Keine offene Grenze auf See
Die EU-Innenminister suchen nach einer temporären Übergangsregelung für eine europäische Aufteilung von Migranten. Bundesinnenminister Horst Seehofer will "keine faktisch offene Grenze auf See". In Libyen halten sich derzeit 660.000 Migranten auf.
Grenzsicherung

Keine offene Grenze auf See

Die EU-Innenminister suchen nach einer temporären Übergangsregelung für eine europäische Aufteilung von Migranten. Bundesinnenminister Horst Seehofer will "keine faktisch offene Grenze auf See". In Libyen halten sich derzeit 660.000 Migranten auf.

Beim heutigen Treffen der EU-Innenminister in der finnischen Hauptstadt Herlsinki wollte Bundesinnenminister Horst Seehofer für eine „temporäre Übergangsregelung” zur Verteilung von aus Seenot geretteten Migranten werben.

Zunächst ohne konkretes Ergebnis. Bei den Gesprächen wurde vereinbart, die Pläne in der ersten Septemberwoche bei einem EU-Sondertreffen auf Malta zu finalisieren, so der CSU-Politiker. Er sei „ziemlich zuversichtlich”, dass man das hinbekomme.

Geschlossene Häfen

Die geplante Übergangsregelung soll verhindern, dass Italien und Malta Schiffen mit vor der Küste Libyens aufgenommenen Migranten die Einfahrt in ihre Häfen untersagen. Beide Staaten hatten dies in der Vergangenheit mehrfach getan. Weil sie – nicht grundlos – befürchteten, mit der Verantwortung für die Migranten von den EU-Partnern alleine gelassen zu werden.

Tatsächlich hatte im vergangenen Jahr Italiens Innenminister Matteo Salvini die Schließung der italienischen Häfen für Rettungsschiffe von Nichtregierungsorganisationen (NGO) verfügt. Mit dem Ergebnis, dass die Zahl der Flüchtlinge auf der zentralen Mittelmeerroute zwischen Libyen und Sizilien im Jahr 2018 um 80 Prozent zurück gegangen ist, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet. Entsprechend gesunken ist auch die Zahl der im Mittelmeer ertrunkenen Migranten.

Für Aufsehen sorgte zuletzt vor allem der Fall des NGO-Schiffes Sea-Watch 3. Die deutsche Kapitänin Carola Rackete hatte das Schiff Ende Juni nach tagelangem Warten unerlaubt in einen italienischen Hafen gesteuert. Sie hatte dabei auch ein Boot italienischer Sicherheitskräfte gefährdet. Sie wollte dort Migranten an Land bringen, die sie nahe der Küste Libyens an Bord genommen hatte. Gegen sie wird nun in Italien ermittelt.

Keine festen Aufnahmequoten

Wie der von Deutschland und Frankreich geplante Übergangsmechanismus genau aussehen könnte, ist bislang nicht bekannt. Seehofer hatte allerdings bereits kurz vor seiner Abreise nach Helsinki betont, dass er keine feste Aufnahmequoten bestimmter Länder beinhalten werde. Damit solle verhindert werden, dass das System „als faktische Grenzöffnung” begriffen werde.

Wir wollen keine Pullfaktoren mit der Folge, dass wir faktisch eine offene Grenze haben auf See.

Horst Seehofer, Bundesinnenminister

„Wir wollen keine Pullfaktoren mit der Folge, dass wir faktisch eine offene Grenze haben auf See.“ Das sagte Seehofer am Mittwoch in Berlin bei der Vorstellung des Jahresberichts 2018 der Bundespolizei. Am Donnerstag ergänzte er, es solle jeweils einzelfallbezogen entschieden werden, welches Land wie viele Menschen aufnehme. „Das ist arbeitsaufwendig, aber die Arbeit machen wir gern”, sagte er.

Nordafrikanische Häfen sind offen

Migranten vor dem Ertrinken zu retten und sie anschließend in einen sicheren Hafen zu bringen, sei eine Selbstverständlichkeit, erklärte der Innenminister vor seiner Abreise zu dem EU-Treffen in Helsinki. Er betonte jedoch: „Das muss nicht zwingend ein europäischer Hafen sein.” Seehofer lobte ausdrücklich die Unterstützung Italiens für die libysche Küstenwache.

Bundespolizeipräsident Dieter Romann sagte, die nächstgelegenen Häfen an der nordafrikanischen Küste kämen für die Aufnahme der Geretteten „naturgemäß infrage”. Aufgrund des bewaffneten Konflikts in Libyen seien die libyschen Häfen davon allerdings zur Zeit ausgenommen, erklärten Romann und Seehofer.

35.000 unerlaubte Einreisen verhindert

Dokumenten- und Visumberater der Bundespolizei verhinderten im vergangenen Jahr 34.516 unerlaubte Einreisen nach Deutschland bereits im Vorfeld. Das entspricht einer Steigerung von 8,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Wie aus dem Jahresbericht der Behörde hervorgeht, sind die 64 Berater in 27 Ländern bei ausländischen Grenzdienststellen, Beförderungsunternehmen sowie in den Visastellen der deutschen Auslandsvertretungen präsent. Die meisten von ihnen sind in Asien im Einsatz.

An den deutschen Grenzen waren im vergangenen Jahr 42.478 unerlaubte Einreisen festgestellt worden − ein Rückgang um 15 Prozent im Vergleich zu 2017. Romann beklagte, dass viele Abschiebungen schon im Vorfeld scheitern. Er sagte: „Alleine mit der Rückführung werden wir das Problem der unerlaubten Einreise nicht in den Griff kriegen.”

73.000 Asylanträge in sechs Monaten

Und der Zustrom hält an. Das zeigen weitere Zahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf). In den ersten sechs Monaten des Jahres 2019 registrierte die Behörde 72.953 Asylerstanträge, gegenüber 81.765 im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Im gesamten Jahr 2018 verzeichnete das Bundesamt 161.939 Erstanträge auf Asyl.

Im Zeitraum Januar bis Juni 2019 waren 57,2 Prozent aller Erstantragstellenden männlich.

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

Knapp 20.000 Erstantragsteller des ersten Halbjahres 2019 kamen aus Syrien, 6883 aus dem Irak, 6354 aus Nigeria, 4702 aus der Türkei, 4405 aus dem Iran, 4389 aus Afghanistan, 1747 aus Somalia und 1710 aus Eritrea. In Libyen hielten sich derzeit 660.000 Migranten auf, berichtete am 5. Juli die Pariser Tageszeitung Le Monde. 75 Prozent von 7400 auf der Ägäis-Insel Lesbos gestrandeten Migranten seien Afghanen, notierte am 16. Juli die französische Tageszeitung Le Figaro.

Schleierfahndung

Seehofer sprach sich in Berlin für eine Intensivierung der Schleierfahndung an den deutschen Grenzen aus. Es sei auch zu überlegen, ob diese Form der „intelligenten Grenzsicherung” nicht auch über den bislang geltenden Radius von 30 Kilometern diesseits der Grenze ausgeweitet werden müsse.

Seehofer verwies auf den bis Ende 2021 geplanten Stellenzuwachs von derzeit rund 47.000 Mitarbeitern auf dann rund 50.000 Stellen bei der Bundespolizei. Ihm sei klar geworden, „dass das Sicherheitsgefühl nicht synchron zur Kriminalitätsstatistik läuft”. Deshalb sei für ihn auch wichtig, dass die Bürger mehr Polizeibeamte im Straßenbild sähen − etwa an Bahnhöfen.

Ablehnung der Flüchtlingspolitik

Die Problematik beleuchtet auch eine aktuelle Umfrage des Erfurter Meinungsforschungsinstitutes INSA für die Bild-Zeitung. Trotz zurückgehender Migranten-Ankünfte in Deutschland lehnen 51 Prozent der Befragten die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel ab: 33 Prozent schon immer; 22 Prozent haben Merkels Politik anfänglich unterstützt, tun es jetzt aber nicht mehr.

Das bedeutet noch immer eine Ablehnung von mehr als der Hälfte der Bevölkerung. Doch hinter den Zahlen verbirgt sich ein Positiv-Trend für Merkel: Vor einem Jahr lauteten die Vergleichszahlen 39 und 22 Prozent − also 61 Prozent Ablehnung. (dpa/BK/H.M.)