Ostdeutschland habe die Freiheitlich-Demokratische Grundordnung nach 25 Jahren Einheit noch keine so tiefen Wurzen geschlagen wie im Westen. Ein Vierteljahrhundert nach der Wiedervereinigung würden grundsätzliche Fragen gestellt. Gleichzeitig deutete Richter das Anwachsen von Pegida, NPD und jetzt AfD als eine Art Revolte analog zu den Studentenunruhen 1968 im Westen. „Wir im Osten hatten ja kein 1968.“ Vielleicht sei es kein Zufall, dass jeweils eine Generation nach einem grundlegenden Systemwechsel so eine Protesthaltung aufbreche, so der Chef der Landeszentrale.

In einer Demokratie hat jeder Idiot das Recht, mal mit einem Gegenargument konfrontiert zu werden.

Frank Richter, Leiter der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung

Seine „Hausmänner-Psychologie“ sage ihm, so erklärte Richter weiter: „Hass kommt aus Wut. Wut kommt aus Ohnmachtsgefühl: Dass Dinge über einen hereinbrechen und er nichts dagegen tun kann.“ Tatsächlich könne die Weltlage massive Sorgen auslösen: Weltweite Krisen, zerbröselnde Staaten, 60 Millionen Flüchtlinge weltweit – Bilder, die Angst machen. Dazu komme die Verstärkung negativer und radikaler Ansichten in medialen „Echokammern“ – dies könnten ebenso einschlägige Facebook-Gruppen sein wie abgelegene Dörfer in der Sächsischen Schweiz. „Wenn man in seinem Umfeld immer nur destruktive Aussagen hört, verfestigt sich so eine Meinung rasch.“

Menschen aus „Echokammern“ herausholen

Man müsse alles daransetzen, die Menschen aus diesen „Echokammern“ herauszuholen, forderte der Leiter der Landeszentrale für politische Bildung unter Szenenapplaus des Publikums: „In einer Demokratie hat jeder Idiot das Recht, mal mit einem Gegenargument konfrontiert zu werden.“

Umgekehrt gebe es durchaus Zeichen der Hoffnung: So sei eine gemeinsame Veranstaltungsreihe seines Instituts mit Gemeinden und Landkreisen namens „Kommunen im Dialog“ geradezu überrannt worden. Die Bürger lernten dadurch langsam, dass sie selbst Einfluss nehmen könnten auf demokratische Prozesse und die Gestaltung ihres Umfeldes. Optimistisch sagte Richter: „Der Osten macht derzeit einen Crashkurs durch. Wir lernen, dass die Freiheitlich-Demokratische Grundordnung auch Problemlösungskompetenz besitzt.“

Eine bessere, pro-aktive Kommunikation mit den Bürgern ist für Politiker anstrengend und mit Ärger verbunden, aber absolut notwendig.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann

Innenminister Herrmann kündigte an, er setze alles daran, die Kommunikation mit den Bürgern deutlich zu verbessern. Politik dürfe nicht mehr warten, bis die Bürger Widerspruch äußerten, sondern müsse frühzeitig „pro-aktiv“ kommunizieren und ihre Anliegen offensiv darstellen – besonders bei geplanten Großprojekten.

Politik muss frühzeitig auf die Bürger zugehen und Pläne offensiv kommunizieren

Aber auch die Tagespolitik müsse wesentlich früher besser erklärt und mit Argumenten unterfüttert werden. „Eine bessere, pro-aktive Kommunikation mit den Bürgern ist für Politiker anstrengend und mit Ärger verbunden, aber absolut notwendig“, sagte Herrmann. Politik müsse wesentlich früher als bisher auf die Bürger zugehen und ihre Pläne und Entscheidungen offensiv kommunizieren.

Die Behauptung, eine Entscheidung sei ,alternativlos‘, erkennen die Bürger als sachlich falsch. Es gibt immer eine Alternative.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann

Am schlimmsten sei es jedoch, den Bürgern gegenüber zu behaupten, diese oder jene Entscheidung sei „alternativlos“. Diese Aussage erkennten die Bürger als „sachlich falsch“. „Es gibt immer eine Alternative“, sagte Herrmann – beispielsweise ein angestrebtes Projekt komplett abzusagen. Die Politik müsse den Bürgern eben stets argumentativ klarmachen, warum die angestrebte Lösung besser sei als alle anderen Möglichkeiten.

Elitäre Arroganz des linksliberalen Bürgertums zerstört die Demokratie

Zum Abschluss schrieb Herrmann anhand des Beispiels Asyl und Zuwanderung dem linksliberalen Bürgertum sowie vielen Medien ins Stammbuch, sie müssten endlich aufhören, Andersdenkende „vom hohen Ross herunter“ arrogant zu belehren und als zurückgeblieben und dumm hinzustellen.

Mit so einem „elitären Bewusstsein“ könne „Demokratie nicht funktionieren“, kritisierte Herrmann. Auch wenn es den kirchlich und humanitär besonders engagierten Bürgern sowie Teilen der Medien und der Politik als selbstverständlich erscheine, Asylbewerbern und Flüchtlingen grenzenlos zu helfen, hätten sie kein Recht, Andersdenkende per se „in die rechte Ecke“ zu stellen.