Der frühere Bundesinnenminister und jetzige Bundestagsvizepräsident, Hans-Peter Friedrich, im Interview. (Foto: BMI)
Hans-Peter Friedrich

„Unbegrenzte Masseneinwanderung ist inakzeptabel“

Interview Der Terror des Islamischen Staates (IS) hat Europa erreicht. Auch die deutsche Polizei steht damit vor völlig neuen Herausforderungen. Gleichzeitig strömen weiterhin beinah unbegrenzt täglich Tausende Asylbewerber über die deutschen Grenzen. Dazu befragte Wolfram Göll den früheren Bundesinnenminister und jetzigen Unionsfraktionsvize im Bundestag, Hans-Peter Friedrich.

BAYERNKURIER: Seit den Anschlägen in Paris und seit der Absage des Länderspiels in Hannover findet sich Deutschland mitten im Antiterrorkampf. Wie schätzen Sie die Lage ein? Droht die Terrorbedrohung Deutschland nachhaltig zu verändern?

Friedrich: Deutschland ist seit langer Zeit im Fadenkreuz des islamistischen Terrors. Den wenigsten Bürgern war dies jedoch bisher bewusst; die Vorkommnisse in Paris und Hannover haben dies verändert. Ob dies so bleibt, hängt davon ab, wie sich die Sicherheitslage in den nächsten Wochen und Monaten entwickelt. Es gibt derzeit weder einen Grund für Panik noch für Entwarnung.

Die Verunsicherung ist so groß, weil die Anschlagsziele des IS-Terrors nicht eingrenzbar sind.

Hans-Peter Friedrich

BAYERNKURIER: Ist die Situation vergleichbar mit dem „deutschen Herbst“ 1977, oder ist die Bedrohung diesmal schwerer einzuschätzen und damit viel heikler?

Friedrich: Es gibt insofern Parallelen, als auch dieses Mal die Abwehrfähigkeit des Staates durch die Terroristen auf eine harte Probe gestellt wird. Ansonsten kann man beide Sachverhalte nicht miteinander vergleichen. Noch hat es bis zur Stunde außer den Morden 2011 am Frankfurter Flughafen keine Opfer des islamistischen Terrors in Deutschland gegeben. Andererseits ist die Unberechenbarkeit und Verunsicherung ziemlich groß, weil Anschlagsziele des IS-Terrors im Grunde nicht eingrenzbar sind.

BAYERNKURIER: Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) hat beklagt, dass die Polizei nicht hinreichend ausgebildet und ausgerüstet ist, um Gegner zu bekämpfen, die mit dem eigenen Tod rechnen und denen man daher praktisch mit nichts drohen kann. Wie sehen Sie das?

Friedrich: Es gibt immer wieder neue Formen der Kriminalität und neue Herausforderungen für unsere Polizei. Selbstverständlich muss die Ausbildung und auch die Ausrüstung entsprechend weiter entwickelt und auf die neue Situation eingestellt werden. Bei den Spezialkräften ist dies ja auch bereits der Fall.

Unbeobachtete Masseneinwanderung ist fahrlässig. Wir überdehnen unsere Integrationsfähigkeit und riskieren Parallelgesellschaften.

Hans-Peter Friedrich

BAYERNKURIER: Bei einem der toten Terroristen in Paris wurde ein mutmaßlich gefälschter syrischer Pass gefunden, der darauf schließen lässt, dass der betreffende Terrorist – als Flüchtling getarnt – über die Balkanroute eingereist ist, jedenfalls in Griechenland, in Serbien und Kroatien registriert wurde. In Istanbul hat die türkische Polizei acht Marokkaner, mutmaßliche IS-Kämpfer, festgenommen, die laut türkischer Polizei ebenfalls über die Balkanroute als angebliche Flüchtlinge nach Deutschland reisen wollten. Beschert uns da der faktisch rechtsfreie Zustand eine ungeahnte Bedrohungslage?

Friedrich: Die genannten Beispiele zeigen, dass wir unsere Grenzkontrollen noch weiter verstärken und verbessern müssen. Der Einsatz von weiteren elektronischen Möglichkeiten und die Nutzung moderner Kommunikationsmittel sind auch zum Schutz der Integrität und Sicherheit Europas unerlässlich. Dass derzeit das Gegenteil der Fall ist und Menschen unkontrolliert nach Europa kommen können, ist unter diesem Gesichtspunkt inakzeptabel und muss sofort beendet werden.

BAYERNKURIER: Kann man mithin die Masseneinwanderung aus dem Orient unter Sicherheitsaspekten wirklich komplett von der Terrorgefahr getrennt betrachten?

Friedrich: Unabhängig davon, woher Masseneinwanderer kommen, wäre es sicher fahrlässig, Masseneinwanderung unbeobachtet zu lassen. Allerdings droht eine noch größere Gefahr, wenn wir mit der Zahl der Einwanderer unsere Integrationsfähigkeit überdehnen und sehenden Auges Parallelgesellschaften in Deutschland und Europa zulassen.

Die Verschärfung der Aufnahmeregeln ist ein deutlicher Schritt in die richtige Richtung.

Hans-Peter Friedrich

BAYERNKURIER: Wie schätzen Sie den Willen der Kanzlerin ein, vom Kurs der unbegrenzten Aufnahme von Einwanderern aus dem Orient abzukehren? Bewegt sie sich, vielleicht langsam und unmerklich?

Friedrich: Tatsache ist, dass die Beschlüsse der Koalition zur Verschärfung der Aufnahmeregeln ein deutlicher Schritt in die richtige Richtung sind. Je dezidierter, klarer und hörbarer die Signale in die Krisenländer sind, dass nicht alle zu uns kommen können, umso besser ist es.

BAYERNKURIER: Wie ist denn jetzt die Stimmung in der Unionsfraktion? Man kann sich denken, dass angesichts der schlechten Umfragewerte die Nervosität bei vielen Abgeordneten zunimmt.

Friedrich: Die Unionsfraktion ringt um den richtigen Weg, die richtige Geschwindigkeit und sinnvolle Lösungen. Alle anderen Parteien geben ein diffuses und zum Teil wirres Bild ab. Der Wähler wird dies am Ende auch so erkennen. Deswegen mache ich mir um die Wahlergebnisse der Union keine Sorgen. Ich denke die Kollegen sehen das auch so.

Wolfram Göll