Brief an die Bundeskanzlerin Angela Merkel: Kurs ändern! Bild: imago/Christian Ohde
Brief an die Kanzlerin

Es wird ernst: Seehofer schreibt Merkel

Angesichts der massiven Belastungen Bayerns in der Flüchtlingskrise wendet sich das Bayerische Kabinett mit einem formalen Brief an die Kanzlerin. In dem Schreiben fordert die Staatsregierung unter anderem die Festlegung einer Obergrenze. Das Dokument dient auch der rechtlichen Vorbereitung einer Klage Bayerns.

Die zentralen Forderungen der Staatsregierung zur Begrenzung des Flüchtlingszustroms hat das Kabinett in einem Schreiben zusammengefasst und offiziell an die Bundesregierung gerichtet. Der Beschwerdebrief ist auf der Grundlage des verfassungsrechtlichen Gutachtens von Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio formuliert. Ministerpräsident Horst Seehofer betonte nach der Kabinettssitzung am Dienstag, in der der Brief beschlossen und auf den Weg gebracht wurde, Bayern sei sogar juristisch verpflichtet, so zu handeln. „Das liegt gar nicht im Ermessen des Freistaates Bayern.“ Seehofer sagte, er hoffe auf eine befriedigende Antwort der Kanzlerin. Wie lange er Merkel konkret Zeit gibt und wann Bayern ansonsten vor dem Bundesverfassungsgericht Klage erheben will, sagte er nicht. Er verwies auf die bewusste Formulierung, dass der Bund „unverzüglich“ handeln müsse. „Wir haben es hier mit Rechtsverletzungen zu tun – und die müssen abgestellt werden.“

Der Bund steht in der Verantwortung, die Herrschaft des Rechts wiederherzustellen.

Winfried Bausback

Die Kehrtwende der Bundesregierung ist laut Innenminister Joachim Herrmann dringend notwendig: „Wenn es nicht gelingt, die Zahl der Flüchtlinge, die bis heute täglich nach Deutschland kommen, zu reduzieren, werden wir auch in diesem Jahr mit einer Million oder mehr Flüchtlingen rechnen müssen.“ Justizminister Winfried Bausback ergänzte: „Das Rechtsgutachten, das Prof. Di Fabio vorgelegt hat, ist klar und eindeutig. Es ist deshalb folgerichtig und zur Vorbereitung einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angezeigt, an den Bund heranzutreten und die unverzügliche Umsetzung konkreter Maßnahmen zur Begrenzung des Flüchtlingszustroms zu fordern.“ Es handle sich um keinen Droh- und keinen Bitt-, sondern um einen „Anspruchsbrief“. „Der Bund steht in der Verantwortung, die Herrschaft des Rechts wiederherzustellen“, betonte Bausback.

Zentrale Forderungen

Zu den vier zentralen Forderungen zählt auf europäischer Ebene die Durchsetzung einer wirksamen Sicherung von EU-Außengrenzen sowie einer effektiven und fairen Verteilung von Flüchtlingen. Bis zu einer europäischen Lösung setzt sich die Staatsregierung für eigene Grenzkontrollen mit vollständiger Registrierung an allen Grenzübergängen ein. Weiter fordert sie für die Aufnahme von Flüchtlingen auf Deutschland bezogen eine Obergrenze von jährlich 200.000 Personen. Außerdem soll die im Grundgesetz verankerte Drittstaatenregelung wieder angewendet werden.

Vorstufe zur Verfassungsklage

Der formale Brief Seehofers dient auch der rechtlichen Vorbereitung einer Klage Bayerns vor dem Bundesverfassungsgericht und ist ein weiterer Baustein der monatelangen Eskalation der Spannungen zwischen CSU und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Flüchtlingspolitik. Wenn die Bundesregierung in ihrer Antwort die bayerische Forderung ablehnt, will Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Klage einreichen.

Deutschland kann nicht grenzenlos Flüchtlinge aufnehmen.

Winfried Bausback und Joachim Herrmann

Innenminister Herrmann und Justizminister Bausback betonten: „Wir erkennen die Bemühungen der Bundesregierung, eine europäische Lösung zu finden an. Die Situation hat sich allerdings so zugespitzt, dass wir nicht länger zuwarten können. Bayern braucht sofort wirksame Maßnahmen. Solange es keine gesamteuropäische Lösung einschließlich eines effektiven EU-Außengrenzschutzes und einer Verteilung von Flüchtlingen auf die Mitgliedstaaten gibt, sondern die Flüchtlinge nur nach Deutschland ‚durchgereicht‘ werden, müssen nationale Schritte zur Begrenzung der Flüchtlingszahlen ergriffen werden. Der Bund steht hier in einer Rechtspflicht zum Handeln. Deutschland kann nicht grenzenlos Flüchtlinge aufnehmen.“

 

Eine Gruppe von sechs Rechtsanwälten hat bereits eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung eingereicht. Das berichtet der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe. Demnach sei das Wahlrecht und der Anspruch auf Teilhabe an der demokratischen Willensbildung verletzt worden. Das Ziel der Rechtsanwälte formuliert das Magazin folgendermaßen: Das Gericht soll Merkels Entscheidung von Anfang September 2015, die Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen, für verfassungswidrig erklären.

Überzogene Kritik an Beschwerdebrief

CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen warnt davor, dass der Protestbrief der bayerischen Staatsregierung einen „sofortigen Dominoeffekt“ erziele. Es würde einen Rückstau von Zehntausenden Flüchtlingen auf dem Balkan geben. Im ARD-Morgenmagazin sagte er: „Wir müssten explosive Entladungen, vielleicht eine humanitäre Katastrophe befürchten.“ Auch die SPD kritisiert das Schreiben. In Berlin erklärte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann: „In der Koalition schreibt man keine Drohbriefe, sondern löst Probleme … unerträglich, dass aus CDU und CSU mittlerweile täglich neue Querschläge kommen.“ Röttgen vergisst allerdings, dass es nach einer Grenzschließung auch sehr bald zu einem Abebben des Flüchtlingsstromes käme, weil sich so etwas bei den Asylbewerbern sehr schnell herumspricht – man vergleiche nur Schwedens Grenzkontrollen. Zudem wird sich auch bei uns in Deutschland eine humanitäre Katastrophe abspielen, wenn für die nächste Million und die übernächste Million Flüchtlinge keine Unterkünfte mehr gefunden werden. Und der wegen der Edathy-Affäre angeschlagene Oppermann übertreibt natürlich, schließlich stehen drei Landtagswahlkämpfe an. Weder handelt es sich um einen Drohbrief, sondern um eine für die Verfassungsklage notwendige Erklärung. Noch handelt es sich um Querschläge der Union, sondern um dringend notwendige Lösungsvorschläge. Dass sie wiederholt werden müssen, liegt an der Uneinsichtigkeit der Kanzlerin sowie der SPD, die immer noch das Asylpaket 2 nicht umsetzen will. Gerade die Genossen sind es, die nichts zu einer Problemlösung beigetragen haben, sondern immer erst lautstark gegen die CSU-Ideen protestierten, bevor sie sich wenige Tage später diese Vorschläge still und leise zu eigen gemacht haben. Von eigenen und praktikablen Ideen zur Lösung der Asylfrage ist aus der SPD bisher so gut wie nichts zu hören gewesen. Seehofer wies auch die weitere Kritik von Oppermann zurück, beim bayerischen Brief an Merkel handele es sich um die „Ankündigung des Koalitionsbruchs“. Dazu sagte Seehofer: „Ich kenne keine Prognose vom Herrn Oppermann, die jemals in Erfüllung gegangen ist. Keine Prognose der SPD ist bisher eingetreten.“