Der Integrationsbeauftragte der bayerischen Staatsregierung, Martin Neumeyer (CSU), zu Besuch beim BAYERNKURIER. (Foto: Wolfram Göll)
Flüchtlingskrise

„Deutschland darf keine Parallelgesellschaft akzeptieren“

Interview Der Flüchtlingsansturm bringt Deutschland in die „Gefahr einer Zerreißprobe“, meint der Integrationsbeauftragte der bayerischen Staatsregierung, Martin Neumeyer (CSU), im BAYERNKURIER-Interview. Deutschland dürfe keine Parallelgesellschaft werden, in der etwa Frauenbeschneidung und Zwangsheiraten die Norm seien. Die Fragen stellten Wolfram Göll, Andreas von Delhaes-Guenther und Heinrich Maetzke.

Bayernkurier: Mindestens 800.000 Asylbewerber, eher eine Million oder gar mehr, werden in Deutschland erwartet – nur in diesem einen Jahr. Kann Deutschland, kann Bayern auf Dauer einen so massiven Zustrom von Asylbewerbern und Kriegsflüchtlingen verkraften?

Martin Neumeyer: Die Bundeskanzlerin hat gesagt, wir schaffen das. Wir müssen es schaffen, weil die Menschen bereits bei uns sind. Jeder braucht ein Bett, jeder braucht eine Zahnbürste und so weiter. Man muss schon bewundern, wie unsere Polizei und Behörden den Gesamt-Ansturm von Zehntausenden Leuten gehändelt haben. Das ist schon sensationell. Und es kamen ja immer Leute, die Hilfsgüter gebracht haben. Das spricht schon sehr stark für unsere Gesellschaft. Aber das kann natürlich keine Dauerlösung sein, dass Deutschland das alleine schultert. Die Europäische Union – Union heißt ja, dass wir zusammen gehören und abgestimmt handeln – muss gemeinsam an einem Strang ziehen. Gleichzeitig sorgen sich viele Familien in Deutschland. Die sehen einerseits die demographische Keule, also den Kindermangel in Deutschland, und andererseits die Zuwanderer mit einer hohen Geburtenrate. Da fragen sich sicherlich viele: Was wird mit Deutschland, was wird mit den Traditionen? Das müssen wir ganz, ganz ernst nehmen.

Bayernkurier: Sie selbst waren nicht nur häufig am Münchner Hauptbahnhof und an den Grenzen zu Österreich, sondern Sie haben auch im August die mazedonisch-griechische Grenze besucht, wo das mazedonische Militär vorübergehend versucht hat, die Flüchtlinge mit Tränengas und einer Grenz-Barrikade fernzuhalten…

Neumeyer: Ich war dort, als der Grenzzaun durchbrochen wurde. Die Flüchtlinge sind einfach drübergestiegen. Oder man ist außenherum gegangen, weil der Zaun nur vier Kilometer lang ist. Dafür, dass das eine Schengen-Außengrenze ist, war da sehr wenig zu sehen. Das zeigt: Viele der europäischen Verträge sind nur Papiertiger. Ich war schockiert, nachdem mir der Konsul gesagt hatte: So, nun sind wir an der Schengen-Grenze. Und es war nichts zu sehen: Auf der einen Seite 20 Polizisten und Militär und auf der anderen Seite Tausende Syrer. Wobei mir gesagt wurde, das seien zu 50 Prozent keine Syrer. Da mischen sich auch andere Nationen darunter. Das liegt auch daran, dass man ziemlich einfach einen syrischen Pass kaufen kann. Für die Einwohner der Provinzhauptstadt Thessaloniki sind die Flüchtlinge überhaupt kein Thema. Sie bemerken sie kaum, weil sie lediglich durchreisen. Eventuell schläft mal einer in einem Hof oder nimmt sich einen Apfel. Das war es dann aber schon. Der Flüchtlingsansturm, so wie wir ihn in Deutschland erleben, ist in Nordgriechenland kein Thema. Ich denke, dass dieser jetzt wahrscheinlich noch zunehmen wird, auch weil Ungarn und Mazedonien die Grenzen dichtmachen.

In Griechenland ist die Schengen-Außengrenze überhaupt nicht zu sehen

Bayernkurier: Viele ausländische Medien analysieren, dass eigentlich der Schengen-Vertrag die große Einladung für Immigranten ist. Wer im Schengen-Raum einmal drin ist, der kann frei darin herumreisen. Sehen Sie das auch so?

Neumeyer: Ich kenne das von der griechisch-mazedonischen Grenze nur so, dass das eigentlich keine Grenze im eigentlichen Sinne ist. Diese ist nicht sichtbar, da gibt es nur Sand, aber keine Schilder oder Ähnliches. Man hat nur gesehen, dass die Flüchtlinge auf der einen Seite der Grenze die richtige Gelegenheit abpassen. Aber im Grunde ist es das Gleiche, wie wenn man von einer Straßenseite auf die andere geht. Und das wird Schengen-Außengrenze genannt.

Bayernkurier: Also im Grunde haben wir den Schutz unserer Grenzen an Ungarn, Griechenland und Italien delegiert. Und das funktioniert offenbar nicht.

Neumeyer: Nach Aussage der Mazedonier registrieren die Griechen einen Teil der Flüchtlinge, einen anderen Teil aber nicht. Wie das abläuft, konnte ich leider nicht sehen. Die Mazedonier registrieren ebenfalls, dafür haben sie eigens Computer vom UNHCR bekommen. Was mit den Daten geschieht oder ob das was nützt, kann ich nicht sagen.

Orban wird die Grenze nicht auf Dauer schließen können

Bayernkurier: Kann man dann Ungarn eigentlich allen Ernstes einen Vorwurf machen, dass sie zumindest versuchen, die Schengen-Außengrenze zu Serbien und einigen anderen Ländern mit Zaun und Stacheldraht zu sichern?

Neumeyer: Ungarns Premierminister Orban sagt ganz eindeutig, die EU versagt, er schiebt die Schuld also auf Brüssel. Er sagt, ich muss mein eigenes Land schützen. Wenn es die EU nicht schafft, muss jedes Land seine eigene Politik machen. Wenn Griechenland die Flüchtlinge nicht bremst, so Orban, muss es eben Ungarn tun. Aber ich glaube nicht, dass er es schafft. Orban schließt die Grenze mit doppeltem Stacheldraht. Ich hab das in der spanischen Enklave Melilla im Norden Marokkos gesehen. Die dortige Grenze ist ähnlich scharf gesichert und zwar mit einem dreifachen Zaun. Das hält zwar auf, aber irgendwann kommen die Leute trotzdem durch. Da kommt es dann zu schrecklichen Bildern, nämlich dass im Vordergrund Personen Golf spielen und im Hintergrund die Flüchtlinge im Zaun hängen. Das Bild berührt mich, muss ich ehrlich sagen. Ich kann das Bild nicht einfach ausblenden.

Bayernkurier: Umgekehrt könnte man auch sagen, es ist fraglich, ob man in Zukunft im Urlaub noch Tennis oder Golf spielen kann. War das, wie manche befürchten, etwa der letzte unbeschwerte Sommer vor der großen Flüchtlingsflut?

Neumeyer: Nein. Das ist nicht der letzte unbeschwerte Sommer. Aber wir müssen jetzt die richtigen Weichen stellen. Das schulden wir nicht uns in der Gegenwart, sondern unseren Kindern. Ich beschreibe das mal einfach: Die 20 oder 25 Weihnachten, die ich noch erleben darf, die erlebe ich schon noch. Aber es geht um unsere Kinder. Es ist nicht allein ein europäisches Problem. Wir haben auch Staaten, die nicht in der EU sind, die müssen auch ihren Anteil leisten. Beispiel: Wenn jetzt die USA 10.000 Syrer aufnehmen, ist das schön und ehrenwert. Aber bei diesen Dimensionen ist das für ein solches Land wie die USA nicht viel. Und: Was machen Kanada, Australien, Indien, Japan? Ganz zu schweigen von den arabischen Nachbarländern! Sie errichten Zäune und weigern sich, Syrer in ihren Ländern aufzunehmen.

„Sachleistungen statt Geld“ ist ein erster wichtiger Schritt

Bayernkurier: Nochmal zum Blick vom ärmeren Ausland auf Deutschland: Ungarns Premier Orban hat begründet, warum er einige tausend Flüchtlinge per Zug vom Budapester Ostbahnhof nach München geschickt hat: Weil seiner Ansicht nach die Deutschen das Dublin III-Abkommen (Verpflichtung des EU-Einreisestaates zur Registrierung und Aufnahme der Asylbewerber, d.Red.) außer Kraft gesetzt haben und die Syrer nicht zurückschicken. Er sagt also: Die Deutschen wollen offenbar die Syrer haben, na dann sollen sie sie auch bekommen. Gehen wir noch eine Ecke weiter, Premier Vukcic in Belgrad: Der sagt, die Deutschen sind selber schuld, weil sie starke finanzielle Anreize zur Einreise setzen, nämlich Taschengeld, Kindergeld und so weiter. Darauf reagierten dann die Kosovaren, Albaner, Serben. Also: Sendet Deutschland die falschen Signale in die Welt hinaus?

Neumeyer: Nein, das sehe ich nicht so. Wir haben zum einen gesetzliche Vorgaben. Das Bundesverfassungsgericht hat zur Flüchtlingsversorgung ein eindeutiges Urteil gefällt. Natürlich können wir neue Gesetze machen. Aber etwa die Höhe der Asylbewerberleistungen in Relation zum Hartz-IV-Satz ist durch das Verfassungsgericht festgelegt. Es wäre aber wesentlich wichtiger, dass wir innerhalb Europas vergleichbare oder ähnliche Standards diesbezüglich haben. Also nicht nur eine Art Königsteiner Schlüssel für die EU zur Verteilung der Flüchtlinge, sondern es geht auch um gleiche Versorgungsstandards. Das wird immer debattiert, dass der Staat Leistungen runterschrauben soll. Die Möglichkeit gibt es, etwa das Taschengeld in der Erstaufnahme durch Sachleistungen ersetzen. Es ist ein Anreiz, wenn ich sehe, dass das Taschengeld plus Kindergeld einem normalen Monatslohn im Kosovo entspricht. Wir müssen darüber nachdenken, welche Anreize wir haben und wie wir das reduzieren können. Trotzdem werden wir auch so nicht alle Leute aufhalten können – mit und ohne Geld. Viele Leute wollen nach Deutschland, weil zumindest für ein Prozent die Anerkennung auf politisches Asyl winkt. In den bayerischen Erstaufnahmeeinrichtungen wird bereits jetzt alles in Sachleistungen abgegolten, erst in der Gemeinschaftsunterkunft gibt es dann Geldleistungen. Ich hab da ein Problem, wenn man die gesamten Geldleistungen einschränkt. Es gehört zum Menschen dazu, dass man auch leben kann, dass man sich etwas kaufen kann, das gehört zum Lebenswert dazu.

Bayernkurier: Man könnte ja den Mittelweg gehen und im ersten Jahr das Taschengeld abschaffen. Die offensichtlich unbegründeten Asylanträge der Balkanbewohner sollte man binnen eines Jahres abgearbeitet haben. Wer kein Aufenthaltsrecht bekommt, den kann man zur Ausreise auffordern oder abschieben. Und dann wären diese falschen Anreize für Kosovaren und Albaner weg.

Neumeyer: Die neuen Erstaufnahmeeinrichtungen in Manching und Bamberg, die speziell für Personen mit einer geringen Bleibeperspektive eingerichtet wurden sind definitiv der richtige Weg. So stellt sich das Problem des Taschengelds überhaupt nicht, weil die Verfahren dieser Leute mit extrem geringer Anerkennungswahrscheinlichkeit relativ schnell abgewickelt werden. Diese Menschen werden sowieso nicht weiterverteilt, weder in die Kommunen noch in Gemeinschaftsunterkünfte. Deutschland und die Europäische Kommission muss in diesen Ländern einfach Werbung machen: Freunde, es rentiert sich nicht nach Deutschland zu kommen. Ihr habt hier keine Perspektive.

Konsequente Abschiebungen von abgelehnten Asylbewerbern

Bayernkurier: Das setzt aber voraus, dass das funktioniert. Die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber war doch bisher ein schlechter Witz. In der juristischen Republik Deutschland hat man zudem die Möglichkeit, Verfahren zu verzögern – und schon ist man über das Jahr drüber. Beziehungsweise die drei Monate, denn nur so lange schränkt Bayern den Bezug ein.

Neumeyer: Damit die Verfahren und Einsprüche schneller bearbeitet werden können, brauchen wir mehr Richter. Das ist richtig. Was für mich aber ungleich wichtiger ist, sind Wiedereinreisesperren für die Leute, die bereits – teilweise mehrfach – abgelehnt wurden. Daher ist die Wiedereinreisesperre, die seit 1. Juli möglich ist, der weitaus wichtigere Aspekt. Ich hab einen jungen Albaner, sogar ein Christ, dem ich gesagt habe: Bitte geh freiwillig, sonst hast du den Stempel im Pass und dann darfst du auch als Arbeitnehmer nicht mehr nach Deutschland einreisen. Er war sogar im Verfahren so ehrlich und hat angegeben, dass er aus wirtschaftlichen Gründen eingereist ist. Ich habe zu ihm gesagt, dass ich es gut finde, dass er die Wahrheit gesagt hat. Dennoch meine ich, dass die Bundesrepublik die Möglichkeiten der legalen  Arbeitsmigration unter Auflagen ausweiten sollte.

Bayernkurier: Franz Josef Strauß hat gesagt: „Liberal samma scho, aber blöd samma net.“ Wenn wir aber nun heute jahrelange Verfahren machen mit Leuten aus Ländern, wo es nicht den Hauch eines Fluchtgrundes gibt, dann sind wir nicht liberal, sondern blöd.

Neumeyer: Und genau deshalb ist es richtig, was Horst Seehofer im Landtag gesagt hat. Diese Rede war entscheidend. Nach dem Motto: Liberal, aber nicht blöd, und auch konsequent. Und das ist genau der Weg, den die Leute wollen. Übrigens auch die Zuwanderer selbst. Was ist denn das für ein Leben – immer im Schwebezustand? Sie hängen ja selbst zwischen allen Seilen. Ich denke, dass die anderen Länder diesen konsequenten bayerischen Weg übernehmen werden. Vom anfänglichen Prügeln ist es jetzt schon zum Tätscheln gekommen und irgendwann kommt wahrscheinlich der Applaus.

Gehört Nord- und Westafrika zu den sicheren Herkunftsländern?

Bayernkurier: In der französischen und britischen Presse wird eifrig diskutiert über die Verlängerung der Liste der sicheren Herkunftsländer. Da fallen uns einige Länder auf, die hier in Deutschland überhaupt nicht genannt werden: Frankreich etwa will, dass ganz Westafrika bis hinunter nach Niger auf die Liste kommt. Außerdem gibt es, auch in Deutschland, beispielsweise immer öfter Asylbewerber aus Nordafrika, sogar aus Algerien, Tunesien und Marokko. Das sind doch Urlaubsländer, die müssen natürlich auch auf die Liste der sicheren Herkunftsländer, oder nicht?

Neumeyer: Ich war für unsere Partei bei den Verhandlungen dabei, als wir gefordert haben, fünf Länder zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, und die SPD hat gesagt: Null. Der Kompromiss lag dann bei drei Ländern, so funktioniert eben Politik. Und selbst diese drei hätten wir ohne den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Kretschmann im Bundesrat nie durchgebracht. Für all diese Errungenschaften brauchst du erstmal den Koalitionspartner, und die Grünen im Bundesrat, die eigene Bedingungen stellen.

Bayernkurier: Die Grünen und andere Multikulti-Fans wie der selbsternannte bayerische Flüchtlingsrat – die gefährden mit ihren Positionen doch den Zusammenhalt in unserem Land. Jetzt haben sie zum Beispiel die Erstaufnahmeeinrichtung in Manching kritisiert und werfen der Staatsregierung vor, sie diskriminiere nach Herkunftsländern. Aber natürlich muss sich Bayern anschauen, ob jemand verfolgt wird, ob er ein Bleiberecht hat oder nicht. Verstehen die das nicht oder wollen sie es nicht verstehen?

Neumeyer: Ich kenne die Vertreter des Flüchtlingsrates. Der Flüchtlingsrat hat eine ganz andere Position. Sie vertreten die Interessen der Asylbewerber. Sie sagen, wenn die Rede von Herkunftsregionen wie den Staaten des ehemaligen Jugoslawien oder des Westbalkan ist, dann seien die Asylbewerber von dort Roma, die dort aus verschiedenen Gründen diskriminiert würden. Damit sei es schwierig, diese als sichere Herkunftsländer zu deklarieren. Teilweise mag das stimmen. Nur ob das ein Grund ist, diese als Flüchtlinge anzuerkennen, würde ich verneinen. Noch dazu wollen all diese Länder in die EU. Wer EU-Mitglied werden will, kann nicht gleichzeitig Menschen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft diskriminieren. Was mich beim Flüchtlingsrat immer stört: Die beklagen sich, dass die Union verbal „aufrüstet“ und den Radikalen damit den Boden bereitet. Aber wer jetzt kürzlich im Zusammenhang mit Manching von „Lagern“ redet, das ist nicht die CSU und nicht die Staatsregierung, sondern der Flüchtlingsrat. Sie selbst rüsten verbal auf. Wenn ein CSU-Politiker solche Worte verwenden würde wie der Flüchtlingsrat, käme sofort ein Proteststurm.

Bayernkurier: Der selbsternannte Flüchtlingsrat ist doch eine zweifelhafte Organisation, eine Gruppe linker Weltverbesserer (der Bayernkurier berichtete). Diese Leute haben sich selber zum bayerischen Flüchtlingsrat ernannt, und alle Medien zitieren das so und suggerieren damit, dass sie irgendeinen offiziellen Auftrag hätten. Eine Organisation, die lebensgefährliche Hungerstreiks von rechtsstaatlich abgelehnten Asylbewerbern mit organisiert. Die dort linke Parolen aushängt wie: „Keine rassistischen Polizeikontrollen“. Da ist dann zusätzlich mit Farbe das Wort „Polizeitrolle“ hervorgehoben. Auf so eine Idee kommt doch kein Flüchtling! Warum sprechen Sie denn überhaupt mit solchen Leuten?

Neumeyer: In meiner Funktion muss man immer das Gespräch suchen. Einer meiner ersten Besuche als Integrationsbeauftragter war beim Flüchtlingsrat. Ich muss ja auch Ansprechpartner haben und der Flüchtlingsrat ist ein Ansprechpartner in Sachen Asylbewerber und ihrer Unterbringung. Ich gebe ihnen Recht, dass die Flüchtlinge wohl nicht selbst die Hungerstreiks veranstaltet hätten. Ich rede nicht mit allen, aber mit fast allen. Damit bietet sich die Chance, die Position des Gegenübers zu verstehen und ihm auch meine Position zu vermitteln.. Daraus muss keine innige Freundschaft werden, aber eine Gesprächsebene, auf der man über viele Dinge reden kann und muss. Ich muss mit solchen Organisationen im Gespräch sein. Ich verstehe Ihre Kritik, aber wenn man nicht spricht, dann hat man nicht einmal die Chance, deren Argumente zu hören. Ich finde es wichtig, dass man alle Positionen kennt.

Der Staat darf die Scharia nicht zulassen

Bayernkurier: Zurück zur Integration, Ihrem eigentlichen Tätigkeitsfeld: Wie wird sich Deutschland verändern, wenn heuer 800.000 oder eine Million Menschen kommen, von denen ein Großteil aus dem arabisch-moslemischen Raum stammt, und von denen ein Großteil auf Dauer hier bleiben wird? Und 2016 mehr als eine Million? Und 2017, 2018 …? Es gibt bereits jetzt viele Probleme mit der Integration der in Deutschland lebenden rund vier Millionen Moslems. Polen, die Tschechische Republik und die Slowakei wollen nur Christen aufnehmen. Der britische Premier Cameron hat darauf verwiesen, welches kulturelle Gepäck die hier ankommenden Leute im Kopf haben. Demnach hält ein Großteil Zwangsehen, Ehrenmorde oder auch Frauenbeschneidung für akzeptabel oder gar normal. Wie wird sich unser Land dadurch verändern?

Neumeyer: Wenn ich mir Großbritannien anschaue, die kulturellen Auseinandersetzungen in London, Birmingham und Manchester bestehen ja schon seit langem, die kommen nicht erst jetzt. Diese Leute haben in der Regel die britische Staatsbürgerschaft. Dass in Teilen Englands die Scharia praktiziert wird, das liegt an England selbst, das muss man ganz klar sagen. Wir müssen sicherlich auch eine Wertedebatte führen. Wir haben jetzt die Chance, uns ganz klar zu positionieren: Echte Demokratie, echte Toleranz gegenüber Andersdenkenden, echte Gleichberechtigung von Mann und Frau, echte Religionsfreiheit einfordern und durchsetzen. „Je suis Charlie“ ist zwar nett, aber das muss man auch leben.

Der Staat darf die Scharia eben nicht zulassen, dann kommt es auch nicht zu No-Go-Areas.

Es kommen viele Menschen muslimischen Glaubens. Aber es kommt darauf an, an welchen Orten wir sie mit welchen Werten und mit welchen Rahmenbedingungen integrieren. Das haben wir festgelegt, aber das müssen wir jetzt überzeugend praktizieren. Zum Beispiel haben wir in Bayern die Frage der Paralleljustiz bei Muslimen thematisiert. Der Staat darf die Scharia eben nicht zulassen, dann kommt es auch nicht zu No-Go-Areas. Was andere Bundesländer machen, ist teilweise nicht zu verstehen. Aber sie sind für sich selbst verantwortlich. Ich bin als ehrenamtlicher Integrationsbeauftragter für Bayern zuständig.

Christen sind weniger wert, Frauen sind zweitrangig.

Es ist teilweise schon erschreckend, wenn ich sehe, dass an der Grundschule Innenstadt in Neu-Ulm Kinder behaupten: „Schaust du ein Kreuz an, verlierst du die Islam-Kraft.“ Ich war bei der Schulleiterin und hab mir die Texte angeschaut: Christen sind weniger wert, Frauen sind zweitrangig. Ich war bei zwei Moscheegemeinden, bei der VIKZ und der albanisch-islamischen Gemeinde. Ich habe ihnen deutlich gemacht, dass das bei uns nicht geht. Und es muss klar sein, dass wir solche Aussagen nicht dulden. In unserer Mitte leben viele Menschen muslimischen Glaubens, die sich in der Öffentlichkeit durchaus präsentieren. Landauf und landab gibt es Iftar-Essen, also gemeinsames Fastenbrechen, auf allen Ebenen. Wir haben im Landtag einen Empfang für muslimische Mitbürger veranstaltet. Wir müssen diese Chance nutzen, denn es ist notwendig miteinander ins Gespräch zu kommen. Wenn wir parallel laufen, haben wir irgendwann ein Problem. Auch innerhalb der CSU gibt es den AK Migration. Natürlich machen sich die Bürger Sorgen, weil der Islam in den Medien nicht gerade positiv erscheint. ISIS, Boko Haram, Scharia, Zwangsverheiratung, all das sind Begriffe, die man mit dem Islam in Verbindung bringt. Und wenn dann so etwas passiert wie in Neu-Ulm, dann schürt das natürlich die Sorge der einheimischen Bevölkerung. Deswegen ist der Islam-Unterricht an staatlichen Schulen auch ein so wichtiges Instrument, um den Kindern einen friedlichen Islam zu zeigen abseits aller Extreme.

Bayernkurier: Bisher haben wir es ja auf der moslemischen Seite vor allem mit türkischen Zuwanderern zu tun, die einen noch relativ harmlosen Islam verfolgen. Auch wenn 53 Prozent der in der Türkei wahlberechtigten, aber in Deutschland lebenden Türken die islamistische AKP gewählt haben. Doch schon mit den Türken gab es massive Integrationsprobleme. Und nun kommen Hunderttausende aus dem arabischen Raum und dem Nahen Osten, die einen viel radikaleren Islam leben und viel radikaleren Rechtsschulen anhängen. Dazu kommen viele Zuwanderer aus Afrika. Fürchten Sie da nicht wachsende Probleme?

Neumeyer: Das ist mit Sicherheit ein ganz anderer Islam als der türkische. Der türkische Islam ist heute staatsorientiert, über Ditib/Diyanet. Es gibt im anderen Bereich kleine Moscheen, arabische, albanische, kosovarische und bosnische. Es wird nicht leichter werden, das ist klar, denn der Facettenreichtum wird größer. Wir haben die Religionsfreiheit, ein hohes Gut. Doch so lange das alles im Rahmen der Verfassung und der Gesetze abläuft, dann kann und sollte man das nicht verbieten.

„Null Komma Null Toleranz“ bei Frauenbeschneidung, Ehrenmorden und Zwangsehen

Bayernkurier: Stichwort Religionsfreiheit: Das bedeutet auch eine Pflicht, nämlich die Pflicht, andere religiöse Vorstellungen zu respektieren. Wir müssten doch eigentlich hinschauen, wer da kommt und ob er unsere Rechte und Pflichten kennt und teilt. Zur Zeit passiert das überhaupt nicht. In Afghanistan etwa sagen nach amerikanischen Erhebungen 90 Prozent: Ehebruch? Kopf abschlagen. Abfall vom Islam? Gleiche Strafe. In Pakistan ist es ähnlich, sogar in Ägypten. Und in Somalia meinen 90 Prozent, selbstverständlich müssten Frauen genitalverstümmelt werden. Es ist beunruhigend, dass diese verfassungswidrigen Positionen in der Politik kaum erwähnt werden, und in der deutschen Berichterstattung schon gleich gar nicht. 

Neumeyer: Wenn Sie auf die Entscheidung eines Frankfurter Richters anspielen, der einen kulturellen Bonus bei Ehrenmord eingeräumt hat, weil das angeblich in der Kultur so üblich sei, dann sind das natürlich No-Go´s. Das gleiche gilt für die Beschneidung von Mädchen. Im Landtag war eine Anfrage der Grünen, dass die Frauenärzte und Krankenhäuser, die das bemerken, es sofort melden müssen. Doch dann ist es für die einzelne Frau bereits zu spät. Dem Meldewesen muss man noch mehr Zeit widmen. In Deutschland herrscht null Komma null Toleranz bei der Beschneidung von Frauen und Ehrenmord, das muss absolut klar sein. Da ist die Politik wie auch die Öffentlichkeit gefordert, aber eben auch die Strafverfolgungsbehörden.

Bayernkurier: Müssten wir nicht schon ganz am Anfang einmal fragen: Wie viele Zuwanderer verträgt Deutschland überhaupt, wo ist die Obergrenze? Andere EU-Staaten machen das ja auch. Die sagen ganz selbstverständlich: Wir wollen nicht so viele Zuwanderer haben. Aber bei uns ist diese Frage von der Politik erst vor ein paar Tagen zum ersten Mal laut gestellt worden.

Neumeyer: Für eine Obergrenze bedürfte es einer Änderung des Artikels 16a des Grundgesetzes, wofür es eine Zweitdrittelmehrheit im Bundestag bräuchte, bei den derzeitigen Mehrheitsverhältnissen unmöglich. Das Recht auf Asyl ist ein besonderes Gut. Wenn jemand nach Deutschland kommt mit dem Wort Asyl, ist er zumindest mal im Verfahren. Das regelt die Genfer Flüchtlingskonvention. Die Konvention sagt eindeutig, dass wir Flüchtlinge aufnehmen und ihnen helfen müssen. Wie sollen wir das ändern? Deshalb wäre die europäische Solidarität gefragt, deshalb wäre eine Art Königsteiner Schlüssel auf europäischer Ebene vielleicht nicht die endgültige Lösung, aber zumindest eine Chance auf eine gerechte Verteilung. Die Menschen haben einen Gerechtigkeitssinn und sagen: Warum ausschließlich Deutschland? Das geht mir genauso: Heuer eine Million, nächstes Jahr eins Komma irgendwas oder gar zwei Millionen, das verändert das Land und bringt es in die Gefahr einer Zerreißprobe. Die gesellschaftliche Herausforderung ist riesengroß. Das erleben wir etwa in der Türkei, wo Erdogan viele Flüchtlinge aufgenommen hat. Da gibt es eine Stadt, in der mehr Syrer als Türken wohnen. Ich kann mir vorstellen, dass das Probleme bringt. Noch dazu hat Erdogan für den 1. November Neuwahlen angekündigt. Es läuft wirklich auf die europäische Solidarität hinaus, dass man die Menschen auf alle EU-Staaten und darüber hinaus verteilt.

Einwanderungsgesetz darf kein „Tür-auf-Gesetz“ werden

Bayernkurier: Ist dann nicht das Asylrecht de facto schon lange ein Einwanderungsrecht? Sollte man das nicht einmal offen zugeben?

Neumeyer: Dann wären wir bei der Debatte: Machen wir ein Einwanderungsgesetz? Ich fürchte nur, dass in der Bevölkerung angesichts der Flüchtlingskrise keine besonders große Bereitschaft dazu besteht. Horst Seehofer hat erklärt: Wenn ein Einwanderungsgesetz bedeutet, noch mehr Zuwanderung zu ermöglichen, dann wäre er dagegen. Den momentanen Zustrom aufzuhalten, wird aber ganz schwer, deswegen bin ich dafür, die Rahmenbedingungen zu gestalten, anstatt nur zu verwalten. Deshalb habe ich ein Einwanderungsgesetz immer befürwortet.

Bayernkurier: Das Schlimme wird sein, dass bei der weitgehend mitleidheischenden Art der Berichterstattung mit Sicherheit diese Debatte in die ganz falsche Richtung laufen würde. Man darf ja derzeit gar keine konkreten, realistischen Fragen zur Massenzuwanderung mehr stellen, weil man dann gleich zum Rechtsradikalen gestempelt wird. Daher bestünde die Gefahr, dass ein Einwanderungsgesetz ein „Tür-auf-Gesetz“ würde. Das will doch weder die CSU, noch die Bevölkerung.

Neumeyer: Die Diskussion um ein Einwanderungsgesetz wurde in allen Parteien kontrovers diskutiert, weil man eben Angst hat vor einem „Tür-auf-“ oder „Tür-zu-Gesetz“, je nach Parteizugehörigkeit. Den Volksparteien kommt da eine besondere Verantwortung zu, weil sie lokal verankert sind und an der Basis vor Ort Rede und Antwort stehen müssen. Das Thema Einwanderungsgesetz erregt natürlich die Gemüter, weil es ein sehr emotionales Thema ist.

Wenn wir diese Debatte nur ideologiefrei führen könnten!

Der Vorteil am Koalitionspartner ist, dass die SPD sehr viele Bürgermeister und Landräte hat, die die Realität hautnah miterleben. Sie ist kommunal verankert, im Gegensatz zur FDP und zu den Grünen. Die Grünen sind zwar kommunal noch eher verankert als die FDP, aber die schleppen wiederum ihren ideologischen Rucksack mit sich herum, den sie nicht loslassen wollen. Wenn wir diese Debatte nur ideologiefrei führen könnten! Aber das schafft man nicht, weil man sonst sofort das Gros der Medien gegen sich hat. Da gebe ich Ihnen hundertprozentig Recht. Über manche Dinge kann man heutzutage in Deutschland nicht vernünftig diskutieren. In der Flüchtlingsfrage habe ich auch keinen Ausweg, ehrlich. Einerseits haben wir die demographische Keule, die schwierige Fachkräftesituation, und wenn man Wohlstand erhalten will, braucht man natürlich auch junge Leute, die eine Ausbildung machen und arbeiten. Das sind Faktoren, die das System nicht unbedingt einfacher machen. Wir haben in Deutschland auch eine Willkommenskultur, die wir über zehn Jahre aufgebaut haben. Eins ist klar, bei der nächsten Bundestagswahl 2017 wird Zuwanderung das ganz große Thema werden. Gottseidank haben wir keine starke rechte Partei, keine FPÖ, keine Lega Nord, keinen Le Pen – noch nicht. Aber wer weiß, was in zwei Jahren ist?