. Bild: Imago/Christian Ohde
Asyl

Die Rechtslage – eine Übersicht

Der Schutzstatus syrischer Flüchtlinge steht im Fokus der aktuellen Diskussion. Was ist eigentlich dieses "Asylrecht"? Welche Schutzformen gibt es überhaupt für Asylbewerber und was bedeuten diese? Eine Übersicht über ein ziemlich unübersichtliches Rechtsgebiet.

Ein Familiennachzug für alle syrischen Flüchtlinge ist nach Ansicht der Bundesregierung derzeit rein faktisch gar nicht zu realisieren. Die Behörden in Deutschland seien voll damit beschäftigt, die hohe Zahl eintreffender Flüchtlinge zu registrieren, deren Anträge zu bearbeiten und sie unterzubringen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Ohnehin kommen derzeit viele Migranten mitsamt ihrer Familie nach Deutschland. Die Koalition habe beschlossen, für eine „ziemlich kleine Gruppe“, die nur „subsidiären Schutz“ genieße, den Familiennachzug für zwei Jahre auszusetzen. Für die größere Gruppe, die unter dem „primären Schutz“ der Genfer Flüchtlingskonvention steht, gebe es keine rechtlichen Veränderungen. All diese Begriffe wabern durch die politische Landschaft, während die Bürger meist nur ganz allgemein vom „Asylrecht“ reden. Doch so einfach ist es in der juristischen Bundesrepublik Deutschland nicht.

Der Artikel 16a Grundgesetz

Da ist zunächst einmal der Artikel 16a Grundgesetz, nach dem „politisch Verfolgte“ das Recht auf Asyl genießen. Eine Obergrenze gibt es dafür tatsächlich nicht. Doch die meisten Flüchtlinge fallen gar nicht unter den Schutz des Artikels 16a Grundgesetz. Dieser traf nur auf rund ein Prozent aller Asylbewerber in Deutschland von Januar bis August 2015 zu. Berücksichtigt wird grundsätzlich nur staatliche Verfolgung, also Verfolgung, die vom Staat ausgeht. Ausnahmen gelten, wenn die nichtstaatliche Verfolgung dem Staat zuzurechnen ist oder der nichtstaatliche Verfolger selbst an die Stelle des Staates getreten ist (quasistaatliche Verfolgung). Politisch ist eine Verfolgung im Juristendeutsch dann, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an seine politische Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder an für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen.

Nicht jede negative staatliche Maßnahme – selbst wenn sie an eines der genannten persönlichen Merkmale anknüpft – stellt eine asylrelevante Verfolgung dar. Es muss sich vielmehr einerseits um eine gezielte Rechtsgutverletzung handeln, andererseits muss sie in ihrer Intensität darauf gerichtet sein, den Betreffenden aus der Gemeinschaft auszugrenzen. Schließlich muss es sich um eine Maßnahme handeln, die so schwerwiegend ist, dass sie die Menschenwürde verletzt und über das hinausgeht, was die Bewohner des jeweiligen Staates ansonsten allgemein hinzunehmen haben. Allgemeine Notsituationen wie Armut, Bürgerkriege, Naturkatastrophen oder Perspektivlosigkeit sind damit als Gründe für eine Asylgewährung nach Artikel 16a GG (oder einen anderen Flüchtlingsschutz) grundsätzlich ausgeschlossen. Eine Chance auf Anerkennung besteht nur, wenn über die allgemeine Gefahr für das Leben beispielsweise in einem Bürgerkrieg hinaus eine konkrete persönliche Verfolgung oder Gefährdung belegt werden kann. Unter bestimmten Voraussetzungen kann allerdings ein Abschiebungsverbot bestehen.

Drei weitere Schutzquellen

  • Zu rund 37 Prozent fallen die Migranten im genannten Zeitraum unter den Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951, die sich im deutschen Recht in §3 Absatz 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) und §60 Aufenthaltsgesetz wiederfindet. Im Übrigen gewährt Artikel 18 und 19 der Europäischen Grundrechtecharta ebenfalls ein Recht auf Asyl unter Bezugnahme auf die GFK. Auch eine EU-Richtlinie konkretisiert diese Konvention. Sie schützt vor Verfolgung wegen Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen politischer Überzeugung. Wie die politisch Verfolgten des Artikels 16a GG erhalten auch die GFK-Flüchtlinge ein Aufenthaltsrecht zunächst für drei Jahre. Erst danach entscheidet sich, ob sie dauerhaft bleiben dürfen. „Die Genfer Flüchtlingskonvention setzt eigentlich eine individuelle Betroffenheit voraus“, mahnte kürzlich Bayerns Innenminister Joachim Herrmann. Syrische Bürgerkriegsflüchtlinge stehen also meist nicht unter diesem Schutz. Leider wird aber zur Zeit beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) oft auf die erforderliche Einzelfallprüfung verzichtet, weil das Verfahren einfacher und darum schneller ist. „Natürlich helfen wir den Menschen, so lange dort Krieg herrscht. Also ist es doch logisch, den Aufenthalt zeitlich zu befristen und notfalls zu verlängern“,  verwies auch der Landtags-CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer die Syrer in den Bereich „Abschiebeverbot“ (s.u.). Auch der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) sieht diese Frage so: „Personen, die auf Grund bewaffneter internationaler oder nationaler Auseinandersetzungen gezwungen wurden, ihr Heimatland zu verlassen, gelten normalerweise nicht als Flüchtlinge nach dem Abkommen von 1951 (…). Ihnen wird jedoch im Rahmen anderer internationaler Vertragswerke Schutz gewährt.“

Wie sieht es bei der GFK mit einer Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen aus – was ja beinhalten würde, Asylsuchende an der Landesgrenze zurückzuweisen?

Asylsuchende, die an der Grenze eines EU-Staates Asyl beantragen, werden jedoch von Artikel 33 Absatz 1 GFK vor einer Zurückweisung geschützt. Sie haben keinen Anspruch auf Asyl, aber auf Prüfung ihres Anspruchs in einem Asylverfahren. Nur wenn dieser Anspruch in dem Verfahren abgelehnt wird, lässt die GFK eine Zurückweisung zu. Zwar haben die Vereinten Nationen und ihre Unterorganisationen mehrfach anerkannt, dass ein Massenansturm von Asylsuchenden die „örtlichen Schutz- und Beistandskapazitäten überfordern“ und zu „unzumutbaren schweren Belastungen für einzelne Länder“ führen kann. Dies steht sogar in der Präambel der GFK. In einem solchen Falle muss aber die internationale Gemeinschaft dem Asylland gemeinsam Hilfestellung leisten – so das Wunschdenken. Doch die Pflicht des Artikels 33 GFK besteht auch in diesem Fall weiter, sogar, wenn die Last von anderen Ländern nicht mitgetragen wird. Der Rechtsgrundsatz, der sich in den Gesetzen vieler Länder wiederfindet, dass niemand über seine (Leistungs-)Fähigkeit hinaus belastet werden darf, gilt hier offenbar nicht. Ganz einheitlich ist das Bild aber mal wieder nicht. So erklärt eine Resolution der UN-Generalversammlung vom 14. Dezember 1967 in Artikel 3 Absatz 1 ebenfalls das Verbot der Zurückweisung von Asylsuchenden. In Artikel 3 Absatz 2 lässt es jedoch eine Ausnahme zu „aus übergeordneten Gründen der nationalen Sicherheit oder zum Schutze der Bevölkerung (..), wie im Falle eines massenhaften Zustroms von Menschen“.

  • Nur 0,6 Prozent erhielten von Januar bis August 2015 den subsidiären beziehungsweise ergänzenden Schutz nach § 4 AsylVfG, wenn dem Asylbewerber im Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht, er aber nicht unter die GFK fällt. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Sie bekommen ein befristetes Bleiberecht für ein Jahr, was aber verlängert wird, wenn sich die Situation nicht geändert hat.
  • Und 0,8 Prozent bekamen ein Abschiebeverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 Aufenthaltsgesetz. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG folgt ein solches Verbot, soweit sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist, vor allem wenn die Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung besteht, aber etwa auch bei Verletzung der Religionsfreiheit. Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG ist zu gewähren, wenn dem Ausländer bei Rückkehr in den Zielstaat eine erhebliche individuelle Gefahr oder extreme allgemeine Gefahr droht. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn die Gefahr einer wesentlichen Verschlechterung einer bestehenden Erkrankung infolge fehlender oder nicht ausreichender Behandlung im Zielstaat droht oder diese Behandlung für den Betroffenen nicht finanzierbar ist. Voraussetzung dafür ist aber in jedem Fall, dass der Stopp der Behandlung zu schwerwiegenden Gesundheitsschäden oder gar zum Tod führt. Diese Aufenthaltserlaubnis gilt regelmäßig für ein Jahr, wird aber verlängert, wenn sich die Situation nicht geändert hat.

Und der Rest?

Hinzu kam in diesen ersten acht Monaten des Jahres 2015:

  • dass etwa 37 Prozent der Asylanträge abgelehnt wurden. Die Betroffenen müssen eigentlich die Bundesrepublik verlassen. Wenn sie aber etwa durch Krankheit nicht reisefähig sind, keinen Pass für eine Rückkehr haben oder die Situation im Herkunftsland eine Rückreise nicht zulässt, erhalten sie eine Duldung (§ 60a Abs. 2 AufenthG). Bedenklich: Eine solche Duldung erhalten bis jetzt 71,8 Prozent aller abgelehnten Asylbewerber und ein weiterer größerer Teil entzieht sich der Abschiebung. Die Duldung gilt aber nur solange, bis die Abschiebung möglich ist. Das kann allerdings oft Jahre dauern. Zu weiteren Verzögerungen bei den Abschiebungen kam es in der Vergangenheit durch fehlendes Personal für die Abschiebungsformalitäten, durch Kirchenasyl, durch Piloten, die sich weigern, Abzuschiebende an Bord zu lassen, durch Eil- und Prüfanträge vor Gericht oder durch das Verschwinden der Abzuschiebenden (weil ihnen die Abschiebung vorher angekündigt wurde, was aber künftig nicht mehr der Fall sein wird). Wer aus einem sicheren Herkunftsstaat (zum Beispiel Westbalkanstaaten, Senegal, Ghana)  kommt, dessen Asylantrag wird regelmäßig als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt. In diesem Fall gelten kürzere Klagefristen. Rund 40 Prozent der abgelehnten Asylbewerber klagen gegen die Entscheidung.
  • dass rund 24 Prozent „formelle Entscheidungen“ gefällt wurden. Das sind zum einen Entscheidungen nach dem Dublin-Verfahren, wenn also ein anderer EU-Mitgliedstaat für den Asylbewerber zuständig ist, weil er ihn zuerst betreten hat. Die Betroffenen sollten dann in den jeweiligen EU-Staat abgeschoben werden und müssen dort ihr Asylverfahren erhalten. Dieses Verfahren wird aber derzeit in Europa kaum noch beachtet. Zum anderen fallen darunter die Verfahrenseinstellungen wegen Antragsrücknahme durch den Asylbewerber sowie die Entscheidungen im „Folgeantragsverfahren“, dass kein weiteres Asylverfahren durchgeführt wird. Grundsätzlich kann man nämlich nach einem ersten abgelehnten Asylantrag einen zweiten “Folgeantrag” stellen. In den meisten Fällen setzt sich das BAMF jedoch dann nicht mehr mit der Begründung des Antrags auseinander, sondern entscheidet, dass sich die „Sach- und Rechtslage“ im Vergleich zum ersten Verfahren nicht geändert hat und deshalb auch keine neue Prüfung stattfinden muss. Auch dagegen kann man vor Gericht klagen.

Wäre eine Gesetzesänderung überhaupt eine Lösung?

Das Grundgesetz zu ändern, wie oft gefordert, ist wegen der dazu erforderlichen Mehrheiten nicht nur beinahe unmöglich, es würde aus den geschilderten Gründen auch wenig bringen. Die Genfer Flüchtlingskonvention ist eine völkerrechtliche Verpflichtung, konkretisiert durch eine EU-Richtlinie von 2011 sowie in deutschen Gesetzen, und bietet ebenfalls keinen offensichtlichen Ausweg, um den Flüchtlingsansturm wenigstens zu bremsen. In der EU-Richtlinie steht unter anderem: „Das wesentliche Ziel dieser Richtlinie besteht darin, einerseits zu gewährleisten, dass die Mitgliedstaaten gemeinsame Kriterien zur Bestimmung der Personen anwenden, die tatsächlich Schutz benötigen, und andererseits sicherzustellen, dass diesen Personen in allen Mitgliedstaaten ein Mindestniveau von Leistungen geboten wird.“ Die EU-Richtlinie ist also quasi eine „verbindliche Auslegungsanleitung“ für die GFK zuzüglich „Mindeststandards“. Diese Standards und Vorgaben der EU-Richtlinie sind für einen relativ großen Teil der Flüchtlinge anwendbar. Die Änderung von völkerrechtlichen Verträgen oder EU-Richtlinien sind mit den bekannten Problemen verbunden, wenn viele oder alle Vertragspartner zustimmen müssen. Gerade in der EU würden aber derzeit vermutlich alle Länder einer Richtlinienänderung, beispielsweise mittels einer Flüchtlings-Obergrenze, zustimmen. Dies müsste dann wieder in nationales Recht umgesetzt werden, also im AsylVfG und dem AufenthG. Die GFK könnte nach Artikel 44 Punkt 1 GFK jederzeit von Deutschland gekündigt werden und nach Artikel 45 Punkt 1 GFK kann eine Revision der GFK verlangt werden. Die nationale und internationale Empörung über einen solchen Austritt kann man sich jedoch denken.

Und wie immer gilt bei der Lösung von Rechtsfragen das ironische Sprichwort: Zwei Juristen, mindestens drei verschiedene Meinungen.