Der listige Destabilisator: Russlands Präsident Wladimir Putin (r.) empfing US-Außenminister John Kerry in Moskau. (Bild: Imago/Xinhua)
ZDF-Dokumentation

Putin will die EU spalten

In einer sehenswerten Dokumentation mit dem Titel "Machtmensch Putin" hat das ZDF am Dienstag aufgezeigt, wie Russlands Diktator Wladimir Putin die EU spalten und ihre Macht brechen will: Er unterstützt in Europa EU-feindliche Parteien und bombardiert die öffentliche Meinung auch im Westen mit seinen Trollfabriken und einem TV-Sender. Im Kreml trifft Putin immer einsamer seine Entscheidungen.

Ist Wladimir Putin, Russlands mächtiger Präsident, eine Bedrohung für Europa? Während Putin am Donnerstag seine Jahresbilanz vorstellte und allen Ernstes den suspendierten FIFA-Präsidenten Joseph Blatter für den Friedensnobelpreis vorschlug, ging zwei Tage zuvor das ZDF dieser Frage in seiner Dokumentation „Machtmensch Putin – Gegner oder Partner Europas?“ nach. Und die Antwort fällt eindeutig aus: Ja, der Autokrat versucht aktiv und sehr direkt, die EU zu destabilisieren. Der Bericht widerlegt zugleich viele der Mythen und Ausreden, die Putin-Versteher im Westen verbreiten, weil sie es nicht besser wissen oder wissen wollen.

Putin nutzt die Naivität unserer Staatsmänner aus.

Boris Reitschuster, Putin-Biograph

Spannend waren insbesondere die von den Journalisten zusammengetragenen Details zu dem 9-Millionen-Euro-Kredit, den eine Kreml-nahe Bank im vergangenen Jahr den französischen Rechtspopulisten vom „Front National“ (FN) gewährt hat. Laut geleakten E-Mails, so zeigt es die Dokumentation, sei daran die Bedingung geknüpft gewesen, dass die Partei von Marine Le Pen Putins Ukraine-Politik gutheißt. Und der FN ist laut ZDF nicht die einzige europafeindliche und rechtspopulistische Partei, die vom Kreml gestützt wird: Auch die britische UKIP, die ungarische Jobbik, die griechische „Goldene Morgenröte“ seien Partner Putins. Bei der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) ist sich der Sender offenbar nicht ganz sicher, denn hier fügt der Sprecher das Wörtchen „angeblich“ hinzu. Von der AfD war im Film keine Rede. Warum stützt Putin ausgerechnet diese Rechtspopulisten? Mitchell Orenstein, Politikwissenschaftler von der Universität von Pennsylvania, liefert die Antwort: „Sie unterstützen Russlands politische Agenda, wonach die EU geschwächt werden soll, damit sie als politischer Akteur einfacher zu bekämpfen ist.“ Und Orenstein watscht die westlichen Regierungschefs ab: „Europa und die USA haben sehr lange gebraucht, um Putins Kampf gegen die EU zu erkennen. Aber es gibt diese Strategie ganz eindeutig.“ Auch Putin-Biograph Boris Reitschuster lässt kein gutes Haar an den Staatschefs: „Putin nutzt die Naivität unserer Staatsmänner aus.“ Mitarbeiter aus dem Europäischen Parlament hätten ihm berichtet, dass russische Diplomaten ganz offen darüber sprechen, dass sie die EU schwächen wollen – und das schon seit vielen Jahren. Reitschuster ordnete zudem die Widersprüche im westlichen Umgang mit Putin ein. „Ich sehe das mit großer Verwunderung, dass als Reaktion auf einen Terroranschlag in Paris mit 130 Toten wir uns an jemandem um Hilfe wenden, der an 8.000 Toten in der Ukraine die Hauptverantwortung trägt, damit der jemanden hilft, der für die Tötung von Hunderttausenden in Syrien verantwortlich ist“, ätzt der Putin-Biograf.

Propaganda-Dauerfeuer

Bedenklich ist auch folgender Aspekt des ZDF-Berichts, sollte er zutreffen: „Putin will auch im Westen Meinung machen!“ Den Etat für Propaganda im Ausland hat der Autokrat um 40 Prozent erhöht. Der russische Propaganda-TV-Sender „Russia Today“ (RT), der nach eigenen Angaben 600 Millionen Menschen im Ausland erreicht und auch auf Youtube sehr erfolgreich ist, dient danach lediglich als Teil eines Netzwerks zur Manipulation und Störung von gesellschaftlichen Diskussionen, das wiederum einzig und allein dem Zweck dient, Menschen in anderen Ländern den Glauben an die Redlichkeit von Politikern und Journalisten zu nehmen. Da wird auf RT schon mal der Rabbi, der wegen der russischen Besatzung von der Krim flieht, filmisch in einen Flüchtling vor ukrainischen Nationalisten umgewidmet. „Es war schwer, auf der Krim überhaupt einen ukrainischen Nationalisten zu finden“, warnt der Rabbi in der ZDF-Doku davor, sich mit RT einzulassen.

Propaganda wird auch im Internet verbreitet, gesteuert von „Trollfabriken“ aus Sankt Petersburg, die auf Facebook, Twitter und Co Putins „Wahrheiten“ einspeisen. Dies ist durch Medienberichte schon länger bekannt, auch der Bayernkurier berichtete davon. Hier werden Fake-Biographien erschaffen, über die dann scheinbar von „ganz normalen Leuten“ politische Propaganda verbreitet und der dekadente Westen beschimpft wird. Das ZDF belegt das durch heimliche Filmaufnahmen eines russischen Journalisten, der sich in so einer „Fabrik“ anstellen ließ sowie durch eine ehemalige Mitarbeiterin.

Staatsmedien und Propaganda

Putin ist in Russland so beliebt wie lange nicht. Grund dafür sind vor allem die Krim-Invasion, ein wenig auch die westlichen Sanktionen und natürlich die Staatsmedien, die Propaganda-Märchen zur besten Sendezeit ausstrahlen. Nicht einmal vor nachweislichen Lügen wird zurückgeschreckt, das zeigte sich bei den Angriffen auf die Ukraine ebenso wie bei der Agitation gegen den Westen. „Die Medien sind zentrales Mittel der Politik für Putin. Russland sieht sich im Medienkrieg mit dem Westen“, heißt es in dem Bericht. Unliebsame russische Zeitungen und TV-Sender hat Putin ohnehin durch allerlei Tricks, neue Gesetze, Drohungen und Repressionen entweder ausgeschaltet oder auf Linie gebracht.

Lügengeschichten von der Krim und der Ostukraine

Sehr schön zeigt der Film die Lügen im Zuge der Krim-Annexion auf. Erst behauptete der Kreml-Chef, dass keine russischen Soldaten bei der Besetzung der Schwarzmeer-Halbinsel beteiligt waren und unterstellte westlichen Geheimdiensten, die Hintermänner der Maidan-Proteste gewesen zu sein. Später prahlte Putin öffentlich damit, dass reguläre russische Soldaten den Separatisten den Rücken frei gehalten hätten.

Viele Indizien trug das ZDF auch für eine russische Beteiligung in der Ostukraine zusammen, auch wenn im Westen ohnehin niemand das russische Märchen von den Freiwilligen glaubt: Äußerungen und Fotos russischer Soldaten in sozialen Netzwerken, ein Interview mit einem Freiwilligen, Aufnahmen von einem offiziell nicht existierenden Rekrutierungsbüro in Russland, eine englische Liste offizieller russischer Armeeeinheiten in der Ostukraine und Aufnahmen von Panzern in der Ostukraine, die so neu sind, dass sie bisher noch nirgendwohin exportiert wurden – folglich der russischen Armee gehören. Insgesamt sei auch die Ausrüstung und Taktik der „Separatisten“ viel zu gut, um noch von Freischärlern ausgehen zu können.

Außenpolitik mit dem Gashahn.

Mitchell Orenstein, Politikwissenschaftler

Beschrieben wird auch, wie Putin die russischen Energievorkommen als Druckmittel benutzt: „Außenpolitik mit dem Gashahn“, nennt das Orenstein. Auch Deutschland bezieht zu 38 Prozent sein Erdgas aus Russland. Wer sich wohlfeil verhält, bekommt Preisrabatte, unliebsamen Ländern wie der Ukraine wird einfach mitten im Winter der Gashahn zugedreht. Russland braucht zwar die Einnahmen als Hauptteil seiner Staatseinnahmen dringender als der Westen das Gas, aber zugleich wird in dem ZDF-Bericht darauf hingewiesen, dass Putin nicht immer rational handelt. Wenn es ihm nützt, lässt er auch die russische Wirtschaft leiden, wie zuletzt durch die Sanktionen wegen der Krimbesetzung. Es scheint also nicht völlig ausgeschlossen, dass er doch irgendwann auch der EU den Gashahn zudreht.

Putin im Profil

Interessant war aber auch das Persönlichkeitsbild, das die Doku von Putin zeichnete: Vom KGB-Offizier in Deutschland bis zum Präsidenten Russlands. Der schaffte es, selbst aus einem Haufen aufsässiger und milliardenschwerer Oligarchen eine gefügige Anhängerschaft zu formen. Dass dabei rohe Gewalt zum Einsatz kam, hat seiner Popularität im Land nicht geschadet. Oppositionelle werden in Putins Reich eingesperrt oder ermordet, so Michail Chodorkowski, Anna Politkowskaja, Alexander Litwinenko oder zuletzt Boris Nemzow auf offener Straße. Nemzow wollte übrigens zwei Tage nach seiner Ermordung – mitten in der Hochsicherheitszone rund um den Kreml – einen Bericht vorlegen, der den Einsatz russischer Truppen in der Ostukraine beweisen sollte. Dazu kam es nicht, auch weil der Geheimdienst FSB nach dem Attentat alle Unterlagen dazu beschlagnahmte. Offensichtlicher lag selten ein Mordmotiv auf dem Tisch.

Putins Motto: ‚Vorwärts in die Vergangenheit.‘

ZDF-Dokumentation

Der Film knüpfte in diesem Punkt an die vorausgehende Dokumentation „Mensch Putin!“ an, die vor zehn Monaten im ZDF die „Geheimnisse des russischen Präsidenten“ beleuchtete. Das in den Staatsmedien gefeierte Bild des unermüdlich arbeitenden, bescheidenen Aktenfressers und früheren Superspions bekommt hier deutliche Risse. Putins wahres Ich wird in der Doku als früher eher feierfreudiger Schreibtischspion und Macho in der sicheren Etappe und heute als notorischer Langschläfer, der auch hochrangige Staatsgäste als vermeintliches Zeichen seiner Macht stundenlang warten lässt, gezeichnet. Ein von Minderwertigkeitskomplexen beladener, verschlossener Sowjetnostalgiker, der auffallend viel Zeit in seine sportliche Ertüchtigung investiert und gerne einsame Entscheidungen nach dem Motto „Vorwärts in die Vergangenheit“ fällt. Sogar sein engster Vertrauenskreis, der „Petersburger Club“ aus alten Geheimdienstgefährten und Judopartnern, die durch Putin unvorstellbar reich wurden und weite Teile der russischen Wirtschaft kontrollieren, wird von diesem nicht immer in alle Entscheidungen eingeweiht. Reitschuster beschreibt, dass Putin heute den Luxus liebt, da er selbst aus bescheidenen Verhältnissen stamme. Statt einem modernen Staats- und Wirtschaftsbild für sein Land setze er daher auf „Pomp und imperialen Glanz“. Allerdings habe der Autokrat eine große Sicherheit darin, die Schwächen seiner Gesprächspartner herauszufinden und auszunutzen. Das Ganze wird mit Augenzeugenberichten, Dokumenten und bereits bekannten Fakten belegt.

So makaber das klingt: Er wird den Kreml nicht lebend verlassen.

Boris Reitschuster, über Putin

Exklusive Dokumente eines westlichen Nachrichtendienstes belegten außerdem in der Doku, dass Putin mindestens fünf Attentatsversuche überstand. Daraus resultierte Furcht vor Verrat und ein Kontrollwahn. Trifft dies zu, so teilt Putin mit seinem Vorbild Stalin mehr, als ihm lieb sein dürfte, denn dieser war in seinen letzten Zeit völlig paranoid und von Misstrauen und Angst zerfressen. Der ehemalige Moskau-Korrespondent Boris Reitschuster sagt sogar: „So makaber das klingt: Er wird den Kreml nicht lebend verlassen.“ Bei einem Rücktritt könne Putin schließlich niemand Sicherheit für sich, seine Freiheit und seinen Reichtum garantieren. Der britische Journalist Ben Judah, Autor des Russland-Buchs „Fragile Empire“ ergänzte: „Putin hat Angst, aus Schwäche oder Fehlern die Kontrolle zu verlieren und dann ermordet zu werden oder sich in einem Gefängnis in Sibirien wiederzufinden.“

Politik und Machterhalt sind für Putin also existenzielle Fragen, das ist die Quintessenz der Dokumentation. Autokraten werden schließlich selten abgewählt, oft aber gestürzt.

Der „lupenreine Demokrat“

Nicht im Film enthalten ist ein ganz besonderer Russenfreund: Deutschlands Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) nannte Wladimir Putin einst einen „lupenreinen Demokraten“. Selten hat sich ein führender deutscher Politiker so geirrt. Oder bewusst die Öffentlichkeit falsch informiert? Schließlich stand Schröder sehr schnell auf russischen Gehaltslisten, als Vorsitzender des Aufsichtsrats der Nord Stream AG (Ostsee-Pipeline), die zu 51 Prozent dem russischen Energieriesen Gazprom gehört. Diesen Posten nahm er bereits wenige Wochen nach dem Regierungswechsel zu Angela Merkel an, was damals große Empörung auslöste. Am 31. März 2006 wurde außerdem bekannt, dass Schröders Regierung nach ihrer Wahlniederlage, aber noch vor dem Ende ihrer Amtszeit, eine staatliche Bürgschaft für einen Kredit der deutschen Banken KfW und Deutsche Bank in Höhe von einer Milliarde Euro für Gazprom übernehmen wollte, angeblich, um die Energieversorgung Deutschlands zu sichern. Schröder stritt ab, von dem Vorgang Kenntnis gehabt zu haben. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist auch: Anfang 2014 reichten grüne und konservative EU-Parlamentarier einen letztlich abgelehnten Entschließungsantrag ein, dem zufolge die Resolution zur Krimkrise eine Klausel enthalten möge, nach der Schröder „keine öffentlichen Aussagen zu Themen machen sollte, die Russland betreffen“, da er wegen seiner Beziehungen zu Gazprom in einem Interessenkonflikt stehe.

Das Fazit

Der ZDF-Film gehört dennoch zu den besten Russland-Dokumentationen, die im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurden, gerade weil er so kritisch ist. Natürlich bleibt er den einen oder anderen Beleg schuldig, schon aufgrund der Kürze des Beitrags. Aber er hebt sich wohltuend ab von zahlreichen anderen Beiträgen, die beinahe auf jede russische Propaganda hereinfallen. Diese wirkt also, das zeigt sich nicht zuletzt in den immer häufiger auftretenden Stimmen, man solle die Sanktionen doch jetzt aufheben, man brauche Russland doch. Der Völkerrechts- und Vertragsbruch durch die Besetzung der Krim und der Ostukraine, die Tötung tausender Ukrainer, die Beerdigung der europäischen Nachkriegsordnung? Vergessen, verdrängt, verniedlicht. Wen kümmert so etwas Banales, wo doch der Rubel wieder rollen muss! Sieht man aber auf Russlands Kriege, die seit Putins Amtsantritt geführt wurden, in Tschetschenien, Georgien, der Ukraine oder in Syrien, dann wird klar, dass es hier nicht um Selbstverteidigung oder den Schutz von Russen geht, wie Putin immer behauptet. Es handelt sich um blanke militärische Aggressionen. Auch der Einwand, auch die USA hätten solche Kriege beispielsweise im Irak geführt, kann diese Argumente nicht entkräften. Ein Unrecht wird ja nicht besser, nur weil ein anderer ebenfalls im Unrecht ist. Man sollte jetzt hierzulande vor allem an warnende Beispiele von aggressiven Großmachtpolitikern aus der eigenen und der europäischen jüngeren Vergangenheit denken, von denen Appeasement-Politik nur ausgenutzt und als Zeichen von Schwäche gewertet wurde. Sonst droht auch, wie es Sebastian Christ in der Huffington Post kommentiert: „In 20 oder 30 Jahren wird es kaum einem Nachgeborenen noch verständlich sein, wie unkritisch der russische Präsident bisweilen in Deutschland betrachtet wurde.“