Die Annäherung zwischen Christentum und Islam gestaltet sich in vielen Fällen schwierig. BIld: sa1ph, Fotolia.
Bundesverfassungsgericht

Massive Kritik am Kopftuch-Urteil

Die bedingte Zulassung von islamischen Kopftüchern bei Lehrerinnen durch das Bundesverfassungsgericht stößt auf massive Kritik von führenden Juristen und Politikern. Viele Kenner befürchten, dass das Kopftuch als religiös-kulturelles Symbol für die Unterdrückung der Frau im Islam nun rechtlich besser gestellt sei als das Schulkreuz. Pädagogen erwarten massive Streitigkeiten an den Schulen.

Karlsruhe/Berlin – Immer massivere Kritik entzündet sich an dem Kopftuchurteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom März. Auffällig dabei: Gerade hochrangige Juristen und Kenner der Islam-Szene lassen kein gutes Haar an dem Richterspruch. Wie berichtet, urteilten die Richter mit Blick auf NRW, dass Kopftücher bei Lehrerinnen erlaubt seien, wenn der Schulfriede nicht gestört werde.

Die Liste der Kritiker des eigenwilligen Karlsruher Richterspruchs zum Kopftuch für Lehrerinnen ist lang: Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, der Ex-Präsident des NRW-Verfassungsgerichts, Michael Bertram, der Göttinger Staatsrechtler Hans Michael Heinig, die Soziologin Necla Kelek, der ehemalige bayerische Wissenschaftsminister Thomas Goppel sowie der Integrationsbeauftragte Martin Neumeyer (beide CSU).

Scharfe Kritik kommt von Hans-Jürgen Papier, der beim Kopftuchurteil vor zwölf Jahren Präsident des BVerfG war. Das neue Urteil scheine ihm „nicht als Lösung des Problems, sondern als denkbare Ursache von Problemen“, sagte Papier der Welt am Sonntag. Die Richter hätten nicht hinreichend berücksichtigt, dass „die Lehrkraft sich hier auf die Religionsfreiheit bei der Ausübung einer öffentlichen Amtstätigkeit beruft“. Sie nehme den Erziehungsauftrag des Staates wahr, der verfassungsrechtlich zur Neutralität, aber auch zur Gleichstellung von Männern und Frauen verpflichtet sei.

Ein Schlag ins Gesicht aller muslimischen Mädchen

Bei einem staatlichen Amtsträger seien die Grenzen der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit wesentlich enger zu ziehen als bei einer Privatperson. Die Entscheidung, bemängelt Papier, leide an einer „problematischen Beurteilung und Gewichtung des Grundrechtsschutzes der Lehrkraft in Ausübung eines öffentlichen Amtes“. Die neuen Vorgaben aus Karlsruhe könnten sogar als „Anregung zur Schaffung von konkreten Gefährdungs- und Störungsszenarien“ wirken. Das Urteil werde zu höchst unerfreulichen, auch gerichtlichen Streitigkeiten führen. Diese würden vermutlich auf dem Rücken derjenigen ausgetragen, zu deren Schutz die Aufhebung des generellen Kopftuchverbots gedacht gewesen sei, so Papier.

Auch die Sozialwissenschaftlerin Necla Kelek kritisiert das Urteil. „Für mich ist dieser Entscheid ein Schlag ins Gesicht aller muslimischen Mädchen, die ein selbstbestimmtes Leben führen wollen“, schrieb Kelek in der Neuen Zürcher Zeitung. „Die Entscheidung ist lebensfremd, weil sie vorgibt, tolerant gegenüber Religionen zu sein, dabei aber den Schutz von Frauen und Kindern vernachlässigt.“ Kelek sieht in der Entscheidung eine Stärkung der „konservativen und reaktionären Kräfte im Islam, die behaupten, das Kopftuch sei die einer muslimischen Frau angemessene oder vorgeschriebene Kleidung“. Das Kopftuch ist aus Sicht der Islamkritikerin mittlerweile „längst das Manifest der Apartheid, ein besitzanzeigendes Stück Stoff geworden“.

Das Kopftuch ist eine politische Demonstration

Noch grundsätzlicher fällt die Kritik von Franz Josef Jung aus, dem stellvertretenden Chef der Unionsfraktion: Das Verfassungsgericht konzentriere sich in jüngerer Zeit zu wenig auf die Frage, ob ein Gesetz mit der Verfassung vereinbar sei. Vielmehr mache es dem Gesetzgeber konkrete Vorschriften. Damit überschreite das Gericht seine Rolle. „Die Auseinandersetzung, ob eine Lehrerin mit Kopftuch den Schulfrieden stört, wird jetzt in der Schule ausgetragen“, kritisiert Jung. „Ich fürchte, die Entscheidung wird in manchen Fällen gerade nicht zu einem Schulfrieden führen, wie wir ihn brauchen.“ Das Kopftuch werde nicht nur aus religiöser Überzeugung getragen, „sondern ist bei manchen Musliminnen auch eine politische Demonstration“.

Der Staats- und Kirchenrechtler Hans Michael Heinig kritisiert in der Welt eine Bevorzugung von Kopftüchern gegenüber dem Schul­kreuz. Denn 1995 habe das BVerfG festgestellt, dass ein Schulkreuz die negative Religionsfreiheit der Schüler verletzen könne. Das Kopftuch solle diese Freiheit laut dem neuesten Urteil angeblich nun nicht verletzen. Heinig nennt es „widersprüchlich, wenn das Kreuz auf Wunsch von Schülern und Eltern zu weichen hat, aber das Kopftuch nicht“.

Einladung für Streithansel

Dabei habe ein Kopftuch eine wesentlich stärkere Wirkung auf die Schüler als ein Kreuz an der Wand, so Heinig. Im Grunde forderten die Richter Schüler und Eltern sogar dazu auf, „sich zu radikalisieren, um eine Störung des Schulfriedens zu bewirken“. Denn eine „eigene Rechtsposition“ werde Eltern und Schülern nicht zugestanden. Ganz ähnlich argumentieren auch der Staatssekretär im Bundesforschungsministerium, Thomas Rachel (CDU) und der frühere NRW-Verfassungsrichter Michael Bertrams.

Der Integrationsbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, Martin Neumeyer, sagte zum Bayernkurier, es gehe der Bevölkerung im Gegensatz zum BVerfG vor allem um folgende Fragen: „Ist das Kopftuch Ausdruck einer fundamentalistischen Gesinnung oder nicht? Lehnt die Trägerin die Gleichberechtigung von Mann und Frau ab? Stellt sie die Scharia über das Grundgesetz? Das heißt, möchte sie belehren und bekehren oder einfach nur ihren Glauben zeigen?“ Beim Kopftuch sei die Antwort nicht so klar wie bei einer Burka, so Neumeyer. „Aber die Schule ist definitiv der falsche Ort, um herauszufinden, welche Gesinnung dahinter steht. Kinder sind keine Versuchskaninchen. Deshalb bleibt es richtig, im Schuldienst auf das Kopftuch zu verzichten.“

Der frühere bayerische Wissenschaftsminister Thomas Goppel hält das Urteil für unnötig, soweit es die Kleidungs-Vorlieben des Einzelnen im Privatleben betrifft. „Dort allerdings, wo Dritte weltanschauliche Abreden außerhalb des gesellschaftlichen Konsenses anderen als Zwang auferlegen, begibt sich jedes Verfassungsgerichtsurteil auf ein Terrain, das mit dem Artikel 1 des Grundgesetzes nicht vereinbar ist“, sagte Goppel ebenfalls im Bayernkurier.