"Anhaltende Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus": Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (l.) und Burkhard Körner vom Verfassungsschutz. (Bild: imago images / Sachelle Babbar/Zuma)
Extremismus

Hass und Hetze nehmen zu

Verfassungsschutz-Halbjahresbericht: Mehr Straftaten bei den Rechtsextremisten. Brand- und Sprengstoffdelikte bei den Linksextremisten. Weniger Reichsbürger. Anhaltende Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus. 22 IS-Rückkehrer in Bayern.

Innenminister Joachim Herrmanns „abschließende Worte“ hatten es in sich. Bei der Vorstellung der „Verfassungsschutzinformationen für das erste Halbjahr 2019” kam Herrmann zum Schluss auf das Thema Antisemitismus zu sprechen, „der in Deutschland in verschiedenen Formen sein hässliches Haupt erhebt“.

Antisemitismus

Dass der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung Juden kürzlich davor warnte, in der Öffentlichkeit Kippa zu tragen, hält Herrmann „für ein völlig falsches Signal“. Herrmann: „Ich sage klar und deutlich: Jeder kann und soll seine Kippa tragen, egal wo und egal wann er möchte. Und als Bayerischer Innenminister werde ich mich mit ganzer Kraft dafür einsetzen, dass das im gesamten Freistaat Bayern auch gefahrlos möglich ist.“

Antisemitismus ist ein konstitutives Element des Islamismus.

Joachim Herrmann, Bayerns Innenminister

Die Bayerische Staatsregierung, so Herrmann, „tritt antisemitischer Gesinnung seit jeher entschieden entgegen“, egal aus welcher Ecke er kommt. Er warnte vor „dumpfer rechtsextremistischer Judenfeindlichkeit“. Und vor „als ‚Israelkritik‘ und ‚Antizionismus‘ verbrämtem Antisemitismus linksextremistischer Prägung“. Außerdem sei Antisemitismus, so der Innenminister, „ein konstitutives Element des Islamismus“. Herrmann: „Das Judentum, beziehungsweise der Staat Israel sind zentrale Feindbilder islamistischer Organisationen.“ Was bedeutet: Islamisten sind immer Antisemiten, und häufig gewalttätig.

IS-Ideologie weiter präsent

Überhaupt bleiben Islamismus und islamistischer Terrorismus ein Thema, das „nach wie vor maßgeblich die Sicherheitslage in Deutschland bestimmt“. Festnahmen von mehreren Islamisten in Nordrhein-Westfalen im Juli machten deutlich, „dass auch in unserem Land jederzeit mit terroristischen Aktivitäten gerechnet werden muss“, so Herrmann.

Ziel der islamistischen Propaganda ist es, die Normen der Scharia in allen Lebensbereichen und auf allen Ebenen durchzusetzen.

Joachim Herrmann

Der Islamische Staat (IS) in Syrien und im Irak ist fast vollständig besiegt. Aber die IS-Ideologie ist weiter weltweit präsent. In anderen Regionen dehnt sie sich sogar aus. Herrmann verweist auf Afrika und nennt zwei Länder: Somalia und Mali. Aus Somalia kommen noch immer sehr viele Asylbewerber. In Mali stehen fast 1000 Bundeswehr-Soldaten.

IS-Rückkehrer

Besonderes Augenmerk schenken Bayerns Sicherheitsbehörden den IS-Rückkehrern aus Syrien und Irak. Bedeutsam: Herrmann spricht von den „ehemaligen“ Kampfgebieten. Weil kampferfahren, fanatisch und verroht, stellen die Rückkehrer ein hohes Sicherheitsrisiko dar. Umso mehr als der IS seine Anhänger nach wie vor dazu anhält, „in den jeweiligen Heimat- oder Aufenthaltsländern eigeninitiativ zu handeln“, so der Innenminister.

IS-Ideologie wirbt für Einzeltäteranschläge in westlichen Staaten.

Joachim Herrmann

Herrmann legt Zahlen vor: Die Sicherheitsbehörden wissen von über 1050 Personen, die aus Deutschland in Richtung Nahost ausgereist sind, davon 25 Prozent Frauen. Aus Bayern sind 114 Personen ausgereist, planten es oder unterstützten solche Islamisten anderweitig. 20 Prozent von ihnen waren Frauen.

Islamistische Frauen

Bei 220 der nach Nahost ausgereisten Dschihad-Touristen gibt es Hinweise, dass sie dort zu Tode gekommen sind, davon 13 aus Bayern. Von den aus Bayern ausgereisten sind aber inzwischen 29 nach Deutschland zurückgekehrt, 22 nach Bayern. Fünf solcher Rückkehrer sind derzeit in Haft.

Aufschlussreich: Herrmann warnt besonders vor islamistischen und salafistischen Frauen. Die leisteten aktuell immer wichtigere organisatorische und logistische Unterstützung. Herrmann: „Der Beitrag der Frauen zur Stabilisierung und Weiterentwicklung der Szene darf nicht unterschätz werden – gerade mit Blick auf die nachrückende Generation.“

Hass und Hetze nehmen zu

Herrmanns große Warnung bei diesem Zwischenbericht des Verfassungsschutzes: „Hass und Hetze in der Gesellschaft nehmen zu.“ Bei Islamisten, Rechtsextremisten und Linksextremisten. Die digitalen Massenmedien spielen dabei eine steigende Rolle. Ziel aller dieser Extremisten ist die Mobilisierung. Im Internet treiben sie die Radikalisierung ihrer Anhänger voran und versuchen, „mit ihren Ideologien vom Rand in die Mitte der Gesellschaft vorzustoßen“.

Gewaltanwendung gegen Andersdenkende sowie Repräsentanten wird als ziviler Ungehorsam beschönigt.

Joachim Herrmann

Mit neuen Begriffen wie „Remigration“ und „Ethnopluralismus“ betrieben Rechtsextremisten „schleichende Vergiftung der Kommunikation“. Ihr Ziel: die klare Abgrenzung zwischen demokratischen und rechtsextremistischen Positionen zu verwischen und den demokratischen Wertekanon zu verändern.

Auch die Linksextremisten hantieren mit Begriffen und interpretieren demokratische Werte um. Bei ihnen, so Herrmann, gingen Werte wie Gleichheit und Gerechtigkeit „mit der Einschränkung der persönlichen Grund- und Freiheitsrechte des einzelnen einher“. Herrmann weiter über die Linksradikalen: „Gewaltanwendung gegen Andersdenkende sowie Repräsentanten oder ‚Profiteure‘ des Systems wird als ‚ziviler Ungehorsam‘ beschönigt.“

Rechtsextremismus

Im ersten Halbjahr 2019 verzeichnete Bayerns Verfassungsschutz mit 612 rechtsextremistischen Straftaten eine gewisse Zunahme (Vorjahreszeitraum: 577). Herrmann: „Bei der Mehrzahl der Fälle handelte es sich um Propagandadelikte (414) oder um Volksverhetzung (100).“ Allerdings wurden auch 20 rechtsextremistische Gewalttaten verzeichnet.

Die Identitäre Bewegung Bayern versucht, die Stimmung gegen die Aufnahme von Flüchtlingen und Migranten zu drehen.

Joachim Herrmann

Bei den Rechtsextremen beobachtet Bayerns Verfassungsschutz seit Anfang des Jahres die Jugendorganisation der AfD „Junge Alternative“ (JA). Dazu die Sammlungsbewegung innerhalb der AfD „Der Flügel“. Bei beiden Gruppierungen, so Herrmann, sei in Bayern jeweils von einem Personenpotenzial im unteren dreistelligen Bereich auszugehen. Große Aufmerksamkeit schenken die Verfassungsschützer auch der „Identitären Bewegung Bayern“. Denn die mache mit Plakaten, Info-Ständen oder sogenannten False-Flag-Aktionen Stimmung gegen Migranten.

Linksextremismus

Auf der linksextremen Seite wurden 302 Straftaten gezählt. Wobei man wissen muss: linksextremistische Propagandadelikte gibt es nicht, da kommunistische Symbole nicht strafbar sind. Aber 14 erfasste linksextremistische Gewalttaten bedeuten gegenüber dem Vorjahr einen Rückgang. Allerdings befand sich darunter eine linksextreme Spezialität: fünf Brand- und Sprengstoffdelikte. Herrmann erwartet, „dass diese gemeingefährlichen Delikte zum Ende des Jahres ein ähnliches Niveau erreichen werden wie im Vorjahr (14)“.

Schwerpunkte linksextremistischer Agitation, so Herrmann, „sind seit jeher die Themen Anti-Faschismus und Antirassismus“. Damit docken sie immer wieder an Veranstaltungen bürgerlicher Initiativen an – und die lassen sich das oft gefallen.

Weitere Themen, die Linksradikale für sich als „Türöffner in die Mitte der Gesellschaft“ entdeckt haben: Mietpreise, Umwelt- und Klimaschutz. Immer diffamieren Linksextremisten dann „den Staat und ‚das System‘ als Hauptverantwortliche für tatsächliche oder angebliche Fehlentwicklungen“. Herrmann: „Ihr eigentliches Ziel ist es, die Akzeptanz unseres Rechtsstaates und der Demokratie an sich Schritt für Schritt zu untergraben.“ Die Patentlösung der Linksextremisten sei immer dieselbe, so der Innenminister: „die Beseitigung von Rechtsstaat und Demokratie. Denn nichts anderes verbirgt sich hinter ihrer Forderung, ‚das System’ zu zerstören.“

Weniger Reichsbürger

Das erlebt man bei der Vorstellung eines Verfassungsschutzberichts eher selten: eine gute Nachricht. Aber zum September-Termin hatte Herrmann dieses Mal eine parat: Zum ersten Mal seit der Aufnahme der Beobachtung ist das Personenpotential der Reichsbürger gesunken. Ende 2018 zählten die Verfassungsschützer 4200 Reichsbürger. Jetzt sind es offenbar noch 3950.

Herrmann: „Die Reduzierung ist auch ein Erfolg der konsequenten bayerischen Linie der Null-Toleranz gegenüber Reichsbürgern.“ Was besonders für die Entwaffnung der Szene gilt. Bis Ende Juni haben die Sicherheitsbehörden 345 Reichsbürger mit Waffenscheinen identifiziert – und schon 778 Waffen eingezogen.