Den Kirchen laufen die Mitglieder weg. (Bild: imago images / Rolf Kremming)
Religion

Entfremdung von den Kirchen

Schon seit Jahren verlassen immer mehr Mitglieder die Kirchen, nun gibt es neue Zahlen. Neben der Kirchensteuer und der Demographie ist das Hauptmotiv: Entfremdung.

Die katholische und die evangelische Kirche haben ihre Mitgliederzahlen für 2018 veröffentlicht. Die Zahl der Kirchenaustritte in Deutschland ist im vergangenen Jahr gestiegen. 216.000 Menschen hätten 2018 die katholische Kirche verlassen, teilte die Deutsche Bischofskonferenz am Freitag in Bonn mit. Das sind 48.500 Austritte mehr als 2017, als 167.500 Menschen der katholischen Kirche den Rücken kehrten. Insgesamt sank die Zahl der Katholiken in Deutschland im vergangenen Jahr um gut 300.000 auf 23 Millionen.

Bei den Protestanten traten 220.000 Menschen aus der Kirche aus, also noch etwas mehr als bei den Katholiken. Die Zahl der Austritte habe 2018 um 11,6 Prozent über dem Vorjahr gelegen, teilte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover mit. Die Gesamtzahl der Protestanten sank um 1,8 Prozent auf gut 21 Millionen. Das entspricht in etwa dem Rückgang von 2017.

Bayerns Christen verlassen die Kirchen

Besonders traf es Bayern: Mehr als 64.000 Katholiken haben hier ihrer Kirche im vergangenen Jahr den Rücken gekehrt, im Vorjahr waren es nur 48.000. Die Zahl der Kirchenaustritte im Freistaat war damit 2018 die höchste aller Bundesländer. Bayern hatte zwar mit knapp 6,4 Millionen auch besonders viele Katholiken. Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen, in dem 2018 rund 6,8 Millionen Katholiken lebten, traten aber nur rund 50.000 aus der Kirche aus.

Aus der evangelischen Kirche im Freistaat traten 2018 insgesamt knapp 28.000 Menschen aus. Das waren noch einmal deutlich mehr als 2017 (23.600), wie die Landeskirche am Freitag mitteilte. Am 31. Dezember 2018 lebten mehr als 2,3 Millionen Protestanten in Bayern.

Erklärungsversuche und Selbsttäuschung

Die Kirchen erklären den Schwund vor allem mit der Alterung der Gesellschaft. Viele Gemeindemitglieder sterben weg. Zusammen mit den Kirchen-Austritten ergibt sich daraus ein Minus, das sich durch Taufen und Eintritte nicht kompensieren lässt.

Kirchenaustritte sind kein Naturphänomen, sondern Ausdruck einer Entfremdung der Gläubigen von der Kirche.

Thomas Schüller, Kirchenrechtsexperte

Zu den Austrittsmotiven gab es in den vergangenen Jahren aber immer wieder Studien und Umfragen, in denen als Kernmotiv eine Entfremdung von der Kirche festgestellt wurde. Eine Studie des katholischen Bistums Essen ergab im vergangenen Jahr als Hauptgründe: die Kirchensteuer, Entfremdung oder fehlende Bindung zur Kirche, rückständige Haltung der Kirche, Glaubenszweifel, ein persönlich enttäuschendes Erlebnis sowie Missbrauchs- und Finanzskandale.

Glaubwürdigkeitskrise

Der Kirchenrechtsexperte Thomas Schüller betonte: „Kirchenaustritte sind kein Naturphänomen, sondern Ausdruck einer Entfremdung der Gläubigen von der Kirche und einer Glaubwürdigkeitskrise der Kirche selbst.“

Dazu trägt sicher auch die wachsende Einmischung einzelner Kirchenfürsten in die tagesaktuelle Politik bei – noch dazu mit oft einseitiger rot-grüner Schlagseite. Doch in diesen in Teilen sogar kirchenfeindlichen Parteien fühlen sich viele Christen nicht zuhause.

Indem man sich so politisch positioniert, wird diese wichtige Vermittlerrolle eigentlich verspielt.

Ulrich Körtner, Theologieprofessor

Jüngstes Beispiel ist die Debatte um die private Seenotrettung im Mittelmeer: Jetzt diskutiert die EKD nach einer Kirchentags-Resolution darüber, ein eigenes Rettungsschiff anzuschaffen. Verfasst hat diese Erklärung das Präsidiumsmitglied beim Dortmunder Kirchentag, der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold. Dessen Partei fordert die Politik der offenen Grenzen – was Europa aber völlig überfordern und in vielerlei Hinsicht zum Kollaps bringen würde. Hier werde Partei- zu Kirchenpolitik, sagen Kritiker.

Seelsorger oder Politiker?

Und ein solches Schiff sei nicht Aufgabe einer Kirche. Dazu zitierte etwa der Wiener Theologieprofessor Ulrich Körtner im Deutschlandfunk einen Satz des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, einst Präsident des Evangelischen Kirchentages: Die Kirche wolle nicht selbst Politik machen, sondern sie wolle Politik möglich machen. Davon entferne sie sich aber zusehends. Körtner erwarte eher eine „Vermittlerrolle“ der Kirche. „Indem man sich so politisch positioniert, wird dieses wichtige Gut eigentlich verspielt. “

Und nur diese Menschen zu retten, reicht nicht aus, dann müsste man auch vorher klären, wo sollen die denn dann hin.

Ulrich Körtner, Theologieprofessor

Zudem verstärkt laut Kritikern die private Seenotrettung nur den Zustrom der Migranten über das Mittelmeer, was letztendlich sogar mehr Leben koste – wie auch die aktuellen Zahlen der europäischen Frontex-Grenzschutzagentur belegen. Das aber widerspricht dem angeblich humanitären Ansatz solcher Schiffe. „Wenn Boote extra dorthin fahren, um Menschen zu retten, dann ist das einerseits verdienstvoll, andererseits wird aber damit die Bereitschaft bei Leuten gefördert, sich in diese Gefahr hineinzubegeben und das ist ein zweischneidiges Schwert. Und nur diese Menschen zu retten, reicht nicht aus, dann müsste man auch vorher klären, wo sollen die denn dann hin und insofern finde ich, ist dieser Aktionismus eine Verkürzung des Problems“, warnte Theologieprofessor Körtner im Deutschlandfunk.

Vielleicht wäre es ein Befreiungsschlag, wenn sie sich von der Kirchensteuer befreien würden.

Christian Pfeiffer

Bequemlichkeit der deutschen Kirchen?

Der Kriminologe Christian Pfeiffer, selbst evangelischer Christ, regte zudem eine Diskussion über die Notwendigkeit von Kirchensteuern an. So seien die Kirchen in den USA – wo es keine Kirchensteuer gebe – viel lebendiger, sagte Pfeiffer der Deutschen Presse-Agentur. „Ein Grund dafür ist mit Sicherheit, dass sie es sich dort nicht auf dem Ruhekissen der Kirchensteuer bequem machen können.“ Sie müssten etwas unternehmen. „In Deutschland dagegen verlangweilen sich die Kirchen immer mehr. Die Pfarrer sind quasi verbeamtet. Vielleicht wäre es ein Befreiungsschlag, wenn sie sich von der Kirchensteuer befreien würden.“

Austritte und damit sinkende Einnahmen aus der Kirchensteuer machen beiden Kirchen auch im Freistaat Bayern zu schaffen. Das katholische Bistum Würzburg hatte am Dienstag sogar einen dreijährigen Baustopp angekündigt, weil dort das Geld knapp wird. Die Steuer macht bei den Kirchen im Freistaat in einigen Bistümern den Großteil der Einnahmen aus. In Würzburg und Passau sind es 80 Prozent, in Bamberg 75 Prozent, in Augsburg und Regensburg sogar fast 90 Prozent.

Kirchenrechtsexperte Schüller sagte zu der schon länger schwelenden Debatte, die Kirchensteuer sei meist nur der letzte Baustein einer Entfremdung von der Kirche. Dies könne auch aus einem anderen Grund nicht die wirkliche Ursache sein, denn: „Zudem treten sehr viele Katholiken aus, die gar keine oder nur eine vergleichsweise geringe Kirchensteuer zahlen“, so der Professor für katholisches Kirchenrecht.

2017: Verlust von 660.000 Mitgliedern

2017 hatten die beiden großen christlichen Kirchen zusammen etwa 660.000 Mitglieder verloren. Die Protestanten verloren 390.000 Mitglieder, das war eine Abnahme um 1,8 Prozent. Die Zahl der Katholiken sank um 270.000. Insgesamt gehörten damit noch 54 Prozent der deutschen Bevölkerung zu einer der beiden Kirchen. 2005 waren es noch 62 Prozent.

Für die Zukunft werden noch mehr Verluste erwartet: Wie eine Untersuchung der Universität Freiburg zeigte, soll die Zahl der Kirchenmitglieder in Deutschland bis zum Jahr 2035 um zehn Millionen auf 34,8 Millionen fallen, bis zum Jahr 2060 auf 22,7 Millionen. Die Studie nannte als Hauptursachen Austritte, weniger Taufen sowie die alternde Bevölkerung.

(dpa/BK)