Horst Seehofer im Gespräch mit Karl-Theodor zu Guttenberg beim "Außenpolitischen Club" der CSU. Foto: Simone Wuchenauer
Treffen mit Putin

Seehofer reist Anfang Februar nach Moskau

Ministerpräsident Horst Seehofer hatte am Donnerstagabend zum internen Gedankenaustausch neun Spitzenvertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft geladen, unter anderem Dr. Edmund Stoiber und Karl-Theodor zu Guttenberg. Die hochkarätig besetzte Runde sprach sich für einen Neuanfang im Verhältnis zu Russland aus, zudem sollten die Sanktionen gegen das Land auf den Prüfstand gestellt werden.

„Ich diskutiere lieber auf hohem Niveau kontrovers als auf niedrigem Niveau harmonisch“ – Horst Seehofer war mit dem Ergebnis der mit insgesamt zehn Teilnehmern bewusst exklusiv gehaltenen Gesprächsrunde höchst zufrieden. Er habe regelrecht „aufgetankt“ und nehme eine ganze Reihe von wertvollen Denkanstößen und Informationen mit auf seine Moskau-Reise im Februar. Das Ziel sei ein Neuanfang im Verhältnis zu Russland, bei gleichzeitiger Fortführung der guten Beziehungen zu den USA. Die weltpolitischen Mega-Themen könnten nur mit Moskau gemeinsam gelöst werden, zudem müssten die Wirtschaftssanktionen gegen Russland überdacht werden. Die bayerische Wirtschaft und im Besonderen die Landwirtschaft leiden unter den Sanktionen, die politische Wirkungskraft fehle. An Themen mangelte es am Donnerstagabend also gewiss nicht, ebenso wenig an kontroversen Ansichten, allen voran beim Thema Krim-Krise. Einigkeit herrschte aber auch – zum Beispiel hier: Nur derjenige, der die Geschichte der Krim sowie die Gegebenheiten und Denkweisen auf russischer Seite kennt, kann zielführende und fundierte Antworten liefern, die zur Lösung des Ukraine-Konflikts beitragen.

Knackpunkt Krim-Krise

„Wir müssen lernen, die Russen wieder besser zu verstehen“ betonte der Moderator des Abends und langjährige Bayernkurier-Chefredakteur, Wilfried Scharnagl. Er äußerte sich zuletzt wiederholt und allen voran in seinem Buch „Am Abgrund“ kritisch zu dem einseitigen Urteil der westlichen Welt und plädierte erneut für einen anderen Umgang mit Russland. „Schwarz-Weiß-Maler haben selten Recht, auch bei der Krise um die Ukraine gilt diese Erfahrung“. Es kam die Diskussion auf, ob die eigentliche und tiefere Ursache für das russische Handeln auf der Krim darin lag, dass Präsident Putin die Gefahr der NATO-Aufnahme der Ukraine sah. Wenn man sich wirklich in die russische Gedankenwelt hineinversetze, müsse man verstehen, dass Moskau dies nicht hätte akzeptieren können – gerade auch, weil die bedeutende Schwarzmeerflotte auf der Krim stationiert ist. Insofern sei weder der Westen noch der Osten frei von Fehlern, jetzt müssten beide Seiten wieder aufeinander zugehen. Dem schloss sich der ranghohe russische Vertreter in der illustren Runde im Bayerischen Hof an. Seine Familie habe ukrainische Wurzeln, auch aus persönlichen Gründen sei er der Überzeugung, beide Seiten beleuchten zu müssen. Moskau stehe zum Minsker Abkommen, aber auch die Ukraine sei gefordert. So warte man im Kreml darauf, dass Kiew die anstehende Verfassungsänderung umsetze. Die Russland-Kritiker in der Runde blieben jedoch bei ihrem Standpunkt: die Annexion der Krim war rechtswidrig, es handelte sich um eine völkerrechtswidrige Tat. Erst wenn Russland das Minsker Abkommen umsetze, könne man über eine Aussetzung der Wirtschaftssanktionen verhandeln.

Verhältnis zu den USA pflegen und zeitgleich Neuanfang mit Russland starten 

„Das Transatlantische Bündnis pflegen und zeitgleich einen Neuanfang der Beziehungen mit Russland starten“ – so beschrieb der aus den USA eingeflogene Karl-Theodor zu Guttenberg seinen Lösungsansatz. Man brauche beide Seiten, betonte der jüngst ins Strategieteam der CSU berufene frühere Bundesverteidigungsminister, um die derzeit enorm hohe Zahl an Krisen und Konflikten auf dieser Welt einzudämmen. Mit über 400 rechnet man, die Welt scheint vielerorts regelrecht aus den Fugen geraten zu sein. Der an Fahrt und Lautstärke gewinnende US-Wahlkampf mache die Situation nicht einfacher, war zu hören, der Ton werde schärfer, die potentiellen Präsidentschaftskandidaten überböten sich mit Überzeichnungen. Aber auch auf russischer Seite hole man gerne die verbale Keule raus, sagte einer der Teilnehmer, insgesamt sprach man sich für ein rhetorisches Abrüsten auf beiden Seiten aus.

Gemeinsame Wirtschafts- und Kulturpolitik als Brückenbauer

„Wie kann das beiderseitige Vertrauen wieder aufgebaut werden?“ – diese Frage wurde zur Kernfrage. Auf beiden Seiten sei die Verunsicherung groß, so fühlten sich beispielsweise auch russische Eliten gekränkt, nicht als Teil Europas wahrgenommen zu werden. Sie fühlten sich Europa zugehörig, man sei dem Westen in vielerlei Hinsicht weit näher als dem großen chinesischen Nachbarn im Osten. Solange das Klima des Vertrauens gestört sei, könne allerdings auch eine wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht wirklich funktionieren. Aber gerade eine gemeinsame Wirtschaftspolitik könnte wiederum die Basis zur Annäherung schaffen, flankiert vom gegenseitigen kulturellen sowie wissenschaftlichen Austausch. Und spätestens hier wurde die enorme Bedeutung der anstehenden Gespräche des Ministerpräsidenten in Moskau auch für Bayern offenkundig: seit Beginn der Sanktionen 2014 seien die Handelsbeziehungen zwischen Russland und Bayern um satte 52 Prozent zurückgegangen. Die Wirtschaft im Freistaat und im Besonderen die Landwirtschaft bekämen dies massiv zu spüren. Der Export der im Freistaat produzierten Nahrungsmittel sei regelrecht eingebrochen, viele Bauern kämpften aufgrund der niedrigen Verkaufspreise um die Existenz. Auf der anderen Seite sei die Zustimmung für Wladimir Putin im eigenen Land auch durch die auferlegten Wirtschaftssanktionen enorm gestiegen. Sind die Sanktionen also der richtige Weg? Ein klares „nein“ kam von Seiten der Wirtschaft, die Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Russland müssten schnellstmöglich wiederbelebt werden. Hier war von allen Seiten Zustimmung zu hören, es erfolgte aber auch der deutliche Hinweis, dass Russland gerade ebenfalls Sanktionen verhängt habe – gegen die Türkei. Eine weitere Verschärfung des Konflikts dieser beiden Länder würde die ohnehin bereits höchst diffizile welt- und europapolitische Lage zusätzlich verschlechtern.

Mega-Herausforderung Flüchtlingspolitik

Bis zu 60 Millionen Menschen sind derzeit weltweit auf der Flucht – die Krisen, Kriege und Konflikte lassen ihnen keine andere Wahl. Wie will man diese befrieden – wie will man den Menschen eine sichere Heimat geben? Allein der Syrienkonflikt mit seinen Auswirkungen bis nach Deutschland und Bayern zeigt stellvertretend die Komplexität des Themas. Ja, die Fluchtursachen müssen an der Wurzel gepackt werden. Hier ist bereits Vieles im Gange, aber die Zeit drängt. Die Stimmungslage in der Bevölkerung hierzulande sei bereits gekippt, es fiel sogar das Wort der steigenden „Aggression“ in der Mitte der Gesellschaft aufgrund der enorm hohen Flüchtlingszahlen. In diesem Zusammenhang wurde auch die „nicht vorhandene“ Außenpolitik der EU scharf kritisiert, aus dem angedachten europäischen Haus sei ein „Tollhaus“ geworden. Nur mit erkennbaren außenpolitischen Zielen und einer klar definierten Agenda habe die EU auf Dauer überhaupt eine Überlebenschance. Dem letzten Gedanken konnte der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber freilich zustimmen, er hatte in der Vergangenheit mehrfach die Sorge geäußert, dass die EU vor einer gefährlichen Zerreißprobe stehe. Gerade die aktuelle Flüchtlingsfrage stelle eine unglaubliche Herausforderung dar. Stoiber war es auch, der beim Zustandekommen der bevorstehenden Moskau-Reise im Hintergrund eine entscheidende Rolle gespielt hatte. Schließlich habe Bayern schon immer ein besonderes Verhältnis zu Russland gepflegt.

„Geschichte lebt davon, dass etwas Neues hinzukommt“ – mit diesem Ausspruch endete die Runde. Er macht deutlich, dass der wiederholte Blick zurück unentbehrlich ist, aber nur der Blick nach vorne wirklich etwas verändern kann. Mit diesem Wissen und den gestern im „Außenpolitischen Club“ der CSU gewonnen Erkenntnissen wird Horst Seehofer Anfang Februar nach Moskau reisen und im Kreml mit Präsident Wladimir Putin sprechen.