Viele Krankenkassen haben zu Jahresbeginn ihre Zusatzbeiträge erhöht. (Foto: Coloures pic/Fotolia)
Höhere Beiträge

„Den Krankenkassen laufen die Ausgaben davon“

Interview Die gesetzlichen Krankenkassen haben zu Jahresbeginn auf breiter Front die Zusatzbeiträge erhöht. Grund sind Mehrausgaben von rund 3,3 Milliarden Euro. Der BAYERNKURIER fragte den gesundheitspolitischen Experten der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Stephan Stracke, nach den Hintergründen, einen möglichen Zusammenhang mit der Massenzuwanderung und ob ein Kassenwechsel jetzt sinnvoll ist.

BAYERNKURIER: Die Krankenkassenbeiträge steigen fast überall. Zwei von drei Beschäftigten in Deutschland müssen seit 1. Januar mehr zahlen. Eigentlich sollte das verwundern, denn die Einnahmen der Sozialversicherungen sind ja aufgrund der guten Wirtschaftslage, der hohen Beschäftigungsquote und gestiegener Löhne so hoch wie nie. Warum steigen die Kassenbeiträge trotzdem?

Stephan Stracke: Die sehr gute Entwicklung am Arbeitsmarkt ist in der Tat erfreulich und spülte den Krankenkassen in den vergangenen Jahren Rekordbeitragseinnahmen in die Kassen. So konnten die gesetzlichen Krankenkassen Rücklagen in Höhe von rund 15 Milliarden aufbauen, die sich jedoch auf die Kassen sehr unterschiedlich verteilen.

Trotz hoher Beitragseinnahmen laufen den Krankenkassen allerdings die Ausgaben davon. Im Vergleich zu 2015 werden die Kassen im laufenden Jahr voraussichtlich rund 3,3 Milliarden Euro mehr ausgeben als sie einnehmen. Auf diese Lücke müssen die Krankenkassen reagieren. Die jeweilige Reaktion hängt dabei von der kassenindividuellen Finanzsituation und der Höhe der Rücklagen ab. Jede Kasse entscheidet eigenständig darüber, ob sie zunächst ihre Finanzreserven aufbrauchen, Einsparungen vornehmen, den Zusatzbeitrag erhöhen oder einen Mix dieser Maßnahmen vornehmen will. Im Durchschnitt haben sich die Kassen für eine moderate Erhöhung des Zusatzbeitrages um 0,2 Prozent entschieden. Das macht bei einem Bruttoverdienst von 2500 Euro eine Steigerung um 5 Euro im Monat aus.

Jede Kasse entscheidet eigenständig darüber, ob sie zunächst ihre Finanzreserven aufbrauchen, Einsparungen vornehmen, den Zusatzbeitrag erhöhen oder einen Mix dieser Maßnahmen vornehmen will.

Stephan Stracke

Bei differenzierter Betrachtung ergibt sich aufgrund der unterschiedlichen finanziellen Situationen der Kassen ein dreigeteiltes Bild: Rund ein Drittel (36 Prozent) aller Kassen hat eine geringere Erhöhung als 0,2 Prozent vorgenommen oder zum Teil ganz auf eine Erhöhung verzichtet. Nahezu ein weiteres Drittel (30 Prozent) der Kassen hat den Zusatzbeitrag um genau 0,2 Prozent erhöht, während das übrige Drittel (34 Prozent) den Zusatzbeitrag um mehr als 0,2 Prozent angehoben hat.

Anerkannte Asylbewerber liegen den Kassen auf der Tasche

BAYERNKURIER: Hat die Beitragserhöhung auch ursächlich mit den rund 1,1 Millionen Flüchtlingen zu tun, die allein 2015 teilweise mit schweren Vorschädigungen und Traumata nach Deutschland gekommen sind? Zahlen die deutschen Beitragszahler für deren Behandlungen – oder die Steuerzahler?

Stracke: Rund 50 Prozent der Flüchtlinge, die zu uns kommen, sind jünger als 25 Jahre und in der Regel relativ gesund. Asylbewerber haben innerhalb der ersten 15 Monate ihres Aufenthalts in Deutschland nur einen eingeschränkten Anspruch auf ärztliche Behandlung, etwa bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen. Ab dem 15. Monat stehen Asylbewerbern dann nahezu die gleichen Leistungen offen wie allen gesetzlich Versicherten auch.

Die Gesundheitsausgaben für Asylbewerber werden in Bayern dabei solange vom Sozialhilfeträger, also den Kommunen, getragen, bis ein Asylbewerber anerkannt wird. In Bayern bleiben die Kommunen auf den entstandenen Kosten jedoch nicht sitzen, sondern diese werden den Kommunen vom Freistaat in voller Höhe erstattet. Das ist bundesweit vorbildlich. Letztlich kommt für diese Kosten der Steuerzahler auf.

Diese Lücke wird sich mittelfristig vergrößern, je mehr Flüchtlinge in Deutschland anerkannt werden.

Stephan Stracke

Anders ist die Situation, wenn ein Asylbewerber den Asylstatus zuerkannt bekommt. Dann ist die gesetzliche Krankenversicherung finanziell unmittelbar betroffen. Sofern ein anerkannter Asylbewerber gleich eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufnimmt, zahlt er Sozialversicherungsbeiträge und ist auch Mitglied der gesetzlichen Krankenkasse. Nach Schätzungen ist davon auszugehen, dass nur jeder Zehnte anerkannte und erwerbsfähige Asylbewerber sofort eine Beschäftigung aufnehmen wird. Die übrigen 90 Prozent werden als Hartz-IV-Empfänger in der gesetzlichen Krankenkasse pflichtversichert. Für diese zahlt das Bundesarbeitsministerium eine monatliche Pauschale von rund 90 Euro an den Gesundheitsfonds. Die Pauschale deckt jedoch die tatsächlichen Kosten bei weitem nicht. Für die Deckungslücke im Gesundheitsfonds muss schon bislang die Solidargemeinschaft von Versicherten und Arbeitgebern aufkommen. Diese Lücke wird sich mittelfristig vergrößern, je mehr Flüchtlinge in Deutschland anerkannt werden. Die Bundesarbeitsministerin ist nun gefordert, hier rasch für Abhilfe zu sorgen, indem die monatliche Pauschale auf ein kostendeckendes Niveau angehoben wird.

Unser Gesundheitssystem zählt zu den besten weltweit. Hiervon profitieren auch die Flüchtlinge. Ich rege deshalb an, dass sich die Flüchtlinge auch an den entstandenen Kosten für die in Anspruch genommenen Leistungen durch einen angemessenen finanziellen Eigenbeitrag beteiligen. Das ist eine Frage der Fairness gegenüber den Steuer- und Beitragszahlern und unterstreicht, dass eine Spitzenmedizin nicht selbstverständlich ist. Hierüber müssen wir offen diskutieren. Es kann doch nicht sein, dass für jede Unterrichtsstunde eines Integrationskurses eine Eigenbeteiligung verlangt wird, die Gesundheitsleistungen aber wie selbstverständlich von Flüchtlingen kostenfrei in Anspruch genommen werden.

Hälfte der Mehrkosten geht aufs Konto der Gesundheitsreformen

BAYERNKURIER: Welcher Anteil an den höheren Ausgaben entfällt auf die jüngsten Reformen im Gesundheitswesen, wie Pflege-, Krankenhaus- oder Palliativmedizin-Reform? Hat Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) da nicht genügend auf Kostendämpfung geachtet?

Stracke: Rund die Hälfte der Mehrausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung für dieses Jahr in Höhe von rund 3,3 Milliarden Euro ist auf die Gesundheitsreformen der Großen Koalition zurückzuführen, während die andere Hälfte in stetig steigenden Ausgaben in der Gesundheitsversorgung begründet ist, zum Beispiel im Arzneimittelbereich oder für die Vergütung ambulanter ärztlicher Leistungen.

Das Geld, das durch die Reformen zusätzlich ausgegeben wird, ist gut angelegt.

Stephan Stracke

Das Geld, das durch die Reformen zusätzlich ausgegeben wird, ist aber gut angelegt. Es handelt sich um eine Investition in eine moderne und leistungsfähige medizinische Versorgung, die sich für den Versicherten auszahlen wird. Beispielsweise geht es um eine bessere Förderung der Hygiene im Krankenhaus, um zusätzliches Pflegepersonal oder um einen flächendeckenden Ausbau der segensreichen Hospiz- und Palliativversorgung. Das alles kommt den Versicherten zugute. Zudem verbessern wir spürbar die Gesundheitsförderung und Prävention, indem wir die Kassen verpflichten, noch mehr präventiv gegen Volkskrankheiten zu tun. Wenn es dadurch gelingt, dass Krankheiten erst gar nicht entstehen, wäre den Menschen am besten geholfen und wir können die Kostendynamik im Gesundheitswesen langfristig abbremsen.

Sonderkündigungsrecht: Kassenwechsel will gut überlegt sein

BAYERNKURIER: Versicherte, deren Beitrag erhöht wurde, haben ein kurzfristiges Sonderkündigungsrecht. Grundsätzlich: Würden Sie Versicherten zu einem Wechsel der Krankenkasse raten? Viele Versicherte schrecken ja doch vor einem Wechsel der Krankenkasse zurück, während bei KfZ- oder Haftpflichtversicherung keine so hohe Hemmschwelle existiert. Sehr viele Versicherte sind ihrer Krankenkasse über Jahrzehnte treu, sie nimmt in der Gefühlswelt vieler Versicherter eine höhere Vertrauensstellung ein: Immerhin kennt die Kasse über Jahre jedes Wehwehchen und sämtliche Befunde des Versicherten. Also: Sollte man jetzt bei steigenden Beiträgen wechseln?

Stracke: Jeder Versicherte hat ein Sonderkündigungsrecht im Falle der Erhöhung des Zusatzbeitrages. Damit der Versicherte von seinem Recht auch weiß, haben wir die Krankenkassen dazu verpflichtet, jedes Mitglied schriftlich über die Erhöhung des Beitrages zu informieren und ausdrücklich auf das Sonderkündigungsrecht hinzuweisen.

Einem chronisch Kranken ist intensive persönliche Beratung womöglich wichtiger als ein höherer Zusatzbeitrag.

Stephan Stracke

Ob dieses Recht dann auch tatsächlich ausgeübt wird, hängt von der jeweiligen Lebenssituation und den Bedürfnissen des Einzelnen ab. Für einen chronisch Kranken sind eine intensive persönliche Beratung und spezielle Behandlungsprogramme seiner Krankenkasse womöglich wichtiger als eine Erhöhung des Zusatzbeitrages. Ein junger, gesunder Mensch wird sich demgegenüber vielleicht eher ausschließlich an der Höhe des Beitrages orientieren, den er zu zahlen hat. Letztlich muss jeder für sich selbst entscheiden, ob für ihn ein Krankenkassenwechsel Sinn macht. Die Möglichkeit des sofortigen Kassenwechsels besteht jedenfalls.