Migranten am Grenzübergang Sentilj - Spielfeld (Slowenien - Österreich) im November 2015. (Foto: imago/Christian Mang)
Flüchtlingskrise

Kleiner Hoffnungsschimmer aus Berlin

Jüngst kommen aus der Bundesregierung immer mehr CSU-nahe Äußerungen zur Asylpolitik. Bahnt sich da ein Kurswechsel an? Angesichts der jüngsten Flüchtlingszahlen wird jedenfalls klar, dass es so nicht weitergeht: 63.800 Migranten kamen allein im Januar nach Bayern – trotz Winterstürmen im Mittelmeer. Der Freistaat fordert die Definition von elf weiteren sicheren Herkunftsstaaten.

Es tut sich was in Sachen Asylpolitik bei der Bundesregierung: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Kanzleramtschef Peter Altmaier (beide CDU) sowie Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) ziehen rhetorisch die Zügel an und nähern sich in ihren Aussagen der Position der CSU. Auch wenn Altmaier betont, Merkel referiere nur die Rechtslage, könnte dies angesichts permanenten Rechtsbruchs an den faktisch offenen Grenzen (der Bayernkurier berichtete) eine Wende hin zu einem schärferen Kurs andeuten. Es dürfte allerdings letztlich – wie immer – darauf ankommen, was davon jenseits aller Wahlkämpfe in reale Politik umgesetzt wird.

Die Fachleute in den Behörden rechnen damit, dass die Flüchtlingszahlen erneut steigen werden, sobald sich das Mittelmeer im Frühjahr beruhigt.

Der Umschwung ist kein Wunder: Allein im Januar sind – trotz des unruhigen Winterwetters in der Ägäis – rund 63.800 Flüchtlinge und Migranten nach Bayern gekommen. Im Schnitt überschritten damit jeden Tag mehr als 2000 Menschen die österreichisch-bayerische Grenze. In den vergangenen Tagen seien die Zahlen nach einem zwischenzeitlichen Rückgang wieder auf über 2500 am Tag gestiegen, sagte ein Sprecher des Innenministeriums am Montag auf dpa-Anfrage. Die niedrigste Zahl wurde am 24. Januar registriert, als Bundes- und bayerische Landespolizei 710 Menschen zählten.

Im Vergleich zu den Vormonaten bedeutet ein Schnitt von 2000 Menschen am Tag zwar einen Rückgang – verglichen mit der Situation vor einem Jahr jedoch einen deutlichen Anstieg. Im Winter 2014/15 war die Zahl von 63.000 Flüchtlingen erst in der letzten Februarwoche erreicht worden. Die Fachleute in den Behörden rechnen damit, dass die Flüchtlingszahlen erneut steigen werden, sobald sich das Mittelmeer im Frühjahr beruhigt. Im Winter ist die Fluchtroute von Nordafrika nach Italien wegen stürmischer See normalerweise für kleine Boote nicht befahrbar.

Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR kamen im Januar rund 58.600 Flüchtlinge und Migranten in Griechenland an. Im Juli 2015 hatten knapp 55.000 Menschen aus der Türkei zu den griechischen Inseln übergesetzt.

Bayern will elf neue sichere Herkunftsstaaten

Die CSU will unterdessen elf weitere Länder zu sicheren Herkunftsstaaten erklären lassen. Die bayerische Staatsregierung brachte im Bundesrat einen Antrag ein, neben Marokko, Tunesien und Algerien dann auch die Länder Armenien, Bangladesch, Benin, Gambia, Georgien, Indien, Mali, die Mongolei, Nigeria, die Republik Moldau und die Ukraine als sichere Staaten zu erklären. „Dafür werden wir kämpfen, aber natürlich werden wir auch die drei mitmachen“, sagte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) in der ARD-Tagesschau.

„Diese Herkunftsländer haben auch andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union bereits als sicher eingestuft“, sagte Bayerns Staatskanzleichef und Bundesratsminister Marcel Huber (CSU) zur Begründung des Antrags. Die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat würde bedeuten, dass Asylverfahren für Antragsteller aus diesen Ländern erheblich beschleunigt werden, wie dies etwa bereits bei den Westbalkan-Ländern der Fall ist.

Merkel: Rückkehr der Flüchtlinge, wenn wieder Frieden ist

Merkel forderte von Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak eine Rückkehr in die Heimat nach dem Ende der bewaffneten Konflikte. Die Kanzlerin betonte beim Landesparteitag der CDU Mecklenburg-Vorpommerns in Neubrandenburg, der derzeit in Deutschland vorrangig gewährte Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention sei zunächst auf drei Jahre befristet.

Wir erwarten, dass Ihr wieder in Eure Heimat zurückgeht.

Angela Merkel

An die Adresse der Flüchtlinge sagte die CDU-Parteichefin: „Wir erwarten, dass, wenn wieder Frieden in Syrien ist und wenn der IS im Irak besiegt ist, dass Ihr auch wieder, mit dem Wissen, was Ihr jetzt bei uns bekommen habt, in Eure Heimat zurückgeht.“ Die Kanzlerin hob hervor, es müsse den Betroffenen klar gemacht werden, dass es sich um einen temporären Aufenthaltsstatus handele. Dies gelte unabhängig von allen Integrationsleistungen. Merkel verwies darauf, dass nach dem Ende des Jugoslawien-Krieges in den 1990er Jahren 70 Prozent der Flüchtlinge wieder in ihre Heimat gegangen seien.

Abschiebung krimineller Immigranten auch in Drittstaaten

Kanzleramtschef Altmaier kündigte an, dass die Bundesregierung straffällig gewordene Flüchtlinge auch in Drittstaaten wie die Türkei abschieben will, wenn eine Rückkehr in die Herkunftsländer nicht möglich ist. Der Bild am Sonntag sagte Altmaier, straffällig gewordene Flüchtlinge sollten nicht in ihr Heimatland abgeschoben werden, wenn dort zum Beispiel Bürgerkrieg herrsche, sondern in das Land, über das sie in die EU gekommen seien.

Altmaier, der auch Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung ist, sagte weiter, etwa 50.000 Flüchtlinge hätten Deutschland seit Anfang 2015 wieder verlassen, entweder freiwillig oder per Abschiebung. „Viele kehren wieder um, bevor sie einen Asylantrag stellen, wenn ihnen klargemacht wird, dass das keine Aussicht auf Erfolg hat.“

Aufenthalt laut Genfer Konvention nur für drei Jahre

Bei einem Besuch im oberbayerischen Erding sagte Altmaier weiter, das neue Gesetz zur erleichterten Ausweisung und Abschiebung solcher Flüchtlinge müsse konsequent angewendet werden. Sie sollten in ihr Herkunftsland zurückgeführt werden – oder, wenn das nicht möglich ist, in Drittstaaten. „Dafür müssen jetzt die Voraussetzungen geschaffen werden.“

Die Forderung von Kanzlerin Merkel zur Rückkehr von Flüchtlingen nach Kriegsende stelle lediglich die Gesetzeslage klar, sagte Altmaier. Eine Wende in der Flüchtlingspolitik sah er darin nicht. Die Bundeskanzlerin habe nur auf das geltende Flüchtlings- und Asylrecht hingewiesen, „nämlich, dass Aufenthaltstitel zunächst für drei Jahre vergeben werden, und dass ein Schutzstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention immer natürlich daran geknüpft ist, dass derjenige den Schutz auch benötigt“, sagte Altmaier.

Altmaier zu Besuch in Erding

Der Kanzleramtsminister betonte, erst wenn in Syrien oder im Irak wieder menschenwürdige Zustände herrschen, werde sich entscheiden, welche Flüchtlinge zurückkehren müssten. „Wir gehen davon aus, dass viele Flüchtlinge dann, wenn sie eine Perspektive haben, freiwillig in ihre Heimat zurückkehren werden.“ Verhandlungen mit potenziellen Aufnahmestaaten wie der Türkei liefen bereits, sagte Altmaier.

In Erding besichtigte Altmaier das Wartezentrum Asyl, das seit Mitte Oktober 2015 in Betrieb ist. Es bietet Platz für bis zu 5000 Menschen, die dort vor ihrer Verteilung in deutsche Aufnahmelager maximal drei Tage bleiben. In der Einrichtung auf dem ehemaligen Fliegerhorst der Bundeswehr machte sich Altmaier auf Einladung des Wahlkreisabgeordneten Andreas Lenz (CSU) ein Bild von der Lage. Er ließ sich zeigen, wie die Flüchtlinge mit Fingerabdruck und Foto registriert, mit dem Nötigsten ausgestattet und provisorisch untergebracht werden.

SPD: Kalte Füße vor den Landtagswahlen

Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel stichelte derweil gegen das Kanzleramt – offenbar die miserablen Umfragewerte bei den kommenden Landtagswahlen vor Augen. Gabriel warf Altmaier im Zusammenhang mit geplanten Abschiebungen in Drittstaaten eine „schleppende Umsetzung von längst in der Koalition getroffenen Vereinbarungen“ vor. „Dass das Kanzleramt erst jetzt über die Rücknahme von Kriminellen an Drittstaaten verhandelt, ist kein Zeichen von Hochgeschwindigkeit“, sagte Gabriel dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Wie nervös die SPD mittlerweile ist angesichts des Umstandes, dass vor allem ihre klassische Klientel – die sozial Schwächeren und Langzeitarbeitslosen unter den Einheimischen – mit hunderttausenden Flüchtlingen um günstige Wohnungen und Jobs für Geringqualifizierte konkurrieren müssen, zeigt auch eine rhetorische Einlassung von Sozial- und Arbeitsministerin Andrea Nahles, die eher als SPD-Linke bekannt ist: Sie drohte integrationsunwilligen Immigranten mit der Kürzung sozialer Leistungen.

Wer signalisiert, dass er sich nicht integrieren will, dem werden wir die Leistungen kürzen.

Andrea Nahles, mit unerwarteten Tönen

„Wer hierherkommt, bei uns Schutz sucht und ein neues Leben beginnen will, muss sich an unsere Regeln und Werte halten“, schreibt die SPD-Politikerin in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ). „Wer signalisiert, dass er sich nicht integrieren will, dem werden wir die Leistungen kürzen. Aus meiner Sicht sollte man das auch an die Wahrnehmung von Sprachkursen knüpfen und daran, sich an die Grundregeln unseres Zusammenlebens zu halten.“ Wer darin im Kern die CSU-Forderung nach einer Verpflichtung der Flüchtlinge zur Leitkultur erkennt, dürfte nicht ganz falsch liegen.

Unabhängig von der ethnischen Herkunft müsse jeder in Deutschland, der Hilfe in Anspruch nehme, „sein ganzes Können, seine Arbeitskraft und (…) sein eigenes Vermögen einbringen“, erklärte die Ministerin. Das gelte auch für Flüchtlinge. Wer als Zuwanderer aus dem EU-Ausland einen Neustart in Deutschland wagen möchte, der sollte nach Nahles‘ Meinung „auf eigenen Füßen stehen“ und „nicht von Anfang an auf Sozialhilfe angewiesen sein“. Zur Begründung erläutert sie: „Die Kommunen können nicht unbegrenzt für mittellose EU-Ausländer sorgen. Das war auch nie die Idee der EU-Freizügigkeit, die zu den größten Errungenschaften der europäischen Integration gehört.“

IW: 50 Milliarden Euro Kosten durch Flüchtlinge bis 2017

Unterbringung, Verpflegung sowie Integrations- und Sprachkurse für Flüchtlinge werden den Staat nach einer neuen Prognose des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) 2016 und 2017 knapp 50 Milliarden Euro kosten. Im laufenden Jahr fielen für Unterbringung und Verpflegung von rund 1,5 Millionen Asylbewerbern 17 Milliarden Euro an, berichtete die Rheinische Post unter Berufung auf eine IW-Studie. Hinzu kämen weitere fünf Milliarden Euro für Sprach- und Integrationskurse.

2016 ist nach der Prognose des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) mit Kosten von 22 Milliarden Euro zu rechnen. Wenn die Zahl der Migranten auf 2,2 Millionen steigen sollte, dann erhöhten sich die Kosten im Wahljahr 2017 auf 27,6 Milliarden Euro. Sollten diese Prognosen Realität werden, käme Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) voraussichtlich spätestens 2017 nicht mehr ohne Neuverschuldung aus, analysiert das arbeitgebernahe Institut.

IW: Wegen Flüchtlingen droht 2017 wieder Neuverschuldung

Trotz der Unsicherheit über die tatsächliche Zahl der Flüchtlinge lasse sich erahnen, dass das Polster in den öffentlichen Kassen Stück für Stück aufgezehrt werde, heißt es in der Studie. Zwar könne Schäuble in diesem Jahr auf eine Zwölf-Milliarden-Euro-Rücklage aus dem vergangenen Jahr zurückgreifen, allerdings handele es sich dabei um einen „Einmaleffekt“. „Um eine Neuverschuldung in den meisten Ländern und auch im Bund zu vermeiden oder zumindest zu minimieren, ist eine kritische Überprüfung der Ausgaben erforderlich.“

Vor dem IW hatte bereits das Kieler Institut für Weltwirtschaft den staatlichen Gesamtaufwand für 2016 und 2017 mit 55 Milliarden Euro beziffert. Die Bundesländer gehen hingegen bisher mit 17 Milliarden Euro für 2016 noch von einer etwas geringeren Summe aus.

BA: Mehrheit der Immigranten findet erst in 15 Jahren einen Job

Problematische Prognose auch von der Bundesagentur für Arbeit (BA): Das Nürnberger Amt geht davon aus, dass die Eingliederung von Flüchtlingen in den deutschen Arbeitsmarkt ein langwieriger Prozess sein wird. Bis die Mehrheit einen Job hat, kann es demnach bis zu 15 Jahre dauern. „Wir sollten nicht zu hohe Erwartungen haben“, sagte das neue BA-Vorstandsmitglied Detlef Scheele der Süddeutschen Zeitung.

„Wenn es gut läuft, werden im ersten Jahr nach der Einreise vielleicht zehn Prozent eine Arbeit haben, nach fünf Jahren ist es die Hälfte, nach 15 Jahren 70 Prozent.“ Die Bundesagentur kalkuliert 2016 mit 350.000 zusätzlichen Flüchtlingen, die auf die staatliche Grundsicherung angewiesen sein werden. Die Kinder, die jetzt hier in die Schule kommen, hätten gute Perspektiven, die Fachkräfte von übermorgen zu werden. „Wer unter 35 ist, hat gute Chancen, sich für eine Arbeit zu qualifizieren. Für Menschen, die deutlich über 40 sind, wird es schwierig“, sagte Scheele.

Die Menschen sind ja nicht hierher gekommen, um in einem Zeltlager zu bleiben.

Detlef Scheele, Bundesagentur für Arbeit

Mit dem durchschnittlichen Arbeitnehmer in Deutschland könnten die Flüchtlinge in absehbarer Zeit nicht in Konkurrenz treten. „Dafür ist ihr Aufholweg viel zu lang.“ Scheele räumte aber ein, dass Flüchtlinge mit einheimischen Langzeitarbeitslosen um Jobs konkurrieren könnten. Das könne im Einzelfall so sein, wenn keine besondere Qualifikation gefragt sei. „Einheimische Arbeitslose haben vor allem den Sprachvorteil. Flüchtlinge punkten durch Motivation, ihr jugendliches Alter und ihre Zielstrebigkeit. Die Menschen sind ja nicht hier her gekommen, um in einem Zeltlager zu bleiben. Sie wollen doch vorankommen“, sagte Scheele.

dpa/FAZ/SZ/RP/wog