„Für den Augenblick bin ich sehr zufrieden – von den strukturellen Veränderungen bis hin zur Finanzbeteiligung des Bundes. Aber das war nur ein Zwischenschritt“, erklärte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer zum Asylrechtskompromiss von Bund und Ländern. „Wir müssen sehr darauf achten, dass wir zu einer Begrenzung der Zuwanderung kommen. Wir dürfen die Belastungsgrenze unseres Landes nicht weiter überschreiten – nicht weil es am guten Willen fehlt, sondern an der Aufnahmefähigkeit.“ Seehofer betont weiter: „Bei der Begrenzung der Zuwanderung ist vor allem Europa gefordert. Auch für Brüssel gilt: Es muss noch kräftig gearbeitet werden.“
Beim „Flüchtlingsgipfel“ setzte sich der Freistaat Bayern in allen wichtigen Punkten durch. Fehlanreize, die Sozialmigranten vom Balkan nach Deutschland locken, werden abgebaut. Asylbewerber müssen künftig sechs Monate in Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben und werden nicht auf die Kommunen verteilt. Für sie gilt die Residenzpflicht. Sozialmigranten aus sicheren Herkunftsländern, meist vom Balkan, müssen sogar komplett bis zum Ende ihres Verfahrens in den Einrichtungen bleiben. In den Erstaufnahmeeinrichtungen sollen, soweit möglich, Sachleistungen statt Geld erhalten. Albanien, das Kosovo und Montenegro werden als sichere Herkunftsländer definiert.
Bund organisiert künftig Verteilung der Asylbewerber
Der Bund organisiert künftig die Verteilung der Asylbewerber und Flüchtlinge, um die bisherige übermäßige Belastung Bayerns durch hunderttausende ankommende Immigranten zu vermeiden und den faktischen Aufnahmestopp mancher Bundesländer zu beenden. Eine generelle Gesundheitskarte für Asylbewerber wird es nicht geben: Die Länder entscheiden dies jeweils selbst und müssen jedenfalls die anfallenden Kosten tragen. Wichtig für die CSU ist auch folgende Strafrechtsverschärfung: Schlepper werden nun mit „mindestens“ drei Monaten Gefängnis bestraft. Bisher kamen Kleinschleuser meist mit Bewährungs- und Geldstrafen davon.
Sogar mit den Mitteln aus dem Bundes-Betreuungsgeld, das vom Bundesverfassungsgericht gekippt worden war, wird so verfahren, wie es Bayern gefordert hatte: Die Mittel werden auf die Länder verteilt, damit diese ein Landes-Betreuungsgeld für selbst erziehende Eltern einführen können – oder auch den Kindergarten-Ausbau fördern.
Die Einigung im Einzelnen
- ASYLVERFAHREN: Asylbewerber sollen künftig bis zu sechs Monate in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht werden. Bislang ist das nur bis zu drei Monate vorgesehen. Antragsteller aus sicheren Herkunftsstaaten sollen verpflichtet werden können, komplett bis zum Abschluss des Asylverfahrens in solchen Erstaufnahmestellen zu bleiben. Während des Aufenthalts dort sollen Flüchtlinge möglichst nur Sachleistungen erhalten, „sofern mit vertretbarem Verwaltungsaufwand möglich“. Geldleistungen sollen künftig auch nur noch höchstens einen Monat im Voraus ausgezahlt werden.
- SICHERE HERKUNFTSLÄNDER: Albanien, Kosovo und Montenegro sollen nach drei anderen Balkan-Staaten ebenfalls als sichere Herkunftsländer eingestuft werden, um Antragsteller von dort schneller in ihre Heimat zurückzuschicken. Im vergangenen Jahr hatte die Regierung das bereits mit Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina gemacht. Die Liste der sicheren Herkunftsstaaten wird alle zwei Jahre überprüft. Für Asylbewerber aus diesen Staaten, die ab dem 1. September 2015 einen Asylantrag gestellt haben, wird ein Beschäftigungsverbot eingeführt. Dies gilt während des Asylverfahrens – und dann, wenn der Asylantrag abgelehnt ist, was bei Menschen vom Balkan in den allermeisten Fällen geschieht. Gleichzeitig will der Bund für Menschen aus den sechs Staaten aber neue Wege zur legalen Arbeitsmigration nach Deutschland schaffen – als Alternative zum Asylsystem. Wer einen Arbeits- oder Ausbildungsvertrag „mit tarifvertraglichen Bedingungen“ vorweisen kann, soll hier arbeiten oder eine Ausbildung aufnehmen dürfen.
Bund richtet Wartezentren ein
- VERTEILUNG VON FLÜCHTLINGEN: Der Bund wird künftig die Verteilung der Asylbewerber auf die Länder organisieren. Das läuft eigentlich per Computersystem nach dem „Königsteiner Schlüssel“ – also ausgerichtet nach Steuereinnahmen und Bevölkerungszahl der Länder. Angesichts der vielen Engpässe ist inzwischen aber einige Koordination gefragt, weil nicht jedes Land, das nach dem regulären System gerade eine größere Zahl an Flüchtlingen aufnehmen müsste, auch genügend leere Plätze in Unterkünften hat. Diese Koordinierungsaufgabe übernimmt nun der Bund. Er richtet „Wartezentren“ für ankommende Flüchtlinge und verteilt die Menschen von dort aus.
- FINANZEN: Der Bund erhöht den für 2015 vorgesehenen Betrag zur Entlastung der Länder nochmals um eine Milliarde – über Anteile am Umsatzsteueraufkommen. 2016 sollen es gut vier Milliarden Euro werden. Ab 1. Januar 2016 übernimmt der Bund dauerhaft einen Teil der Asylkosten. Den Ländern werden dazu 670 Euro pro Monat und Asylbewerber erstattet. Bei der Berechnung wird die erwartete Zahl von 800.000 Asylbewerbern in diesem Jahr zugrundegelegt sowie eine durchschnittliche Asylverfahrensdauer von fünf Monaten. Das ergibt 2,68 Milliarden Euro. Ende nächsten Jahres erfolgt eine genaue Abrechnung. Zudem soll auch für abgelehnte Antragsteller die 670-Euro-Pauschale an die Länder fließen, aber nur für einen Monat. Hier wird unterstellt, dass die Hälfte der Antragsteller anerkannt wird. Kalkuliert wird also mit 400.000 Asylbewerbern. Weitere 350 Millionen Euro jährlich stellt der Bund für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge bereit. Zudem gibt er den Ländern in den Jahren 2016 bis 2019 für den sozialen Wohnungsbau je 500 Millionen Euro. Kommunen erhalten über Ex-Militärflächen hinaus weitere Immobilien verbilligt für den sozialen Wohnungsbau. Geplant sind Anreize für den Bau preiswerter Wohnungen.
- GESUNDHEITSKARTE: Die Einführung bleibt den Ländern überlassen. Der Bund schafft die dafür notwendigen gesetzlichen Voraussetzungen. Die gesetzlichen Krankenkassen sollen von den Ländern verpflichtet werden können, gegen Kostenerstattung die Krankenbehandlungen bei Asylbewerbern zu übernehmen. Mit einer Gesundheitskarte sollen Flüchtlinge direkt zum Arzt gehen können. Bislang müssen sie dazu vorher die Zustimmung der zuständigen Behörde einholen. Die medizinischen Leistungen für sie bleiben aber auch mit diesem Modell eingeschränkt. Die Kosten müssen in jedem Fall die Länder tragen.
Schlepper gehen mindestens drei Monate ins Gefängnis
- INTEGRATIONSKURSE: Der Bund öffnet die Integrationskurse für Asylbewerber, die eine „gute Bleibeperspektive“ haben, und stockt die Mittel dafür auf.
- ARBEIT: Das Leiharbeitsverbot für Asylbewerber und Geduldete wird gelockert.
- SCHLEPPER: Die Strafbarkeit der Schleusung wird verschärft. Künftig gilt für Schlepper eine Mindestfreiheitsstrafe von drei Monaten. Das entspricht genau der Forderung von Bayerns Justizminister Winfried Bausback.
Frieser: Länder sind jetzt in der Pflicht
Der innenpolitische Sprecher der Bundestags-CSU, Michael Frieser, sieht nun die anderen Bundesländer in der Pflicht. Das betreffe sowohl Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber als auch die Verteilung der Flüchtlinge: „Die Länder erhalten eine zusätzliche Unterstützung des Bundes zur Bewältigung der Flüchtlingsströme. Es muss aber deutlich sein, dass sie am Zug sind, endlich nun ihren eigenen Verpflichtungen nachzukommen.“
Schließlich könne die geforderte weitere Verkürzung der Verfahrensdauer beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nur eine Entspannung der Situation mit sich bringen, wenn die Länder ihrerseits ihre Verwaltungsgerichte personell ausreichend ausstatten und rechtskräftige Abschiebungen durchführen, betont Frieser. „Die neu beschlossenen Regelungen zur Verteilung und Aufnahme der Asylbewerber müssen ebenfalls von allen Ländern umgesetzt werden. Die bisher fehlende innerdeutsche Solidarität muss endlich wieder hergestellt werden.“
Grüne stimmen zähneknirschend zu
Wichtig dabei, da die Einigung ja auch durch den Bundesrat gehen muss und die Grünen an neun Landesregierungen beteiligt sind: Die Grünen aus Bund und Ländern stimmen zähneknirschend der Einigung zu. In einer gemeinsamen Erklärung heißt es, Leistungskürzungen für Ausreisepflichtige oder die Ausweitung der sicheren Herkunftsländer seien zwar schwer tragbar. Es seien aber ein legaler Zugang für Menschen vom Westbalkan zum deutschen Arbeitsmarkt, eine direkte Unterstützung der Minderheiten auf dem Balkan und eine regelmäßige Überprüfung der sicheren Herkunftsländer erkämpft worden. „Wir haben damit faktisch den Einstieg in ein Einwanderungsgesetz geschaffen“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, den grünen Vizeregierungschefs in den Ländern sowie der Partei- und Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bund.
dpa/wog