Die Wiesn zieht wieder Millionen Besucher aus aller Welt an. (Bild: avd)
Wiesn

Sie wollen, aber dürfen nicht

Am 19. September geht es los: Das berühmteste Volksfest der Welt, die Wiesn, startet und wird wieder Millionen Besucher aus aller Welt anlocken. Nur: Der Mindestlohn, das geliebte Bürokratiemonster von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), sowie das seit mehr als zwanzig Jahren geltende Arbeitszeitgesetz sorgen für Ärger.

Im April gingen bereits über 5000 Hoteliers und Gastronomen sind am Montag in München auf die Straße, um gegen Bürokratie- und Dokumentationswahnsinn in ihrer Branche zu protestieren (der Bayernkurier berichtete). „Wir wollen für unsere Gäste da sein, statt Formulare auszufüllen“, betonte da schon Ulrich Brandl, Präsident des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes DEHOGA.

Kritikpunkt 1: Die Dokumentationspflichten

Wie auch andere Arbeitgeber kritisieren die Wirte einerseits die aufwändige Dokumentationspflicht. Allein dafür brauchen sie mehr Angestellte. Wiesn-Wirte-Sprecher Toni Roiderer, der das Hackerzelt betreibt, rechnet damit, dass er in seinem Zelt im Zusammenhang mit dem neuen Gesetz heuer 40 bis 50 Mitarbeiter mehr beschäftigen wird. „Wann soll man nach all dieser Dokumentationsflut eigentlich noch kochen, Gäste bewirten und dabei lächeln?“, fragte Brandl schon im April und kritisierte, dass für Vereine oder gemeinnützige Organisationen großzügige Ausnahmen gelten würden.

Kritikpunkt 2: Die Arbeitszeitregelungen

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Arbeitszeit: Nach dem 20 Jahre alten Arbeitszeitgesetz darf maximal zehn Stunden am Tag und 48 Stunden in der Woche gearbeitet werden. Die Höchstarbeitszeit von eigentlich acht Stunden am Tag kann aber nur dann auf bis zu zehn Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Schnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden. Da auch der Samstag Werktag ist, begrenzt das Gesetz die Wochenarbeitszeit eben auf 48 Stunden. Es gibt aber einige Ausnahmen, etwa für Soldaten, Beamte, Klinikpersonal und leitende Angestellte. Und: Wer Sonntags arbeitet, muss innerhalb von zwei Wochen einen Ausgleich dafür erhalten. Vorgeschrieben ist auch eine ununterbrochene Ruhezeit von elf Stunden nach der Arbeitszeit.

Solche für die Gäste unkalkulierbaren ‚Öffnungszeiten‘ würden jeden Gasthof ruinieren.

Einige Probleme mit diesen Regeln gibt es daher schon länger: So hat der Achtstundentag in vielen Branchen schon lange nichts mehr mit der betrieblichen Realität zu tun. Zudem hat die Digitalisierung auch hier schon breite Schneisen in das Gesetz geschlagen. Einige Branchen allerdings haben nach wie vor große Probleme mit der Einhaltung so strikter Arbeitszeitregeln, allen voran die Gastronomie. Einige schlichte Beispiele zeigen jedermann deren Schwierigkeiten: Einfache Hochzeits- oder Geburtstagsfeste in ganz normalen Restaurants gehen schon mal deutlich über die erlaubte Arbeitszeit hinaus, das weiß jeder, der schon mal mitgefeiert hat. Oder wenn Mitarbeiter kurzfristig ausfallen und auf die Schnelle kein Ersatz gefunden werden kann, soll dann der Betrieb die Tore schließen? Solche für die Gäste unkalkulierbaren „Öffnungszeiten“ würden jeden Gasthof ruinieren, also müssen die vorhandenen Mitarbeiter schon mal länger arbeiten als erlaubt. Es ist ohnehin oft auch dem Wunsch der Arbeitnehmer selbst geschuldet, dass sie einige Arbeitsstunden vom Nachmittag auf den Abend legen, was dann mit den elf Stunden Ruhezeit kollidiert.

Die Volksfeste als Sonderfälle

Eine Besonderheit sind auch hier wieder die Wiesn-Bedienungen und -Musiker: viele von ihnen haben oft nur während des Oktoberfestes zwei Wochen gearbeitet und sogar sind extra dafür angereist, darunter viele Saisonarbeiter, Studenten oder Auszubildende, die damit ihren Lebensunterhalt sicherten. Dabei konnten sie gut verdienen, zum Teil in zwei Wochen mehr als andernorts in zwei bis drei Monaten. Bedienungen und Musiker sind auf dem Oktoberfest, dem Gäubodenfest, dem Augsburger Plärrer, der Erlanger Bergkirchweih oder anderen Volksfesten schon mal 14 oder mehr Tage lang von früh bis spät im Einsatz. Und sie wollen gerne länger als die erlaubten zehn Stunden arbeiten – und haben das bisher auch getan. Früher wurde das nicht so genau kontrolliert, was durchaus im Sinne aller Beteiligter war. Für Kontrollen sind die Länder zuständig, die damit meist die Gewerbeaufsichten der Kommunen beauftragen und die kamen oft nicht hinterher. In den letzten Jahren sind Kontrollen allerdings schon deutlich häufiger geworden und auch die Unternehmen achten im Zuge der „Compliance“-Strategien viel stärker auf die Einhaltung aller Regeln. Jetzt wurde es dank Nahles noch schärfer: Im Zuge des Mindestlohngesetzes und der dafür genau zu dokumentierenden Arbeitszeiten Beschäftigten mit bis zu 2958 Euro Monatsverdienst mit Anfang, Ende und Pausen sind Verstöße beinahe unmöglich geworden. Und nun kontrolliert in bestimmten Fällen auch der als überaus streng geltende Zoll.

Kleine Fehler und man rutscht als Wirt ganz schnell in die Illegalität.

Ulrich Brandl, DEHOGA-Präsident

Außerdem sehen die gesetzlichen Regelungen vor, dass das Personal nach sechs Tagen Arbeit am Stück einen Tag frei haben muss. Das funktioniert den Wirten zufolge auf einem 14 oder 16 Tage dauernden Volksfest nicht. Denn das würde letztlich eine Umorganisation bedeuten: Schichtbetrieb, also mehr Personal und weniger Verdienst für die einzelnen Mitarbeiter. Ein weiteres Problem sind die in einem gewissen Zeitkorridor vorgeschriebenen Pausen, die nun ebenfalls strenger kontrolliert werden: Aber welche Bedienung geht schon gern von einem Tisch weg, der gleich zahlt? Wenn aber nur eine Bedienung deshalb die Pause verschiebt, könnte das wie jeder Verstoß unangenehme Folgen für den Wirt haben. „Kleine Fehler und man rutscht als Wirt ganz schnell in die Illegalität“, so der DEHOGA-Chef. Neben der Strafe (meist wohl ein Bußgeld) gäbe es aber eine weitere Konsequenz. Wer sich strafbar macht, verspielt seine von der Stadt München erteilte Schankerlaubnis. Ein Bierzelt oder ein Betrieb auf dem Oktoberfest gelten aber als „Lizenz zum Gelddrucken“, die niemand gerne verliert.

Die vorläufige Lösung

Bayerns Arbeitsministerin Emilia Müller (CSU) und Wirtesprecher Roiderer trafen sich bereits vor Monaten, um über die Auswirkungen des Gesetzes für die Wiesn und andere Volksfeste zu beraten. Nun sollen zumindest die gesetzlichen Grenzen voll ausgeschöpft werden: Die Bedienungen dürfen die 16 Festtage durcharbeiten, müssen aber für die drei Festsonntage freie Tage vor und nach der Wiesn nehmen. Konkret bedeutet das laut Roiderer, dass die Bedienungen nicht nur 16 Tage für das Oktoberfest angestellt werden, sondern 19 Tage. Vor und/oder nach dem Volksfest können sie dann Urlaub nehmen.

Roiderer forderte aber nun in dem neuen Anlauf für die kommenden Jahre erneut mehr Flexibilität. Sonst könne es künftig zu den angesprochenen Problemen kommen.

Ein Grundsatzstreit

Sogar die SPD-Linke Nahles scheint zumindest ansatzweise zu begreifen, dass die von den Gewerkschaften und der SPD heißgeliebten Gesetze Änderungen nötig haben. Auch wenn die Arbeitsministerin ihr Mindestlohngesetz mit Zähnen und Klauen vor jeder erforderlichen Veränderung schützen will, beim Arbeitszeitgesetz zeigt sie sich verhandlungsbereit. Die Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeberverbände schlug kürzlich vor, auf die Höchstgrenze von acht Stunden am Tag zu verzichten und auch die Arbeit am Sonntag häufiger großzügiger zu gestalten. Besser sei eine begrenzte Wochenarbeitszeit wie bisher von 48 Stunden, die aber flexibel verteilt werden kann. „Um mehr Spielräume zu schaffen und betriebliche Notwendigkeiten abzubilden, sollte das Arbeitszeitgesetz von einer täglichen auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit umgestellt werden“, heißt es in dem Positionspapier der Arbeitgeberverbände. Auch die EU schreibe nur ein wöchentliches Zeitlimit vor. Ein Sprecher der Arbeitsministerin erklärte daraufhin, Nahles wolle den Acht-Stunden-Tag nicht abschaffen. Ende 2016 werde aber ein „Weißbuch“ vorgelegt, das sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf das Arbeiten beschäftigt. Ein – wenn auch viel zu spätes – Hintertürchen für eine Gesetzesänderung? Das bleibt zu hoffen. Kaum verwunderlich: Die Gewerkschaften lehnen die Arbeitgeber-Forderungen strikt ab.