Die Verteilung der Flüchtlinge soll in Europa gerechter geregelt werden. (Bild: Fotolia/cevahir87)
Asylbewerber

Der Prellbock Bayern

Mehr und mehr werden die kleinen Orte an der bayerischen Grenze zu Österreich zu den Brennpunkten des Asylbewerberansturms. Insbesondere Freilassing, Passau und Simbach stehen an der Belastungsgrenze. Die vom Bund geplanten Aushilfsquartiere stoßen auf wenig Gegenliebe, da sie offenbar bisher nicht in Abstimmung mit den vielfach schon stark belasteten Kommunen errichtet wurden.

Seitdem am Mittwoch die Zugverbindung von Salzburg nach Deutschland eingestellt wurde, kommen Hunderte Flüchtlinge zu Fuß über die Saalachbrücke von Salzburg nach Freilassing. Auf der österreichischen Seite vor dem Grenzfluss warten hunderte Menschen. Bereits am Dienstagmorgen warteten 600 Migranten an der Brücke bei der oberbayerischen Grenzstadt Freilassing (Berchtesgadener Land) darauf, über die Grenze gelassen zu werden. Hunderte weitere folgten im Laufe des Tages. Am Montag hatten 2100 Flüchtlinge zu Fuß die Grenze passiert, wie Rainer Scharf von der Bundespolizei in Rosenheim berichtete. Das zur Notunterkunft umfunktionierte ehemalige Möbellager in Freilassing ist derzeit mit über tausend Asylbewerbern belegt. 300 Menschen sind in der Sporthalle einer Realschule in Freilassing untergebracht worden, sagte Bernd Schulz von der Bundespolizeiinspektion Rosenheim. Rund 400 Flüchtlinge sind zudem in der Turnhalle der Bundespolizei in Rosenheim untergebracht. „Die Unterkünfte sind voll, die Situation ist aber noch zu bewältigen“, sagte Schulz und versicherte: „Familien mit kleinen Kindern werden von uns bevorzugt behandelt.“

Wir brauchen bundesweite Unterstützung.

Landratsamt Berchtesgadener Land

Insgesamt kamen zu Wochenbeginn im Zuständigkeitsbereich der Inspektion Rosenheim mit 650 Kilometern Grenze 4300 Migranten nach Bayern. Am Sonntag waren es noch 1300 gewesen. Die Flüchtlinge werden nach ihrer Registrierung in Sonderzügen zu Erstaufnahmestellen in ganz Deutschland gebracht. In ganz Bayern hat die Bundespolizei allein am Montag mehr als 11.000 Flüchtlinge registriert. In den nächsten Tagen werden weit mehr als 10.000 weitere Flüchtlinge auf österreichischer Seite der Grenze erwartet. „Wir brauchen bundesweite Unterstützung“, hieß es aus dem Landratsamt Berchtesgadener Land. Insgesamt sechs Sonderzüge sollen jeweils an die 450 Asylbewerber von Freilassing und Passau aus zu Erstaufnahmeeinrichtungen in Düsseldorf, Mannheim und Uelzen bringen.

Passau quillt über

Der Raum Passau erlebte nach Angaben der Bundespolizei am Montag den größten Ansturm von Flüchtlingen. Das Notquartier in der Passauer Dreiländerhalle für 500 Asylbewerber, Veranstaltungsort des Politischen Aschermittwochs der CSU, ist ebenfalls seit Dienstagmorgen voll. In ganz Niederbayern sind weitere Notunterkünfte errichtet worden. Auch an den kleineren Grenzübergängen entlang des Inns kommen immer mehr Menschen nach Deutschland. Nach Angaben eines Sprechers der Bundespolizeiinspektion Freyung hatten am Mittwoch alleine in Simbach am Inn (Landkreis Rottal-Inn) innerhalb kürzester Zeit etwa 800 Flüchtlinge die Grenze überquert.

Oberbayern: Tragluft- und Sporthallen als Ausweg

Der ganze Bezirk Oberbayern ächzt unter der stetig steigenden Zahl von Asylbewerbern. Das Rezept der Stunde sind vielerorts Traglufthallen, die beispielsweise auf Volksfestplätzen errichtet werden. Auch in München wird das auf der Theresienwiese diskutiert für die Zeit nach dem Oktoberfest.

Gerade die Sporthallen erhöhen das Risiko, dass die Stimmung in der Bevölkerung kippt, ganz enorm.

Auch Hallenbäder wie in Dietramszell bei Wolfratshausen, Möbelhäuser, leerstehende Rathäuser wie in Gröbenzell bei Fürstenfeldbruck, kirchliche Einrichtungen wie das Kloster Benediktbeuern oder Pfarrheime werden als Unterbringungsmöglichkeit ins Auge gefasst oder bereits belegt. Turnhallen sind als Dauerunterkünfte ohnehin schon überall im Einsatz, auch nach dem Schulanfang. Weitere werden in den nächsten Tagen überall in Bayern folgen. Gerade die Sporthallen erhöhen das Risiko, dass die Stimmung in der Bevölkerung kippt, ganz enorm, wie man an den verärgerten und durchaus verständlichen Kommentaren vieler Eltern und Vereinssportler in den sozialen Netzwerken sehen kann.

Zugverkehr bleibt eingestellt

Der Zugverkehr zwischen Salzburg und München bleibt bis auf weiteres eingestellt. Die Züge würden durch die Kontrollen so lange aufgehalten, dass die Bahn ihren Fahrplan nicht mehr einhalten könne, so eine Sprecherin der Deutschen Bahn. In den vergangenen Tagen war die Verbindung Salzburg-München auf Anordnung der Behörden bereits mehrmals unterbrochen.

Die geplanten Unterkünfte des Bundes stoßen auf Kritik

Derweilen kritisierten Kommunalpolitiker die Einrichtung eines Sammellagers des Bundes für Flüchtlinge in einer Erdinger Kaserne. Der dortige Fliegerhorst soll zur Kurzunterbringung von bis zu 5000 Migranten vor deren Registrierung genutzt werden. Das Landratsamt sei in den Entscheidungsprozess nicht eingebunden gewesen, sagten Landrat Martin Bayerstorfer und Oberbürgermeister Max Gotz (beide CSU) am Dienstag. Der stellvertretende Landrat Jakob Schwimmer und Behördenmitarbeiter hätten nur aus Eigeninitiative an Gesprächen teilnehmen können. Er selbst sei erst am Wochenende nicht etwa durch den Bund, sondern von Bayerns Sozialministerin Emilia Müller informiert worden, teilte Bayerstorfer mit.

Eine Zuweisung von 5000 oder gar 10.000 Flüchtlingen wäre für die Region schlichtweg nicht schulterbar gewesen.

Sebastian Remelé, Schweinfurts Oberbürgermeister

Pläne für große Flüchtlingsunterkünfte in ehemaligen Wohnsiedlungen der US-Armee in Schweinfurt und Bamberg sind dagegen vom Tisch. Auch dort hätten bis zu 5000 Flüchtlinge untergebracht werden können. „Diese Entscheidung ist eine gute Nachricht für uns. Eine Zuweisung von 5000 oder gar 10.000 Flüchtlingen wäre für die Region schlichtweg nicht schulterbar gewesen“, erklärten Schweinfurts Oberbürgermeister Sebastian Remelé (CSU) und Landrat Florian Töpper (SPD). Künftig soll die Abstimmung zwischen Land und Bund besser werden. „Der Bund wird künftig seine eigenen Liegenschaften nur dann für die Unterbringung von Asylbewerbern zur Verfügung stellen, wenn Bayern auch zustimmt“, sagte Innenminister Joachim Herrmann.

Jetzt doch Zeltlager?

Der Bund baut auch in Niederbayern ein großes Zeltlager für bis zu 5000 Flüchtlinge. Es soll sich dabei nicht um eine permanente Unterkunft handeln, sondern um einen „Wartebereich“ auf dem Truppenübungsplatz der Gäubodenkaserne in Feldkirchen bei Straubing. Dort sollen Flüchtlinge vorübergehend untergebracht werden, bis sie in das für sie zuständige Bundesland weitergeschickt werden. Das Zeltlager soll in acht bis zehn Tagen gebaut werden und in Betrieb gehen, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann am Freitag in München. Bisher wollten man parteiübergreifend die Errichtung großer Zeltstädte vermeiden. Feldkirchen wird aber voraussichtlich nicht das einzige Zeltlager in Deutschland bleiben: Weitere „Wartebereiche“ seien in anderen Bundesländern geplant, sagte Herrmann. Der Bund wolle für den Fall vorsorgen, dass es wieder zu einem größeren Flüchtlingsansturm komme. Das werde im Moment aber nicht erwartet.

Es kann nicht sein, dass Bayern allein ständig den Puffer bildet.

Joachim Herrmann, Bayerns Innenminister

Bayern beherbergt nach Herrmanns Worten inzwischen 30.000 Flüchtlinge, die eigentlich von den übrigen 15 Bundesländern aufgenommen werden müssten. „Es kann nicht sein, dass Bayern allein ständig den Puffer bildet“, kritisierte der CSU-Politiker. Darum sollen jetzt täglich 2500 Menschen mit fünf Sonderzügen aus Bayern in andere Bundesländer gebracht werden. Der Bedarf an Sonderzügen für Flüchtlinge wird dazu führen, dass einige Sonderzüge für Oktoberfestbesucher ausfallen.

Auch die Zahl der verhafteten Schleuser steigt rasant. Inzwischen sitzen mehr als 800 Menschen, die Flüchtlinge illegal über die Grenze gebracht haben sollen, in Untersuchungshaft, wie eine Sprecherin des Justizministeriums auf Anfrage mitteilte. Im Vergleich zum vergangenen Jahr hat sich die Zahl der verhafteten Schleuser damit mehr als versechsfacht.